Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes-
und Staatsangehörigkeit
vom 1. Juni 1870
geändert durch
Bundesgesetz vom 21. Juli 1870 (BGBl. S. 498)
Reichsgesetzes vom 22. April 1871 (RGBl. S. 87)
Reichsgesetz vom 20. Dezember 1875 (RGBl. S. 324)
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18. August 1896 (RGBl. S. 604)
Wir, Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen, verordnen im Namen des Norddeutschen Bundes, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrates und des Reichstages, was folgt:
§ 1. Die Bundesangehörigkeit wird durch die Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaate erworben und erlischt mit deren Verlust.
Angehörige des Großherzogthums Hessen besitzen die Bundesangehörigkeit
nur dann, wenn sie in den zum Bunde gehörigen Theilen des Großherzogthums
heimathsberechtigt sind.
§ 1 Absatz 2 wurde aufgehoben durch die § 9 des Reichsgesetzes vom 22. April 1871.
§ 2. Die Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaate
wird fortan nur begründet:
1. durch Abstammung (§ 3),
2. durch Legitimation (§ 4),
3. durch Verheirathung (§ 5),
4. Für einen Norddeutschen durch Aufnahme(§ 6 ff.) und
5. für einen Ausländer durch Naturalisation (§ 6 ff.).
Die Adoption hat für sich allein diese Wirkung nicht.
§ 3. Durch die Geburt, auch wenn diese im Auslande erfolgt, erwerben eheliche Kinder eines Norddeutschen die Staatsangehörigkeit des Vaters, uneheliche Kinder einer Norddeutschen die Staatsangehörigkeit der Mutter.
§ 4. Ist der Vater eines unehelichen Kindes ein Norddeutscher und besitzt die Mutter nicht die Staatsangehörigkeit des Vaters, so erwirbt das Kind durch eine den gesetzlichen Bestimmungen gemäß erfolgte Legitimation die Staatsangehörigkeit des Vaters.
§ 5. Die Verheirathung mit einem Norddeutschen begründet für die Ehefrau die Staatsangehörigkeit des Mannes.
§ 6. Die Aufnahme, sowie die Naturalisation (§ 2 Nr. 4 und 5) erfolgt durch eine von der höheren Verwaltungsbehörde ausgefertigte Urkunde.
§ 7. Die Aufnahme-Urkunde wird jedem Angehörigen eines anderen Bundesstaates ertheilt, welcher um dieselbe nachsucht und nachweist, daß er in dem Bundesstaate, in welchem er die Aufnahme nachsucht, sich niedergelassen habe, sofern kein Grund vorliegt, welcher nach den §§ 2 bis 5 des Gesetzes über die Freizügigkeit vom 1. November 1867 (Bundesgesetzbl. S. 55) die Abweisung eines Neuanziehenden oder die Versagung der Fortsetzung des Aufenthalts rechtfertigt.
§ 8. Die Naturalisations-Urkunde darf Ausländern nur
dann ertheilt werden, wenn sie
1) nach den Gesetzen ihrer bisherigen Heimath dispositionsfähig
sind, es sei denn, daß der Mangel der Dispositionsfähigkeit
durch die Zustimmung des Vaters, des Vormundes oder Kurators des Aufzunehmenden
ergänzt wird;
2) einen unbescholtenen Lebenswandel geführt haben;
3) an dem Orte, wo sie sich niederlassen wollen, eine eigene Wohnung
oder ein Unterkommen finden;
4) an diesem Orte nach den daselbst bestehenden Verhältnissen
sich und ihre Angehörigen zu ernähren im Stande sind.
Vor Ertheilung der Naturalisations-Urkunde hat die höhere Verwaltungsbehörde die Gemeinde, beziehungsweise den Armenverband desjenigen Orts, wo der Aufzunehmende sich niederlassen will, in Beziehung auf die Erfordernisse unter Nr. 2, 3 und 4 mit ihrer Erklärung zu hören.
Von Angehörigen der Königreiche Bayern und Württemberg und des Großherzogthums Baden soll, im Falle der Reziprozität, bevor sie naturalisirt werden, der Nachweis, daß sie die Militairpflicht gegen ihr bisheriges Vaterland erfüllt haben oder davon befreit worden sind, gefordert werden.
§ 8 Absatz 4 wurde aufgehoben durch die § 12 des Reichsgesetzes vom 22. April 1871.
