DARSTELLENDER TEIL

INHALTSÜBERSICHT

Präambel

Charakter des zu schaffenden Bundes
Dokumente und Verhandlung sprechen nicht für Schaffung eines eigentlichen Bundes
Zeitliches Provisorium
Räumliches Provisorium
Beschränkte völkerrechtliche Handlungsfreiheit
Folglich nur Staatsfragment kein Staat
Trotzdem vollständige Organisation erforderlich
Quelle der konstituierenden Gewalt
Minderheitsansicht: Das gesamtdeutsche Reich besteht fort, ist aber desorganisiert.
Besatzungsmächte gleicher Ansicht
Minderheitsstandpunkt: Es besteht kein deutscher Staat mehr, sondern nur die (neugeschaffenen) deutschen Länder.

I. Grundrechte:

Zur geschichtlichen Situation
Einordnung der Grundrechte in den Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung
Eigene Bundesgrundrechte, nicht nur Direktiven für die Landesverfassungen
Beschränkung in der Zahl der Bundesgrundrechte
Reihenfolge der Grundrechte
Würde des Menschen
Grundrechte der Freiheit
Persönliche Freiheit
Freiheit der Wohnung
Pressefreiheit
Vereinigungsfreiheit
Gleichheit vor dem Gesetz
Denazifizierung
Gerechter Arbeitsertrag,
Schulz vor Not
Freie Arbeit
Freizügigkeit
Sozialisierung
Widerstandsrecht
Schranken der Grundrechte
Notstandsrecht
Internationale Gewährleistung der Grundrechte

II. Völkerrechtliche Verhältnisse des Bundes:

Völkerrecht ist Bundesrecht
Eintritt des Bundes in ein Staatensystem
Kriegsächtung
Abtretung von Teilen des Bundesgebietes
Die Hoheitssymbole
Mehrheitsvorschlag: Bundesflagge schon jetzt, einzuführen.
Minderheitsvorschlag: Flaggenfrage vertagen.
Vermittlungsvorschlag:  Vorläufige Regelung für Behörden, Auslandsvertretungen, Schiffahrt.

III. Bund und Länder:

Das vorläufige Bundesgebiet
Einbeziehung von Groß-Berlin
Innerdeutsche Umgliederung
Einmalige endgültige Umgliederung ?
Künftig nur Zusammenschlüsse von Ländern möglich ?
Künftige Umgliederung zulässig ?
Umgliederung Bundes- oder Landessache ?

Anforderungen an die Länderverfassungen
Freiheit und Gleichheit
Volksvertretung
Kein Einparteiensystem
Kein Blocksystem
Parteienkontrolle
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
Sicherung der Grundrechte
Teilung der Gewalten
Bundeskontrolle erstreckt sich auf Verfassungswirklichkeit
Kein Genehmigungsvorbehalt für Länderverfassungen

Zuständigkeit zur Gesetzgebung
Die Gruppen der Bundesgesetzgebung
Zwei Hauptgruppen:
Ausschließliche und Vorranggesetzgebung
Zulässige Landesgesetze
Enge Auslegung des Zuständigkeitskatalogs
Tragweite des Zuständigkeitskatalogs
Grundsatzgesetzgebung
Zuständigkeit zur Behördeneinrichtung

Innerdeutsche Vereinbarungen der Länder
Amts- und Rechtshilfe
Staatsverträge mit auswärtigen Staaten

Die einzelnen Ziffern des Katalogs
Weimarer Katalog teils vermehrt, teils vermindert
Wehrrecht
Bundes- und Landesangehörigkeit
Funkwesen
Strafrecht; diese Kompetenz kein Lückenbüßer
Gerichtsverfassung
Binnenschiffahrt
Bevölkerungspolitik gestrichen
Wirtschaftslenkung
Sozialisierung
Bodenreform
Keine Bundeszuständigkeit für Landwirtschaft
Berufsvertretungen
Arbeitsrecht
Sozialversicherung
Grundsätze der Formulierung

Gesonderte Finanzwirtschaft in Bund und Ländern
Selbstverantwortliche Haushaltführung auch der Gemeinden und Gemeindeverbände
Bestimmung der Höhe der Ausgaben des Bundes durch den Umfang des Aufgabenbereichs
Beschränkung des Bundes auf bestimmte, aber ausreichende Einkünfte.
Gewährleistung der erforderlichen Einnahmequellen für die Länder und Gemeinden
Länder nicht Kostgänger des Bundes.
Bund nicht Kostgänger der Länder
Keine starre Aufteilung der Deckungsmittel zwischen Bund und Ländern
Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit der Finanzmaßnahmen der Länder

Ausschließliche Bundesgesetzgebung über die Zölle
Vorranggesetzgebung des Bundes für Steuern
Auseinandergehende Meinungen über den Umfang der Gesetzgebungsbefugnis des Bundes:
a) hinsichtlich der Biersteuer;
b) hinsichtlich der Erbschafts- und Schenkungssteuer, der Grunderwerbs- und Wertzuwachssteuer;
c) hinsichtlich der Steuern vom Einkommen und Vermögen
Einstimmigkeit über Vorranggesetzgebung des Bundes hinsichtlich bestimmter Gebiete.

IV. Der Bundestag:

Echtes Parlament
Sicherungen gegen arbeitsunfähige Parlamente
Wahlreform
Parteiengesetz
Notverordnungen
Zeitliche Begrenzung des Rechts zur Regierungsbildung
Nur konstruktive, keine obstruktiven Mißtrauensvoten
Verstärkter Einfluß des Parlaments auf die Bildung der Regierung, verringerter Einfluß auf den Sturz der Regierung, verglichen mit der Weimarer Verfassung
Beschränkung des Auflösungsrechts
Rechtskontrolle über die Untersuchungsausschüsse.

V. Bundesrat oder Senat:

Zweikammersystem. Die beiden Lösungen.

A. Für die Lösung Bundesrat:
Einbeziehung der Länder in die Willensbildung des Bundes
Bundesrat im Unterschied zum Senat keine bloße parteigespaltene Parallele zum Parlament
Bundesrat als Sachverständigengremium
Bundesrat als Organ der föderativen Vermittlung
Abkömmlichkeit und Ausstattung von Senatoren nicht gewährleistet
Demokratische Legitimation des Bundesrats
Politischer nichtbürokratischer Charakter des Bundesrats
Wahrung der Vorzüge des senatorischen Prinzips im Bundesrat
Geschichtliche Bewährung des Bundesratsprinzips

B. Für die Lösung Senat:
Demokratischer oder bürokratischer Stil
Qualifikation des Senators
Bundesrat parteipolitisch mehr gebunden als Senat
Senat vertritt nicht Länder, sondern das Element Land
Der senatoriale Typ
Bloßes Veto als Übergangslösung

Ewiger Senat
Einzelfragen zur Bundesratslösung
Stimmenzahl der Länder
Nur Mitglieder von Landesregierungen als Bundesratsmitglieder
Bundesratspräsident
Mitwirkung bei der Gesetzgebung
Notverordnungen
Ausführung der Bundesgesetze
Mitwirkung bei der Regierungsbildung
Mitwirkung bei der Wahl des Bundespräsidenten.

VI. Bundespräsident oder Bundespräsidium:

Die Erwägungen des Ausschusses
Die Vorschläge
Kein plebiszitärer, aber auch kein rein repräsentativer Unterschied gegenüber der Weimarer Verfassung
Typische Funktionen des Staatsoberhauptes
Möglichst unabhängige Stellung des Bundespräsidenten
Ernennung des Bundeskanzlers
Mitwirkung bei der Regierungsbildung
Recht zur Auflösung des Bundestages
Ausfertigung der Gesetze
Mitwirkung bei der Gesetzgebung
Recht zur Einberufung des Bundestages
Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler
Anklage vor dem Bundesverfassungsgericht
Vertretung
Gegenvorschlag: Dreierkollegium statt Bundespräsident.

VII. Die Bundesregierung:

Bundeskanzler und Bundesregierung
Wahl des Bundeskanzlers durch den Bundestag 
Keine Regierung auf Zeit
Korrekturen des parlamentarischen Systems
Sicherung der Regierungsbildung
Sicherung der Regierungsexistenz
Bisherige Versuche in den Länderverfassungen
Kritik dieser Versuche
Keine geschäftsführende Regierung mehr
Charakterisierung der Bundesregierung des Entwurfs
Rücktritt von Bundeskanzler und Bundesministern
Entlassung von Bundesministern
Keine Ministeranklage.

VIII. Das Bundesverfassungsgericht

Bundesverfassungsgericht als Teil der dritten Gewalt
Besonderes Verfassungsgericht oder einheitliches oberstes Gericht ?
Erweiterung der Zuständigkeiten gegenüber der Weimarer Verfassung
Zuständigkeitskatalog
Bindung der Gerichte und sonstigen Behörden an die Entscheidungen und Anordnungen des Bundesverfassungsgerichts. Gesetzeskraft.
Regelung nur der wichtigsten Einzelheiten im Grundgesetz.

IX. Die Gesetzgebung

Der Vorbehalt des Gesetzes
Keine Übertragung der Gesetzgebungsbefugnis
Träger der Bundesgesetzgebung
Gesetzesinitiative
Der Gang der Gesetzgebung
Ausnahmen von der normalen Gesetzgebung
Systemverschiebende Gesetze
Gesetze, die das Grundgesetz ändern
Vorherige Änderung des Textes des Grundgesetzes
Änderung der bundesstaatlichen Grundordnung
Keine legale Abänderung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung
Entscheidung über das dem Grundgesetz gemäße Zustandekommen von Gesetzen
Gesamtwürdigung
Ausfertigung von Gesetzen

Notstandsrecht
Voraussetzungen
Zuständigkeit für Notverordnungen
Suspension der Grundrechte nur befristet
Die fünf suspendierbaren Grundrechte
Notstandsrecht in den Ländern
Verlautbarung der Notstandsmaßnahmen
Keine Wahlen während der Grundrechtssuspension.

X. Die Ausführung der Bundesgesetze

Die vier Formen der Ausführung der Bundesgesetze Ausführung sonstigen Bundesrechts
Landeseigene Verwaltung
Landesverwaltung nach Weisung
Bundeseigene Verwaltung
Bundesunmittelbare Selbstverwaltung
Bundeszwang
Ergänzende Bundesaufsicht durch die Bundesrechtspflege
Schadensersatz bei Amtspflichtverletzungen.
Frage der Tragung der Verwaltungskosten

XI. Das Finanzwesen

Finanzierungsaufgaben des Bundes
Abweichende Auffassungen:
Bedenken gegen Beschränkung des Ersatzes der Verwaltungskosten der Länder durch den Bund auf den Fall der Auftragsverwaltung
Bedenken gegen volle Tragung der Besatzungskosten durch den Bund; nur Spitzenausgleich
Vorschlag des Ausschusses auf Grund einer Sachverständigenschätzung der dem Bund zufallenden Lasten
Bedenken gegen diese Schätzung
Einbeziehung der laufenden kriegsbedingten Fürsorgeausgaben in den Lastenausgleich oder Lastenausgleich als einmaliger Vermögensausgleich ?
Verminderung der Besatzungskosten erforderlich
Getrennte Einnahmequellen für Bund und Länder
Unbestrittene Einnahmequellen des Bundes
Einnahmen aus dem Lastenausgleich für den Bund, falls ihm hier die Gesetzgebung und die Aufbringung von Mitteln zukommt.
Drei Auffassungen über die Zuweisung der Einnahmen aus der Umsatz-, Einkommen-, Körperschafts- und Vermögenssteuer
Landeseigene Finanzverwaltung, auf die Länder übertragene Finanzverwaltung, bundeseigene Finanzverwaltung
Vier verschiedene Auffassungen:
a) Erhebung und Verwaltung der Zölle und der dem Bund zustehenden Steuern eigene Angelegenheit der Länder; insoweit besonderes Überwachungsrecht des Bundes;
b) Erhebung und Verwaltung durch die Länder für den Bund nach Weisungen des Bundes;
c) Getrennte Verwaltungsführung von Bund und Ländern für ihre Abgaben;
d) Einheitliche Bundesfinanzverwaltung für Bundes- und Länderaufgaben
Haushaltswesen
Rechnungslegung und Rechnungsprüfung
Schuldenwesen
Schutz der Wirtschaft gegen willkürliche Preis- und Tarifpolitik vom Bund geführter oder kontrollierter Betriebe und gegen willkürliche Beitragsfestsetzung der unter Bundesaufsicht stehenden Selbstverwaltungen.

XII. Die Rechtspflege

Eigener Abschnitt für die Rechtspflege
Wiederaufbau der Rechtspflege
Gerichtshoheit der Länder und des Bundes.
Grundsätzlich nur Oberste Bundesgerichte und nur für Fragen des Bundesrechts
Einheitliches oberstes Bundesgericht oder mehrere oberste Bundesgerichte ?
Einigkeit über Herbeiführung der Rechtseinheit
Regelung durch die Bundesgesetzgebung
Oberste Bundesgerichte nur als Spruchstellen
Untere Bundesgerichte.
Zuweisung von Entscheidungen
Über Landesrecht an oberste Bundesgerichte
Einschaltung von Bundesbehörden in Verfahren vor Ländergerichten
Vorlagepflicht des Richters statt richterlichem Prüfungsrecht
Generalklausel für Verwaltungsrechtsstreitigkeiten
Todesstrafe.

XIII. Übergangs- und Schlußbestimmungen

Rechtsbereinigung
Fortgeltung als Bundesrecht
Fortgeltung als Landesrecht
Streit über Fortgeltung als Bundes- oder Landesrecht
Nachfolge für weggefallene Organe
Überleitung gemeinsamer Nachkriegseinrichtungen
Recht undemokratischen Ursprungs
Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus
Abänderung des Grundgesetzes nach Herstellung der außenpolitischen Freiheit.

 
 

DIE PRÄAMBEL
 

Charakter des zu schaffenden Bundes

Der Begriff „Grundgesetz" ist vieldeutig. Er kann nach dem Sprachgebrauch eine Verfassung bezeichnen, also das rechtliche Gefüge und die Grundnormen eines Staates. Es ist aber ebenso möglich, daß mit der besonderen Wahl dieser Bezeichnung - anstatt des präziseren Wortes „Verfassung" - von den Ministerpräsidenten zum Ausdruck gebracht werden wollte, daß die Aufgabe des Parlamentarischen Rates nicht darin bestehen solle, die rechtliche Ordnung für einen Staat im vollen und strengen Sinn des Wortes zu schaffen, sondern für ein hoheitliches Gebilde, dem gewisse Merkmale fehlen, die nur Staaten im vollen Sinne des Wortes eigentümlich sind.

Bei der Klärung dieser Frage war der Ausschuß auf die Auslegung gewisser Dokumente und Vorgänge angewiesen.
 

Dokumente und Verhandlungen sprechen nicht für die Schaffung eines eigenen Staates

Die Verhandlungen der Ministerpräsidenten mit den Militärgouverneuren endeten damit, daß erstere die Vollmachten annahmen, die ihnen in dem von den Militärgouverneuren überreichten Dokument Nr. I angeboten worden sind. Sie bestehen in der Befugnis, eine im Gebiet der drei Westzonen gewählte parlamentarische Körperschaft einzuberufen, die als „Verfassunggebende Versammlung" die Aufgabe haben solle, eine „Verfassung" für das von den drei Westzonen umschriebene Gebiet zu schaffen. Diese „Verfassung" solle u. a. eine „Regierung" und eine „Volksvertretung" vorsehen. Von einem „Staate" spricht Dokument Nr. I nirgends.

Nun haben aber die Ministerpräsidenten bis zuletzt darauf bestanden. die von ihnen einzuberufende parlamentarische Körperschaft nicht mit der Bezeichnung „Verfassunggebende Versammlung", sondern mit dem Namen „Parlamentarischer Rat" zu bedenken; außerdem haben sie den Militärgouverneuren gegenüber darauf Wert gelegt, daß das von diesem Parlamentarischen Rat zu beschließende Gesetz nicht „Verfassung", auch nicht „Vorläufige Verfassung", sondern lediglich "Grundgesetz" heißen solle. Daraus muß der Schluß gezogen werden, daß die Ministerpräsidenten mit der Wahl der Bezeichnung „Grundgesetz" zum Ausdruck bringen wollten, daß in dem Gebiet der drei Westzonen zum mindesten kein Staat im vollen Sinne des Wortes zur Entstehung kommen solle. Anders wäre ihre beharrliche Bemühung um die Wahl anderer Begriffe als der in dem Dokument Nr. I vorgesehenen nicht zu verstehen.
 

