Verordnung Nr. 67 des französischen Oberbefehlshabers in Deutschland
über Bildung einer Beratenden Versammlung für das Rhein-Pfälzische Land

vom 8. Oktober 1946

Der Général Commandant en Chef Français en Allemagne erläßt auf Vorschlag des Administrateur Général, Adjoint pour le Gouvernement Militaire de la Zone Français  d'Occupation nach Anhörung des Comité Juridique unter Bezugnahme auf

Dekret vom 15. Juni 1945 über die Errichtung eines Commandement en Chef Français en allemagne, abgeändert durch Dekret vom 18. Oktober 1945,

Verordnung Nr. 1 vom 28. Juli 1945 über die Aufrechterhaltung der vom Commandement Surême Interallié oder in seinem Namen erlassenen Verordnungen und Bestimmungen,

Verordnung Nr. 1 des Commandement Suprême Interallié über Vergehen,

Verordnung Nr. 44 vom 28. Mai 1946 über die Aufstellung von Wählerlisten für deutsche Wahlen,

Verordnung Nr. 49 vom 5. August 1946 betreffend Wahlgeheimnis und Wahlfreiheit sowie Gesetzmäßigkeit und Wahrhaftigkeit der Abstimmung bei deutschen Wahlen im französischen Besatzungsgebiet,

Verordnung Nr. 51 vom 5. August 1946 über die Gemeindewahlen in Hessen-Pfalz,

Verordnung Nr. 52 vom 5. August 1946 über die Gemeindewahlen im Rheinland und Hessen-Nassau,

Verordnung Nr. 57 vom 30. August 1946 bezüglich der Schaffung eines Rhein-Pfälzischen Landes,

Verordnung Nr. 62 vom 2. September 1946 über die Wahlen zu den Kreisversammlungen im Rheinland und Hessen-Nassau,

Verordnung Nr. 63 vom 2. September 1946 über die Wahlen zu den Kreisversammlungen in Hessen-Pfalz,

folgende

VERORDNUNG:

Allgemeine Bestimmung

Artikel 1. Es wird für das Rhein-Pfälzische Land die Bildung einer Beratenden Versammlung angeordnet.

Titel I.
Wahl der Mitglieder der Beratenden Versammlung

Artikel 2. Die Versammlung setzt sich aus 127 Mitgliedern zusammen, die von vier verschiedenen Wahlkörpern in geheimer Abstimmung im Wege der Verhältniswahl gewählt werden; Sprenkelung (Streichung von Bewerbern unter Ersatz durch Bewerber anderer Wahlvorschläge), Aufstellung gemeinsamer Listen oder Listenverbindung finden nicht statt.

Artikel 3. Der erste Wahlkörper wird von den Mitgliedern der Kreisversammlungen des Rheinlandes, von Hessen-Nassau und Hessen-Rheinland (=Rheinhessen)  gebildet. Er wählt aus seiner Mitte, auf Grund der Verhältniswahl, 57 Mitglieder für die Beratende Versammlung.

Der zweite Wahlkörper wird von den Mitgliedern er Kreisversammlungen der Pfalz gebildet. Er wählt aus seiner Mitte, auf Grund der Verhältniswahl, 31 Vertreter für die Beratende Versammlung.

Artikel 4. Der dritte Wahlkörper setzt sich aus Mitgliedern der Gemeindeversammlungen der Städte mit mehr als 7000 Einwohnern im Rheinland, Hessen-Nassau und Hessen-Rheinland (Trier, Koblenz, Bad Kreuznach, Idar-Oberstein, Neuwied, Andernach, Mayen, Bedorf, Oberlahnstein, Bad Ems, Betzdorf, Kirn, Diez, Mainz, Bingen, Worms, Ingelheim, Alzey) zusammen; er wählt aus seiner Mitte auf Grund der Verhältniswahl, 23 Vertreter für die Beratende Versammlung.

Der vierte Wahlkörper setzt sich aus Mitgliedern der Gemeindeversammlungen der Städte mit mehr als 7000 Einwohnern der Pfalz (Schifferstadt, Kaiserslautern, Zweibrücken, Ludwigshafen, Frankenthal, Speyer, Neustadt, Landau, Pirmasens, Haßloch, Bad Dürkheim) zusammen; er wählt aus seiner Mitte, auf Grund der Verhältniswahl, 16 Vertreter für die Beratende Versammlung.

Artikel 5. Jeder Wähler, der zugleich Mitglied einer Kreisversammlung und einer der im Artikel 4 aufgeführten Gemeindeversammlungen ist, stimmt im Wahlkörper der Kreisversammlungen und in dem der Gemeindeversammlungen.

Artikel 6. Nur die zugelassenen politischen Parteien dürfen für die vorgenannten Wahlkörper Wahlvorschläge einreichen.

Artikel 7. Jeder Wahlvorschlag darf im ganzen höchstens so viele Namen enthalten, wie es der Anzahl der zu besetzenden Sitze entspricht.

