Verfassung des Freistaats Preußen

vom 30. November 1920

ersetzte die Verfassung vom 31. Januar 1850

geändert durch
Gesetz, betreffend vorläufige Wahlen zum Staatsrat in der Provinz Oberschlesien und Abänderung des Artikel 88 der Verfassung vom 7. April 1921 (GS S. 353)
Gesetz zur Änderung der Verfassung vom 27. Oktober 1924 (GS S. 670)
Gesetz vom 25. Juli 1928 (GS S. 179)
Gesetz vom 1. Juni 1933 (GS S. 198)
Gesetz vom 8. Juli 1933 (GS S. 241)
Gesetz vom 16. Juli 1933 (GS. S. 254)
Gesetz vom 22. Juli 1933 (GS. S. 270)

faktisch geändert durch
Vorläufiges Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 31. März 1933
Zweites Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 7. April 1933

faktisch aufgehoben durch
 Gesetz über den Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934 (RGBl. I. S. 75)

endgültig aufgehoben mit dem
Gesetz Nr. 46 des Kontrollrates in Deutschland vom 27. Februar 1947 (ABl. S. 262)

Das preußische Volk hat sich durch die verfassunggebende Landesversammlung folgende Verfassung gegeben, die hiermit verkündet wird:

Abschnitt 1. Der Staat.

Artikel 1. (1) Preußen ist eine Republik und Glied des Deutschen Reichs.

(2) Die nach der Reichsverfassung erforderliche Zustimmung Preußens zu Gebietsänderungen erfolgt durch Gesetz.

(3) Die Landesfarben sind schwarz-weiß.

(4) Die Geschäfts- und Verhandlungssprache im öffentlichen Dienste ist die deutsche Sprache.
 

Abschnitt II. Die Staatsgewalt.

Artikel 2. Träger der Staatsgewalt ist die Gesamtheit des Volkes.

Artikel 3. Das Volk äußert seinen Willen nach den Bestimmungen dieser Verfassung und der Reichsverfassung unmittelbar durch die Volksabstimmung (Volksbegehren, Volksentscheid und Volkswahl), mittelbar durch die verfassungsmäßig bestellten Organe.

Artikel 4. (1) Stimmberechtigt sind alle über zwanzig Jahre alten reichsdeutschen Männern und Frauen, die in Preußen ihren Wohnsitz haben.

(2) Das Stimmrecht ist allgemein und gleich und wird geheim und unmittelbar ausgeübt. Der Tag der Stimmabgabe muß ein Sonntag oder ein allgemeiner Feiertag sein.

(3) Das Nähere wird durch Gesetz bestimmt.

Artikel 5. Von der Ausübung des Stimmrechts ist ausgeschlossen:
1. wer entmündigt ist oder unter vorläufiger Vormundschaft oder wegen geistiger Gebrechen unter Pflegschaft steht;
2. wer die bürgerlichen Ehrenrechte nicht besitzt.

Artikel 6. (1) Volksbegehren können darauf gerichtet werden:
1. die Verfassung zu ändern;
2. Gesetze zu erlassen, zu ändern oder aufzuheben;
3. den Landtag aufzulösen.

(2) Volksbegehren sind an das Staatsministerium zu richten und von diesem unter Darlegung seiner Stellungnahme unverzüglich dem Landtage zu unterbreiten. Dem Volksbegehren muß in den Fällen zu 1 und 2 ein ausgearbeiteter Gesetzentwurf zugrunde liegen. Volksbegehren sind nur rechtswirksam im Falle 2, wenn sie von einem Zwanzigstel, in den Fällen 1 und 3, wenn sie von einem Fünftel der Stimmberechtigten gestellt werden.

(3) Über Finanzfragen, Abgabengesetze und Besoldungsordnung ist ein Volksbegehren nicht zulässig.

(4) Volksentscheide finden auf Volksbegehren und in den sonst in der Verfassung vorgesehenen Fällen statt; sie sind nur rechtswirksam, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten daran teilgenommen hat.

(5) Ein Volksentscheid findet nicht statt, wenn der Landtag dem Volksbegehren entsprochen hat.

(6) Anträge, die Verfassung zu ändern oder den Landtag aufzulösen, bedürfen zu ihrer Annahme der Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten. Sonst entscheidet die einfache Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Die Abstimmung kann nur bejahend oder verneinend sein.

(7) Das Verfahren bei Volksbegehren und Volksentscheiden wird durch Gesetz geregelt.

Artikel 7. Das Staatsministerium ist die oberste vollziehende und leitende Behörde des Staates.

Artikel 8. (1) Die Rechtspflege wird durch unabhängige, nur den Gesetzen unterworfene Gerichte ausgeübt.

(2) Die Urteile werden im Namen des Volkes verkündet und vollstreckt.
 

Abschnitt III. Der Landtag.

Artikel 9. (1) Der Landtag besteht aus den Abgeordneten des preußischen Volkes. Die Abgeordneten sind Vertreter des gesamten Volkes und werden von ihm nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt.

(2) Wählbar sind die Stimmberechtigten, die das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben.

Artikel 10. Die Abgeordneten stimmen nach ihrer freien, nur durch die Rücksicht auf das Volkswohl bestimmten Überzeugung; an Aufträge und Weisungen sind sie nicht gebunden.