Zeitliches Provisorium

Das durch das Grundgesetz ins Leben zu rufende Gebilde soll nach dem ausdrücklichen Willen der Ministerpräsidenten ein Provisorium sein, das nur so lange dauern soll, bis die endgültige Konstituierung der Deutschen Bundesrepublik aus freiem Willen des deutschen Volkes erfolgen kann. Aus diesem Charakter einer Notlösung, die lediglich den Übergang zu einer gesamtdeutschen Verfassung vorbereiten und erleichtern soll, ergibt sich, daß das Grundgesetz eine Klausel enthalten muß, wonach es seine Geltung an dem Tage verliert, „an dem eine von dem deutschen Volke in freier Selbstbestimmung beschlossene Verfassung in Kraft tritt." (Art. 149).
 

Räumliches Provisorium

Es soll aber weiter ein Provisorium auch insoweit geschaffen werden; als nach dem Willen aller das Grundgesetz nicht endgültig auf das Gebiet der elf Länder der drei Westzonen beschränkt bleiben soll Grundsätzlich soll jeder Teil Deutschlands auf seinen Wunsch aufgenommen werden können; Groß-Berlin aber dessen Gebiet nach dem Willen der Militärgouverneure vorläufig nicht unmittelbar einbezogen werden soll, soll nach dem Willen der Ministerpräsidenten schon jetzt eine besondere Berücksichtigung erfahren.

Durch das Grundgesetz sollen die deutschen Hoheitsbefugnisse auf dem durch die elf Länder der drei Westzonen umgrenzten Teilgebiet Deutschlands auf föderalistischer Grundlage in einer Zentralgewalt vereinigt und bis zur vollen Autonomie in allen inneren Angelegenheiten ausgeweitet werden. Zur Schaffung eines Staates im Vollsinn des Wortes würde aber auch die Anerkennung des Rechtes der Deutschen durch die Besatzungsmächte gehören, auswärtige Beziehungen aufzunehmen und eine auswärtige Politik zu führen sowie die Fülle der Gewalt ohne Einschränkung durch den hoheitlichen Willen fremder Mächte auszuüben. Diese Rechte werden aber, wie sich aus den Dokumenten Nr. I und Nr. III ergibt, von den Besatzungsmächten noch verweigert; offenbar sollen sie, zum Teile wenigstens, bis zum Friedensschluß ausgeschlossen bleiben. Wenngleich also das durch das Grundgesetz zu organisierende Gebilde weithin die üblichen Merkmale eines Staates aufzuweisen haben wird, wenn es ein geeignetes Mittel für die Bewältigung der nunmehr gegebenen Möglichkeiten sein und werden soll, so bleiben ihm doch wesentliche Merkmale echter Staatlichkeit schon bei der Entstehung vorenthalten. Es kann nicht mehr sein als ein Staatsfragment. Über diese Grenze hinauszugehen, würde einen revolutionären Akt gegenüber den Besatzungsmächten voraussetzen.
 

Folglich nur ein Staatsfragment
kein Staat

Es gehört nicht zu den Aufgaben des Konventes, die politische Frage zu klären, aus welchem Grunde sich die Errichtung eines westdeutschen Staates oder die Ausrufung des gesamtdeutschen Staates im Westen Deutschlands empfehlen oder verbieten könnte. Er hat sich lediglich mit der Klärung der vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten zu befassen.

Ein Staat im vollen demokratischen Sinne des Wortes - d. h. ein Herrschaftsverband, der auf seinem Gebiet die Fülle der Gewalt in eigener Selbstbestimmung in Anspruch nimmt und Einschränkungen zugunsten Dritter nur auf Grund freiwilliger Selbstbeschränkung, also durch Vertrag, auf sich nimmt - kann nur entstehen, wenn ein Volk in voller Freiheit der Willensbestimmung die Formen und Inhalte seiner politischen Existenz gestalten kann; zum mindesten gilt dies für ein Zeitalter und für Völker, die sich der Grundnorm der Demokratie unterstellt haben. Nun ist zwar die Volkssouveränität das unverzichtbare Recht eines jeden Volkes und kann darum der Substanz nach durch fremde Gewaltausübung nicht vernichtet werden. Ein Volk kann jedoch für Zeit durch äußere Gewalt daran gehindert werden, von diesem Grundrecht Gebrauch zu machen.

Dieser Zustand ist durch die auf Grund der nationalsozialistischen Zwangsherrschaft und durch die im Gefolge der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht eingetretenen Ereignisse geschaffen worden. Zwar haben die Besatzungsmächte schichtenweise die Betätigung der konstitutiven Elemente der deutschen Volkssouveränität freigegeben, zuerst in der Schicht des Gemeindelebens, dann in der Schicht der Gliederung des deutschen Volkes und der Ausübung deutscher Hoheitsbefugnisse in Ländern und nunmehr auf einer überzonalen territorialen Stufe; die von ihnen dabei gemachten Vorbehalte - Auflagen für das Grundgesetz; Aussschluß gewisser Zuständigkeiten; Recht, die Fülle der Gewalt wieder an sich zu nehmen - zeigen aber, daß sie auch heute noch nicht allen Elementen der Volkssouveränität in Deutschland die freie Auswirkung gestatten wollen.

Die in Betätigung dieser auch heute nur teilweise entbundenen Volkssouveränität zu schaffende politische Wirklichkeit muß der Substanz nach notwendig von voller Staatlichkeit so weit entfernt bleiben, als die von den Besatzungsmächten zur freien Betätigung freigegebene Schicht der Volkssouveränität von deren ganzen Fülle entfernt bleibt. Es ist zwar auch möglich; daß ein Staat, der in der Freiheit entstanden ist, in Abhängigkeit von fremdem staatlichem Willen gerät (suzeräner Staat, Protektorat), entstehen kann aber ein „Staat" nur in der Fülle aller hoheitlichen  Gewalt.
 

Trotzdem vollständige Organisation erforderlich

Der Konvent ist einmütig der Auffassung, daß ein solches Staatsfragment dennoch mit allen Einrichtungen versehen werden könne und solle, die eine volle Legislative, eine volle Exekutive nach innen und die umfassende Ausübung der Gerichtsbarkeit. erlauben. Der fragmentarische Charakter kommt weniger in der Gestaltung der einzelnen Institutionen zum Ausdruck als in deren inneren Begrenzung auf die durch den äußeren Zwang heute noch eingeschränkten Möglichkeiten. Die zu schaffende Ordnung als solche kann und soll so ausgestaltet werden, daß bei Ausweitung der heute gewährten Freiheitssphäre die geschaffene Organisation fähig ist, sie voll auszufüllen und gegebenenfalls diese Ausweitung in Fluß zu bringen und durchzusetzen.
 

Quelle der konstituierenden Gewalt

Grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten haben sich im Konvent: bei der Beantwortung der Frage ergeben, ob die Quelle der konstitutiven Gewalt beim Volke liegt oder bei den Ländern. Mit dieser Frage ist eng verknüpft die andere, ob Deutschland als staatliches Gebilde weiterbesteht oder im Gefolge der Kriegsereignisse untergegangen ist.
 

Mehrheitsansicht: Das gesamtdeutsche Reich besteht fort, ist aber desorganisiert

1. Mehrheitsstandpunkt:
a) Nach der Auffassung der überwiegenden Mehrheit des Konvents ist das Deutsche Reich als Staat und Rechtssubjekt nicht untergegangen, sondern lediglich desorganisiert und seiner Geschäftsfähigkeit beraubt worden. Es kann sich also nicht darum handeln, Deutschland staatlich neuzukonstituieren , sondern ausschließlich darum, es - wenn auch unter Beschränkung auf seine westlichen Gebiete - provisorisch nett zu organisieren, wie etwa Frankreich durch die Verfassung der Vierten Republik nicht neu konstituiert, sondern nur neu organisiert worden ist. Es ist in diesem Zusammenhang auch auf die internationale Judikatur in bezug auf die Identität des 1919 neu erstandenen polnischen Staates mit dem alten Kongreßpolen zu verweisen.

Damit liegt aber offenbar die konstitutive Gewalt originär bei dem Volke dieses Gebietes, das in seiner Gesamtheit sein „Staatsvolk" ist. Dieses Volk ist aber in Deutschland keine ungegliederte Masse, sondern ist in Ländern gegliedert, so daß die Neuorganisation durch das Volk von dem in Ländern gegliederten Volk des neu zu organisierenden Gebietes auszugehen hat.
 

Besatzungsmächte gleicher Ansicht

b) Hievon gehen, nach Auffassung der Mehrheit, offenbar auch die Besatzungsmächte aus. Diese haben die Ministerpräsidenten nicht als Vertreter individueller Länderinteressen, sondern zur Wahrnehmung gesamtdeutscher treuhänderischer Funktionen mit Vorbereitungen der Neuorganisation Deutschlands auf dem Gebiet der drei Westzonen beauftragt; zu denen sie die Länderverfassungen nicht ermächtigen. Es wäre sonst schlechterdings nicht zu verstehen, wie die Ministerpräsidenten berechtigt sein könnten, sich in Ausführung der in Dokument Nr. II enthaltenen Befugnisse verantwortlich und gestaltend an Beschlüssen zu beteiligen, die das Gebiet anderer Länder betreffen als des Landes, für das allein sie verfassungsmäßig verantwortlich sind. Andererseits ist der Parlamentarische Rat, der das Grundgesetz zu beschließen hat, ganz offenbar keine Vertretung der Länder, sondern ein gesamtdeutsches Organ für den westlichen Teil Deutschlands.

Daß das deutsche Volk in seiner Gliederung in Ländern tätig wird, kommt darin zum Ausdruck, daß das vom Parlamentarischen Rat beschlossene Grundgesetz in den einzelnen Ländern ratifiziert werden muß. Daß es sich aber auch hierbei um einen Gesamtakt handelt und nicht um die Äußerung separaten Länderwillens, erweist der Umstand, daß das Grundgesetz auch für die Minderheit der Länder gelten soll, die es nicht ratifiziert haben sollten.

Bestimmungen einzelner Länderverfassungen, die von der Annahme ausgehen, daß Deutschland als staatliches Gebilde nicht mehr besteht. können dem nicht entgegenstehen. Abgesehen davon, daß die meisten der bisher ergangenen Länderverfassungen von dem entgegengesetzten Standpunkt ausgehen, vermag eine landesrechtliche Bestimmung - da eine bewußte separatorische Absicht nicht unterstellt werden kann - niemals den rechtlichen Bestand und die Einheit, des übergeordneten Ganzen in Frage zu stellen.

Diese Auffassungen der Mehrheit haben ihren Ausdruck in folgendem Vorschlag zu einer Präambel gefunden:
„Das deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern usw.,
durch seine verfassungsmäßigen und gesetzlichen Organe handelnd,
erfüllt von dem Willen, alle Teile Deutschlands in einer Bundesrepublik wiederzuvereinigen und seine Freiheitsrechte zu schützen,
und bestrebt, vorläufig in dem Teile Deutschlands, der durch die Gebiete dieser Länder begrenzt wird, eine den Aufgaben der Übergangszeit dienende Ordnung  der Hoheitsbefugnisse zu schaffen,
erläßt kraft seines unverzichtbaren Rechtes auf Gestaltung seines nationalen Lebens dieses Grundgesetz für einen Bund deutscher Länder, der allen anderen Teilen Deutschlands offensteht."

Vereinzelt sind Einwendungen gegen den Namen „Bund deutscher Länder" erhoben und die Bezeichnungen "Union deutscher Länder" und "Deutsche Staatsgemeinschaft" vorgeschlagen worden.
 

Minderheitsstandpunkt: Es besteht kein deutscher Staat mehr, sondern nur die (neugeschaffenen) deutschen Länder

2. Minderheitsstandpunkt:
Demgegenüber vertritt eine Minderheit die Auffassung, daß Deutschland auf Grund der 1945 erfolgten Debellation aufgehört hat, als staatliche Wirklichkeit zu bestehen - wie übrigens die einzelnen deutschen Länder auch - und daß es also nicht nur neu organisiert; sondern neu konstituiert werden muß. Der neu zu schaffende deutsche Staat ist nicht der Rechtsnachfolger der Weimarer Republik. Insbesondere ist das nunmehr zu schaffende Fragment eine völlig neue staatliche Wirklichkeit, die sich von keinem vorher bestehenden Gebilde herleiten kann und die kein rechtliches Band mit der Vergangenheit verknüpft. Bei der Schaffung des Bundes deutscher Länder kann es sich daher nicht um die Neuorganisation von etwas Bestehendem, sondern nur um die Konstituierung eines Neuen handeln.

Da in der Zwischenzeit die Länder neu entstanden und in Verfassung gebracht worden sind, kann Deutschland mangels eines organisierten Staatsvolkes nicht durch ein „Deutsches Volk", sondern nur durch die Länder als in sich geschlossene Rechtssubjekte geschaffen werden. Die Quelle der durch das Grundgesetz zu schaffenden rechtlichen Ordnung sind also ausschließlich die Länder, die insoweit als einzelne und vorher nicht verbundene Rechtspersönlichkeiten zusammenwirken, Dieser Rechtszustand ist auch in einigen Länderverfassungen, z. B. der bayerischen, zum Ausdruck gekommen.

Diese Auffassung fand ihren Niederschlag in folgendem Minderheitsentwurf zu einer Präambel:
"Die Länder Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein­Westfalen, Rheinland-Pfalz; Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern bilden zur Wahrung der gemeinsamen Angelegenheiten des deutschen Volkes eine bundesstaatliche Gemeinschaft, der beizutreten allen übrigen deutschen Ländern offensteht. Diese Gemeinschaft hat die Aufgabe, bis zur Wiederherstellung der deutschen Einheit die Bundesgewalt auszuüben und die Freiheitsrechte der Bevölkerung zu schützen.
Die Gemeinschaft führt den Namen „Bund deutscher Länder". Für den Bund gilt diese vorläufige Verfassung."

Für diese Fassung der Präambel haben auch Mitglieder gestimmt, die grundsätzlich die Auffassung vertreten, daß Deutschland als politisches Staatswesen nicht untergegangen ist. Sie haben sich aber für diese Art der Fassung entschieden, teils weil sie der Meinung waren; daß die Minderheitsfassung alles Notwendige zum Ausdruck bringe, ohne eine Entscheidung der oben dargestellten Streitfrage erforderlich zu machen, teils weil sie glaubten, daß die Mehrheitsfassung dem föderativen Charakter des Bundes nicht genügend gerecht werde. Hiermit wurde allerdings zum Teil der Wunsch verbunden, es möge die Aufgabe des Bundes nicht dahin bestimmt werden, er habe „die Bundesgewalt", sondern er habe „auf dem Bundesgebiet die gesamtdeutsche Staatsgewalt vorläufig auszuüben".

 

 

ERSTES KAPITEL
GRUNDRECHTE
 

Zur geschichtlichen Situation

(1) Die Grundrechte waren ursprünglich gegen den Staat als solchen gerichtet und waren daher vom Staat her unabänderlich. In langen Kämpfen wurde erreicht, daß sie in die Staatsverfassungen aufgenommen wurden. Damit wurden sie aber zu einem Teil der staatlichen Rechtsordnung mit der Folge, daß sie nun durch die Verfassung und schließlich auch durch beliebige Gesetze einschränkbar wurden. Da bei der Gesetzgebung die Volksvertretung mitmirkte, sah man im Gesetz die eigentliche Garantie der Freiheit und hielt lediglich eine Bindung der Verwaltung an das Gesetz für erforderlich. So erschien es auch auf dem Gebiet der Grundrechte als ausreichend, daß sie in Gesetzesform ausgesprochen und damit für die Verwaltung verbindlich waren.

Der berechtigte Gesetzesglaube der Frühzeit wich auf Grund der Erfahrungen, die man mit einer steuerlosen oder sogar in den Dienst des Verbrechens gestellten Gesetzgebungsmaschine gemacht hat, dem heutigen tiefen Mißtrauen gegen einen bloßen Gesetzespositivismus. So entwickelte sich dir Tendenz, die ursprüngliche Bedeutung der Grundrechte schrittweise wiederherzustellen. Zunächst wünschte man die Ausnahmen von den Grundrechten in der Weise zu beschränken, daß nicht ein beliebiges Gesetz, sondern lediglich die allgemeine Rechtsordnung einem Grundrecht entgegengestellt werden könne. Zur allgemeinen Rechtsordnung in diesem Sinn rechnete man das allgemeine bürgerliche Recht, das allgemeine Strafrecht, das allgemeine Polizeirecht; allenfalls noch das allgemeine Steuerrecht. Ausgeschlossen sollte dagegen sein, Sondergesetze  gegen die Substanz einzelner Grundrechte zu erlassen. Die nächste Forderung ging dahin, daß überhaupt kein einfaches Gesetz mehr über ein Grundrecht sollte hinweggehen können, daß vielmehr nur noch die Verfassung selbst den Grundrechten Schranken setzen könne. Mit dem letzten Schritt schließlich kehrte man zu  der Auffassung zurück, daß die Grundrechte auch durch Verfassungsgesetze nicht könnten eingeschränkt werden.
 

