vom 11. März 1812
deklariert (geändert) durch:
Gesetz vom 30. August 1816 (GS. S. 202)
Gesetz vom 17. April 1820 (GS. S. 24)
Gesetz vom 4. Dezember 1822 (S. 224)
Gesetz vom 9- August 1830 (GS. S. 116)
Gesetz vom 24. Januar 1844 (GS. S. 512)
aufgehoben durch
Gesetz über die Verhältnisse der Juden vom 23. Juli 1847 (GS
S. 263)
Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen
haben beschlossen, den jüdischen Glaubensgenossen in Unserer Monarchie eine neue, der allgemeinen Wohlfahrt angemessene Verfassung zu ertheilen, erklären alle bisherige, durch das gegenwärtige Edikt nicht bestätigte Gesetze und Vorschriften für die Juden für aufgehoben und verordnen wie folget:
§ 1. Die in Unsern Staaten jetzt wohnhaften, mit General-Privilegien, Naturalisations-Patenten, Schutzbriefen und Konzessionen versehenen Juden und deren Familien sind für Einländer und Preußische Staatsbürger zu achten.
§ 2. Die Fortdauer dieser ihnen beigelegten Eigenschaft
als Einländer und Staatsbürger wird aber nur unter der Verpflichtung
gestattet:
- daß sie fest bestimmte Familien-Namen führen, und
- daß sie nicht nur bei Führung ihrer Handelsbücher,
sondern auch bei Abfassung ihrer Verträge und rechtlichen Willens-Erklärungen
der deutschen oder einer andern lebenden Sprache, und bei ihren Namens-Unterschriften
keiner andern, als deutscher oder lateinischer Schriftzüge sich bedienen
sollen.
§ 3. Binnen sechs Monaten, von dem Tage der Publikation dieses Edikts an gerechnet, muß ein jeder geschützte oder konzessionirte Jude vor der Obrigkeit seines Wohnorts sich erklären, welchen Familien-Namen er beständig führen will. Mit diesem Namen ist er, sowohl in öffentlichen Verhandlungen und Ausfertigungen, als im gemeinen Leben, gleich einem jedem andern Staatsbürger, zu benennen.
§ 4. Nach erfolgter Erklärung und Bestimmung seines Familien-Namens erhält ein jeder von der Regierung der Provinz, in welcher er seinen Wohnsitz hat, ein Zeugniß, daß er ein Einländer und Staatsbürger sey, welches Zeugniß für ihn und seine Nachkommen künftig statt des Schutzbriefes dient.
§ 5. Nähere Anweisungen zu dem Verfahren der Polizei-Behörden und Regierungen wegen der Bestimmung der Familien-Namen, der öffentlichen Bekanntmachung derselben durch die Amtsblätter und der Aufnahme und Fortführung der Hauptverzeichnisse aller in der Provinz vorhandenen jüdischen Familien bleiben einer besondern Instruktion vorbehalten.
§ 6. Diejenigen Juden, welche den Vorschriften §. 2 und 3 zuwider handeln, sollen als fremde Juden angesehen und behandelt werden.
§ 7. Die für Einländer zu achtende Juden hingegen sollen, in sofern diese Verordnung nichts Abweichendes enthält, gleiche bürgerliche Rechte und Freiheiten mit den Christen genießen.
§ 8. Sie können daher akademische Lehr- und Schul- auch Gemeinde-Ämter, zu welchen sie sich geschickt gemacht haben, verwalten.
§ 9. In wie fern die Juden zu andern öffentlichen Bedienungen und Staats-Ämtern zugelassen werden können, behalten Wir Uns vor, in der Folge der Zeit, gesetzlich zu bestimmen.
§ 10. Es stehet ihnen frei, in Städten sowohl, als auf dem platten Lande sich niederzulassen.