Artikel 11. (1) Beamte, Angestellte und Arbeiter des Staates und der Körperschaften des öffentlichen Rechtes bedürfen zur Ausübung der Tätigkeit als Abgeordnete keines Urlaubs.

(2) Bewerben sie sich um einen Sitz im Landtag, so ist ihnen der zur Vorbereitung ihrer Wahl erforderliche Urlaub zu gewähren.

(3) Gehalt und Lohn sind weiter zu zahlen.

(4) Die den Religionsgesellschaften auf Grund des Artikel 137 der Reichsverfassung zustehenden Rechte werden durch die vorstehenden Bestimmungen nicht berührt.

Artikel 12. (1) Die Gültigkeit der Wahlen prüft ein beim Landtage gebildetes Wahlprüfungsgericht. Dieses entscheidet auch über die Frage, ob ein Abgeordneter die Mitgliedschaft. verloren hat.

(2) Das Wahlprüfungsgericht besteht aus Mitgliedern des Landtags, die dieser für die Wahlperiode wählt, und aus Mitgliedern des Oberverwaltungsgerichts, die das Präsidium dieses Gerichts für dieselbe Zeit bestellt.

(3) Das Wahlprüfungsgericht erkennt auf Grund öffentlicher mündlicher Verhandlungen durch drei Mitglieder des Landtags und zwei richterliche Mitglieder.

(4) Außerhalb der Verhandlungen vor dem Wahlprüfungsgerichte wird das Verfahren von einem der bestellten Mitglieder des Oberverwaltungsgerichts geführt, das dem demnächst erkennenden Gerichte nicht angehören darf.

(5) Das Nähere wird durch Gesetz geregelt.

Durch Gesetz vom 27. Oktober 1924 wurde im Artikel 12 Absatz 4 der Satzteil ", das dem demnächst erkennenden Gerichte nicht angehören darf" gestrichen.

Artikel 13. Der Landtag wird auf vier Jahre gewählt. Die Neuwahl muß vor dem Ablaufe dieser Zeit erfolgen.

Artikel 14. (1) Die Auflösung des Landtags erfolgt durch eigenen Beschluß oder durch den Beschluß eines aus dem Ministerpräsidenten und den Präsidenten des Landtags und des Staatsrats bestehenden Ausschusses oder durch Volksentscheid. Der Volksentscheid kann auch durch Beschluß des Staatsrats herbeigeführt werden.

(2) Die Auflösung des Landtags durch eigenen Beschluß bedarf der Zustimmung von mehr als der Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl.

Artikel 15. Nach Auflösung des Landtags muß die Neuwahl binnen sechzig Tagen stattfinden.

Artikel 16. Die Wahlperiode des neuen Landtags beginnt, falls der alte Landtag aufgelöst worden ist, mit dem Tage der Neuwahl, im übrigen mit dem Ablaufe der Wahlperiode des alten Landtags.

Artikel 17. (1) Der Landtag versammelt sich am Sitze des Staatsministeriums.

(2) Zur ersten Tagung nach jeder Neuwahl tritt er zusammen am dreißigsten Tage nach Beginn der Wahlperiode, falls ihn nicht das Staatsministerium früher beruft.

(3) Im übrigen versammelt sich der Landtag in jedem Jahre am zweiten Dienstag des November. Der Präsident des Landtags muß ihn früher berufen, wenn es das Staatsministerium oder mindestens ein Fünftel der Mitglieder des Landtags verlangt.

(4) Der Landtag bestimmt den Schluß der Tagung und den Tag des Wiederzusammentritts.

Artikel 18. Der Landtag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und die übrigen Mitglieder seines Vorstandes.

Artikel 19. Zwischen zwei Tagungen sowie bis zum Zusammentritt eines neugewählten Landtags führen der Präsident und die stellvertretenden Präsidenten der letzten Tagung ihre Geschäfte fort.

Artikel 20. Der Präsident verwaltet die gesamten wirtschaftlichen Angelegenheiten des Landtags nach Maßgabe des Staatshaushaltsgesetzes mit den Befugnissen eines Staatsministers. Ihm steht die Dienstaufsicht über sämtliche Beamten und Angestellten des Landtags, die Annahme und Entlassung der Lohnangestellten sowie im Benehmen mit dem Vorstande des Landtags die Ernennung und Entlassung der planmäßigen Beamten des Landtags zu. Er vertritt den Staat in allen Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten seiner Verwaltung. Er übt das Hausrecht und die Polizeigewalt im Landtagsgebäude aus.

Artikel 21. (1) Der Landtag ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend ist.

(2) Für die vom Landtage vorzunehmenden Wahlen kann seine Geschäftsordnung Ausnahmen zulassen.

Artikel 22. (1) Der Landtag faßt seine Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit.

(2) Ausnahmen kann das Gesetz und für Wahlen die Geschäftsordnung vorschreiben.

Artikel 23. Die Vollsitzungen des Landtags sind öffentlich. Auf Antrag von fünfzig Abgeordneten kann der Landtag mit Zweidrittelmehrheit die Öffentlichkeit für einzelne Gegenstände der Tagesordnung ausschließen. Über den Antrag wird in geheimer Sitzung verhandelt.