Einordnung der Grundrechte in den Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung.

Dieses letzte Stadium der Entwicklung ist allerdings heute noch nicht durchgängig erreicht. Überwiegend gilt heute die Auffassung, daß die Grundrechte zwar nicht vollkommen unabänderlich seien, daß sie aber als Institution nicht aufgehoben werden können. Eine befriedigende Umschreibung des Rahmens, in den sich auch die Geltendmachung der Grundrechte einzuordnen hat, ist dabei allerdings noch nicht geglückt. Die Formel, daß die Grundrechte "im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung zu verstehen" sind, muß einstweilen aushelfen. Sie wird in Art. 21 Abs. 3 ausdrücklich verwendet. Die besonderen Einschränkungen, die den einzelnen Grundrechten beigefügt sind, sind an dieser Grundformel orientiert.
 

Eigene Bundesgrundrechte, nicht nur Direktiven für die Landesverfassungen

(2) Da es sich um die Planung des Grundgesetzes für eine bundesstaatliche Gemeinschaft handelte, sah sich der Konvent vor die Frage gestellt, ob das Grundgesetz unmittelbar alle staatlichen Organe des Bewohner an bestimmte, im Grundgesetz zu verkündende oder ob das Grundgesetz sich damit begnügen könne, die Länder zu verpflichten, diese Grundrechte in ihre Verfassungen aufzunehmen. Der Konvent entschied durch sich dafür, das Grundgesetz solle selbst Grundrechte und nicht nur Grundrechtsanforderungen an die Landesverfassungen enthalten.

Abgesehen davon, daß die Mehrzahl der Länder der britischen Zone noch keine Landesverfassungen haben, war der Gedanke entscheidend, daß das Grundgesetz des Bundes in einem Zeitpunkt geschaffen wird, in dem die allgemeinen Menschenrechte immer noch schweren Bedrohungen ausgesetzt sind und daß deshalb ein gesamtdeutsches Bekenntnis zu diesen Rechten als der Grundlage des  Gemeinschaftslebens notwendig erscheint.
 

Beschränkung in die Zahl der Bundesgrundrechte

Dagegen erschien es nicht notwendig, neben den grundlegenden Rechten der menschlichen Freiheiten alle irgendwie als Grundrechte bezeichneten Institutionen n in einen umfassenden Katalog von Bundesgrundrechten aufzunehmen. Vielmehr muß es genügen und wird es zugleich eindrucksvoller sein, wenn die Zahl der Grundrechte im Grundgesetz beschränkt wird auf die wichtigsten Menschen- und Freiheitsrechte der einzelnen. Erwogen wurde, ob daneben auch Grundrechte der korporativen Ordnungen aufzunehmen seien. Dies wurde im Ergebnis verneint, insbesondere mit Rücksicht auf die vorläufige Natur des Grundgesetzes. Andere Institutionen eines freiheitlichen staatlichen Lebens, die in der Rechtslehre und in den Verfassungen gelegentlich gleichfalls als Grundrechte bezeichnet sind, wie der Schutz des Bürgers durch unabhängige Gerichte, das Recht auf Gehör im gerichtlichen Verfahren, das Verbot rückwirkender Strafgesetze, sind in anderen Abschnitten des Grundgesetzes, insbesondere in dem Abschnitt Rechtspflege, behandelt.
 

-Reihenfolge der Grundrechte

(3) An die Spitze der Aufstellung der Grundrechte hat der Konvent den Gedanken gestellt, daß der Staat dem Menschen zu dienen hat und daß die Würde des Menschen überall zu wahren ist. Dem folgen der Reihe nach die einzelnen Freiheitsrechte, die politischen Grundrechte, die Gleichheit vor dem Gesetz, das Grundrecht des Eigentums und schließlich einig; weitere wichtige Individualrechte. Die letzten drei Artikel (19 bis 21) enthalten die Grenzen, die auch den Grundrechten gesetzt sind, nämlich die Pflicht zur Verfassungstreue, die Verwirkung der politischen Grundrechte durch den, der sie zum Kampf gegen die politische Freiheit mißbraucht und die oben behandelte Einordnung der Grundrechte in den Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung.

Im einzelnen ist zu den vorgeschlagenen Artikeln des Abschnittes „Grundrechte" folgendes zu sagen:
 

Würde des Menschen

Artikel 1 soll auch Privatpersonen verpflichten. Zu denken ist etwa daran, daß ein privater Unternehmer sich an der Arbeitsversklavung beteiligt. Die Verletzung der              menschlichen Würde kann zwar als solche noch unter keine Sanktion gestellt werden, sie wird aber da, wo es auf die Rechtswidrigkeit des Verhaltens ankommt, nunmehr einen solchen Vorwurf begründen.
 

Grundrecht der Freiheit

Artikel 2 hatte in der Weimarer Verfassung kein Vorbild. Es ist hierzu auf die allgemeine Umgrenzung der Freiheitsrechte durch die Artikel 19 bis 21 zu verweisen.

Zu Absatz 1 ("Alle Menschen sind frei") wurde die Auffassung vertreten, die eigentliche Bedeutung einer solchen Bestimmung sei, es sollten alle Menschen frei gemacht werden. Deshalb sei es für  uns zur Zeit nicht angemessen, einen solchen Satz auszusprechen, der nur in das Verfassungsprogramm eines mächtigen und zum  Einsatz seiner Macht für die Befreiung der Menschen entschlossenen Staates passe.

Zu Abs. 2 wurde darauf hingewiesen daß der Relativsatz wegbleiben müsse, da ohnedies die Freiheit bestehe, innerhalb der Schranken der Rechtsordnung und der guten Sitten beliebig zu handeln, auch wenn man anderen dadurch schade. Man gehe daher mit der gewählten Formulierung hinter das Selbstverständliche zurück.
 

Persönliche Freiheit

Artikel 3 gewährleistet die persönliche Bewegungsfreiheit im engeren Sinn Er enthält die übliche Umgrenzung des Verhaftungsrechts der staatlichen Behörden. Er gewährt darüber hinaus auch Schutz vor außerstrafrechtlicher Beschränkung der persönlichen Freiheit, indem er beispielsweise die zwangweise Unterbringung  in einem Irrenhaus, die Schutzhalt, die Zwangsgestellung von Geschlechtskranken, die Unterbringung von gefährdeten Jugendlichen einer richterlichen Kontrolle unterwirft.
 

Freiheit der Wohnung

Artikel 5 gewährt zusätzlich zu den bisher üblichen Formulierungen Schutz gegen ungesetzliche Beschlagnahmen von Wohnräumen.

Im Konvent wurde hierzu der Vorschlag gemacht, dem Artikel noch Bestimmungen hinzuzufügen, wie sie in Artikel 3 der amerikanischen Bill of Rights getroffen sind. Dieser Artikel lautet:
„In Friedenszeiten darf kein Soldat in irgendeinem Hause ohne Einwilligung des Hauseigentümers einquartiert werden; auch in Kriegszeiten darf dies nur in gesetzlich vorgeschriebener Weise geschehen."

Dem Vorschlag wurde entgegengehalten, daß sich im Grundgesetz nirgends die Möglichkeit einer deutschen Wehrmacht abzeichne und daß gegen die Einquartierung von Soldaten einer fremden Wehrmacht ein deutsches Grundrecht keinen Schutz gewährt.
 

Pressefreiheit

Artikel 7 Abs. 2 gewährt der Presse einerseits das Recht, ohne Beschränkung über das öffentliche Leben zu berichten; bindet sie aber andererseits an die Pflicht zur Wahrheit.
 

Vereinigungsfreiheit

Zu Artikel 9 wurde der Vorschlag abgelehnt. daß niemand solle gezwungen werden dürfen, sich einer Vereinigung anzuschließen. Die Ablehnung gründet sich auf die möglicherweise bestehende Notwendigkeit, auch künftig Angehörige bestimmter Berufe in öffentlich-rechtlichen Organisationen verpflichtend zusammenzufassen. Ein Koalitionszwang im üblichen Sinn des Wortes sollte damit nicht anerkannt werden.
 

Gleichheit vor dem Gesetz

Artikel 14 schlichtet die alte Streitfrage, ob die Gleichheitsforderung auch den Gesetzgeber binde, in bejahendem Sinn.
 

Denazifizierung

Die einstweiligen Einschränkungen des Gleichheitssatzes, die zur vollständigen Befreiung vom Nationalsozialismus unerläßlich sind, werden in der Übergangsbestimmung des Artikels 146 geregelt.

Im Zusammenhang mit Absatz 3, der jedermann einen Anspruch auf gleiche wirtschaftliche Entwicklung zuspricht, wurde die Frage erörtert, ob eine Bestimmung aufgenommen werden solle, die den Schaffenden einen Anteil am Arbeitsertrag zusichert und etwa darauf hinweist, daß dies durch demokratische Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Betrieben gewährleistet werde. Es überwog aber die Meinung, daß diese Frage durch die Gesetzgebung über die Wirtschaftsordnung zu regeln sei. Ähnliches gilt für den ebenfalls erörterten Antrag, ein Recht auf Unterstützung bei unverschuldeter Not in die Grundrechte aufzunehmen.
 

Freie Arbeit

Artikel 16 bringt insofern eine wichtige Neuerung, als er jede Art von Zwangsarbeit verbietet, die sich nicht auf eine gerichtliche Entscheidung gründet. Die Bestimmung erschien geboten mit Rücksicht auf die schmerzliche Tatsache, daß in der Gegenwart die Gefahr der Arbeitsversklavung in der verschiedensten Form auch den deutschen Menschen bedroht.
 

Freizügigkeit

Die hierhergehörende Anregung, die Freizügigkelt zum Grundrecht zu erheben, wurde fallen gelassen, weil die gegenwärtigen Zustände der Durchführung unüberwindbare Hindernisse bereiten.
 

Sozialisierung

Das in Artikel 18 verlangte besondere Gesetz kann selbstverständlich auch eine ganze Gruppe gleichartiger Unternehmen erfassen.
 

Widerstandsrecht

Zu Artikel 19 wurde die Frage eines individuellen Widerstandsrechts gegen verfassungswidrig ausgeübte öffentliche Gewalt erörtert. Die Mehrheit lehnte die Aufnahme eines Widerstandsrechts wegen seiner unabsehbaren Tragweite ab.
 

Schranken der Grundrechte

Artikel 20 bringt die dringend notwendige Verwirkung der politischen Grundrechte durch den, der sie zum Kampf gegen die freiheitliche und demokratische Grundordnung mißbraucht. Es bedarf keiner Darlegung, daß jede Demokratie, die in diesem Punkt achtlos ist, in Gefahr steht, selbstmörderisch zu werden. Da andererseits die Waffe der Verwirkung politisch mißbraucht werden kann, wurde für diesen Fall die Verfassungsbeschwerde gegeben, deren Einführung im übrigen vom Konvent lediglich zur Erwägung gestellt wird.

In Artikel 21 wird der schon erörterte Gedanke, daß alle Grundrechte im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung zu verstehen sind (Abs. 3), durch Absatz 4 noch nach der Richtung ergänzt, daß eine gesetzliche Einschränkung der Grundrechte nur zulässig ist, wenn die öffentliche Sicherheit, Sittlichkeit oder Gesundheit es zwingend erfordert. Daß auch diese Formel nicht voll befriedigend ist, muß einstweilen hingenommen werden. Der weitere Gedanke, daß kein einschränkendes Gesetz die Substanz des Grundrechts angreifen darf, ist im zweiten Satz des Abs. 4 ausgesprochen.
 

Notstandsrecht

Die zeitweise Aufhebung der politischen Grundrechte und des Postgeheimnisses läßt sich für den Fall des Staatsnotstandes nicht umgehen. Die nähere Regelung wurde wegen des Zusammenhangs mit dem sonstigen Recht des Staatsnotstandes in den Abschnitt über die Gesetzgebung verwiesen (Art. 111 Abs. 3 bis 5). Die Voraussetzungen wurden dabei so streng als möglich gefaßt; ebenso wurde gegenüber der unglücklichen Regelung in der Weimarer Verfassung die Mitwirkung, der demokratischen Organe so weit als möglich gesichert.

Eine Minderheit hielt an der Überzeugung fest, daß eine Suspension der Grundrechte nicht vorgesehen werden dürfe, weil die normalen polizeilichen Mittel zur Bekämpfung aller Gefahren ausreichend seien.
 

Internationale Gewährleistung der Grundrechte

Im Zusammenhang mit der Suspension der Grundrechte wurde auf den Deutschlandbericht der Herter-Ausschusses des amerikanischen Kongresses hingewiesen. Nach diesem Bericht soll der Kongreß einen Ausschuß für alle besetzten Gebiete einsetzen, der mit den deutschen gesetzgebenden Körperschaften zusammenarbeiten soll, um ihnen bei der Herstellung einer arbeitsfähigen demokratischen Regierungsform Hilfe zu leisten. Hierbei ist für uns von besonderer Wichtigkeit der Vorschlag, ein interparlamentarisches Schiedsgericht zu bilden, das über Verletzungen der Grundrechte befindet. England und Frankreich sollen eingeladen werden, Vertreter in diesen interparlamentarischen Schiedsausschuß zu entsenden. Im Hinblick darauf schlägt der Konvent dem Parlamentarischen Rat vor, eine Petition an den amerikanischen Kongreß zu richten mit dem Antrag, den vom Herter-Ausschuß empfohlenen interparlamentarischen Schiedsausschuß sofort zu bilden, parlamentarische Vertreter Englands und Frankreichs in diesen Ausschuß einzubeziehen und ihn durch deutsche parlamentarische Vertreter zu erweitern. In der Petition sollte der Kongreß gebeten werden, zu beschließen, daß dem interparlamentarischen Schiedsausschuß für das Gebiet des Bundes deutscher Länder die Befugnis eines obersten Schiedsgerichts für Streitigkeiten zwischen Deutschen und Vertretern der Besatzungsmacht, welche die Verletzung von Grundrechten betreffen, übertragen wird.

 

 

ZWEITES KAPITEL
VÖLKERRECHTLICHE VERHÄLTNISSE DES BUNDES
 

Völkerrecht ist Bundesrecht

Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sollen integrierender Bestandteil des Bundesrechts sein, und zwar in der Weise, daß sie unmittelbar Rechte und Pflichten für alle Bewohner des Landesgebietes (Inländer und Ausländer) erzeugen sollen. Durch die gewählte, von Art. 4 der Weimarer Verfassung abweichende Fassung soll Streitfragen, die in der Weimarer Zeit eine verhängnisvolle Rolle gespielt haben, der Boden entzogen werden. Weiter soll durch diese Fassung zum Ausdruck gebracht werden, daß das deutsche Volk gewillt ist, im Völkerrecht mehr zu sehen als nur eine Ordnung, deren Normen lediglich die Staaten als solche verpflichten.

Es wird demgemäß die Aufnahme folgenden Artikels vorgeschlagen:
"Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für alle Bewohner des Bundesgebiets."
 

Eintritt des Bundes in ein Staatensystem

Das Grundgesetz soll ferner vorsehen. daß der Bund durch ein mit qualifizierter Mehrheit ergangenes Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen kann. Dadurch soll die Schaffung internationaler Organe erleichtert werden, die etwa geschaffen werden sollten, um mit Wirkung für die Gebiete der beteiligten Staaten Angelegenheiten zu besorgen, die bisher ausschließlich den verschiedenen nationalen Souveränitäten überlassen waren. Das deutsche Volk ist gewillt, künftighin auf den Krieg als Mittel der Politik zu verzichten und hieraus die Folgerungen zu ziehen. Um aber nicht wehrlos fremder Gewalt preisgegeben zu sein, bedarf es der Aufnahme des Bundesgebietes in ein System kollektiver Sicherheit, das ihm den Frieden gewährleistet. Nach der einmütigen Auffassung des Konvents muß der Bund bereit sein, im Interesse des Friedens und einer dauerhaften Ordnung der europäischen Verhältnisse in die sich aus einem solchen System ergebenden Beschränkungen seiner Hoheitsverhältnisse einzuwilligen. Zwar wird damit dem deutschen Volke eine Vorleistung zugemutet. Nach dem, was im Namen des deutschen Volkes geschehen ist, ist aber eine solche Vorleistung, die entsprechende Leistungen der anderen beteiligten Staaten im Gefolge hat, angebracht.

Einstimmig wird demgemäß folgender Artikel vorgeschlagen:
„Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen.
Insbesondere kann er im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens sein Gebiet in ein System kollektiver Sicherheit einordnen und hierbei, unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit, in diejenigen Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, durch die eine friedliche und dauerhafte Ordnung der europäischen Verhältnisse erreicht und sichergestellt werden kann.
Ein solches Gesetz bedarf in Bundesrat und Bundestag einer Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl."
 