Artikel 8. Jeder Bewerber muß entweder einer Kreisversammlung oder der Gemeindeversammlung einer Stadt mit mehr als 7000 Einwohnern (Artikel 4) angehören.

Artikel 9. Die Wahl hat nach dem Grundsatz der Verhältniswahl gemäß den Bestimmungen des Artikels 2 zu erfolgen, wobei die Zahl der zu besetzenden Sitze auf die Wahlvorschläge im Verhältnis zu der Anzahl der auf jeden Wahlvorschlag entfallenden Stimmen und die Sitze auf jeden Wahlvorschlag in der Reihenfolge der Bewerber verteilt werden.

Artikel 10. Die Wahlvorschläge sind zwei Wochen vor dem Wahltage mit der Unterschrift der Mitglieder eines jeden Parteivorstandes, dem Ministerialdirektor des Innern einzureichen. Jeder Bewerber muß seine Zustimmung zu der Eintragung in die Vorschlagsliste, auf der sich sein Name befindet, schriftlich erklären.

Artikel 11. Die Vorschlagslisten werden von einem Wahlausschuß geprüft. Der Wahlausschuß setzt sich zusammen aus:
    einem vom Ministerialdirektor des Innern ernannten Vorsitzenden,
    je einem Vertreter der zugelassenen Parteien.

Artikel 12. a) Der Wahlausschuß prüft die eingereichten Wahlvorschläge und stellt fest, ob die in die Wahlvorschläge eingetragenen Personen gemäß Artikel 8 wählbar sind. Wenn sich in einem Wahlvorschlag die Namen von Personen befinden, die nicht wählbar sind, so hat der Wahlvorstand den Vertrauensmann, der für die Liste verantwortlich ist, hiervon zu verständigen. Dieser ist in einem solchen Falle verpflichtet, innerhalb von 24 Stunden nach dem Empfang der Benachrichtigung die abgelehnten Personen durch andere zu ersetzen.

b) Wenn der Wahlausschuß einen oder mehrere der vorgeschlagenen Bewerber aus irgend einem anderen Grunde als nicht wählbar erachtet, hat er den für die Vorschlagsliste verantwortlichen Vertrauensmann hiervon in Kenntnis zu setzen.

Der in Betracht kommenden Partei steht es frei, den abgelehnten Bewerber binnen gleicher Frist durch einen anderen zu ersetzen.

Artikel 13. Die vom Wahlausschuß geprüften Vorschlagslisten werden spätestens am 10. Tage vor der Wahl vom Ministerialdirektor des Innern abgeschlossen. Die Bekanntgabe der Vorschlagslisten an jedes der Mitglieder der vier Wahlkörper (Artikel 2) hat durch den Ministerialdirektor des Innern zu erfolgen.

Artikel 14. Die Wahlkörper (Artikel 3 und 4) treten am 17. November 1946 in getrennten Lokalen zusammen, und zwar der erste und dritte in Koblenz, der zweite und vierte in Neustadt.

Artikel 15. Die Wahllokale sind von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Das Wahlbüro setzt sich aus einem Vorsitzenden und vier Beisitzern zusammen, welche vom Ministerialdirektor des Innern ernannt werden. Nach Schluß der Wahl hat das Wahlbüro das Ergebnis der Wahl zu ermitteln und die Namen der Gewählten zu verkünden; hierüber ist eine Niederschrift zu fertigen, die von allen Mitgliedern des Wahlbüros zu unterzeichnen ist.

Die Niederschrift ist dem Ministerialdirektor des Innern zu übermitteln.

Artikel 16. Die Beratende Versammlung tritt am 22. November 1946 zusammen, um die Gültigkeit der Mandate ihrer Mitglieder zu prüfen. In der Sitzung führt das älteste Mitglied den Vorsitz; Beisitzer sind die beiden nach ihm ältesten und die beiden jüngsten Mitglieder der Versammlung. Schriftführer ist ein Beamter des Ministeriums des Innern.

Artikel 17. Wenn ein Bewerber für nicht gewählt erklärt wird, hat der Ministerialdirektor darauf hinzuwirken, daß er durch denjenigen Bewerber ersetzt wird, der in der Reihenfolge der Vorschlagsliste seiner Partei auf den letzten gewählten Bewerber dieser Liste folgt.

Die Versammlung hat nach Maßgabe des vorstehenden Artikels das Mandat des nachrückenden Bewerbers für gültig zu erklären.

Wenn in der Person eines Mitgliedes der Versammlung nach der Gültigkeitserklärung seines Mandates ein Grund für die Unwählbarkeit, gleichviel welcher Art, eintritt, geht es kraft Gesetzes seines Mandates verlustig.