§ 9. Eine von der Regierung oder von einer Central- oder höheren Verwaltungsbehörde eines Bundesstaates vollzogene oder bestätigte Bestallung für einen in den unmittelbaren oder mittelbaren Staatsdienst oder in den Kirchen-, Schul- oder Kommunaldienst aufgenommenen Ausländer oder Angehörigen eines anderen Bundesstaates vertritt die Stelle der Naturalisations-Urkunde, beziehungsweise Aufnahme-Urkunde, sofern nicht ein entgegenstehender Vorbehalt in der Bestallung ausgedrückt wird.
Ist die Anstellung eines Ausländers im Bundesdienst erfolgt, so erwirbt der Angestellte die Staatsangehörigkeit in demjenigen Bundesstaate, in welchem er seinen dienstlichen Wohnsitz hat.
Durch Reichsgesetz vom 20. Dezember 1875 erhielt der § folgende ergänzende Bestimmungen:
"Ausländern, welche im Reichsdienste angestellt
sind, ein Diensteinkommen aus der Reichskasse beziehen und ihren dienstlichen
Wohnsitz im Auslande haben, darf von demjenigen Bundesstaate, in welchem
sie die Verleihung der Staatsangehörigkeit nachsuchen, die Naturalisationsurkunde
nicht versagt werden."
§ 10. Die Naturalisations-Urkunde, beziehungsweise Aufnahme-Urkunde, begründet mit dem Zeitpunkte der Aushändigung alle mit der Staatsangehörigkeit verbundenen Rechte und Pflichten.
§ 11. Die Verleihung der Staatsangehörigkeit erstreckt sich, insofern nicht dabei eine Ausnahme gemacht wird, zugleich auf die Ehefrau und die noch unter väterlicher Gewalt stehenden minderjährigen Kinder.
§ 11 erhielt durch das Einführungsgesetz
zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18. August 1896 folgende Fassung:
§ 11. Die Verleihung der Staatsangehörigkeit
erstreckt sich, insofern dabei nicht eine Ausnahme gemacht wird, zugleich
auf die Ehefrau und auf diejenigen minderjährigen Kinder, deren gesetzliche
Vertretung dem Aufgenommenen oder Naturalisirten kraft elterlicher Gewalt
zusteht. Ausgenommen sind Töchter, die verheiratet sind oder verheiratet
gewesen sind.
§ 12. Der Wohnsitz innerhalb eines Bundesstaates begründet für sich allein die Staatsangehörigkeit nicht.
§ 13. Die Staatsangehörigkeit geht fortan nur verloren:
1) durch Entlassung auf Antrag (§ 14ff.);
2) durch Ausspruch der Behörde (§ 20 und 22);
3) durch zehnjährigen Aufenthalt im Auslande (§ 21);
4) bei unehelichen Kindern durch eine den gesetzlichen Bestimmungen
gemäß erfolgte Legitimation, wenn der Vater einem anderen Staate
angehört als die Mutter;
5) bei einer Norddeutschen durch Verheirathung mit dem Angehörigen
eines anderen Bundesstaates oder mit einem Ausländer.
§ 14. Die Entlassung wird durch eine von der höheren Verwaltungsbehörde des Heimathsstaates ausgefertigte Entlassungs-Urkunde ertheilt.
Durch das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen
Gesetzbuch vom 18. August 1896 wurde nach dem §
14 folgender Paragraph neu eingefügt:
§ 14a. Die Entlassung eines Staatsangehörigen,
der unter elterlicher Gewalt oder Vormundschaft steht, kann von dem gesetzlichen
Vertreter nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts beantragt werden.
Die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ist nicht erforderlich, wenn
der Vater oder die Mutter die Entlassung für sich und zugleich kraft
elterlicher Gewalt für ein Kind beantragt. Erstreckt sich der Wirkungskreis
eines der Mutter bestellten Beistandes auf die Sorge für die Person
des Kindes, so bedarf die Mutter in einem solchen Falle der Genehmigung
des Beistandes zu dem Antrag auf Entlassung des Kindes.
§ 15. Die Entlassung wird jedem Staatsangehörigen ertheilt, welcher nachweist, daß er in einem anderen Bundesstaate die Staatsangehörigkeit erworben hat.