Kriegsächtung

Schließlich glaubt der Konvent, daß das Grundgesetz einer Bestimmung bedürfe, wonach Handlungen unter Strafe zu stellen sind, die in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören; vor allem aber alle Handlungen, die in der Absicht unternommen werden, die Führung eines Krieges vorzubereiten. Das Recht des Bundes soll künftig die Möglichkeit bieten, Personen zur Rechenschaft zu ziehen, deren Tätigkeit mit Vorbedacht darauf gerichtet ist, von seinem Gebiet aus den Frieden in gefährlicher Weise zu gefährden, möge es sich um geheime Aufrüstung handeln oder um militaristische und nationalistische Verhetzung der Gemüter. Personen, die sich solcher Verbrechen schuldig machen, wären nach ihrer Verurteilung außerhalb des Schutzes bestimmter Grundrechte zu stellen.

Der hierzu vorgeschlagene Artikel hat folgenden Wortlaut:
„Handlungen, die mit der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Krieges vorzubereiten, sind unter Strafe zu stellen."
 

Antretung von Teilen des Bundesgebiets

Der Konvent war einmütig der Auffassung, daß in das Grundgesetz Bestimmungen aufgenommen werden sollten, die die Abtretung oder den Austausch von Teilen des Bundesgebiets betreffen. In Anlehnung an die französische Verfassung erschien es zweckmäßig, hierfür vorzusehen, daß Abtretung und Austausch nur zulässig sein sollen, wenn die betroffenen Bevölkerungen dies gutheißen. Darüber hinaus soll sowohl ein Bundesgesetz wie ein Gesetz der betroffenen Bundesländer für die Vollziehung erforderlich sein.

Diese Bestimmung kann sich nur auf den Teil des deutschen Staatsgebiets beziehen, in dem das Grundgesetz gilt, also auf das Gebiet des Bundes deutscher Länder. Es ergab sich folgende Formulierung:
„Abtretung und Austausch von Teilen des Bundesgebiets sind nur wirksam, wenn die Veränderung von den betroffenen Bevölkerungen gutgeheißen ist.
Ihre Vollziehung bedarf eines Gesetzes des Bundes und der betroffenen Länder."
 

Die Hoheitssymbole

Mehrheitsvorschlag: Bundesflagge schon jetzt einführen

Die überwiegende Mehrheit ist der Ansicht, daß es trotz des provisorischen und fragmentarischen Charakters des Bundes aus technischen und auch aus politischen Gründen erforderlich sei, dem Bund eine Flagge zu geben. Da der Bund nichts anderes sein  soll als der heute einzige in wenigstens relativer Freiheit nach dem Willen des deutschen Volkes organisierte Teil Deutschlands, kam die Schaffung einer „separaten" Flagge für niemanden in Frage. Die Flagge des Bundes kann nur Farben führen, die in der gesamtdeutschen Tradition begründet sind. Für die Wahl der Farben Schwarz­Rot-Gold war entscheidend, daß diese Farben schon im alten Reichsschild geführt wurden und auch seit Beginn einer deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung allgemein als die Embleme der Deutschen Republik gegolten haben. Der Vorschlag soll dagegen nicht zum Ausdruck bringen, daß das Grundgesetz des Bundes ein Ausfluß der Weimarer Verfassung sei.

Diese Erwägungen haben ihren Niederschlag in folgendem Artikel gefunden:
„Der Bund führt die schwarz-rot-goldene Flagge der Deutschen Republik. Das Nähere bestimmt ein Gesetz."
 

Minderheitsvorschlag: Flaggenfrage vertagen

Auch die Minderheit ist der Meinung, daß der Bund eine Flagge zugewiesen bekommen solle; sie erhebt keine Einwendungen gegen die Farben Schwarz-Rot-Gold. Sie befürchtet jedoch, daß die Aufnahme des von der Mehrheit vorgeschlagenen Artikels in das Grundgesetz zum ungeeignetsten Augenblick einen verhängnisvollen Flaggenstreit heraufbeschwören könne. Im Zuge dieser Erwägungen schlägt sie vor, auf die Aufnahme eines Flaggenartikels in das Grundgesetz au verzichten und ein Flaggengesetz zu einem späteren Zeitpunkt zu erlassen.
 

Vermittlungsvorschlag: Vorläufige Regelung für Behörden, Auslandsvertretungen, Schiffahrt

Eine weitere Minderheit macht einen Vermittlungsvorschlag, der dahin geht, daß bis zur Regelung durch ein Gesetz die Farben Schwarz-Rot-Gold in beschränk­tem Umfange. nämlich von den Bundesbehörden, etwaigen künftigen Auslandsvertretungen und den Seeschiffen geführt werden sollen. Ihr Vorschlag ergibt folgende Fassung:
„Bis zur Regelung durch ein Gesetz führen die Bundesbehörden, Auslandsvertretungen und Seeschiffe die Farben Schwarz-Rot-Gold."

 

 

DRITTES KAPITEL
BUND UND LÄNDER
 

Das vorläufige Bundesgebiet

Das Gebiet des Bundes besteht vorläufig aus den Gebieten der elf Länder. die bei der Gründung beteiligt sind. Es soll jedoch jeder andere Teil Deutschlands auf seinen Wunsch in den Bund aufgenommen werden können, wofür ein einfaches Bundesgesetz genügen soll. Einverständnis bestand darüber, daß die Aufnahme so wenig erschwert werden solle als möglich.

Der aufgenommene Teil kann sich an ein schon bestehendes Land anschließen. Tut er es nicht so bildet er ein eigenes Land, dessen Verfassung die Bevölkerung nach Maßgabe der für Länderverfassungen in diesem Grundgesetz allgemein vorgesehenen demokratischen Mindesterfordernisse (Art. 29) selbst bestimmen kann.
 

Einbeziehung von Groß-Berlin

Infolge der besonderen Stellung Groß-Berlins soll dieses Land jedoch schon heute weithin behandelt werden, als sei es ein Glied des Bundes. Zwar sollen die Bundesgesetze bis zur Aufnahme Groß-Berlins in den Bund dort nicht gelten. Die Stadt soll jedoch nach der einstimmigen Meinung des Konvents heute schon vollberechtigte Vertreter in die gesetzgebenden Organe des Bundes entsenden können. In Betracht kommen etwa 30 Abgeordnete zum Bundestag, dessen Mitgliederzahl sich damit auf 430 erhöhen würde, und zwei Bundesratsmitglieder. Die Mehrheit billigt den Berliner Vertretern auch das Stimmrecht, eine Minderheit nur beratende Stimme zu.
 

Innerdeutsche Umgliederung

Bei der Frage, ob das Grundgesetz Bestimmungen vorsehen solle. wonach das Bundesgebiet unter Veränderung der Gebiete der Länder solle neu gegliedert werden können, stehen sich mehrere Auffassungen gegenüber, über die keine Einigung erzielt werden konnte:
 

Einmalige endgültige Umgliederung ?

1. Einige Mitglieder sind der Meinung, daß das Grundgesetz Bestimmungen über eine einmalige und damit endgültige Neubestimmung der Ländergebiete vorsehen solle; nach deren Durchführung sollten grundsätzlich keine größeren Veränderungen der Ländergrenzen mehr möglich sein. Dem wird entgegengehalten, daß nach der Erklärung der Militärgouverneure die bis zum 15. 10. 1948 von den Ministerpräsidenten zu bestimmende Änderung der Ländergrenzen bis zum Friedensschluß endgültige Zustände schaffen werde; das beabsichtigte Vorhaben sei demnach praktisch gegenstandslos.
 

Künftig nur Zusammenschlüsse von Ländern möglich ?

2. Andere Mitglieder vertreten die Auffassung. daß unter Zugrundelegung der bei Inkrafttreten des Grundgesetzes bestehenden Ländergrenzen im wesentlichen mir kleinere Grenzveränderungen im Wege der Vereinbarung der betroffenen Länder möglich bleiben sollen.

Im übrigen soll grundsätzlich - entsprechend der Verfassung der USA, die aber die Teilung von Staaten nicht unmöglich gemacht hat - auf dem Gebiet eines Einzel­Staates kein neuer Staat gebildet werden können. Dagegen sollen sich mehrere Einzelstaaten zu einem neuen Einzelstaat zusammenschließen können. Falls die Bevölkerung eines Teiles eines Einzelstaates sich mit einem anderen Einzelstaat sollte vereinigen wollen, so solle hierüber auf Antrag der Selbstverwaltungskörper, die mindestens ein Drittel der Bevölkerung des Landesteils vertreten, durch Volksentscheid entschieden werden. Die vorgesehene Beschränkung des Antragsrechts auf die Selbstverwaltungskörper solle eine Sicherung gegen die Gefahr bieten, daß gewisse politische Parteien zeitweilige Mißstimmungen gewisser Bevölkerungsteile ausnützen, um einen unverantwortlichen Druck auf die Landesregierung auszuüben. Für die Aufnahme neugebildeter Einzelstaaten in den Bund solle ein einfaches Bundesgesetz genügen.

Diese Auffassung verdichtete sich zu folgendem Vorschlag eines Artikels:
„Auf dem Gebiet. eines Einzelstaates des Bundes darf kein neuer Einzelstaat gebildet werden.
Ein Einzelstaat kann sich mit einem anderen oder mehreren Einzelstaaten zu einem neuen Einzelstaat zusammenschließen. Das Verfahren für den Zusammenschluß richtet sich nach den Vorschriften der Landesverfassungen. Jedoch bedürfen Staatsverträge, die von den Landesregierungen darüber abgeschlossen worden sind, in jedem Falle der Form des Gesetzes.
Will sich die Bevölkerung eines Teils eines Einzelstaates mit einem anderen Einzelstaat oder mit einem Teil eines anderen Einzelstaates zu einem neuen Einzelstaat zusammenschließen, so bedarf es dazu eines Antrags der Selbstverwaltungskörper dieses Landesteils, die mindestens ein Drittel der Bevölkerung des Landesteils vertreten. Über den Antrag wird durch Volksabstimmung entschieden. Das weitere Verfahren richtet sich nach Abs. 2.
Die Aufnahme neuer Einzelstaaten in den Bund erfolgt durch einfaches Bundesgesetz."

Für den Fall, daß es den Ministerpräsidenten bis zum Erlaß des Grundgesetzes nicht gelingen sollte, eine rationellen Gesichtspunkten gerechtwerdende Neugliederung des Bundesgebietes zustandezubringen, wurde folgende Übergangslösung vorgeschlagen:
„Dem deutschen Volke steht es frei, innerhalb des Bundesgebietes ohne Rücksicht auf die bisherigen Landesgrenzen neue Einzelstaaten zu errichten, soweit die Stammesart der Bevölkerung, die wirtschaftlichen Verhältnisse und die geschichtliche und gesellschaftliche Entwicklung die Bildung solcher Staaten erfordert. Keiner der neuerrichteten Einzelstaaten soll weniger als drei Millionen Einwohner umfassen. Ein Einzelstaat kann sich mit einem anderen oder mehreren Einzelstaaten zu einem neuen Einzelstaat zusammenschließen. Das Verfahren für den Zusammenschluß richtet sich nach den Vorschriften der gegenwärtigen Landesverfassungen. Jedoch bedürfen Staatsverträge; die von den Landesregierungen darüber abgeschlossen werden, in jedem Falle der Form des Gesetzes.
Sollen aus einem Einzelstaat und einem Teil eines anderen Einzelstaates oder aus Teilen mehrerer Einzelstaaten ein neuer Staat gebildet werden, so bedarf es dazu des Beschlusses der betroffenen Landtage über die Anordnung von Volksabstimmungen in dem betroffenen Landesteil. Beim Anschluß eines Landesteils an einen bestehenden Einzelstaat genügt die Abstimmung des Einzelstaates, dem der Landesteil bis dahin angehört. Das weitere Verfahren regelt ein einfaches Bundesgesetz."

Beide Vorschläge, wurden nach gründlicher Erörterung zurückgezogen, werden hier aber erwähnt, um eine volle Übersicht über die Möglichkeiten zu geben.
 

Künftige Umgliederung zulässig ?

3. Eine andere Meinung ging dahin, trotz der Erklärung der Militärgouverneure in das Grundgesetz Bestimmungen aufzunehmen, die ohne Beschränkung auf einen bestimmten Zeitraum weitgehende Berichtigungen der Ländergrenzen und darüber hinaus die grundlegende Neugliederung des Bundesgebietes ermöglichen sollen. Dies müsse vor allem deshalb geschehen können, weil ein echtes föderatives System gegeneinander richtig abgewogene Länder erfordere; die heutigen Länder entsprächen diesem Ideal keineswegs. Im übrigen sei es durchaus möglich, daß die Militärgouverneure ihren Standpunkt bezüglich der Endgültigkeit des bei Inkrafttreten des Grundgesetzes bestehenden Zustandes ändern.

Hiefür ist in Anlehnung an den Beschluß erster Lesung des Verfassungsausschusses der Weimarer Nationalversammlung folgender Vorschlag gemacht worden, der die Zustimmung der Mehrheit gefunden hat:
„Die Gliederung des Bundes in Länder soll im Sinne der wirtschaftlichen und kulturellen Höchstleistung unter möglichster Berücksichtigung des Willens der beteiligten Bevölkerung erfolgen.
Die Neubildung von Ländern oder die Änderung ihres Gebietes durch Vereinigung oder Abtrennung von Gebieten kann durch Bundesgesetz erfolgen, wenn sie durch den Willen der Bevölkerung gefordert wird oder ein überwiegendes Allgemeininteresse sie erheischt.
Der Wille der Bevölkerung ist durch die Abstimmung der wahlberechtigten Einwohner festzustellen, die auf Antrag eines Viertels der Stimmberechtigten oder der politischen oder kommunalen Vertretungen eines Viertels der beteiligten Bevölkerung durch die Bundesregierung anzuordnen ist. Entstehen bei der Vereinigung oder Abtretung Streitigkeiten über die Vermögensauseinandersetzung, so entscheidet hierüber auf Antrag einer Partei das Bundesverfassungsgericht."
 

Umgliederung Bundes- oder Landessache ?

4. Die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten betrafen vor allem die Frage, ob die Veränderung der Ländergebiete Sache des Bundes oder ausschließlich Sache der betroffenen Länder sein solle. Im ersteren Falle bestand Einverständnis darüber, daß - außer bei besonderen Notständen - nicht gegen den Willen der betroffenen Bevölkerung vorgegangen werden dürfe; im anderen Falle war man sich darüber einig daß auch von den Ländern unternommene Gebietsveränderungen - mit Ausnahme kleinerer Grenzberichtigungen - der Sanktion durch den Bund bedürftig sein sollten.

Die Vertreter der Ansicht, daß Veränderungen der Ländergrenzen nur Sache der betroffenen Länder selbst sein dürfen, sehen durch eine Gliederungs-Kompetenz des Bundes dessen föderativen Charakter in Frage gestellt. Nach der Gegenmeinung macht umgekehrt gerade der föderative Charakter, der dem Bund eigen sein soll, die Neugliederung des Bundesgebietes nach rationellen Gesichtspunkten zur gebieterischen Notwendigkeit. Diese könne aber nur eine gesamtdeutsche Aufgabe sein, da schon die bisherigen Erfahrungen zeigten, daß die Länder selbst nicht imstande seien, die einer vernunftgemäßen Lösung entgegenstehenden partikularen Egoismen zu überwinden. Während die Vertreter dieser Meinung hinsichtlich der Schaffung der Voraussetzungen für eine tragfähige föderative Gestaltung des Bundesgebietes den Mut zur Neuerung befürworteten, sind sie einmütig der Überzeugung. daß der dann geschaffene Zustand im wesentlichen unveränderlich bleiben soll.

Der Konvent hat in Anbetracht dieser Meinungsverschiedenheit einmütig beschlossen, zur Neugliederungsfrage keinen artikulierten Vorschlag zu machen, sondern sich auf die Darlegung der Kontroverse zu beschränken.
 

Anforderungen an die Länderverfassungen

Im Konvent besteht Einmütigkeit darüber, daß die Länder frei sein sollen, die Formen und Inhalte ihres staatlichen Lebens zu bestimmen, daß aber einerseits die Länderverfassungen eine gewisse Homogenität mit der Bundesverfassung aufweisen und andererseits als demokratische, Mindestforderungen folgende Elemente enthalten müssen:
 

Freiheit und Gleichheit 1. Die Verfassungen der Länder müssen demokratisch, also auf die allgemeine recht­liche Freiheit und Gleichheit aller Bürger gegründet sein.
 