Artikel 18. Im Falle des Ablebens, der Mandatsniederlegung, oder des Mandatsverlustes eines Mitgliedes der Versammlung, hat der Ministerialdirektor des Innern binnen 5 Tagen nach Empfang der Mitteilung von dem Ableben oder der Mandatsniederlegung oder des Mandatsverlustes denjenigen Bewerber für gewählt zu erklären, welcher auf den letzten gewählten Bewerber der Vorschlagsliste der Partei folgt, auf der sich der Name des weggefallenen Mitgliedes befand. Sein Mandat ist nach Maßgabe des Artikels 16 für gültig zu erklären.

Titel II.
Art der Tätigkeit der Beratenden Versammlung

Artikel 19. Sobald die Versammlung die Mandate von mehr als der Hälfte seiner Mitglieder für gültig erklärt hat, wird in geheimer Abstimmung auf Grund absoluter Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder zur Wahl des Präsidiums geschritten.

Artikel 20. Die Provisorische Regierung ist auf Ersuchen des Präsidiums verpflichtet, alle Auskünfte zu erteilen und alle Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die eine Behandlung der auf der Tagesordnugn gesetzten Angelegenheiten in voller Sachkenntnis ermöglichen.

Die Provisorische Regierung des Rhein-Pfälzischen Landes wurde am 2. Dezember 1946 unter Ministerpräsident Dr. Wilhelm Boden (CDU) als Allparteienregierung aus CDU, SPD und KPD gebildet. Zwischen dem 18. Mai 1947 und dem 13. Juni 1947 galt sie gemäß Artikel 144 der Landesverfassung als geschäftsführende Landesregierung. Am 13. Juni 1947 wurde diese Regierung durch die erste verfassungsmäßige rheinland-pfälzische Landesregierung (CDU-Alleinregierung) abgelöst.

Artikel 21. Die Beratende Versammlung tritt am 1. Montag eines jeden Monats zu einer ordentlichen, höchstens eine Woche dauernden Sitzung zusammen.

Falls der Präsident der Provisorischen Regierung es für notwendig hält, tritt auf sein Ersuchen die Versammlung zu einer außerordentlichen Sitzung von gleicher Dauer zusammen.

Artikel 22. Die Sitzungen der Beratenden Versammlung sind öffentlich. Eine übersichtliche Zusammenstellung der Verhandlungen ist am Tage nach der Sitzung im Amtsblatt zu veröffentlichen, es sei denn, daß die Versammlung auf Ersuchen der Provisorischen Regierung oder auf Vorschlag des Präsidiums im Wege besonderer Abstimmung hierüber anders entscheidet.

Die Mitglieder der Provisorischen Regierung sind berechtigt, den Sitzungen der Versammlung beizuwohnen und müssen von der Versammlung angehört werden.

Die Versammlung fertigt über jede Sitzung eine Niederschrift, die zwecks Genehmigung bei der Eröffnung einer jeden Sitzung und am Schluß der letzten Sitzung zur Verlesung zu bringen ist.

Die Niederschrift ist unverzüglich dem Präsidenten der Provisorischen Regierung zuzuleiten.

Artikel 23. In der Versammlung werden die Stimmen, soweit es sich nicht um die Wahl von Mitgliedern des Präsidiums handelt, in öffentlicher Wahl nach dem Grundsatz der absoluten Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder abgegeben.

Artikel 24. Die Versammlung gibt sich selbst eine Geschäftsordnung; sie kann aus dem Kreise ihrer Mitglieder Sonderkommissionen bilden, die außerhalb der Sitzungen tagen können.

Titel III.
Befugnisse der Beratenden Versammlung

Artikel 25. Die Beratende Versammlung nimmt zu den Fragen, mit denen sie von der Provisorischen Regierung befaßt wird, gutachtlich Stellung.

Artikel 26. Über den Landeshaushalt muß die Stellungnahme der Versammlung eingeholt werden, desgleichen über Anleihepläne, die über die Summe von 100 Millionen Mark hinausgehen.

Artikel 27. Die Versammlung hat im Einvernehmen mit der Provisorischen Regierung einen Verfassungsentwurf aufzustellen, der einer Volksabstimmung zu unterwerfen ist.

Artikel 28. Die Auflösung der Versammlung findet kraft Gesetzes in dem Zeitpunkte statt, in dem die Versammlung oder die Versammlungen gemäß der Landesverfassung in Tätigkeit treten.

Der erste verfassungsgemäß gewählte rheinland-pfälzische Landtag wurde am 18. Mai 1947 gewählt und trat verfassungsgemäß am 4. Juni 1947 zu seiner ersten Sitzung zusammen.

Artikel 29. Diese Verordnung ist im Amtsblatt des Französischen Oberkommandos in Deutschland zu veröffentlichen und in der Zone Fracaise d'Occupation als Gesetz durchzuführen.

    Baden-Baden, den 8. Oktober 1946

Der Général d'Armée KOENIG
Commandant en Chef Français en Allemagne
P. KOENIG


Quellen: Amtsblatt des französischen Oberkommandos in Deutschland S. 341
© 4. Juli 2004 - 11. Juli 2004


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