Artikel 24. Der Landtag und jeder seiner Ausschüsse können die Anwesenheit jedes Ministers verlangen. Die Minister und die von ihnen bestellten Beauftragten haben zu den Sitzungen des Landtags und seiner Ausschüsse Zutritt. Sie können jederzeit, auch außerhalb der Tagesordnung, das Wort ergreifen. Sie unterstehen der Ordnungsgewalt des Vorsitzenden.

Artikel 25. (1) Der Landtag hat das Recht und auf Antrag von einem Fünftel der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Diese Ausschüsse erheben in öffentlicher Verhandlung die Beweise, die sie oder die Antragsteller für erforderlich erachten. Sie können mit Zweidrittelmehrheit die Öffentlichkeit ausschließen. Die Geschäftsordnung regelt ihr Verfahren und bestimmt die Zahl ihrer Mitglieder.

(2) Die Gerichte und Verwaltungsbehörden sind verpflichtet, dem Ersuchen dieser Ausschüsse um Beweiserhebungen nachzukommen; die Akten der Behörden sind ihnen auf Verlangen vorzulegen.

(3) Für die Beweiserhebungen der Ausschüsse und der von ihnen ersuchten Behörden gelten die Vorschriften der Strafprozeßordnung sinngemäß, doch bleibt das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis unberührt.

Artikel 26. Der Landtag bestellt einen ständigen Ausschuß zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung gegenüber dem Staatsministerium für die Zeit außerhalb der Tagung und zwi-schen der Beendigung einer Wahlperiode oder der Auflösung des Landtags und dem Zusammentritte des neuen Landtags. Dieser Ausschuß hat auch die Rechte eines Untersuchungsausschusses. Seine Zusammensetzung wird durch die Geschäftsordnung geregelt.

Artikel 27. Der Landtag kann an ihn gerichtete Eingaben dem Staatsministerium überweisen und von diesem Auskunft über eingegangene Bitten und Beschwerden verlangen.

Artikel 28. (1) Die Mitglieder des Landtags erhalten das Recht zur freien Fahrt auf allen im Bereiche der ehemals preußisch-hessischen Eisenbahngemeinschaft belegenen deutschen Eisenbahnen und eine Entschädigung. Außerdem erhält der Präsident für die Dauer seines Amtes eine Aufwandsentschädigung.

(2) Ein Verzicht auf diese Entschädigungen ist unstatthaft.

(3) Das Nähere regelt das Gesetz.

Artikel 29. (1) Der Landtag beschließt über die Gesetze nach Maßgabe dieser Verfassung; er genehmigt den Haushaltsplan in Einnahme und Ausgabe; er stellt die Grundsätze für die Verwaltung der Staatsangelegenheiten auf und überwacht ihre Ausführung. Staatsverträge bedürfen seiner Genehmigung, wenn sie sich auf Gegenstände der Gesetzgebung beziehen.

(2) Der Landtag gibt sich seine Geschäftsordnung im Rahmen dieser Verfassung.

Artikel 30. Ein Beschluß des Landtags, die Verfassung zu ändern, ist nur gültig, wenn mindestens zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend sind und mindestens zwei Drittel der Anwesenden zustimmen.
 

Abschnitt IV. Der Staatsrat.

Artikel 31. Zur Vertretung der Provinzen bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Staates wird ein Staatsrat gebildet.

Artikel 32. (1) Der Staatsrat besteht aus Vertretern der Provinzen. Als Provinzen gelten hierbei Ostpreußen, Brandenburg, Stadt Berlin, Pommern, Grenzmark Posen-Westpreußen, Niederschlesien, Oberschlesien, Sachsen, Schleswig-Holstein, Hannover, Westfalen, Rheinprovinz und Hessen-Nassau.

(2) Auf je 500000 Einwohner einer Provinz entfällt ein Vertreter, jedoch entsendet jede Provinz mindestens drei Vertreter in den Staatsrat. Ein Rest von mehr als 250000 Einwohnern wird vollen 500 000 gleich gerechnet.

(3) Außerdem entsenden die Hohenzollernschen Lande einen Vertreter.

(4) Die Zahl der Vertreter der Provinzen wird durch das Staatsministerium nach jeder allgemeinen Volkszählung und bei Veränderungen des Gebiets der Provinzen neu festgesetzt.

Artikel 33. (1) Die Mitglieder des Staatsrats und ihre Stellvertreter werden von den Provinziallandtagen (in Berlin von der Stadtverordnetenversammlung, in den Hohenzollernschen Landen und in der Grenzmark Posen-Westpreußen von den Kommunallandtagen) gewählt. In den Hohenzollernschen Landen wird nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl, im übrigen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Wählbar ist jeder Stimmberechtigte, der das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet und seinen Wohnsitz ein Jahr in der Provinz hat.

(2) Niemand darf gleichzeitig Mitglied des Landtags und des Staatsrats sein. Landtagsabgeordnete scheiden mit Annahme der Wahl in den Staatsrat aus dem Landtag aus. Mitglieder des Staatsrats scheiden mit Annahme der Wahl in den Landtag aus dem Staatsrat aus.

(3) Die Mitglieder des Staatsrats üben ihr Amt bis zum Eintritt ihrer Nachfolger aus.