Volksvertretung

2. Die Länder müssen weiter eine Volksvertretung haben, die aus allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen Wahlen hervorgehen muß. Außerdem müssen sie ausreichende Gewähr dafür bieten. daß das Wahlrecht frei, d. h. ohne unmittelbaren oder mittelbaren Druck ausgeübt werden kann.
 

Kein Einparteiensystem

3. Es darf in keinem Land das Einparteiensystem erlaubt sein. Bei jeder Wahl zu einer Volksvertretung müssen mindestens zwei, nicht nur organisatorisch, sondern auch politisch und innerlich voneinander unabhängige Parteien mit eigenen Programmen und Kandidaten sich um die Mandate bewerben können.
 

Kein Blocksystem 4. In gewissen Ländern hat sich das System herausgebildet, daß eine Partei unter der Tarnung demokratischer Verfassungen praktisch das Einparteiensystem errichtet hat. Das geschieht dadurch, daß die Parteileitungen mehr oder weniger gewaltsam für die Dauer zu einheitlichen Beschlüssen veranlaßt werden, die dann in den Volksvertretungen von allen Fraktionen einheitlich ausgeführt werden müssen, Dieses System soll von Bundes wegen in den Ländern verboten sein. Die üblichen Koalitionsabreden sollen dadurch nicht verboten werden.
 
Parteienkontrolle 5. Von den Wahlen und Abstimmungen dürfen Parteien nur dann ausgeschlossen werden, wenn in einem geordneten gerichtlichen Verfahren in Anwendung des für alle geltenden Gesetzes festgestellt worden ist, daß sie die Beseitigung der Freiheitsrechte und die Gewaltherrschaft: anstreben. Dies schließt nicht aus, daß die Erlangung eines Sitzes in der Volksvertretung in den Wahlgesetzen von der Erreichung eines Mindesthundertsatzes der Wählerstimmen abhängig gemacht werden.
 
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung

6. Die Verwaltung in den Ländern muß rechtsstaatlich sein: sie darf also ausschließlich auf Grund der Gesetze erfolgen. Dazu gehört, daß jedermann der Schutz unabhängiger Gerichte, die nur an das Gesetz gebunden sind, gegen den Mißbrauch der Staatsgewalt zustehen muß.
 

Sicherung der Grundrechte

7. Die Verfassungen der Länder müssen die im Grundgesetz des Bundes vorgesehenen Grundrechte sichern. Es ist den Ländern unbenommen, weitere Grundrechte aufzustellen und ihre Gewährleistung dem Bundesrecht gegenüber zu verstärken, insbesondere auf dem Gebiet der Gemeinschaftsordnungen.
 

Teilung der Gewalten

8. Die Freiheit der Person ist nur in einem Staate voll und dauerhaft gewährleistet, der auf dem Prinzip der Teilung und des Gleichgewichtes der Gewalten aufgebaut ist. Darum müssen auch in den Gewalt und Rechtsprechung von Organen ausgeübt werden. die einander gleichgeordnet sind und sich so die Waage halten können. Die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierungen ist mit diesem Prinzip durchaus vereinbar, ebenso gewisse überkommene Einrichtungen der Hansestädte, die für Deputationen der Bürgerschaft Verwaltungsbefugnisse vorsehen.
 

Bundeskontrolle erstreckt sich auf die Verfassungswirklichkeit

Dem Erfordernis der Homogenität der Länderverfassungen mit dein Grundgesetz des Bundes ist nicht damit Genüge getan, daß die Länderverfassungen demokra­tische Grundsätze aussprechen. Die Homogenität muß effektiv sein. Der Bund hat darum zu gewährleisten, daß die Verfassungswirklichkeit, d. h. das staatliche Leben in den Ländern, den beschlossenen Verfassungen entspricht. Wo das nicht der Fall ist, hat er den Rechtszustand in der Wirklichkeit des staatlichen Lebens herzustellen.
 

Kein Genehmigungsvorbehalt für Länderverfassungen

Die Aufsicht des Bundes über die Länderverfassungen soll nicht bis zu einem Genehmigungsvorbehalt des Bundes für Verfassungen und Verfassungsänderungen der Länder ausgebaut werden. Entspricht eine Landesverfassung oder eine Änderung derselben nicht den oben dargelegten Grundsätzen, so ist ein Streit darüber vom Verfassungsgericht des Bundes zu entscheiden.

Das Ergebnis der vorstehenden Erwägungen hat in folgendem Artikel seinen Niederschlag gefunden:
„Die Verfassungen der Länder müssen auf die allgemeine rechtliche Freiheit und Gleichheit aller Bürger gegründet sein. Die Länder müssen eine Volksvertretung haben; die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgeht, bei denen sich mindestens zwei voneinander unabhängige Parteien mit eigenen Programmen und Kandidaten bewerben können. Die Verwaltung darf ausschließlich auf Grund der Gesetze erfolgen. Jedermann muß der Schutz unabhängiger Gerichte gegen den Mißbrauch der Staatsgewalt zustehen. Die Länder müssen die in diesem Grundgesetz vorgesehenen Grundrechte sichern.
Gesetzgebung, ausführende Gewalt und Rechtsprechung müssen unbeschadet einer Verantwortlichkeit der Regierungen gegenüber den Landtagen durch gleichgeordnete Organe ausgeübt werden. Parteien dürfen von Wahlen und Abstimmungen nur ausgeschlossen werden, wenn in einem geordneten gerichtlichen Verfahren festgestellt worden ist, daß sie die Beseitigung der Freiheitsrechte und die Gewaltherrschaft anstreben.
Abreden der Parteien, durch die die Abgeordneten in ihrer Stimmabgabe so gebunden werden, als ob nur eine Partei in einem Landtage vertreten sei, sind unzulässig.
Die Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Lebens in den Ländern wird vom Bunde gewährleistet und geschützt."
 

Zuständigkeit zur Gesetzgebung

Da die Gesetzgebung den Ländern zusteht, soweit sie nicht dem Bund zugesprochen ist, müssen die Zuständigkeiten des Bundes im Grundgesetz in einem Katalog einzeln aufgezählt werden. Im Zusammenhang mit der Aufstellung dieses Katalogs ergeben sich grundsätzliche Fragen, die hier vorweg erörtert werden.
 

Die Gruppen der Bundesgesetzgebung

Die Gesetzgebungszuständigkeit war in der Weimarer Verfassung in vier Gruppen gegliedert:
in die ausschließliche Gesetzgebung,
in die konkurrierende Gesetzgebung,
in die Bedarfsgesetzgebung und
in die Grundsatzgesetzgebung.

Im Konvent besteht Einigkeit darüber, die beiden letzten Gruppen nicht gesondert in den Entwurf eines Grundgesetzes aufzunehmen, vielmehr von der Viergliederung, abzugehen. Allerdings sind dennoch vom Konvent in den Kreis der konkurrierenden Gesetzgebung bewußt einzelne Ziffern aufgenommen worden, bei denen die Worte „Grundsätze" verwendet sind (Art. 36 Ziff. 6b, 8, 10, 11, 26; darüber siehe unten).
 

Zwei Hauptgruppen:
Ausschließliche und Vorranggesetzgebung.

Der Konvent hat erwogen, ob die beiden ersten Gruppen, nämlich die ausschließliche und die konkurrierende Gesetzgebung, wie bisher getrennt werden sollten, oder ob nicht vielmehr der Unterschied zwischen den beiden Gruppen fallengelassen werden soll. Werden sie auseinandergehalten, so wird zu prüfen sein, ob nicht die Bezeichnung „konkurrierend" durch ein gleichbedeutendes besseres Wort ersetzt werden kann; der Konvent hat hiefür das Wort „Vorranggesetzgebung" gewählt.

Zugunsten der Zweigliederung ist geltend gemacht worden: Für die Würde des Bundes habe es eine starke symbolische Kraft, einzelne Gesetzgebungszuständigkeiten völlig der Ländergesetzgebung zu entziehen und dadurch gegenüber sonstigen Zuständigkeiten herauszuheben. Es handelt sich hierbei um Gebiete wie die auswärtigen Angelegenheiten, die Staatsangehörigkeit, das Münzwesen usw., für die ihrem Charakter nach eine Zuständigkeit des Landes ohnehin ausscheidet. In diese Gruppe sollten tunlichst Zuständigkeiten von geringerer Integrationswirkung nicht aufgenommen werden. Dies Gruppe brauche daher keineswegs umfangreich zu sein. Ein völliger Verzicht auf die Unterscheidung zwischen den beiden Gruppen sei indessen nicht empfehlenswert.

Demgegenüber wird von anderer Seite betont, daß unerfreuliche Lücken für die Gesetzgebung entstehen könnten, falls die Landesgesetzgebung von einem Gebiet schlechthin ausgeschlossen sei, die Ausschließlichkeit somit lediglich als Sperre gegenüber der Landesgesetzgebung wirke. Eine notwendig werdende Rechtseinheit könne unschwer durch die Vorranggesetzgebung gesichert werden; denn Vorranggesetzgebung bedeute ja Möglichkeit des Bundes, die Landesgesetzgebung schlechthin zu verdrängen. Der Bund könne mit anderen Worten alle Gefahren dadurch bannen, daß er den Stoff selbst regle. Zum Wesen der Vorranggesetzgebung gehöre ja nicht, daß dem Gesetzgeber des Landes in jedem Fall ein Raum für seine Gesetzgebung übrigbleiben müsse In diesem Bereich bestehe also nicht eine substantielle Gewährleistung zugunsten des Landes; jedenfalls sei sie nicht aus dem Begriff der Vorranggesetzgebung zu folgern.

Der Konvent hat sich für die Zweigliederung in ausschließliche und Vorranggesetzgebung entschieden.

Im Hinblick auf die Zweifelsfragen. die sich aus den Begriffen der ausschließlichen und der Vorranggesetzgebung ergeben, empfiehlt der Konvent, eine geprägte Formel in das Grundgesetz aufzunehmen, in der eine Begriffsbestimmung der ausschließlichen und der Vorranggesetzgebung gegeben wird. Als solche Formel wird der jetzt in Art. 33 und 34 enthaltene Text gewählt.
 

Zulässige Landesgesetze

Einig ist sich der Konvent darüber, daß auf dem Gebiete der ausschließlichen Gesetzgebung dann - allerdings auch nur dann - Landesgesetze erlassen werden dürfen, wenn ein Bundesgesetz selbst eine Ermächtigung an das Land zur Regelung enthalte, wie es z. B. bereits in § 3 des Freizügigkeitsgesetzes der Fall sei. Diese Übertragung kann durch einfaches Bundesgesetz erfolgen; es ist kein verfassungsänderndes Bundesgesetz erforderlich. Ferner ist sich der Konvent darüber einig, daß Ausführungsgesetze der Länder zu Bundesgesetzen beider Gruppen erlassen werden dürfen, soweit sie sich auf den bloßen Vollzug beschränken, ohne dabei dem Inhalt der Bundesgesetze zu widersprechen. Schließlich besteht darüber Einigkeit, daß die schon bestehenden Ländergesetze in ihrem Bestand unberührt bleiben, auch wenn ein Stoffgebiet durch das Grundgesetz der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes unterstellt wird. Nicht schon die Aufnahme eines Stoffes in den Katalog der ausschließlichen Gesetzgebung hebt ein Landesgesetz auf, sondern erst ein wirklich ergehendes Bundesgesetz, nicht schon der Umstand also, daß ein Stoff nur vom Bund geregelt werden darf, sondern erst die Tatsache, daß er geregelt worden ist. Diese Auffassung entspricht auch der Auslegung der ausschließlichen Gesetzgebung in der Weimarer Zeit.
 

Enge Auslegung der Zuständigkeitskataloge

Die Zuweisung im Zuständigkeitskatalog muß ausdrücklich erfolgen. Es genügt nicht der bloße Sachzusammenhang mit einem aufgeführten Stoff; sonst würde die Aufzählung ihren Sinn verlieren. Man würde dann ebensogut weitgefaßte Generalklauseln aufstellen können, dadurch aber den Zuständigkeitskatalog seines Zweckes berauben. Gerade das aber suchte der Konvent zu vermeiden, wie es überhaupt sein Ziel war, möglichst klare Verhältnisse für die Zuständigkeitsabgrenzung zu schaffen. In den Beratungen nur angeklungen ist die sogenannte Zuständigkeit aus der Natur der Sache. Man ist sich jedenfalls darüber klar, daß die Verfassung und die Symbole des Bundes, sowie das Recht des Bundes, seine eigene Behördenorganisation und sein Bundesdienstrecht zu regeln, auch ohne Erwähnung im Grundgesetz nach der Natur der Sache ausschließliche Bundesangelegenheit seien.
 

Tragweite des Zuständigkeitskatalogs

Der Katalog der Zuständigkeiten regelt nur die Abgrenzung der Gesetzgebungszuständigkeit zwischen Bund und Ländern. Er enthält weder ein politisches Programm, noch auch eine Aufforderung an den Bund, die genannten Gebiete durch Bundesgesetze zu regeln; er gibt dem Bunde nur die formale Möglichkeit, Gesetze zu erlassen, begründet aber keine Pflicht für ihn. Er begrenzt ferner nicht den stofflichen Gehalt der Bundesgesetze, außer im Verhältnis zur Landesgesetzgebung. Er gibt den Bundesgesetzen auch keine inhaltliche Tendenz. Vielmehr ist er sozusagen neutral. Aus diesem Grunde hat der Konvent versucht, schon aus der Wortprägung der Aufzählung alles fernzuhalten, was so gedeutet werden könnte, als solle damit eine politische Wertung getroffen werden. Wo allerdings die Tendenz ersichtlich unpolitisch ist, sind solche Formulierungen vom Konvent unbedenklich zugelassen worden, z. B. in den Worten „Maßnahmen gegen Pflanzenkrankheiten". Eine einzige scheinbare Ausnahme, über die aber im Konvent völlige Einigkeit besteht, liegt in der Ziffer 25 des Art. 36 mit der Formulierung „Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung" vor.

Mit den vorstehenden Erwägungen soll nicht in Zweifel gesetzt werden, daß es auch stoffliche Grenzen der Gesetzgebung des Bundes gibt. Aber sie stehen nicht im Zuständigkeitskatalog. Sie können sich aus anderen Teilen des Grundgesetzes ergeben, z. B. aus den Grundrechten. Der Zuständigkeitskatalog ist keine Wertordnung: er ist auch keine verschleierte Wirtschafts- und Sozialordnung. Auch hier wird durch die Aufzählung im Katalog zum Inhalt von Bundesgesetzen keine Stellung genommen. Die Aufnahme in den Katalog läßt den Inhalt der Bundesgesetze vollkommen offen und greift dem Gesetzgeber in keiner Weise vor. Umgekehrt werden sich aus den Formulierungen der Grundrechte im Grundgesetz keine Zuständigkeitsverteilungen zwischen Bund und Ländern ergeben können.
 

Grundsatzgesetzgebung

In der Weimarer Verfassung wurde unterschieden zwischen der unbedingten und der bedingten Gesetzgebungszuständigkeit des Reichs. Bei der unbedingten Gesetzgebung konnte das Reich ohne besondere Hemmungen oder Erschwerungen Reichsgesetze erlassen. Bedingt war die Gesetzgebung in zwei Fällen: Einmal in der Bedarfsgesetzgebung, insofern das Reich nur im Falle eines Bedürfnisses Gesetze erlassen konnte; sodann in der Grundsatzgesetzgebung, insofern das Reich auf den entsprechenden Gebieten nur Grundsätze aufstellen durfte. Wie schon berichtet, sind diese beiden Gruppen zwar nicht mehr als besondere Zuständigkeitsgruppen in das Grundgesetz aufgenommen worden. Auch ist der Scheinbegriff einer „Bedarfs"kompetenz durchaus fallen gelassen worden. Wohl aber findet sich an fünf Stellen des Katalogs der Vorranggesetzgebung, nämlich in den Ziffern 6b, 8, 10, 11 und 25 die Beschränkung der Gesetzgebung auf „Grundsätze". Im Konvent ist die rechtliche Bedeutung dieser Einschränkung erörtert worden. Eine einhellige Stellungnahme über ihre Tragweite ist aber nicht ausgesprochen worden. Es ist insbesondere darüber gesprochen worden, ob der Begriff „Grundsätze" ein Rechtsbegriff ist, oder aber nur Ermessensfragen anzeigt, wobei es im Ermessen des Bundes läge, den Spielraum des Ermessens abzugrenzen. Schon in der Weimarer Zeit wurde diese Frage unterschiedlich beantwortet. Im Konvent besteht darüber Einigkeit, daß auf jeden Fall vermieden werden muß, politische Entscheidungen in die Form von Gerichtsurteilen einzukleiden. Eine weitergehende Einigung über den Sinn des Begriffs „Grundsätze" ist indessen nicht sichtbar geworden. Ferner ist in diesem Zusammenhang die Frage behandelt worden, ob die Grundsätze im Sinne der Vorranggesetzgebung an die Adresse der Länder gerichtet sind, also lediglich den Landesgesetzgeber binden, oder ob sie unmittelbar anwendbares Recht für den Bürger schaffen kennen. Der Ausschuß war der Auffassung, daß Grundsätze Bindungen und Schranken nur für den Landesgesetzgeber aufstellen.
 