§ 11. Sie können Grundstücke jeder Art, gleich den christlichen Einwohnern, erwerben, auch alle erlaubte Gewerbe mit Beobachtung der allgemeinen gesetzlichen Vorschriften treiben.
§ 12. Zu der aus dem Staatsbürgerrechte fließenden Gewerbefreiheit gehöret auch der Handel.
§ 13. Den auf dem platten Lande wohnenden Juden und ihren Angehörigen steht nur frei, denjenigen Handel zu treiben, der den übrigen Bewohnern desselben gestattet ist.
§ 14. Mit besondern Abgaben dürfen die einländischen Juden, als solche, nicht beschweret werden.
§ 15. Sie sind aber gehalten, alle den Christen gegen den Staat und die Gemeinde ihres Wohnorts obliegende bürgerliche Pflichten, zu erfüllen, und, mit Ausnahme der Stol-Gebühren, gleiche Lasten, wie andere Staatsbürger zu tragen.
§ 16. Der Militair-Konscription oder Kantonpflichtigkeit und den damit in Verbindung stehenden besondern gesetzlichen Vorschriften sind die einländischen Juden gleichfalls unterworfen. Die Art und Weise der Anwendung dieser Verpflichtung auf sie, wird durch die Verordnung wegen der Miltair-Konscription näher bestimmt werden.
§ 17. Ehebündnisse können einländische Juden unter sich schließen, ohne hierzu einer besondern Genehmigung oder der Lösung eines Trauscheins zu bedürfen, in so fern nicht nach allgemeinen Vorschriften die von Andern abhängige Einwilligung oder Erlaubniß zur Ehe überhaupt erforderlich ist.
§ 18. Eben dieses findet statt, wenn ein einländischer Jude eine ausländische Jüdin heirathet.
§ 19. Durch die Heirath mit einer einländischen Jüdin erlangt aber kein fremder Jude das Recht, in hiesige Staaten sich niederzulassen.
§ 20. Die privatrechtlichen Verhältnisse der Juden sind nach eben denselben Gesetzen zu beurtheilen, welche andern Preußischen Staatsbürgern zur Richtschnur dienen.
§ 21. Ausnahmen finden bei solchen Handlungen und Geschäften statt, welche wegen der Verschiedenheit der Religionsbegriffe und des Kultus an besondere gesetzliche Bestimmungen und Formen nothwendig gebunden sind.
§ 22. Bei den Eidesleistungen der Juden sind daher die Vorschriften der Allgemeinen Gerichts-Ordnung Th. 1 Tit. 10 § 317-351 noch ferner zu beobachten.
§ 23. Auch muß es bei der Festsetzung der Allg. Ger. Ord. Th. 1 Tit. 10 § 352 und der Krim. Ord. § 335 Nr. 7 und § 357 Nr. 8, daß kein Jude in den benannten Kriminalfällen zur Ablegung eines eidlichen Zeugnisses gezwungen werden darf, so wie bei den daselbst bestimmten Wirkungen eines freiwillig geleisteten Zeugeneides, künftig verbleiben.
§ 24. In Ansehung der Präsentation der Wechsel am Sabbath, oder an jüdischen Festtagen behalten die §§ 989, 990 des Allg. Landrechts Th. II Tit. 8 ihre fortdauernde Gültigkeit.
§ 25. An die Stelle der nach dem Allg. Landrechte Th. II Tit. 1 § 136 zu einer vollgültigen Ehe erforderlichen Trauung tritt bei den Ehen der Juden die Zusammenkunft unter dem Trauhimmel und das feierliche Anstecken des Ringes, und dem im § 138 verordneten Aufgebote ist die Bekanntmachung in der Synagoge gleich zu achten.
§ 26. Auf die Trennung einer vollzogenen gültigen Ehe kann jeder Theil aus den in dem Allg. Landrechte Th. II Tit. 1 § 669-718 festgesetzten Ursachen antragen.