(4) Die Mitglieder des Staatsrats werden unmittelbar nach der Neuwahl der einzelnen Provinziallandtage (Stadtverordnetenversammlung, Kommunallandtage) neu gewählt.

Artikel 34. Die Mitglieder des Staatsrats stimmen nach ihrer freien, nur durch die Rücksicht auf das Volkswohl bestimmten Überzeugung; an Aufträge und Weisungen sind sie nicht gebunden.

in Art. 33 Abs. 1 Satz 3 ist der Begriff "Stimmberechtigte" strittig gewesen; während im Kontext des Abs. 1 eindeutig als Stimmberechtigte die bei der Wahl zum Staatsrat stimmberechtigten Mitglieder der Provinziallandtage gemeint sind, ist im Ausführungsgesetz, dem Gesetz über die Wahlen des Staatsrates vom 16. Dezember 1920 (GS 1921 S. 90) der Begriff "Stimmberechtigte" als  "alle bei den Landtagswahlen Stimmberechtigten" ausgelegt worden.

Artikel 35. Kein Mitglied des Staatsrats darf zu irgendeiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Amtes getanen Äußerungen gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden.

Artikel 36. (1) Beamte, Angestellte und Arbeiter des Staates und der Körperschaften des öffentlichen Rechtes bedürfen zur Ausübung des Amtes als Mitglieder des Staatsrats keines Urlaubs.

(2) Gehalt und Lohn sind weiter zu zahlen.

Artikel 37. Der Staatsrat wählt seinen Vorsitzenden und seine Schriftführer sowie deren Stellvertreter und regelt seinen Geschäftsgang durch eine Geschäftsordnung.

Artikel 38. (1) Zum ersten Male wird der Staatsrat vom Staatsministerium einberufen. Im übrigen versammelt er sich auf Einladung seines Vorsitzenden, so oft die Geschäfte es erfordern. Der Vorsitzende hat den Staatsrat einzuberufen, wenn ein Fünftel seiner Mitglieder, die sämtlichen Vertreter einer Provinz oder das Staatsministerium es verlangen.

(2) Der Staatsrat ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend ist. Bei Abstimmungen entscheidet die einfache Mehrheit der Abstimmenden.

(3) Bei Beschlüssen des Staatsrats nach Artikel 14 und Artikel 42 Abs. 1 muß die Abstimmung namentlich sein.

Artikel 39. (1) Die Vollsitzungen des Staatsrats sind öffentlich. Der Staatsrat kann mit Zweidrittelmehrheit die Öffentlichkeit für einzelne Gegenstände der Tagesordnung ausschließen. Über einen Antrag, die Öffentlichkeit auszuschließen, wird in geheimer Sitzung verhandelt.

(2) Artikel 24 gilt entsprechend.

Artikel 40. (1) Der Staatsrat ist vom Staatsministerium über die Führung der Staatsgeschäfte auf dem Laufenden zu halten.

(2) Vor Einbringung von Gesetzesvorlagen hat das Staatsministerium dem Staatsrate Gelegenheit zur gutachtlichen Äußerung zu geben. Der Staatsrat kann seine abweichende Ansicht dem Landtage schriftlich darlegen.

(3) Der Staatsrat ist berechtigt, Gesetzesvorlagen durch das Staatsministerium an den Landtag zu bringen.

(4) Vor Erlaß von Ausführungsvorschriften zu Reichs- und Staatsgesetzen sowie vor Erlaß allgemeiner organisatorischer Anordnungen des Staatsministeriums ist der Staatsrat oder dessen zuständiger Ausschuß zu hören.

Artikel 41. Die Mitglieder des Staatsrats erhalten Reisekosten und Aufwandsentschädigung nach Maßgabe des Gesetzes. Ein Verzicht hierauf ist unstatthaft.

Artikel 42. (1) Gegen die vom Landtage beschlossenen Gesetze steht dem Staatsrate der Einspruch zu.

(2) Der Einspruch muß innerhalb zweier Wochen nach der Schlußabstimmung im Landtage beim Staatsministerium eingebracht und spätestens binnen zwei weiteren Wochen mit Gründen versehen sein.

(3) Im Falle des Einspruchs wird das Gesetz dem Landtage zur nochmaligen Beschlußfassung vorgelegt. Wenn der Landtag seinen früheren Beschluß mit Zweidrittelmehrheit erneuert, so bleibt es bei seinem Beschlusse. Wird bei der erneuten Beschlußfassung des Landtags für den früheren Beschluß nur eine einfache Mehrheit erreicht, so ist der Beschluß hinfällig, falls er nicht durch einen vom Landtage herbeigeführten Volksentscheid bestätigt wird.

(4) Die Zustimmung des Staatsrats ist erforderlich, wenn der Landtag Ausgaben beschließen will, die über den vom Staatsministerium vorgeschlagenen oder bewilligten Betrag hinausgehen. Stimmt der Staatsrat nicht zu, so ist der Beschluß des Landtags nur wirksam, soweit er mit dem Vorschlag oder der Bewilligung des Staatsministeriums übereinstimmt. Ein Volksentscheid ist in diesem Falle nicht zulässig.

Artikel 43. Das Nähere wird durch Gesetz geregelt.
 

