Gesetz über die Erweiterung der Befugnisse des Oberpräsidenten
Oberpräsidentengesetz
vom 15. Dezember 1933
Das Staatsministerium hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel I. § 1 der Verordnung zur Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung vom 3. September 1932 (Gesetzsamml. S. 283/295) erhält folgende Fassung:
(1) Der Oberpräsident ist der ständige Vertreter der Staatsregierung in der Provinz. Er hat die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Vorgänge in der Provinz zu beobachten und darüber zu wachen, daß innerhalb der Provinz die Verwaltung im Einklang mit den Zielen der Staatsführung gesetzmäßig, wirtschaftlich, sparsam, sauber und einheitlich geführt wird, Er ist zu diesem Zwecke insbesondere befugt, sich von sämtlichen Behörden innerhalb der Provinz unterrichten zu lassen, sie auf die maßgebenden Gesichtspunkte und die danach erforderlichen Maßnahmen aufmerksam zu machen, bei Gefahr im Verzug einstweilige Anordnungen zu treffen; er kann ferner die Behörden der allgemeinen und inneren Verwaltung im Rahmen der den Ministern zustehenden Befugnisse mit Weisungen versehen. Das Recht, Anordnungen zu treffen und Weisungen zu erteilen, kann er auf die ihm beigegebenen Beamten nicht übertragen. Sein Vertreter kann es nur ausüben, wenn der Oberpräsident nicht nur vorübergehend an der Wahrnehmung der Geschäfte behindert ist.
(2) Der Oberpräsident führt unter der Aufsicht der Minister
1. die Aufsicht des Staates über diejenigen Körperschaften und Einrichtungen,
deren Geschäftsbereich sich innerhalb der Provinz auf mehr als einen
Regierungsbezirk erstreckt, soweit die Aufsicht nicht anderweit geregelt ist,
2. die eigene Verwaltung aller derjenigen Angelegenheiten, die ihm durch Gesetz
oder durch das Staatsministerium übertragen sind.
(3) Dem Oberpräsidenten kann durch Verordnung des Staatsministeriums auch die Verwaltung einzelner Zweige der allgemeinen Landesverwaltung in anderen Provinzen oder Teilen davon übertragen werden. Die Verordnung ist in der Gesetzsammlung zu veröffentlichen.
Artikel II. Der Aufbau und
die Verwaltung der Provinzialverbände werden vorbehaltlich des Erlasses der
neuen Provinzialordnung zunächst wie folgt geändert:
1. Die Aufgaben und Zuständigkeiten des Provinzialausschusses, des
Landeshauptmanns (Landesdirektors, Landesdirektoriums), der
Provinzialkommissionen und der Provinzialkommissare gehen auf den
Oberpräsidenten über. Das Verhältnis des Provinzialverbandes zum Staate wird
hierdurch nicht berührt.
2. Der Oberpräsident beauftragt den Landeshauptmann (Landesdirektor) und die
diesem beigegebenen Beamten mit der selbständigen Erledigung laufender Geschäfte
des Provinzialverbandes. Er wird bei Behinderung in den Angelegenheiten des
Provinzialverbandes durch den Landeshauptmann (Landesdirektor) vertreten. Die
weitere Vertretung regelt der Minister des Innern.
3. Die Provinziallandtag, Provinzialausschüsse und Provinzialkommissionen werden
aufgelöst. Eine Neubildung findet nicht statt.
4. Zur Beratung des Oberpräsidenten ist der Provinzialrat (Gesetz über den
Provinzialrat vom 17. Juli 1933 (GS. S. 254) auch in Angelegenheiten des
Provinzialverbandes zuständig. In welchem Umfange der Provinzialverband zu den
Fahrtkosten und Aufwandsentschädigungen (§§ 14 a. a. O.) der Provinzialräte
beizutragen hat, bestimmt das Staatsministerium.