Zuständigkeit der Behördeneinrichtung

Durch Einräumung einer Gesetzgebungszuständigkeit an den Bund erhält dieser noch nicht die Befugnis, den Vollzug eines Bundesgesetzes an vorhandene oder neuzuschaffende bundeseigene Behörden zu übertragen. Vielmehr bemißt sich die Zuständigkeit zum Vollzug der Bundesgesetze durch Bundesbehörden oder Landesbehörden nach den im Grundgesetz enthaltenen oder auf Grund des Grundgesetzes erlassenen besonderen Vorschriften über die Ausführung der Bundesgesetze. Hierbei spricht die Vermutung für die Ausführung des Bundesgesetzes durch Landesbehörden, und zwar in der Form der landeseigenen Verwaltung. Vgl. Art. 42.
 

Innerdeutsche Vereinbarungen der Länder

Im Kapitel der Staatsverträge unterscheidet der Konvent zwischen den innerdeutschen Vereinbarungen der Länder einerseits, und ihren Verträgen mit auswärtigen Mächten andererseits. Es bestehen keine Bedenken gegen innerdeutsche Vereinbarungen zwischen den Ländern. Falls ein Bedürfnis für einheitliche oder gleichmäßige Regelung vorhanden sein sollte, ohne daß die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes sich hierauf erstreckt oder ohne daß der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat, ist der gegebene Weg zur Behebung des Bedürfnisses der der Vereinbarungen unter den Ländern. Eine Mitwirkung des Bundes ist in diesen Fällen nicht vorgesehen. Hiernach ist die Fassung des Art. 40 gewählt worden.
 

Amts- und Rechtshilfe

Keiner besonderen innerdeutschen Vereinbarung bedarf die Festlegung der Amtshilfe zwischen den Behörden der Länder. In der Weimarer Verfassung war die Amtshilfe zwischen Behörden als Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 7 Ziff. 3) aufgeführt, und zwar im Zusammenhang nur mit dem gerichtlichen Verfahren. Es empfiehlt sich, sowohl eine besondere Gesetzgebung wie auch innerdeutsche Vereinbarungen der Länder entbehrlich zu machen; und zwar durch Ausdehnung der Amts- und Rechtshilfe auf alle Gebiete und Behörden. Dementsprechend ist Art. 39 Abs. 1 gefaßt worden.

Die Bestimmung des Art. 39 Abs. 2 beruht auf einem unabweisbaren Bedürfnis nach einheitlicher Regelung im ganzen Bundesgebiet.
 

Staatsverträge mit auswärtigen Staaten

Die Zuständigkeit; Verträge mit auswärtigen Staaten zu schließen, richtet sich im Verhältnis zwischen Bund und Ländern nach der Zuständigkeit zur Gesetzgebung. Auf dem Gebiete der ausschließlichen Gesetzgebung kann also nur der Bund Verträge schließen, wobei von etwa bereits bestehenden Staatsverträgen der Länder das gleiche gilt wie von bereits bestehenden Landesgesetzen. Auf dem Gebiete der Vorranggesetzgebung (konkurrierenden Gesetzgebung) ist die Zuständigkeit zum Abschluß von Staatsverträgen sowohl für den Bund wie auch für die Länder begründet; und zwar mit Vorrang des Bundes. Die besondere Eigenart auswärtiger Verträge erfordert indessen bei der Vertragsschließung eine weitergehende Mitwirkung des Bundes als bei der Vorranggesetzgebung. Deshalb ist in Aussicht genommen, den Ländern die Verpflichtung aufzuerlegen, vor dem Abschluß des Staatsvertrages die Zustimmung des Bundes einzuholen. Darüber hinaus soll es aber bereits vor Einleitung von Verhandlungen mit auswärtigen Staaten den Ländern auferlegt werden, die vorherige Einwilligung des Bundes zur Aufnahme von Verhandlungen mit auswärtigen Staaten einzuholen, weil es vom Standpunkt der allgemeinen politischen Situation aus unerwünscht sein kann, daß ein Land mit einem bestimmten auswärtigen Staat oder über einen bestimmten Gegenstand in Vertragsverhandlungen tritt. Dies gilt sowohl für die Verträge auf dem Gebiete der Vorranggesetzgebung, für die später vor dem Abschluß des Vertrages außerdem noch die Zustimmung des Bundes zum Vertrag erforderlich ist, wie auch für Verträge auf Gebieten der Landesgesetzgebungszuständigkeit, bei denen zur Einleitung der Verhandlungen, nicht aber für den Inhalt und Abschluß des Vertrages eine Mitwirkung des Bundes vorgesehen ist. Alle von den Ländern geschlossenen Verträge sind aber zur Kenntnis des Bundes zu bringen.

Kurz erwähnt worden ist die Frage, ob Konkordate der Länder unter die Staatsvertragsvorschriften des Grundgesetzes fallen. Die Frage ist verneint worden, da der Vatikan kein auswärtiger Staat sei.

Es ist möglich, daß der Bund in Vertragsverhandlungen mit auswärtigen Staaten tritt über Gegenstände, an denen Länder wirtschaftlich beteiligt sind. Es wird angeregt (Art. 41 Abs. 3), in solchen Fällen die Länder an den Verhandlungen des Bundes zu beteiligen, allerdings ohne ihnen ein Mitbestimmungs- oder Mitabschlußrecht einzuräumen. Regelmäßig wird es genügen, die Verhandlungsbeteiligung zu beschränken auf Verhandlungen mit Nachbarstaaten des Bundes, und zwar in diesem Falle auf die angrenzenden Länder. In ganz besonderen Fällen wird darüber hinaus eine Beteiligung von Ländern an Verhandlungen mit einem ausländischen Staat in Betracht kommen.
 

Die einzelnen Ziffern des Katalogs

Weimarer Katalog teils vermehrt, teils vermindert

Die Aufzählung der einzelnen Gesetzgebungs-Zuständigkeiten schließt sich auf vielen Gebieten dem Katalog der Weimarer Verfassung an. Zu berücksichtigen war indessen, daß die innere Verwaltung und das Kulturwesen künftig Länderaufgaben sein sollen. Einige Ziffern des Weimarer Katalogs können gestrichen werden ,weil Sie überholt oder in anderen Bereichen aufgegangen sind. An einigen Stellen erwies sich eine Vermehrung des Katalogs wegen der fortgeschrittenen und fortschreitenden wirtschaftlichen und technischen Entwicklung als nötig. Auch die Formulierungen sind, wo es angängig war, aus der Weimarer Verfassung übernommen worden, zumal Rechtsprechung und Verwaltung mit übernommenen und abgeklärten Fassungen leichter arbeiten als mit völlig neuen. Der Konvent hat sich bemüht, unklare Generalklausen möglichst zu vermeiden. Über die Einschaltung der Gerichte bei der Auslegung von Abgrenzungsbegriffen wird im Zusammenhang mit der Rechtsprechung zu berichten sein.

Ausschließliche Gesetzgebung (Art. 35).
 

Wehrrecht

In der Weimarer Verfassung war außer den vom Ausschuß vorgeschlagenen Ziffern noch eine Ziffer „Wehrverfassung" vorgesehen. Diese Ziffer ist nicht aufgenommen worden. Der Konvent ist sich aber darüber einig, daß nur die Gesetzgebung des Bundes zuständig sein könne, falls sich überhaupt Aufgaben wehrrechtlicher Art für deutsche Behörden ergeben können, z. B. Angelegenheiten der militärischen Entwaffnung. Lediglich um Mißverständnisse anderer Art von vornherein zu vermeiden, hat der Konvent von einer Ziffer „Wehrverfassung' oder „Wehrfragen" abgesehen.
 

Bundes- und Landesangehörigkeit

Zu Ziffer 2:
Hinsichtlich der Staatsangehörigkeit sind im Konvent zwei Meinungen vertreten worden. Die eine will dem Bund die ausschließliche Zuständigkeit über die Bundesangehörigkeit und die Vorranggesetzgebung über die Grundsätze der Landesangehörigkeit geben. Nach der anderen Meinung soll der Bund wie in Artikel 6 Ziffer 3 der Weimarer Verfassung die ausschließliche Gesetzgebung über die "Staatsangehörigkeit" haben.

Bei dieser zweiten Lösung erübrigt sich die Vorranggesetzgebung des Bundes über die Grundsätze der Landesangehörigkeit.
 

Funkwesen

Zu Ziffer 8:
Der Konvent ist der Auffassung, daß das Rundfunkwesen einschließlich der Rundfunktechnik nicht zum Fernmeldewesen gehört.

Vorranggesetzgebung: (Art. 36).
 

Strafrecht; diese Kompetenz kein Lückenbüßer

Zu Ziffer 2:
Das Verwaltungsrecht bleibt den Ländern vorbehalten; das Strafrecht ist als ein Gebiet mit materiell bestimmt begrenztem Inhalt zu verstehen. Nicht jedes Gesetz, das eine allgemeine Androhung einer öffentlichen Strafe enthält, gehört zum Strafrecht. Strafrecht ist vielmehr nur das echte Kriminalrecht mit bestimmtem ethischen Gehalte. Es wäre unzulässig, auf dem Wege über die Zuständigkeit für Strafrecht die Sphäre der Zuständigkeit der Landesgesetzgebung mittelbar auszuhöhlen.
 

Gerichtsverfassung

Zu Ziffer 3:
Auf Gebieten, die der Landesgesetzgebung zustehen, z. B. auf dem Gebiete der Landesverwaltungsgerichtsbarkeit, soll auch die Gerichtsverfassung und das Gerichtsverfahren von der Landesgesetzgebung geregelt werden.
 

Binnenschiffahrt

Zu Ziffer 4:
Unter Binnenschiffahrtsrecht ist die zivilrechtliche Seite des Schiffsverkehrs verstanden, z. B. das Frachtrecht, das Schadensrecht usw. Dagegen ist die Zuständigkeit der öffentlich-rechtlichen Seite der Binnenschiffahrt in die Ziffer 33 der Vorranggesetzgebung aufgenommen.
 

Bevölkerungspolitik gestrichen

Zu Ziffer 10:
Die Bevölkerungspolitik (vergl. Artikel 7 Ziffer 7 der Weimarer Verfassung) ist gestrichen worden. Über die Streichung besteht im Konvent Einigkeit, weil der Begriff zu wenig faßbar ist und weil die Ziele der Bevölkerungspolitik auf einzelnen Gebieten zu verwirklichen sind, deren Zuständigkeit anderweit geregelt ist, z. B. auf dem Gebiet des Finanzwesens (Begünstigung kinderreicher Familien).
 

Wirtschaftslenkung

Zu Ziffer 23:
Über diese Ziffer hat sich eine längere Aussprache entsponnen. Sie führte schließlich zu zwei Fassungen. Auf der einen Seite wurde angestrebt, die Zuständigkeit weit auszudehnen und sie auch auf die Preisbildung zu erstrecken, dabei aber über die Gegenstände des täglichen Bedarfs hinaus, auch andere wirtschaftliche Güter und Leistungen zu erfassen (Fassung a). Auf der anderen Seite wurde darauf abgezielt, die Eingriffe in die Wirtschaft zu beschränken auf die Sicherung der Erzeugung und den Schutz der Verbraucher (Fassung b). In dieser Fassung soll auch die Möglichkeit einer Preisüberwachung enthalten sein.
 

Sozialisierung

Zu Ziffer 24:
Da Sozialisierung kein Rechtsbegriff ist, ist der rechtliche Inhalt des Zuständigkeitsbereiches mit dem Wort „Gemeineigentum" wiedergegeben, weiter ist diese Stelle besonders eindringlich daran zu erinnern, daß es sich nur um die Verteilung der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern in Bezug auf die Gesetzgebung, nicht, um ein Programm handelt. Es war dabei auch die Meinung vertreten, man solle die Angelegenheit in den Art. 35 über die ausschließliche Gesetzgebung aufnehmen.
 

Bodenreform Zu Ziffer 26:
Die vorgeschlagene Formulierung erscheint dem Konvent empfehlenswerter als die Formulierung in Artikel 10 Ziffer 4 der Weimarer Verfassung. Insbesondere ist der Konvent der Ansicht, daß die „Bindung des Grundbesitzes" keine aktuelle Bedeutung für eine Regelung durch die Gesetzgebung mehr habe, und daß die „Bevölkerungsverteilung" ein zu unbestimmter Begriff für eine Aufnahme in den Zuständigkeitskatalog darstelle.
 
Keine Bundeszuständigkeit für Landwirtschaft

Zu Ziffer 28:
Zum Gewerbe gehört auch die Industrie und das Handwerk. Dagegen fallen nicht darunter Landwirtschaft und Forstwirtschaft, Jagd und Fischerei.
 

Berufsvertretungen

Die Einrichtung beruflicher Vertretungen (Artikel 9 Ziffer 10 der Weimarer Verfassung) ist gestrichen. Im Konvent bestand keine Klarheit darüber, was damit gemeint sei. Es besteht aber Einigkeit über die Streichung. Soweit Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen darunter fallen würden, ergibt sich die Regelung aus der Koalitionsfreiheit. In der Weimarer Nationalversammlung war noch an eine verfassungsmäßige Sicherung des berufsständischen Systems gedacht, das den Ansatzpunkt für eine sogenannte erste Kammer bilden sollte. Die ganze seinerzeitige Regelung ist heute überholt.
 

Arbeitsrecht

Zu Ziffer 37:
Der Begriff des Arbeitsrechts soll hier in weitem Sinne verstanden werden, also nicht nur im Sinne von Arbeitsvertragsrecht, sondern auch von öffentlichem Arbeitsrecht einschließlich der Arbeitsgerichtsbarkeit und des Betriebsräterechts. Zum Ausschluß von Zweifeln sind überdies noch die Worte „einschließlich Arbeitsschutz und Arbeitslenkung" - beigefügt.
 

Sozialversicherung

Zu Ziffer 38:
Unter Sozialversicherung ist die gesamte soziale Versicherung (Kranken-, Unfall-, Rentenversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung, der Knappschaftsversicherung und der Angestelltenversicherung) zu verstehen. Welche Teile der Sozialversicherung auf Bundesebene als bundesunmittelbare Selbstverwaltung zu organisieren sind, welche auf Landesebene unter Aufsicht der Länder, ergibt sich aus Art. 116 Abs. 3.
 

Grundsätze der Formulierung

Der Konvent betrachtet es als sein besonderes Anliegen die deutsche Rechtseinheit auf all den Gebieten zu wahren oder herzustellen, auf denen das Bedürfnis nach  gleichmäßigem Inhalt der Rechtsnormen im Bundesgebiet vordringlich erscheint. Ferner war es das Anliegen des Konvents, bei der Zuständigkeitsverteilung einfache, klare und bekannte Begriffe zu verwenden, um dadurch Zweifelsfragen weitgehend zu vermeiden und Reibungsflächen auszuschließen. Freilich wird immer ein ungeklärter Rest bleiben, der zu Meinungsverschiedenheiten führen kann. Für diesen Rest ist aber zu bedenken, daß zum Wesen des Bundesstaates die Verfassungstreue des Bundes und die Bundestreue der Glieder gehört.
 

Gesonderte Finanzwirtschaft in Bund und Ländern

Selbstverantwortliche Haushaltsführung auch der Gemeinden und Gemeindeverbände

Verhältnis von Bund und Ländern in der Finanzwirtschaft. Der in Art. 37 des Entwurfs ausgesprochene Grundsatz
„Bund und Länder führen eine gesonderte Finanzwirtschaft"
stellt den Gedanken der Selbstverantwortung sowohl des Bundes als auch der Länder in ihrer Einnahmen wie in ihrer Ausgabenwirtschaft in den Vordergrund. Dabei ist davon auszugehen, daß die Gegenüberstellung von Bund und Ländern in jedem Falle auf seiten der Länder auch die Gemeinden und Gemeindeverbände  einschließt, für die ebenfalls der Grundsatz der selbstverantwortlichen Haushaltsführung im Rahmen der Bundes- und Landesgesetze gellen muß. Die zentrale Finanzwirtschaft des sogenannten Dritten Reiches, die aus Art. 8 der Weimarer Verfassung entwickelt worden ist, hat die selbstverantwortliche Finanzführung  der Länder und Gemeinden schließlich durch eine einheitliche Verwaltung der „Finanzmasse" und deren mehr oder minder schematische Verteilung an die „Bedarfsträger", die Länder und Gemeinden, ersetzt und das Finanzwesen bis zur letzten Gemeinde zu lenken versucht. Dabei hat sie aber den wirklichen und berechtigten Finanzbedarf an Ort und Stelle doch niemals zu ergründen versucht.
 