Abschnitt V. Das Staatsministerium.

Artikel 44. Das Staatsministerium besteht aus dem Ministerpräsidenten und den Staatsministern.

Artikel 45. Der Landtag wählt ohne Aussprache den Ministerpräsidenten. Der Ministerpräsident ernennt die übrigen Staatsminister.

Artikel 46. Der Ministerpräsident bestimmt die Richtlinien der Regierungspolitik und ist dafür dem Landtage verantwortlich; innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Staatsminister den ihm anvertrauten Geschäftszweig selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Landtage.

Artikel 47. (1) Der. Ministerpräsident führt den Vorsitz im Staatsministerium und leitet dessen Geschäfte.

(2) Das Staatsministerium beschließt über die Zuständigkeit der einzelnen Staatsminister, soweit hierüber nicht gesetzliche Bestimmungen getroffen sind. Die Beschlüsse sind unverzüglich dem Landtage vorzulegen und auf sein Verlangen zu ändern oder außer Kraft zu setzen.

(3) Meinungsverschiedenheiten über Fragen, die den Geschäftsbereich mehrerer Staatsminister berühren, sind dem Staatsministerium zur Beratung und Beschlußfassung zu unterbreiten.

Artikel 48. Die Minister haben Anspruch auf Besoldung. Über Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung bestimmt ein besonderes Gesetz.

Artikel 49. Das Staatsministerium vertritt den Staat nach außen.

Artikel 50. Das Staatsministerium beschließt über Gesetzesvorlagen, die an den Landtag zu bringen sind.

Artikel 51. Das Staatsministerium erläßt die Verordnungen zur Ausführung der Gesetze, soweit das Gesetz diese Aufgabe nicht einzelnen Staatsministern zuweist.

Artikel 52. Das Staatsministerium ernennt die unmittelbaren Staatsbeamten.

Artikel 53. Das Staatsministerium ernennt die Mitglieder des Reichsrats, soweit sie nicht nach Artikel 63 der Reichsverfassung von den Provinzialverwaltungen bestellt werden.

Artikel 54. (1) Das Staatsministerium übt namens des Volkes das Recht der Begnadigung aus.

(2) Zugunsten eines Ministers, der wegen seiner Amtshandlungen verurteilt worden ist, kann dieses Recht nur auf Antrag des Landtags ausgeübt werden.

(3) Allgemeine Straferlasse und die Niederschlagung einer bestimmten Art gerichtlich anhängiger Strafsachen oder einer einzelnen gerichtlich anhängigen Strafsache dürfen nur auf Grund eines Gesetzes ausgesprochen werden.

Artikel 55. Wenn die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder die Beseitigung eines ungewöhnlichen Notstandes es dringend erfordert, kann, sofern der Landtag nicht versammelt ist, das Staatsministerium in Übereinstimmung mit dem im Artikel 26 vorgesehenen ständigen Ausschusse Verordnungen, die der Verfassung nicht zuwiderlaufen, mit Gesetzeskraft erlassen. Diese Verordnungen sind dem Landtage bei seinem nächsten Zusammentritte zur Genehmigung vorzulegen. Wird die Genehmigung versagt, so ist die Verordnung durch Bekanntmachung in der Gesetzsammlung alsbald außer Kraft zu setzen.

Artikel 56. Die Staatsminister leisten beim Amtsantritte den Eid, daß sie ihre Geschäfte unparteiisch, zum Wohle des Volkes und getreu der Verfassung und den Gesetzen führen wollen.

Artikel 57. (1) Das Staatsministerium als solches und jeder einzelne Staatsminister bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Volkes, das dieses durch den Landtag bekundet. Der Landtag kann dem Staatsministerium oder einem einzelnen Staatsminister durch ausdrücklichen Beschluß sein Vertrauen entziehen. Der Beschluß ist nicht zulässig, wenn ein rechtswirksames Volksbegehren vorliegt, den Landtag aufzulösen.

(2) Der Antrag auf Herbeiführung eines solchen Beschlus-ses muß von mindestens dreißig Abgeordneten unterzeichnet sein.

(3) Über den Antrag darf frühestens am zweiten Tage nach seiner Besprechung abgestimmt werden. Er muß binnen vierzehn Tagen nach seiner Einbringung zur Erledigung kommen.

(4) Über die Vertrauensfrage muß namentlich abgestimmt werden.

(5) Der Beschluß auf Entziehung des Vertrauens ist nur wirksam, wenn ihm mindestens die Hälfte der Abgeordneten zustimmt, aus denen zur Zeit der Abstimmung der Landtag besteht.

(6) Wird der Beschluß gefaßt, so müssen die davon betroffenen Minister zurücktreten, der Ministerpräsident jedoch nur dann, wenn er von seiner Befugnis, die Auflösung des Landtags zu beantragen, keinen Gebrauch macht oder wenn sein Antrag vom Ausschuß abgelehnt worden ist.

(7) Diese Bestimmungen gelten entsprechend für den Fall, daß das Staatsministerium in ‚seiner Gesamtheit oder ein Staatsminister die Vertrauensfrage stellt.

