Verordnung, betreffend die Wahl von Abgeordneten zu einem in Folge des Bündnisses mit Preußen zu berufenden Parlamente

vom 28. November 1866

aufgehoben durch
Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes (Bundesgesetz) vom 31. Mai 1869 (BGBl. S. 145)
 

Das Wahlgesetz wurde durch die 22 Staaten des Norddeutschen Bundes, darunter auch Sachsen, Hessen-Darmstadt (für Oberhessen) und Reuß ältere Linie als Gegner Preußens im Krieg von 1866 (teilweise unter dem Druck der Friedensbedingungen) vereinbart, weshalb es auch 22 Verkündungen in den einzelnen Gesetz- und Regierungsblätter der norddeutschen Staaten gab.

die meisten der 22 Staaten des Norddeutschen Bundes haben eine andere Fassung des Gesetzes in ihren Gesetzsammlungen veröffentlicht, ohne allerdings faktisch dabei wesentliche Unterschiede:
hier die meistverwendete Fassung
 

Friedrich Franz, von Gottes Gnaden Großherzog von Mecklenburg, Fürst zu Wenden, Schwerin und Ratzeburg, auch Graf zu Schwerin, der Landes Rostock und Stargard Herr ec.

Nachdem Wir in Folge eines zwischen Uns, sowie seiner Königlichen Hoheit dem Großherzoge von Mecklenburg-Strelitz und Seiner Majestät dem Könige von Preußen am 21sten Augst d. J. eingegangenen Bündniß-Vertrages beschlossen haben, gemeinschaftlich mit Preußen und anderen deutschen Staaten, mit welchen Preußen in ein gleiches Bündniß getreten ist, nach einem vereinbareten Verhältnisse auch in Unserem Lande Angeordnete zu einem Parlamente wählen zu lassen, welches berufen werden soll, um zu den unter den Verbündeten vereinbarten zwecken mit den Bundes-Regierungen eine Bundes-Verfassung zu berathen, verordnen Wir, nach voraufgegangener Communication mit Seiner Königlichen Hoheit dem Großherzoge von Mecklenburg-Strelitz und stattgehabter Berathung mit Unseren getreuen Ständen, was folgt.

§ 1. Es sind für das Großherzogthum Mecklenburg-Schwerin zur Theilnahme an dem in Folge des mit Preußen geschlossenen Bündnisses einzuberufenden Parlamente sechs Abgeordnete zu wählen."

§ 2. Wähler ist jeder unbescholtene Mecklenburger, welcher das 25ste Lebensjahr zurückgelegt hat.  Die Ausübung des Wahlrechts der activen Militairpersonen ruht jedoch, so lange sie bei der Fahne stehen, wogegen die auf Großurlaub entlassenen das Recht haben, an der Wahl theilzunehmen.

§ 3. Von der Berechtigung, zu wählen, sind ausgeschlossen:
1) Personen, welche unter Curatel stehen;
2) Personen, über deren Vermögen Concurs- oder concursmäßiges Verfahren gerichtlich eröffnet worden, während der Dauer dieses Verfahrens;
3) Personen, welche eine Armenunterstützung aus öffentlichen oder Gemeinde-Mitteln beziehen oder im letzten der Wahl vorhergegangenen Jahre bezogen haben, insbesondere auch diejenigen, welche Armuthshalber von der Entrichtung öffentlicher Abgaben entfreiet worden sind"

§ 4. Als bescholten, also von der Berechtigung zu wählen nach § 2 ausgeschlossen, sollen solche Personen angesehen werden, welceh Zuchthausstrafe erlitten haben oder wegen eines entehrenden Verbrechens gerichtlich bestraft sind, so lange sie nicht etwa durch landesherrliche Begnadigung Herstellung ihrer Ehrenrechte erlangt haben.

§ 5. Wählbar zum Abgeordneten ist jeder nach den Bestimmungen dieses Gesetzes wahlberechtigte Mecklenburger.

§ 6. Personen, die ein öffentliches Amt bekleiden, bedürfen zum Eintritt in das bevorstehende Parlament keines Urlaubs.

§ 7. Jeder der für das Großherzogthum zu wählenden sechs Abgeordneten ist in einem für diesen Zweck besonders gebildeten Wahlkreise zu wählen.

§ 8. In den Wahlkreisen werden zum Zwecke der Abstimmung kleinere Wahlbezirke gebildet.

§ 9. Wer das Wahlrecht in einem Wahlbezirke ausüben will, muß in demselben zur Zeit der Wahl das Niederlassungsrecht erworben haben. - Jeder darf nur in einem Wahlkreise und in einem Wahlbezirke wählen.