Bestimmung der Höhe der Ausgaben des Bundes durch den Umfang des Aufgabenbereichs

Die Höhe der Ausgaben- des Bundes einerseits, der Länder und ihrer Gemeinden andererseits wird je durch den Umfang ihrer Aufgaben bestimmt. Der Aufgabenbereich des Bundes wird durch das Grundgesetz festgelegt. Die Abgrenzung des Aufgabenbereichs der Länder und der Gemeinden ist nicht möglich; denn ihnen obliegt die Erfüllung aller Aufgaben die nicht durch das Grundgesetz dem Bund zugewiesen sind, unter Einschluß der neu auftretenden Aufgaben, deren Auswirkungen sich nicht von vornherein übersehen lassen.
 

Beschränkung des Bundes auf bestimmte, aber ausreichende Einkünfte. Gewährleistung der erforderlichen Einnahmequellen für die Länder und Gemeinden Aus der Beschränkung des Aufgabenbereiches und des daraus resultierenden Finanzbedarfs des Bundes ergibt sich folgerichtig sowohl eine Beschränkung des Bundes auf bestimmt umrissene, aber für die Erfüllung der gemeinschaftlichen Aufgaben ausreichende Einkünfte als auch die Notwendigkeit. den Ländern die für ihren Bedarf und den Bedarf der Gemeinden erforderlichen Einnahmequellen zu gewährleisten Im Bund und in den Ländern, aber auch in den Gemeinden muß gelten, daß die Vertretungsorgane, welche die Ausgaben bewilligen, auch die Bereitstellung der hierzu erforderlichen Einnahmen in eigener Verantwortung beschließen sollen. Das setzt voraus, daß die Länder und Gemeinden nicht auf bloße Dotationen im Rahmen eines Finanzausgleichs verwiesen werden.
 
Länder nicht Kostgänger des Bundes, Bund nicht Kostgänger der Länder

Keine starre Aufteilung der Deckungsmittel zwischen Bund und Ländern

Ebensowenig wie die Länder auf die Gnade des Bundes, darf der Bund auf die Gnade der Länder angewiesen sein. Wenn Bund und Länder leben sollen, muß jeder Teil über das verfügen können, was er für seine Lebenshaltung benötigt. Allerdings läßt sich wegen der wechselnden Höhe der notwendigen Ausgaben die Aufteilung der Deckungsmittel zwischen Bund und Ländern nicht starr festlegen. Soweit der Finanzbedarf des Bundes durch die ihm zugewiesenen quellenmäßigen Einkünfte nicht gedeckt werden kann, müssen die Länder für die Deckung des Bedarfs aufkommen, sei es, daß der Ausgleich durch Beitragsleistungen der Länder oder durch eine jährlich festzulegende Aufteilung einer gemeinsamen Einnahme des Bundes und der Länder erfolgt. Auf der anderen Seite ist dafür zu sorgen, daß Einnahmen, die der Bund zur Deckung seines Finanzbedarfes nicht oder nicht mehr benötigt, den Ländern und Gemeinden zugänglich gemacht werden.
 

Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit der Finanzmaßnahmen der Länder

Gleichwohl erfordert das Gesamtinteresse eine gewisse Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit der Maßnahmen der Länder auf finanziellem Gebiet. Über das hierfür erforderliche Maß der Vereinheitlichung ist eine einmütige Auffassung nicht erzielt worden (vgl. die Ausführungen zu Art. 38, 122 und 123).

Die Richtigkeit des in Art. 37 ausgesprochenen Grundsatzes ist allgemein anerkannt worden. Wie er zu verwirklichen sei, darüber sind die Meinungen teilweise auseinander gegangen.

Die Rechtsetzung des Bundes auf dem Gebiet des Finanzwesens
(vgl. Art. 38 des Entwurfs)
 

Ausschließliche Bundes-gesetzgebung über die Zölle


Vorranggesetzgebung des Bundes für Steuern

Hinsichtlich der Gesetzgebung auf dem Gebiet der Finanzen bestand im Verfassungskonvent Einmütigkeit darüber, daß der Bund die Gesetzgebung über die Zölle haben soll. Hier handelt es sich um eine ausschließliche Gesetzgebung des Bundes. Dies entspricht dem Vorbild der Weimarer Verfassung, in der gleichfalls die Gesetzgebung über das Zollwesen - und nur diese - zum Bereich der ausschließlichen Reichsgesetzgebung gehörte. Für alle übrigen bundesrechtlich zu regelnden Steuern ist, wie in der Weimarer Verfassung, Vorranggesetzgebung vorgesehen. Dies gilt auch für das Gebiet der Verbrauchssteuern; es ist unbedenklich, die Gesetzgebung über Verbrauchssteuern vom örtlich begrenzten Wirkungsbereich, für deren Erhebung insbesondere die Gemeinden in Frage kommen (z. B. Schlachtsteuer, Getränkesteuer), den Ländern zu überlassen, sofern eine bundesrechtliche Regelung nicht vorliegt. Das gleiche gilt für die Besteuerung von Umsatz und Verkehr (z. B. Vergnügungssteuer, andere Luxus- und Aufwandsteuern) und die Personalbesteuerung (z. B. Einwohnersteuer, Bürgersteuer).
 

Auseinandergehende Meinungen über den Umfang der Gesetzgebungsbefugnis des Bundes:

Bei der Abgrenzung der Vorranggesetzgebung des Bundes überwog im Verfassungskonvent die Auffassung, daß der Bund grundsätzlich die Gesetzgebung über die Verbrauchssteuern und die Steuern vom Umsatz und Verkehr sowie die Rahmengesetzgebung über die Steuern vom Einkommen und Vermögen haben solle. Im einzelnen ergaben sich jedoch folgende Meinungen:
 

a. hinsichtlich der Biersteuer

a) Eine Minderheit des Verfassungskonvents vertrat den Standpunkt, daß bei der Biersteuer nicht die Bundesgesetzgebung, sondern die Landesgesetzgebung zuständig sein solle. Diese Minderheit und einer der Sachverständigen legten im Ausschuß eingehend dar, daß die Biersteuer für Bayern angesichts des hohen Anteils Bayerns am Bierverbrauch auf Grund altherkömmlicher Verbrauchsgewohnheiten und angesichts der historischen Bedeutung der Biersteuer im bayerischen Staatshaushalt eine ganz besondere, mit den Verhältnissen in den übrigen Ländern nicht ohne weiteres vergleichbare Bedeutung hat. Ein bayerisches Gutachten zur Frage der Biersteuer ist diesem Bericht beigefügt. Die Mehrheit des Verfassungskonvents hat sich bei aller Würdigung der Bedeutsamkeit der vorgebrachten Argumente diesem Standpunkt nicht angeschlossen.
 

b. hinsichtlich der Erbschafts- und Schenkungssteuer, der Grunderwerbs- und Wertzuwachssteuer

b) Auch für die Erbschaft- und Schenkungsteuer, die Grunderwerbsteuer und die Wertzuwachssteuer vertrat eine Minderheit den Standpunkt, daß nicht die Bundesgesetzgebung, sondern die Landesgesetzgebung zuständig sein solle.

 

c. hinsichtlich der Steuern vom Einkommen und Vermögen

c) Bezüglich der Steuern vom Einkommen und Vermögen bestanden bei Beginn der Erörterung folgende Meinungen:
Die Mehrheit war im Ausschuß zunächst der Auffassung, daß die Gesetzgebung über diese Steuern zur Zuständigkeit des Bundes gehören solle mit dem Zusatz:
"Die Bestimmung der Steuer- und Hebesätze und der Freigrenzen kann innerhalb eines bundesgesetzlich festzusetzenden Rahmens den Ländern überlassen werden."

Die Minderheit vertrat den Standpunkt, daß lediglich
die Grundsätze über die Bewertung des Vermögens bei der Erhebung der Steuern vom Einkommen und Vermögen"
durch die Bundesgesetzgebung festgesetzt werden sollen; während im übrigen für die Steuergesetzgebung bei dieser Materie die Länder zuständig sein sollen.

Man einigte sich schließlich mit weit überwiegender Mehrheit auf den Vermittlungsvorschlag, die Gesetzgebung auf diesem Gebiet mit folgender Einschränkung dem Bunde vorzubehalten:
„Bei den Steuern vom Einkommen und Vermögen ist die Bestimmung der Steuer- und Hebesätze und der Freigrenzen innerhalb eines bundesgesetzlich festzulegenden Rahmens den Ländern zu überlassen.".

Lediglich zwei Mitglieder des Verfassungskonvents sprachen sich gegen diese Ein­schränkung und für eine einheitliche Bundeseinkommensteuer mit bloßem Zuschlagsrecht der Länder aus.
 

Einstimmigkeit über Vorranggesetzgebung des Bundes hinsichtlich bestimmter Gebiete

Einstimmigkeit bestand im Verfassungskonvent ferner darüber, daß dem Bund die Vorranggesetzgebung zustehen soll über
  die Grundsätze über die Bewertung des Vermögens bei der Erhebung von Steuern vom Grundbesitz und vom Gewerbebetrieb durch die Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände);
  die Vermeidung oder Beseitigung von Doppelbeteuerungen, den Ausgleich der Kriegs- und Nachkriegsschädenschulden sowie die Aufbringung der hierfür erforderlichen Mittel; den finanziellen Ausgleich unter den Ländern;
  den Aufbau der Steuerverwaltungsbehörden der Länder und das von ihnen anzuwendende Verfahren.

Die Vorranggesetzgebung des Bundes über den Aufbau der Steuerverwaltungsbehörden der Länder setzt allerdings voraus, daß die Finanzverwaltung Sache der Länder ist (vgl. die Ausführungen zu Art. 123).
 

 

VIERTES KAPITEL
DER BUNDESTAG
 

Echtes Parlament

1. Es bestand keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß in Form des Bundestags wieder ein echtes Parlament zu schaffen sei, welches unmittelbar vom deutschen Volk und nicht etwa von den Landtagen gewählt wird. Dieses Parlament soll den Hauptanteil an der Gesetzgebung erhalten und die Regierung soll von ihm abhängig sein. Es wirkt außerdem bei der Wahl des Bundespräsidenten mit.
 

Sicherungen gegen arbeitsunfähige Parlamente

2. Gegen die Gefahr, die ein arbeitsunfähiges Parlament bedeutet; sind folgende Sicherungen vorgesehen worden:
 

Wahlreform

a. Eine Hauptsicherung muß die Wahlreform bringen. Der Ausschuß wollte insoweit die Entscheidung für die Mehrheitswahl zwar nicht vorweg nehmen, sie ist aber dadurch angebahnt, daß die Wahl der Abgeordneten fest bestimmt ist. Auch soll das Wahlgesetz vorsehen können, daß Parteien, die weniger als 50 % der Stimmen erhielten, keinen Sitz erhalten und daß auf zusammengerechnete Reststimmen nicht mehr Sitze entfallen, als die Partei in den Wahlkreisen errungen hat.
 

Parteiengesetz

b. Die Parteien sind im Grundgesetz als Organe der politischen Willensbildung anerkannt. Ein besonderes Gesetz über ihre Rechtsverhältnisse wird vorgesehen. Das Grundgesetz selbst erklärt die Bildung von Parteien für frei. Nur das Verfassungsgericht kann Parteien, die sich nach der Art ihrer Tätigkeit die Beseitigung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zum Ziel gesetzt haben, für verfassungswidrig erklären; dabei kann es auch durch einstweilige Anordnungen einzelne beschränkende Maßnahmen treffen oder dazu ermächtigen. Ohne verfassungsgerichtliche Entscheidung können die Behörden gegen eine Partei nicht wegen Verlassungswidrigkeit einschreiten.
 

Notverordnungen

c. Einem etwaigen Versagen des Parlaments in der Gesetzgebung kann für die Regel nicht vorgebeugt werden. Es muß eben dann mit den vorhandenen Gesetzen ausgekommen werden. In Notfällen muß das Notverordnungsrecht aushelfen. Dieses ist aber nicht mehr dem Bundespräsidenten, sondern dem vom Parlament abhängigen Bundeskanzler zusammen mit dem Bundesrat anvertraut. Notverordnungen ergehen stets unter dem Vorbehalt der Bestätigung durch das Parlament.
 

Zeitliche Begrenzung des Rechts zur Regierungsbildung

d. Einem Versagen des Parlaments bei der Regierungsbildung wird dadurch entgegengewirkt, daß der Befugnis des Parlaments, bei Erledigung des Bundeskanzleramts den neuen Bundeskanzler zu bestimmen, zeitliche Grenzen gesteckt sind. Hierin war sich der Konvent einig. Während aber eine Minderheit bei fruchtlosem Fristablauf das Parlament kraft Gesetzes aufgelöst sein und diesen Vorgang sich gegebenenfalls beliebig oft wiederholen läßt, will die Mehrheit alsdann dem Bundespräsidenten die Möglichkeit geben, auf Vorschlag des Bundesrats, der eine Art Legalitätsreserve darstellt, eine vollgültige Regierung zu bilden. Ob der Präsident dies tun oder lieber die geschäftsführende Regierung weiter arbeiten lassen will, steht bei ihm. Auch eine vom Bundesrat vorgeschlagene Regierung ist in ihrem Fortbestand vom Parlament abhängig.
 

Nur konstruktive, keine obstruktiven Mißtrauensvoten

e. Die Abhängigkeit des Fortbestehens einer Regierung vom Parlament wird in einem entscheidenden Punkt ihrer Gefährlichkeit entkleidet. Das Parlament kann zwar jederzeit durch Mißtrauensvotum den Bundespräsidenten zwingen, den Kanzler zu entlassen. Bedingung ist aber, daß es gleichzeitig einen Nachfolger benennt. Eine bloße obstruktive oder Protestmehrheit ist also gezwungen, sich zunächst in eine konstruktive Mehrheit zu verwandeln.

Eine Minderheit hält es nicht für möglich, das Mißtrauensvotum in dieser Weise an die gleichzeitige Benennung des Nachfolgers zu binden. Das durch irgend ein Ereignis ausgelöste Mißtrauen müsse sich spontan auswirken können. Es lasse sich auch schwerlich eine Persönlichkeit zum Nachfolger vorschlagen, so lange der alte Kanzler noch vollgültig im Amt sei. Statt dessen wird empfohlen, das Mißtrauensvotum seine Wirkung verlieren zu lassen, wenn das Parlament nicht binnen bestimmter Frist einem neuen Kanzler sein Vertrauen ausspreche. Dem wird aber entgegengehalten, daß das nachträgliche Unwirksamwerden des Mißtrauensvotums eine juristische Fiktion sei, die gegenüber der Tatsache, daß die Regierung einmal vor der Öffentlichkeit gestürzt und ihr in aller Form das Mißtrauen bescheinigt worden ist, nicht ins Gewicht falle.

Eine kleine Minderheit verwirft die parlamentarische Abhängigkeit der Regierung ganz und wünschte ihre grundsätzliche Unabsetzbarkeit für die ganze Amtsperiode lediglich mit einer dem Art. 44 Abs. 3 S.2 der bayerischen Verfassung entsprechenden Einschränkung.
 

Verstärkter Einfluß des Parlaments auf die Bildung der Regierung, verringerter Einfluß auf den Sturz der Regierung, verglichen mit der Weimarer Verfassung

3. Allgemein ist hinsichtlich der Abhängigkeit der Regierung vom Parlament hervorzuheben, daß nach der vorgeschlagenen Lösung ein arbeitsfähiges Parlament allein über die Besetzung des Kanzleramts verfügt und nicht wie nach der Weimarer Verfassung in der Durchsetzung seines Willens noch vom Bundespräsidenten abhängt. Noch weniger hat der Präsident die Möglichkeit, wie im Weimarer System von sich aus einen Kanzler zu ernennen und ihn ohne das Vertrauen des Parlaments im Amt zu halten. Das Vertrauen der Parlamentsmehrheit ist ausreichend, aber auch unerläßlich für die Berufung zum Kanzler. Nach dem Weimarer System war es weder ausreichend noch unerläßlich. Statt dessen hatte das Weimarer System die destruktive Befugnis des Parlaments zum Sturz der Regierung übertrieben ausgedehnt. Für die nachträgliche Erkenntnis lag hierin einer seiner Hauptfehler.
 