Artikel 58. (1) Der Landtag ist berechtigt, jeden Minister vor dem Staatsgerichtshof anzuklagen, daß er schuldhaft die Verfassung oder die Gesetze verletzt habe. Der Antrag auf Erhebung der Anklage muß von mindestens hundert Mitgliedern des Landtags unterzeichnet sein und bedarf der Zustimmung der für Verfassungsänderungen vorgesehenen Mehrheit.

(2) Die Zusammensetzung des Staatsgerichtshofs, das Verfahren vor ihm und die ihm zustehenden Entscheidungen werden durch Gesetz geregelt.

Artikel 59. (1) Jeder Staatsminister kann jederzeit von seinem Amte zurücktreten.

(2) Tritt das Staatsministerium in seiner Gesamtheit zurück, so führen die zurückgetretenen Minister die laufenden Geschäfte bis zu deren Übernahme durch die neuen Minister weiter.
 

Abschnitt VI. Die Gesetzgebung.

Artikel 60. Das Staatsministerium verkündet in der Preußischen Gesetzsammlung die verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetze und die vom Landtage genehmigten Staatsverträge.

Artikel 61. (1) Ein Gesetz ist verbindlich, wenn es verfassungsmäßig zustande gekommen und vom Staatsministerium in der vorgeschriebenen Form verkündet worden ist. Bei der Verkündung muß ausgesprochen sein, daß das Gesetz vom Landtag oder durch Volksentscheid beschlossen worden ist. Artikel 13 der Reichsverfassung wird hierdurch nicht berührt.

(2) Wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt, tritt es mit dem vierzehnten Tage nach Ausgabe des die Verkündung enthaltenden Stückes der Gesetzsammlung in Kraft.

(3) Die Gesetze sind binnen Monatsfrist zu verkünden.

Artikel 62. Gesetzesvorlagen, die der Landtag abgelehnt hat, können in demselben Sitzungsabschnitt nicht wieder vorgebracht werden, es sei denn, daß ein rechtswirksames Volksbegehren vorliegt.
 

Abschnitt VII. Das Finanzwesen.

Artikel 63. (1) Der Landtag sorgt durch Bewilligung der erforderlichen laufenden Mittel für die Deckung des Staatsbedarfs.

(2) Alle Einnahmen und Ausgaben des Staates müssen für jedes Rechnungsjahr veranschlagt und auf den Haushaltsplan gebracht werden. Dieser wird vor Beginn des Rechnungsjahrs durch ein Gesetz festgestellt.

(3) Die Ausgaben werden in der Regel für ein Jahr bewilligt; sie können in besonderen Fällen auch für eine längere Dauer bewilligt werden. Im übrigen sind im Haushaltsgesetze Vorschriften unzulässig, die über das Rechnungsjahr hinausreichen oder sich nicht auf die Einnahmen und Ausgaben des Staates oder ihre Verwaltung beziehen.

Artikel 64. Ist bis zum Schlusse eines Rechnungsjahrs der Haushaltsplan für das folgende Jahr nicht durch Gesetz festgestellt, so ist bis zu seinem Inkrafttreten das Staatsministerium ermächtigt:
1. alle Ausgaben zu leisten, die nötig sind,
a) um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen,
b) um die rechtlich begründeten Verpflichtungen des Staates zu erfüllen,
c) um Bauten, Beschaffungen und sonstige Leistungen fortzusetzen, für die durch den Haushaltsplan eines Vorjahrs bereits Beträge bewilligt worden sind, sowie um unter der gleichen Voraussetzung Beihilfen zu Bauten und Beschaffungen oder sonstigen Leistungen weiterzugewähren;
2. Schatzanweisungen bis zur Höhe eines Viertels der End-summe des abgelaufenen Haushaltsplans für je drei Monate auszugeben, soweit nicht auf besonderem Gesetze beruhende Einnahmen aus Steuern, Abgaben und sonstigen Quellen die Ausgaben unter 1 decken.

Artikel 65. Im Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden. Eine solche Beschaffung sowie die Übernahme einer Sicherheitsleistung zu Lasten des Staates dürfen nur durch Gesetz erfolgen.

Artikel 66. Beschlüsse des Landtags, welche Mehrausgaben außerhalb des Haushaltsplans in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, müssen zugleich bestimmen, wie diese Mehrausgaben gedeckt werden.

Artikel 67. (1) Zu Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßigen Ausgaben ist die nachträgliche Genehmigung des Landtags erforderlich, die im Laufe des nächsten Rechnungsjahrs eingeholt werden muß.

(2) Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßige Ausgaben bedürfen der Zustimmung des Finanzministers. Sie darf nur im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden.

Artikel 68. Die Rechnungen über den Haushaltsplan werden von der Oberrechnungskammer geprüft und festgestellt. Die allgemeine Rechnung über den Haushalt jedes Jahres und eine Übersicht der Staatsschulden werden mit den Bemerkungen der Oberrechnungskammer zur Entlastung des Finanzministers dem Landtage vorgelegt.

Artikel 69. Das Finanzwesen der ertragswirtschaftlichen Unternehmungen des Staates kann durch Gesetz abweichend von den Vorschriften der Artikel 63 bis 68 geregelt werden.
 

Abschnitt VIII. Die Selbstverwaltung.

Artikel 70. Den politischen Gemeinden und Gemeindeverbänden wird das Recht der Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten unter der gesetzlich geregelten Aufsicht des Staates gewährleistet.