In Ermangelung dieses Nachweises darf sie nicht ertheilt werden:
1) Wehrpflichtigen, welche sich in dem Alter vom vollendeten siebenzehnten
bis zum vollendeten fünf und zwanzigsten Lebensjahre befinden, bevor
sie ein Zeugniß der Kreis-Ersatzkommission darüber beigebracht
haben, daß sie die Entlassung nicht blos in der Absicht nachsuchen,
um sich der Dienstpflicht im stehenden Heere oder in der Flotte zu entziehen;
2) Militairpersonen, welche zum stehenden Heere oder zur Flotte gehören,
Offizieren des Beurlaubtenstandes und Beamten, bevor sie aus dem Dienste
entlassen sind;
3) den zur Reserve des stehenden Heeres und zur Landwehr, sowie den
zur Reserve der Flotte und der Seewehr gehörigen und nicht als Offiziere
angestellten Personen, nachdem sie zum aktiven Dienste einberufen worden
sind.
§ 16. Norddeutschen, welche nach dem Königreich Bayern, dem Königreich Württemberg oder dem Großherzogthum Baden oder nach den nicht zum Bunde gehörigen Theilen des Großherzogthums Hessen auswandern wollen, ist im Falle der Reziprozität die Entlassung zu verweigern, so lange sie nicht nachgewiesen haben, daß der betreffende Staat sie aufzunehmen bereit ist.
§ 16 aufgehoben durch Reichsgesetz vom 22. April 1871.
§ 17. Aus anderen als aus den in den §§ 15 und 16 bezeichneten Gründen darf in Friedenszeiten die Entlassung nicht verweigert werden. Für die Zeit eines Krieges oder einer Kriegsgefahr bleibt dem Bundespräsidium der Erlaß besonderer Anordnung vorbehalten.
§ 18. Die Entlassungs-Urkunde bewirkt mit dem Zeitpunkte der Aushändigung den Verlust der Staatsangehörigkeit.
Die Entlassung wird unwirksam, wenn der Entlassene nicht binnen sechs Monaten vom Tage der Aushändigung der Entlassungs-Urkunde an seinen Wohnsitz außerhalb des Bundesgebietes verlegt oder die Staatsangehörigkeit in einem anderen Bundesstaate erwirbt.
§ 19. Die Entlassung erstreckt sich, insofern nicht dabei eine Ausnahme gemacht wird, zugleich auf die Ehefrau und die noch unter väterlicher Gewalt stehenden minderjährigen Kinder.
§ 19 erhielt durch das Einführungsgesetz
zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18. August 1896 folgende Fassung:
§ 19. Die Entlassung erstreckt sich,
insofern nicht dabei eine Ausnahme gemacht wird, zugleich auf die Ehefrau
und auf diejenigen Kinder, deren gesetzliche Vertretung dem Entlassenen
kraft elterlicher Gewalt zusteht.
Diese Vorschrift findet keine Anwendung auf Töchter,
die verheiratet sind oder verheiratet gewesen sind, sowie auf Kinder, die
unter der elterlichen Gewalt der Mutter stehen, falls die Mutter zu dem
Antrage auf Entlassung der Kinder nach § 14a Absatz 2 Satz 2 der Genehmigung
des Beistandes bedarf.
§ 20. Norddeutsche, welche sich im Auslande aufhalten, können ihrer Staatsangehörigkeit durch einen Beschluß der Centralbehörde ihres Heimathsstaates verlustig erklärt werden, wenn sie im Falle eines Krieges oder einer Kriegsgefahr einer durch das Bundespräsidium für das ganze Bundesgebiet anzuordnenden ausdrücklichen Aufforderung zur Rückkehr binnen der darin bestimmten Frist keine Folge leisten.
§ 21. Norddeutsche, welche das Bundesgebiet verlassen und sich zehn Jahre lang ununterbrochen im Auslande aufhalten, verlieren dadurch ihre Staatsangehörigkeit. Die vorbezeichnete Frist wird von dem Zeitpunkte des Austritts aus dem Bundesgebiete oder, wenn der Austretende sich im Besitz eines Reisepapieres oder Heimathsscheines befindet, von dem Zeitpunkte des Ablaufs dieser Papiere an gerechnet. Sie wird unterbrochen durch die Eintragung in die Matrikel eines Bundeskonsulats. Ihr Lauf beginnt von Neuem mit dem auf die Löschung in der Matrikel folgenden Tage.
