Obrigkeitliche Verordnung, die Wahl eines Bremischen Abgeordneten zu dem Parlament des Norddeutschen Bundes betreffend

vom 7. November 1866

aufgehoben durch
Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes (Bundesgesetz) vom 31. Mai 1869 (BGBl. S. 145)

Das Wahlgesetz wurde durch die 22 Staaten des Norddeutschen Bundes, darunter auch Sachsen, Hessen-Darmstadt (für Oberhessen) und Reuß ältere Linie als Gegner Preußens im Krieg von 1866 (teilweise unter dem Druck der Friedensbedingungen) vereinbart, weshalb es auch 22 Verkündungen in den einzelnen Gesetz- und Regierungsblätter der norddeutschen Staaten gab.

die meisten der 22 Staaten des Norddeutschen Bundes haben eine andere, der preußische Fassung nachgebildete Fassung des Gesetzes in ihren Gesetzsammlungen veröffentlicht, ohne allerdings faktisch dabei wesentliche Unterschiede:
hier die meistverwendete Fassung
 

In Ausführung des am heutigen Tage publicirten Bündnißvertrages vom 18. August d. J., sowie in Gemäßheit weiterer verfassungsmäßiger Beschlußnahme verordnet der Senat in betreff der Wahl eines Bremischen Abgeordneten zu dem nach Artikel 5 des gedachten Vertrages von den Regierungen des Norddeutschen Bundes gleichzeitig einzuberufenden Parlament hiedurch, was folgt:

§ 1. Wähler ist jeder unbescholtene Angehörige der dem Norddeutschen Bunde beigetretenen Staaten, welcher das fünfundzwanzigste Lebensjahr zurückgelegt hat.

§ 2. Von der Berechtigung zum Wählen sind ausgeschlossen:
1) Personen, welche unter Vormundschaft oder Curatel stehen;
2) Personen, über deren Vermögen Conkurs- oder Fallitzustand gerichtlich eröffnet worden ist, und zwar während der Dauer dieses Conkurs- oder Fallitverfahrens;
3) Personen, welche eine Armenunterstützung aus öffentlichen oder Gemeindemitteln beziehen oder im letzten der Wahl vorhergegangenen Jahre bezogen haben.

§ 3. Als bescholten, also von der Berechtigung zum Wählen ausgeschlossen, sollen angesehen werden:
    Personen, denen durch rechtskräftiges Erkenntniß der Vollgenuß der staatsbürgerlichen Rechte entzogen ist, sofern sie in diese Rechte nicht wieder eingesetzt worden sind.

§ 4. Des Rechts zu wählen soll, unbeschadet der sonst verwirkten Strafen, für eine Zeit von vier bis zwölf Jahren durch strafgerichtliches Erkenntniß verlustig erklärt werden, wer bei den Wahlen Stimmen erkauft, seine Stimme verkauft, oder mehr als einmal bei der für einen oder denselben Zweck bestimmten Wahl seine Stimme abgegeben, oder zur Einwirkung auf die Wahl überhaupt gesetzlich unzulässige Mittel angewendet hat.

§ 5. Wählbar zum Abgeordneten ist jeder Wahlberechtigte, der einem zum Bunde gehörigen Staate seit mindestens drei Jahren angehört hat.

Erstandene oder durch Begnadigung erlassene Strafen wegen politischer Verbrechen schließen von der Wahl in das Parlament nicht aus.

§ 6. Personen, die ein öffentliches Amt bekleiden, bedürfen zum Eintritt in das Parlament keines Urlaubs.

§ 7. Der Bremische Staat bildet einen Wahlkreis, welcher einen Abgeordneten zum Parlament zu wählen hat.

Der Wahlkreis zerfällt zum Zweck des Stimmenabgebens in sieben Bezirke, nämlich in
1) die Altstadt Bremens,
2) die Neustadt Bremens,
3) die Vorstadt Bremens,
4) das Landgebiet am rechten Weserufer,
5) das Landgebiet am linken Weserufer,
6) die Stadt Vegesack,
7) die Stadt Bremerhaven.

§ 8. Wer das Wahlrecht in einem Wahlbezirke ausüben will, muß in demselben zur Zeit der Wahl seinen festen Wohnsitz haben. Jeder darf nur an einem Orte wählen.

Der Standort der Soldaten und Militairpersonen gilt als Wohnsitz und berechtigt zur Wahl, wenn derselbe seit drei Monaten nicht gewechselt worden ist.

§ 9. In jedem Bezirke sind zum Zweck der Wahlen Listen anzulegen, in welche die zum Wählen Berechtigten nach Zu- und Vornamen, Alter, Gewerbe und Wohnort eingetragen werden. Diese Listen sind spätestens vier Wochen vor dem zur ordentlichen Wahl bestimmten Tage zu Jedermanns Einsicht auszulegen, und ist dies öffentlich bekannt zu machen.