Artikel 71. (1) Der Staat gliedert sich in Provinzen.

(2) Die Gliederung der Provinzen in Kreise, Städte, Landgemeinden und andere Gemeindeverbände sowie die Verfassung, die Rechte und Pflichten der Gemeindeverbände werden durch Gesetz geregelt.

Artikel 72. (1) Die Provinzen verwalten nach Maßgabe des Gesetzes durch ihre eigenen Organe:
a) selbständig die ihnen gesetzlich obliegenden oder freiwillig von ihnen übernommenen eigenen Angelegenheiten (Selbstverwaltungsangelegenheiten);
b) als ausführende Organe des Staates die ihnen übertragenen staatlichen Angelegenheiten (Auftragsangelegenheiten).

(2) Das Gesetz wird den Kreis der den Provinzen überwiesenen Selbstverwaltungsangelegenheiten erweitern und ihnen Auftragsangelegenheiten übertragen.

Artikel 73. Die Provinziallandtage können durch Provinzialgesetz neben der deutschen Sprache zulassen:
a) eine andere Unterrichtssprache für fremdsprachige Volksteile, wobei für den Schutz deutscher Minderheiten zu sorgen ist;
b) eine andere Amtssprache in gemischtsprachigen Landesteilen.

Artikel 74. Die Grundsätze für die Wahlen zur Volksvertretung gelten auch für die Wahlen zu den Provinzial-, Kreis- und Gemeindevertretungen. Bei den Wahlen zu den Gemeindevertretungen kann jedoch durch Gesetz die Wahlberechtigung von einer bestimmten Dauer des Aufenthalts in der Gemeinde abhängig gemacht werden.

Artikel 75. (1) Beamte, Angestellte und Arbeiter des Staates und der Körperschaften des öffentlichen Rechts bedürfen zur Ausübung der Tätigkeit als Mitglieder einer Provinzial-, Kreis- und Gemeindevertretung keines Urlaubs.

(2) Gehalt und Lohn sind weiterzuzahlen.
 

Abschnitt IX. Die Religionsgesellschaften.

Artikel 76. (1) Wer aus einer Religionsgemeinschaft öffentlichen Rechts mit bürgerlicher Wirkung austreten will, hat den Austritt bei Gericht zu erklären oder als Einzelerklärung in öffentlich beglaubigter Form einzureichen. Die Steuerpflicht des Ausgetretenen erlischt frühestens mit Ende des Steuerjahrs, in dem die Austrittserklärung abgegeben worden ist.

(2) Das Nähere wird durch Gesetz bestimmt.
 

Abschnitt X. Die Staatsbeamten.

Artikel 77. (1) Zu Staatsbeamten können alle Reichsangehörigen ohne Rücksicht auf Geschlecht und bisherigen Beruf bestellt werden, wenn sie die Befähigung für das Amt besitzen.

(2) Die für die einzelnen Ämter erforderliche Befähigung schreibt das Gesetz vor.

Artikel 78. Jeder Staatsbeamte hat einen Eid dahin zu leisten, daß er das ihm übertragene Amt unparteiisch nach bestem Wissen und Können verwalten und die Verfassung gewissenhaft beobachten wolle.

Artikel 79. (1) Die Staatsbeamten können wider ihren Willen nur unter den gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen und Formen entlassen, einstweilig oder endgültig in den Ruhestand oder in ein anderes Amt mit geringerem Gehalte versetzt werden.

(2) Für ihre vermögensrechtlichen Ansprüche und für die ihrer Hinterbliebenen steht der Rechtsweg offen.

Artikel 80. Im übrigen wird das Beamtenrecht im Rahmen des Reichsrechts durch Gesetz geregelt.
 

Abschnitt XI. Übergangs- und Schlußbestimmungen.

Artikel 81. (1) Die Verfassung vom 31. Januar 1850 und das Gesetz zur vorläufigen Ordnung der Staatsgewalt in Preußen vom 20. März 1919 sind aufgehoben.

(2) Im übrigen bleiben die bestehenden Gesetze und Verordnungen in Kraft, soweit ihnen diese Verfassung nicht entgegensteht.

Artikel 82. (1) Die Befugnisse, die nach den früheren Gesetzen, Verordnungen und Verträgen dem Könige zustanden, gehen auf das Staatsministerium über.

(2) Die Rechte, die dem König als Träger des landesherrlichen Kirchenregiments zustanden, werden von drei durch das Staatsministerium zu bestimmenden Ministern evangelischen Glaubens ausgeübt, solange nicht die evangelischen Kirchen diese Rechte durch staatsgesetzlich bestätigte Kirchengesetze auf kirchliche Organe übertragen haben.

(3) Die sonstigen bisher vom Könige gegenüber den Religionsgesellschaften ausgeübten Rechte werden im Sinne des Artikel 137 der Reichsverfassung neu geregelt.

Artikel 83. Auf Antrag eines Beteiligten ist ein bestehendes Patronat aufzuheben, sobald die vermögensrechtlichen Verpflichtungen abgelöst sind. Das Gesetz regelt das Verfahren und stellt die Grundsätze für die Ablösung auf.