§ 10. In jedem Bezirke sind zum Zwecke der Wahlen Listen anzulegen, in welche die zum Wählen Berechtigten nach Vor- und Zunamen, Alter, Gewerbe und Wohnort eingetragen werden. Diese Listen sind spätestens 4 Wochen vor dem Wahltage  zu Jedermanns Einsicht an einem geeigneten Orte des Wahlbezirks auszulegen, und ist dies öffentlich bekannt zu machen. Einsprachen gegen dieselben sind binnen 14 Tagen nach geschehener Bekanntmachung bei der Behörde, welche die Auslegung verfügt hat, anzubringen, und vor der Wahl zu erledigen, worauf die Listen geschlossen werden. Nur diejenigen sind zur Theilnahme an der Wahl berechtigt, welche in die Listen aufgenommen sind.

§ 11. Das Stimmrecht kann nur in Person, nicht durch Stellvertreter ausgeübt werden. Die Abstimmung geschieht durch Stimmzettel ohne Unterschrift.

§ 12. Die Wahlhandlung ist öffentlich. Bei derselben sollen aus der Zahl der Wahlberechtigten einige zuverlässige Personen zugezogen werden.

§ 13. Die Wahlen sind im ganzen Großherzogthume möglichst an einem Tage vorzunehmen.

Die Wahl ist direkt. Die absolute Stimmenmehrheit aller in einem Wahlkreise abgegebenen Stimmen entscheidet. Stellt sich eine solche nicht heraus, so ist unter den beiden Candidaten, welche die meisten Stimmen erhalten haben, eine neue Wahl anzuordnen. Haben mehrere eine gleiche Stimmenzahl erhalten, so entscheidet das in öffentlicher Sitzung zu ziehende Loos, wer von ihnen zur neuen Wahl kommt. Ergiebt sich bei der zweiten Wahl Stimmengleichheit, so erfolgt die Entscheidung in gleicher Weise durch das Loos.

§ 14. Über Reclamationen gegen das Wahlverfahren ist in letzter Instanz von Unserer Regierung zu entscheiden.

§ 15. Über die Bildung der Wahlkreise und Wahlbezirke, die Ernennung der Wahl-Commissarien und das Wahlverfahren in Beihalt der Bestimmungen der gegenwärtigen Verordnung wird das Weitere aus Unserem Staats-Ministerium verfügt werden.

siehe hierzu die Verordnung, betreffend die Wahl von Abgeordneten zu einem in Folge des Bündnisses mit Preußen zu berufende Parlament vom  29. November 1866 (RegBl. S. 314).

    Gegeben durch Unser Staatsministerium, Schwerin am 28sten November 1866

Friedrich Franz

J. v. Oertzen.        v. Levetzow.        Buchka.        Wetzell.
 

Die Wahlen wurden am 12. Februar (Hauptwahl, erster Wahlgang) durchgeführt und die Stichwahlen wurden in den einzelnen Ländern zu unterschiedlichen Zeiten durchgeführt. Klare Gewinner waren die Nationalliberalen sowie die Liberalen, welche die nationale Einigungspolitik Bismarcks unterstützten.

Die erste Sitzung des Reichstags, der zwar verfassunggebend war, aber offiziell einfach nur "Reichstag des Norddeutschen Bundes" hieß, fand auf Einberufung des Königs von Preußen "nach Übereinkunft mit den verbündeten Regierungen der Norddeutschen Staaten" am 24. Februar 1867 statt, der Beschluss über die Annahme der Verfassung wurde am 16. April 1867 gefaßt und die Schlusssitzung war am 17. April 1867. Mit dieser war der verfassunggebende Reichstag auch aufgelöst.

Die Protokolle der Reichstagssitzungen sind veröffentlicht bei http://www.reichstagsprotokolle.de/rtbiauf.html. Hier sind in den Anlagen auch die entsprechenden Entwürfe für eine Verfassung des Norddeutschen Bundes (ursprünglicher Entwurf, Verfassung nach den Beschlüssen des Reichstags)  zu finden.

Der erste verfassungsmäßige Reichstag des norddeutschen Bundes wurde nach vorstehendem Gesetz am 31. August 1867 (Hauptwahl, erster Wahlgang) gewählt  und trat am 10. September 1867 zu seiner ersten Sitzung zusammen.
 


Quelle: Regierungs-Blatt für das Großherzogthum Mecklenburg-Schwerin, 1866, S. 311
© 26. August 2011 - 28. August 2011

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