Einsprachen gegen die Listen sind binnen acht Tagen nach öffentlicher Bekanntmachung bei der Behörde, welche die Bekanntmachung erlassen hat, anzubringen, und innerhalb der nächsten vierzehn Tage zu erledigen, worauf die Listen geschlossen werden. Nur diejenigen sind zur Theilnahme an der Wahl berechtigt, welche in die Listen aufgenommen sind.

§ 10. Die Wahl wird veranstaltet und geleitet:
    in Bremen von einer Deputation,
    im Landgebiet von den Landherren unter Zuziehung von Gemeindebürgern,
    in jeder der beiden Hafenstädte von dem Amtmann und drei Gemeindebürgern, die der Gemeinderath zu bestimmen hat.

§ 11. Die Wahlhandlung ist öffentlich; bei derselben sind Gemeindemitglieder zuzuziehen, welche kein Staats- oder Gemeinde-Amt bekleiden.

§ 12. Jeder Wähler erhält eine Einladungskarte, die mit einem lösbaren Stimmzettel versehen ist.

Die Einladungskarte hat der Wähler im Wahltermine abzugeben; den Stimmzettel hat er mit dem Namen desjenigen, dem er seine Stimme geben will, auszufüllen und im Wahltermine verdeckt in den Wahlkasten zu legen.

Stimmzettel, auf welchen der Name desjenigen, für den gestimmt wird, nicht genügend bezeichnet ist, werden nicht mitgerechnet.

§ 13. Die Wahl ist direkt. Sie erfolgt durch absolute Stimmenmehrheit aller in dem Wahlkreise abgegebenen Stimmen.

Stellt bei einer Wahl eine absolute Stimmenmehrheit sich nicht heraus, so ist eine zweite Wahlhandlung vorzunehmen. Wird auch bei dieser eine absolute Stimmenmehrheit nicht erreicht, so ist zum dritten Male nur unter den zwei Candidaten zu wählen, welche in der zweiten Wahlhandlung die meisten Stimmen erhalten haben.

Bei Stimmengleichheit entscheidet das Loos.

§ 14. Das Resultat der Abstimmung im Landgebiet und in den Hafenstädten ist dem Vorsitzer der Deputation baldthunlichst mitzutheilen.

Die Deputation hat sodann das Resultat der Abstimmung im ganzen Wahlkreise zu ermitteln und dem Präsidenten des Senats zur Anzeige zu bringen.

§ 15. Nach obigen Vorschriften ist auch zu verfahren, falls aus irgend einem Grunde eine Neuwahl erforderlich sein sollte.

    Beschlossen Bremen in der Versammlung des Senats am 5. November 1866 und bekannt gemacht am 7. November 1866
 


Die Wahlen wurden am 12. Februar (Hauptwahl, erster Wahlgang) durchgeführt und die Stichwahlen wurden in den einzelnen Ländern zu unterschiedlichen Zeiten durchgeführt.
Klare Gewinner waren die Nationalliberalen sowie die Liberalen, welche die nationale Einigungspolitik Bismarcks unterstützten.

Die erste Sitzung des Reichstags, der zwar verfassunggebend war, aber offiziell einfach nur "Reichstag des Norddeutschen Bundes" hieß, fand auf Einberufung des Königs von Preußen "nach Übereinkunft mit den verbündeten Regierungen der Norddeutschen Staaten" am 24. Februar 1867 statt, der Beschluss über die Annahme der Verfassung wurde am 16. April 1867 gefaßt und die Schlusssitzung war am 17. April 1867. Mit dieser war der verfassunggebende Reichstag auch aufgelöst.

Die Protokolle der Reichstagssitzungen sind veröffentlicht bei http://www.reichstagsprotokolle.de/rtbiauf.html. Hier sind in den Anlagen auch die entsprechenden Entwürfe für eine Verfassung des Norddeutschen Bundes (ursprünglicher Entwurf, Verfassung nach den Beschlüssen des Reichstags)  zu finden.

Der erste verfassungsmäßige Reichstag des norddeutschen Bundes wurde nach vorstehendem Gesetz am 31. August 1867 (Hauptwahl, erster Wahlgang) gewählt  und trat am 10. September 1867 zu seiner ersten Sitzung zusammen.
 


Quelle: Preuß. Gesetzsammlung 1866 S. 635
Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen 1866 S. 255
Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt 1866 S. 539
Gesetz- und Verordnungs-Sammlung Braunschweig 1866 S. 213
Gesetzsammlung für das Fürstenthum Schwarzburg-Rudolstadt 1866 S. 123
Gesetzsammlung für das Fürstenthum Schwarzburg-Sondershausen 1866 S. 197
Fürstlich Waldeckisches Regierungs-Blatt 1866 S. 73
Gesetzsammlung der freien und Hansestadt Hamburg 1866 S. 113
E.R. Huber  Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte Band 2  Verlag Kohlhammer
© 12. Dezember 2000 - 27. August 20116

Home              Zurück