Artikel 84. Die bestehenden Steuern und Abgaben werden bis zu ihrer Änderung oder Aufhebung forterhoben.

Artikel 85. Bis zum Zusammentritte des ersten Landtags gilt die Landesversammlung als Landtag.

Artikel 86. Bis nach Durchführung der im Artikel 72 vorgesehenen Gesetzgebung sind die Oberpräsidenten, die Regierungspräsidenten und die Vorsitzenden des Provinzial-Schulkollegiums und des Landeskulturamts im Einvernehmen mit dem Provinzialausschusse zu ernennen.

Artikel 87. Verfassungsstreitigkeiten werden vom Staatsgerichtshof entschieden.

Artikel 88. Die Verfassung tritt mit dem Tage ihrer Verkündung in Kraft, mit Ausnahme der Artikel 31 bis 43, 72 und 86. Diese Bestimmungen treten erst in Kraft, wenn die Provinziallandtage gemäß Artikel 74 neu gewählt sind.

Die Verfassung wurde am 30. Dezember 1920 verkündet und ist damit (außer den Artikeln 31 bis 43, 72 und 86) am 31. Dezember 1920 in Kraft getreten.

Durch Gesetz vom 7. April 1921 wurde der Artikel 88 mit Wirkung vom 25. April 1921 aufgehoben.

Das Inkrafttreten der restlichen Artikel (insbesondere die Bestimmungen über den Staatsrat) war strittig. Der allgemeine, nach dem Gesetz vom 3. Dezember 1920 (GS 1921 S. 1) festgesetzte Wahltag für die Provinziallandtage aller Provinzen war der 20. Februar 1921; an diesem Tag fand allein in Oberschlesien (aufgrund der Verordnung vom 21. Januar 1921 (GS S. 118) keine Wahl statt, da der größte Teil der am 8. November 1919 neu errichteten Provinz als Abstimmungsgebiet im Sinne des Versailler  Vertrags galt, in dem die Bevölkerung entscheiden konnte, ob dieses Gebiet zu Deutschland oder zu Polen gehören sollte. Dieser Umstand führte dazu, dass nicht klar war, ob die Bestimmungen zum Staatsrat am 21. Februar 1921 (dem Tag nach der Wahl der Provinziallandtage) wirklich in Kraft getreten sind. Aus diesem Grund hat der Preußische Landtag, der erstmals am 10. März 1921 aufgrund dieser Verfassung zusammengetreten war (und die verfassunggebende Landesversammlung ablöste) als eines der ersten Gesetze den Artikel 88 aufgehoben, womit die Bestimmungen über den Staatsrat mit dem Tage der Verkündung in der Gesetzsammlung in Kraft getreten sind.  Der Staatsrat ist am 6. Mai 1921 erstmals zusammengetreten.

    Berlin, den 30. November 1920.

Die Preußische Staatsregierung.
Braun     Fischbeck     Haenisch     am Zehnhoff     Oeser     Stegerwald     Severing     Lüdemann
 

Bereits durch die Verordnung des Reichspräsidenten vom 20. Juli 1932 ("Preußenschlag") wurde die vorstehende Verfassung teilweise obsolet.

Die Verfassung war infolge der Gleichschaltungsgesetze des Reichs (vom 31. März 1933 und vom 7. April 1933) sowie dem Reichsgesetz über den Neubau des Reiches vom 30. Januar 1934 faktisch nicht mehr anwendbar. Preußen wurde nach 1945 nicht mehr reorganisiert sondern zerfiel, da das Staatsgebiet in mehreren Besatzungszonen geteilt war. In der britischen Besatzungszone wurden die Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover, Westfalen und Rheinprovinz (nördliche Regierungsbezirke) am 23. August 1946 zu Ländern erklärt, die südlichen Regierungsbezirke der Rheinprovinz (französische Besatzungszone) wurden im August 1946 dem neugeschaffenen Lande Rheinland-Pfalz zugeschlagen, nur die in der sowjetischen Besatzungszone liegenden preußischen Staatsteile wurden teilweise (Brandenburg und die Regierungsbezirke Magdeburg und Merseburg der Provinz Sachsen) als Provinzen fortgeführt, doch wurde der westlich der Oder liegenden Teile Pommerns mit dem Lande Mecklenburg zum Land Mecklenburg-Vorpommern und der Regierungsbezirk Erfurt der Provinz Sachsen dem Land Thüringen angegliedert. Das Land Anhalt wurde dagegen mit der restlichen Provinz Sachsen zur Provinz Sachsen-Anhalt vereinigt. Die östlich der Oder und Neiße liegenden Teile Deutschlands und Preußens fielen unter die direkte Verwaltung der Sowjetunion und Polens. Aus den beiden verbliebenen Provinzen (Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Groß-Berlin) wurden nach der staatsrechtlichen Auflösung Preußens durch das Kontrollratsgesetz Nr. 46 vom 25. Februar 1947 auch formal Länder.
 


Quellen: Preußische Gesetzsammlung 1920, S. 543ff.
Reich und Länder, Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte, dtv Wissenschaft  (dtv 4443)
Otto Ruthenberg, Verfassungsgesetze des Deutschen Reiches und der deutschen Länder
Weitere Infos: http://www.gonschior.de/weimar/Deutschland/index.htm
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