§ 27. Zur Begründung der bürgerlichen Wirkungen einer gänzlichen Ehescheidung unter den Juden ist das Erkenntniß des gehörigen Richters hinreichend und die Ausfertigung eines Scheidebriefes nicht nothwendig.
§ 28. Da, nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, neue Gesetze auf vergangene Fälle nicht bezogen werden können, so sind die Streitigkeiten über Handlungen, Begebenheiten und Gegenstände, welche das bürgerliche Privatrecht der Juden betreffen, und sich vor der Publikation der gegenwärtigen Verordnung ereignet haben, nach den Gesetzen zu beurtheilen, die bis zur Publikation dieses Edikts verbindend waren, wenn nicht etwa die bei jenen Handlungen, Begebenheiten und Gegenständen Interessirte, in so fern sie dazu rechtlich befugt sind, sich durch eine rechtsgültige Willenserklärung den Bestimmungen der gegenwärtigen Verordnung, nach deren Publikation, unterworfen haben sollten.
§ 29. In Absicht des Gerichtsstandes und der damit verbundenen vormundschaftlichen Verwaltung findet ebenfalls zwischen Christen und Juden kein Unterschied statt. Nur in Berlin bleibt es vorerst bei dem den Juden angewiesenen besonderen Gerichtsstande.
§ 30. In keinem Fall dürfen sich Rabbiner und Juden-Ältesten weder eine Gerichtsbarkeit noch eine vormundschaftliche Einleitung und Direktion anmaßen.
§ 31. Fremden Juden ist es nicht erlaubt, in den hiesigen Staaten sich nieder-zulassen, so lange sie nicht das Preußische Staatsbürgerrecht erworben haben.
§ 32. Zur Erwerbung dieses Bürgerrechts können sie nur auf den Antrag der Regierung der Provinz, in welcher die Niederlassung erfolgen soll, mit Genehmigung Unsers Ministerii des Innern, gelangen.
§ 33. Sie genießen alsdann mit den Einländern gleiche Rechte und Freiheiten.
§ 34. Fremde Juden, als solche, dürfen weder als Rabbiner und Kirchenbediente, noch als Lehrburschen, noch zu Gewerks- oder Hausdiensten angenommen werden. Es erstrecket sich jedoch dieses nicht auf diejenigen vergeleiteten Juden, welche sich zur Zeit der Publikation des gegenwärtigen Edikts bereits in Unsern Staaten befinden.
§ 35. Diejenigen einländischen Juden, welche gegen diese Vorschrift (§ 34) handeln, verfallen in 300 Rthlr. Strafe, oder im Falle des Unvermögens, diese zu erlegen, in eine, den wegen der Verwandlung der Strafen vorhandenen allgemeinen Vorschriften angemessene Gefängnißstrafe, und der fremde Jude muß über die Grenze geschafft werden.
§ 36. Ausländischen Juden ist der Eintritt in das Land zur Durchreise oder zum Betrieb erlaubter Handels-Geschäfte gestattet. Über das von denselben und gegen dieselben zu beobachtende Verfahren, sollen die Polizei-Behörden mit einer besondern Instruktion versehen werden.
§ 37. Wegen des Verbots wider das Hausiren überhaupt, hat es bei den Polizei-Gesetzen auch in Absicht der Juden sein Bewenden.
§ 38. In Königsberg in Preußen, in Breslau und Frankfurth an der Oder dürfen fremde Juden, so lange die Meßzeit dauert, mit Genehmigung der Obrigkeit, sich aufhalten.
§ 39. Die nöthigen Bestimmungen wegen des kirchlichen
Zustandes und der Verbesserung des Unterrichts der Juden, werden vorbehalten,
und es sollen bei der Erwägung derselben, Männer des jüdischen
Glaubensbekenntnisses, die wegen ihrer Kenntnisse und Rechtschaffenheit
das öffentliche Vertrauen genießne, zugezogen und mit ihrem
Gutachten vernommen werden.