5. Der Oberpräsident muß den Provinzialrat vor seiner Entschließung über
folgende Angelegenheiten hören:
a) Feststellung der Haushaltssatzung uns einer
Nachtragssatzung über den Haushaltsplan, deren Inhalt durch das
Gemeindefinanzgesetz geregelt ist;
b) über- und außerplanmäßige Ausgaben, Maßnahmen, durch die
Verbindlichkeiten des Provinzialverbandes entstehen können, für die Mittel im
Haushaltsplan nicht vorgesehen sind, sowie Haushaltsvorgriffe nach Maßgabe der
Vorschriften des Gemeindefinanzgesetzes;
c) Aufnahme von Darlehen, Übernahme von Bürgschaften und
Verpflichtungen aus Gewährverträgen und Bestellung anderer Sicherheiten mit
Ausnahme solcher Geschäfte, die eine vom Minister des Innern zu bestimmende
Wertgrenze nicht übersteigen;
d) Verfügung über Gemeindevermögen, insbesondere Erwerb und
Veräußerung von Grundstücken, Schenkungen und Darlehnshingabe, soweit es sich
nicht um ihrer Natur nach regelmäßig wiederkehrende Geschäfte der laufenden
Verwaltung handelt;
e) Übernahme neuer Aufgaben ohne gesetzliche Verpflichtung,
insbesondere Gründung, Errichtung und Erweiterung von Anstalten, Einrichtungen
und Unternehmungen, Beteiligung an Unternehmungen, die in der Form des
öffentlichen oder privaten Rechtes betrieben werden;
f) Umwandlung der Rechtsform provinzieller Unternehmungen;
g) Aufstellung, Änderung und Aufhebung von Ordnungen und von
Grundsätzen für die Verwaltung, insbesondere für die Verwaltung von Anstalten,
Einrichtungen und Unternehmungen sowie die Vermögensverwaltung;
h) Erlaß, Änderung und Aufhebungen von Satzungen;
i) Änderung der Provinzgrenzen;
k) Verzicht auf Ansprüche des Provinzialverbandes, Abschluß
von Vergleichen nach Maßgabe des Gemeindefinanzgesetzes;
l) Führung von Rechtsstreitigkeiten größerer Bedeutung.
6. Soweit Beschlüsse des Provinziallandtags und des Provinzialausschusses nach
den bisherigen Vorschriften der Genehmigung durch den zuständigen Minister oder
das Staatsministerium bedürfen, gilt auch für die von dem Oberpräsidenten nach
Nr. 1 gefaßten Beschlüsse gleicher Art.
7. Die Aufsicht über die Provinzialverbände führt der Minister des Innern.
Artikel III. (1) Die Vorschriften des Artikels II finden auf die Bezirksverbände der Regierungsbezirke Kassel und Wiesbaden sinngemäße Anwendung.
(2) Das gleiche gilt für den Landeskommunalverband der Hohenzollerischen Lande. An die Stelle des Oberpräsidenten tritt der Regierungspräsident von Sigmaringen. Er wird in Angelegenheiten des Landeskommunalverbandes beraten durch die beiden obersten Amtswalter der NSDAP, den rangältesten Führer der Sturmabteilungen oder der Schutzstaffeln der NSDAP und durch von ihm zu berufende leitende Kommunalbeamte. Auf Form und Inhalt der Beratung findet das Gesetz über den Provinzialrat vom 17. Juli 1933 (Gesetzsamml. S. 254) sinngemäße Anwendung. Die Teilnehmer an einer Beratungssitzung erhalten von dem Landeskommunalverbande Reisekosten und Tagegelder nach den für Staatsbeamte der Stufe III geltenden Sätzen.
Artikel IV. 1. Der Minister des Innern wird ermächtigt, die Vorschriften dieses Gesetzes durchzuführen und die hierzu erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen.
2. Das Gesetz tritt am 1. Januar 1934 in Kraft.
Das Preußische Staatsministerium
Göring
Popitz
zugleich als Minister des Innern
Das vorstehende, vom Preußischen Staatsministerium beschlossene Gesetz wird hiermit verkündet.
Für den Reichskanzler:
Der Preußische Ministerpräsident
Göring
Mit diesem Gesetz wurde die staatliche
und die provinzialverbandliche Verwaltung vereinigt. Die bisherigen Organe
Provinziallandtag (bereits durch Gesetz vom 17. Juli 1933 ausgeschaltet),
Provinzialausschuss, Landesdirektor und Provinzialkommissionen als Organe der provinzialverbandlichen Verwaltung wurden aufgelöst, allein der Landesdirektor
und der ihm unterstehende Beamtenkörper wurden direkt dem Oberpräsidenten als
Führer der Provinz unterstellt. Der Provinzialrat, der teilweise vom
Provinziallandtag gewählt wurde, aber Teil der staatlichen Verwaltung mit dem
Oberpräsidenten an der Spitze war, wurde gemäß dem Führerprinzip als
Beratungsorgan, nicht als Beschlußorgan, neu gebildet (durch Gesetz vom 17. Juli
1933). Das Gesetz ist Schlußpunkt der "Gleichschaltung" der Provinzen.
Quelle:
Gesetzsammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, Jahrgang 1933, S.
477
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