Der hiernach eingetretene Verlust der Staatsangehörigkeit erstreckt sich zugleich auf die Ehefrau und die unter väterlicher Gewalt stehenden minderjährigen Kinder, soweit sie sich bei dem Ehemanne, beziehungsweise Vater befinden.
Für Norddeutsche, welche sich in einem Staate des Auslandes mindestens fünf Jahre lang ununterbrochen aufhalten und in demselben zugleich die Staatsangehörigkeit erwerben, kann durch Staatsvertrag die zehnjährige Frist bis auf eine fünfjährige vermindert werden, ohne Unterschied, ob die Betheiligten sich im Besitze eines Reisepapieres oder Heimathsscheines befinden oder nicht.
Norddeutschen, welche ihre Staatsangehörigkeit durch zehnjährigen Aufenthalt im Auslande verloren und keine andere Staatsangehörigkeit erworben haben, kann die Staatsangehörigkeit in dem früheren Heimathsstaate wieder verliehen werden, ohne daß sie sich dort niederlassen.
Norddeutsche, welche ihre Staatsangehörigkeit durch zehnjährigen Aufenthalt im Auslande verloren haben und demnächst in das Gebiet des Norddeutschen Bundes zurückkehren, erwerben die Staatsangehörigkeit in demjenigen Bundesstaate, in welchem sie sich niedergelassen haben, durch eine von der höheren Verwaltungsbehörde ausgefertigte Aufnahme-Urkunde, welche auf Nachsuchen ihnen ertheilt werden muß.
§ 21 Absatz 2 erhielt durch das Einführungsgesetz
zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18. August 1896 folgende Fassung:
Der hiernach eintretende Verlust der Staatsangehörigkeit
erstreckt sich zugleich auf die Ehefrau und auf diejenigen Kinder, deren
gesetzliche Vertretung dem Ausgetretenen kraft elterlicher Gewalt zusteht,
soweit sich die Ehefrau oder die Kinder bei dem Ausgetretenen befinden.
Ausgenommen sind Töchter, die verheirathet sind oder verheirathet
gewesen sind.
§ 22. Tritt ein Norddeutscher ohne Erlaubniß seiner Regierung in fremde Staatsdienste, so kann die Centralbehörde seines Heimathsstaates denselben durch Beschluß seiner Staatsangehörigkeit verlustig erklären, wenn er einer ausdrücklichen Aufforderung zum Austritte binnen der darin bestimmten Frist keine Folge leistet.
§ 23. Wenn ein Norddeutscher mit Erlaubniß seiner Regierung bei einer fremden Macht dient, so verbleibt ihm seine Staatsangehörigkeit.
§ 24. Die Ertheilung von Aufnahme-Urkunden und in den Fällen des § 15 Absatz 1 von Entlassungs-Urkunden erfolgt kostenfrei.
Für die Ertheilung von Entlassungs-Urkunden in anderen als den im § 15 Absatz 1 bezeichneten Fällen darf an Stempelabgaben und Ausfertigungsgebühren zusammen nicht mehr als höchstens Ein Thaler erhoben werden.
§ 25. Für die beim Erlasse dieses Gesetzes im Auslande sich aufhaltenden Angehörigen derjenigen Bundesstaaten, nach deren Gesetzen die Staatsangehörigkeit durch einen zehnjährigen oder längeren Aufenthalt im Auslande verloren ging, wird der Lauf dieser Frist durch dieses Gesetz nicht unterbrochen.
Für die Angehörigen der übrigen Bundesstaaten beginnt der Lauf der im § 21 bestimmten Frist mit dem Tage der Wirksamkeit dieses Gesetzes.
§ 26. Alle diesem Gesetze zuwiderlaufenden Vorschriften werden aufgehoben.
§ 27. Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 1871 in Kraft.
Durch Bundesgesetz vom 21. Juli 1870 wurden die §§ 17 und 20 (wegen des am 19. Juli 1870 ausgebrochenen deutsch-französischen Krieges) mit Wirkung vom 22. Juli 1870 in Kraft gesetzt.
Das Gesetz wurde mit Wirkung vom 1. Januar
1914 ersetzt durch das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom
22. Juli 1913 (RGBl. 1913 S. 583).