Beschränkung des Auflösungsrechts

4. Die Selbstauflösung des Parlaments ist nicht vorgesehen. Auch die Auflösung durch den Bundespräsidenten soll nur in einem einzigen Fall möglich sein, nämlich dann, wenn das Parlament bei der Regierungsbildung versagt und hierauf der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundesrats eine Regierung berufen hat. Nach dem Minderheitsvorschlag tritt, wie erwähnt, bei fruchtlosem Ablauf der Frist zur Regierungsbildung im Falle der Erledigung des Bundeskanzleramtes automatische Auflösung des Parlaments ein.
 

Rechtskontrolle über die Untersuchungsausschüsse

Besonders erörtert wurden die Untersuchungsausschüsse, Art. 57. Ihre Feststellungen können, da sie in einem gerichtsähnlichen Verfahren getroffen werden, für den zur Verantwortung gezogenen Minister oder Beamten oder einen sonstigen Betroffenen empfindliche Wirkungen haben, Die Sachlichkeit eines solchen Ausschusses erscheint andererseits nicht immer gewährleistet, zumal da auch Untersuchungsausschüsse anteilig besetzt sind, also einer destruktiven Mehrheit extremer Parteien anheimfallen können. Der Konvent hält daher eine Rechtskontrolle für unerläßlich. Sie muß allerdings, um das Ansehen des Parlaments und die Funktionsfähigkeit der Untersuchungsausschüsse zu wahren, auf ein Minimum beschränkt bleiben. In Betracht kommen etwa grobe Verletzungen des Rechts auf Gehör, Druck auf Zeugen, willkürliche Beweisabschneidungen, Verletzung der Denkgesetze hei den vom Ausschuß gezogenen Folgerungen. Zur Entscheidung kann nur das Bundesverfassungsgericht berufen sein. Hält es die Rechtsbeschwerde für begründet, so kann es selbstverständlich weder eine nochmalige Verhandlung im Ausschuß anordnen noch selbst in der Sache entscheiden. Es hätte vielmehr lediglich darauf zu erkennen, daß die Feststellungen des Ausschusses nicht nach Vorschrift der Gesetze getroffen sind.

Eine Minderheit glaubte, denselben Zweck auch durch eine Bestimmung erreichen zu können, wonach Untersuchungsausschüsse lediglich „zur Sammlung und Prüfung von Materialien für die Gesetzgebung und zur Kontrolle der Gesetzmäßigkeit und Lauterkeit von Verwaltungsmaßnahmen von Bundesbehörden" eingesetzt werden können.

 

 

FÜNFTES KAPITEL
BUNDESRAT ODER SENAT
 

Zweikammersystem
Die beiden Lösungen

Es bestand Einigkeit darüber, daß neben dem Parlament eine weitere Kammer bestehen soll, durch die im bundesstaatlichen Gefüge das Element Land zur Geltung kommt. Keine Einigkeit bestand darüber, ob diese Kammer ein Bundesrat sein soll, d. h. eine Kammer aus Mitgliedern der Länderregierungen, oder ein Senat, d. h. eine Kammer aus unabhängigen Einzelpersonen. die von den Landtagen gewählt sind. Eine Überbrückung der Meinungsverschiedenheit war immerhin in zweierlei Hinsicht möglich. Einerseits wollen es die Vertreter des Senatsgedankens den Ländern ermöglichen; durch Landesgesetz einen engen Kontakt zwischen der Landesregierung und den Senatoren des Landes herzustellen. In Betracht käme hier wohl sogar ein Recht der Senatoren, an den Kabinettssitzungen teilzunehmen. Andererseits sollen nach der Bundesratslösung nur Regierungsmitglieder der Länder, also gleichfalls Vertrauenspersonen der Landtage, nicht etwa Länderbeamte, Bundesratsmitglieder und Stellvertreter von solchen sein können, und es ist außerdem darauf verzichtet, sie ausdrücklich an Instruktionen zu binden.

Im Einzelnen wurde Folgendes geltend gemacht:

A. Für die Lösung Bundesrat:
 

Bundesrat, im Unterschied zum Senat, keine bloße parteigespaltene Parallele zum Parlament

1. Eine Verfassung darf nicht an den vorhandenen Machtfaktoren vorbeigebaut werden. Die Länder, repräsentiert durch ihre Regierungen, sind Machtfaktoren. Sie müssen zur Willensbildung des Bundes herangezogen werden. Nur dann kommt der Bundeswille kraftvoll zur Erscheinung und ist einer innerlich mitgehenden Ausführung in den Ländern sicher, die man andernfalls als ungefragte Befehlsempfänger der hinreichend bekannten Bundesverdrossenheit überläßt. In einem Bundesstaat, in dem die Ausführung der Bundesgesetze Sache der Länder ist, gewährleistet allein die Bundesratslösung einen arbeitsfähigen Gesamtstaat.
 

Bundesrat, im Unterschied zum Senat, keine bloße parteigespaltene Parallele zum Parlament

2. In der Zusammensetzung des Bundesrats kommen; ebenso wie in einem Senat, die politischen Kräfte des Volkes zum Ausdruck. Während aber der Senat denselben Querschnitt wie das Parlament, nur auf höherer Ebene, darstellt, kommt der Bundesrat gewissermaßen durch Längsschnitte zustande. Soweit in den Ländern Koalitionsregierungen bestehen, leuchtet das unmittelbar ein. Aber auch wo nur eine Partei die Regierung stellt, werden die Entschließungen dieser Regierung doch von dem objektiven Gesetz ihrer Stelle geprägt, und die von ihr entsandten Mitglieder werden in Distanz zur Tagespolitik ihrer Partei die politischen Gesamtkräfte ihres Landes und seine dauernden Interessen zum Ausdruck bringen. Das Bundesratssystem sichert daher eine höhere Objektivität der zweiten Kammer gegenüber der laufenden Parteipolitik, als sie durch Senatoren gewährleistet sein könnte, auch wenn man deren individuelle Autorität und Unabhängigkeit hoch in Anschlag bringt.
 

Bundesrat als Sachverständigengremium

3. Das Bundesratssystem sichert der Gesetzgebung den Sachverstand der Landesregierungen und über die Ausschüsse, die nicht mit Regierungsmitgliedern beschickt zu sein brauchen, denjenigen ihrer Beamtenschaft.
 

Bundesrat als Organ der Vermittlung

4. Ein Bundesrat ist in einem Bundesstaat, in dem die Länder die Bundesgesetze ausführen, das unentbehrliche Vermittlungsorgan zwischen Bund und Ländern. Hier werden die Ausführungsbestimmungen zu den Bundesgesetzen beraten und beschlossen. Hier bringt die Bundesregierung Mängel zur Sprache, die bei der Ausführung allgemein hervorgetreten sind oder die sie in einem einzelnen Land festgestellt, aber in unmittelbarem Benehmen mit diesem nicht hat bereinigen können. Hier endlich wird schlimmstenfalls der Beschluß gefaßt, ein Land, das hartnäckig seine Bundespflichten versäumt, im Wege des Bundeszwanges zu ihrer Erfüllung anzuhalten. Ein Senat ist für diese Aufgaben einer geduldigen Staatsweisheit ungeeignet, da der für ihn geforderte senatoriale Typ sich zweifellos in erster Linie durch Leistungen auf dem Gebiete der Eloquenz wird legitimieren müssen.
 

Abkömmlichkeit und Ausstattung von Senatoren nicht gewährleistet

5. Schließlich kann in einem armen Land nicht damit gerechnet werden, daß genügend unabhängige Persönlichkeiten für die Tätigkeit im Senat abkömmlich sein werden. Die Tätigkeit wird den Senator voll m Anspruch nehmen. Er wird darum seinen Beruf insolange aufgeben müssen. Mit der Vergütung für ihn selbst ist es nicht getan. Er muß bei der Kompliziertheit der heutigen Gesetzgebung und der sonstigen politischen Aufgaben auch einen kleinen Arbeitsstab finanzieren können. Auch wenn der Gesamtaufwand hierfür im Rahmen der sonstigen öffentlichen Aufgaben nicht ins Gewicht fallen würde, kann doch, nachdem diese Frage selbst in den Vereinigten Staaten nicht voll befriedigend gelöst ist, eine solche Lösung im gegenwärtigen Deutschland erst recht nicht erwartet werden. Bei der Bundesratslösung steht dagegen den Bundesratsmitgliedern der Verwaltungsapparat ihrer Länder ohne weiteres zur Verfügung, so daß die gezeigte Schwierigkeit nicht entsteht.

6. Weiter wurde geltend gemacht:

Demokratische Legitimation des Bundesrats

a. Die Vertretung der Länder durch Mitglieder der Landesregierung ist durchaus demokratisch, da die Regierung aus der vom Volke gewählten Volksvertretung hervorgegangen ist und der ständigen Kontrolle der Volksvertretung unterliegt.
 

Politischer, nicht bürokratischer Charakter des Bundesrats

b. Der aus Mitgliedern der Länderregierungen gebildete Bundesrat ist keine bloße "Abstimmungsmaschine weisungsgebundener Ministerialbürokraten". Die in den Bundesrat entsandten Mitglieder der Landesregierungen stimmen nach ihrer freien Gewissensüberzeugung, aber aus der einheitlichen politischen Gesamtlinie heraus, die sie im Kabinett immer wieder selbst miterarbeiten und tragen, so daß die Freiheit ihrer Entschließung lediglich durch die kollegiale Zusammenarbeit im Kabinett, durch die innere Verpflichtung, den Landeswillen als solchen zu repräsentieren und das Bewußtsein der Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung ihres Landes begrenzt wird.
 

Wahrung der Vorzüge des senatorischen Prinzips im Bundesrat

c. In ihrer Entschließung prinzipiell freie, lediglich durch ihre Gliedstellung im Organismus ihrer Regierung und ihres Landes, nicht aber befehlsmäßig gebundene Mitglieder des Bundesrats besitzen alle potentiellen Vorzüge des senatorischen Typs und sind zweifellos geeignet an einer Versachlichung und Niveausteigerung des deutschen politischen Lebens in gleicher Weise wie echte Senatoren mitzuarbeiten. In dieser Weise werden die von echten senatorischen Kräften ausgehenden politischen Wirkungen in vollem Umfange erzielt, ohne daß die gerade unter dem Gesichtspunkt der institutionellen und funktionellen Verzahnung zwischen Bund und Ländern durch das Bundesratssystem gegebenen Vorzüge preisgegeben und die Gefahren einer parteipolitischen Gleichschaltung eines Senats mit dem Bundesparlament in Kauf genommen zu werden brauchen.
 

Geschichtliche Bewährung des Bundesratsprinzips

d. Es besteht bei allen Kennern der Verhältnisse Einmütigkeit darüber; daß sowohl der Bundesrat des Bismarckreichs als auch der Reichsrat der Weimarer Republik eine qualitativ hochwertige, vom Willen absoluter Sachlichkeit bestimmte Arbeit geleistet haben. Als der Reichstag im Jahre 1930 bereits funktionsunfähig geworden und weder zur Bildung einer parlamentarischen Regierung noch zur Durchführung seiner legislativen Aufgaben imstande war, war der Reichsrat noch voll arbeitsfähig und ist es bis zu seiner Auflösung im Jahre 1933 geblieben.

B. Für die Lösung Senat:
 

Demokratischer oder bürokratischer Stil

1. Das Bundesratssystem entspricht der deutschen verfassungsrechtlichen Entwicklung vom Bundestag der Wiener Kongreßakte zum Bundesrat der Bismarckschen Verfassung. Immer war die Ländervertretung eine Vertretung der Regierungen. Man darf jedoch nicht übersehen, daß sich in Ländervertretung System der instruierten Gesandtenversammlung eine gewisse Nachwirkung des monarchischen Prinzips manifestiert, die durchaus nicht demokratisch ist.

Die Entscheidung für das Senatssystem ist dagegen eine Entscheidung für den echten demokratischen Lebensstil, für die Regierung des Volkes durch das Volk. Wenn das Volk auf der Stufe des Landes durch den instruierten Beamten oder den Landesminister vertreten wird, so liegen hierin zwar viele Vorteile administrativer Natur (insbesondere qualifizierte Arbeit und Funktionsfähigkeit des Systems), aber auch der entscheidende Nachteil, daß in das demokratische System wieder ein bürokratisches Element hineingetragen wird, das bisher die echte freie Entfaltung und Konstituierung eines demokratischen Weltgefühls in Deutschland weithin verhindert hat. Das gilt auch für den vom Landesparlament gewählten Minister, der dem Bundesrat letzten Endes - nach allen bisherigen Erfahrungen - nicht mehr sein wird als der Advokat, der den Standpunkt seiner Bürokratie vertritt.
 

Qualifikation des Senators

2. Durch das Bundesratssystem wird mehr der sachverständige Beamte - im weitesten Sinne des Wortes - zur Geltung kommen, durch das senatoriale System dagegen an Stelle der Bürokratie der freie, innerlich gegenüber Staats- und Parteibürokratie unabhängige Bürger, der ältere Staatsmann, der auf lange Erfahrungen im Parteiwesen und in der parlamentarischen Regierungsmaschine zurückblicken kann und imstande ist, die politischen Probleme auf einer höheren Ebene miteinander zu verbinden. Werden für den Senator ein höheres Alter und bestimmte landesgesetzlich zu regelnde Qualifikationen (frühere Zugehörigkeit zum Landtag, zur Regierung usw.) verlangt und ein inniger Kontakt zur Landesregierung (durch gegenseitige Informationspflicht) hergestellt, so dürften alle sachlichen Voraussetzungen für ein Funktionieren des Senatssystems gegeben sein. So wird der Senator befähigt, nach eigenem Wissen und Gewissen die Vertretung des Elementes „Land" im Bund zu übernehmen, ohne durch ein Mißtrauensvotum des Landtages gezwungen zu sein, seine Haltung im Gesetzgebungsverfahren des Bundes im Landtag vertreten zu müssen. Es wird damit eine Entwicklung vermieden, für die im Länderrat in Frankfurt schon deutliche Anzeichen hervorgetreten sind. Es erscheint aber kaum erträglich, wenn die Maßnahmen der Bundesgesetzgebung in den einzelnen Parlamenten der Länder erneut durchberaten werden müßten und hierdurch eine weitere Komplikation und Belastung des öffentlichen Apparates herbeigeführt werden würde.
 

Bundesrat parteipolitisch mehr gebunden als Senat

3. Der Senat wird in sehr viel mehr Fällen gegen eine Gesetzesvorlage Einspruch einlegen und damit gegenüber der Regierung eine weit gewichtigere Kontrolle ausüben als ein Bundesrat, der als ein Kollegium von Ministern immer darauf bedacht sein wird, den Lauf der Geschäfte nicht zu stören und auf die innere Koalition in den Ländern Rücksicht zu nehmen. Gerade durch diese Rücksichtnahme auf die Koalition könnte aber das sachliche Element, das durch den Bundesrat so sehr gewährleistet erscheint, durch ein parteipolitisches Element eine außerordentliche Trübung erfahren. Der Senator wird dagegen weniger auf diese Funktionsfähigkeit als auf die Sache selbst Bedacht nehmen und sich auch nicht aus jenen Erwägungen davon abhalten lassen, wirklich Einspruch zu erheben. Es wird daher durch die Figur des Senators ein echteres dynamisches Verhältnis entstehen, als wenn sich Volksrat und Bundesrat. gegenüberstehen. Es entspricht aber mehr der Würde eines Volkes, sich dafür zu entscheiden, daß es vielleicht etwas weniger reibungslos regiert wird, sich dafür aber mehr selbst regieren kann.
 

Senat vertritt nicht Länder sondern das Element Land

4. Für einen Konfliktsfall in prinzipiellen Fragen scheint das Senatssystem ein funktionsfähigerer Apparat zu sein als der Bundesrat, da dieser eine Repräsentation der Teile gegen das Ganze ist, während der Senat eine Repräsentation des Ganzen vom Teile her, also eine Vertretung des Volkes auf der Stufe des Landes, des Elementes „Land" und nicht der einzelnen Länder als Gegenspieler des Ganzen darstellt.
 

Der senatoriale Typ

5. Das Senatssystem wird ein Mittel zur Personalisierung des Politischen sein und im Ergebnis einen traditionsgebundenen Personentyp schaffen, der durch die Wahl auf einer. längeren Zeitraum nicht nur gegenüber der Staatsbürokratie, sondern auch gegenüber den Landtagen und den Parteien eine wirkliche innere Unabhängigkeit erhält und damit in einem echten dialektischen oder polaren Gegensatz zur Parteibürokratie steht und letzten Endes zu einer Reform des deutschen Parteiwesens und des politischen Lebensstils überhaupt führen kann. Damit wird ein Typ geschaffen, der für die deutsche Politik besonders nützlich ist und gegenüber der Besatzungsmacht mit einer Autorität auftreten kann, die auf Grund des persönlichen Gewichts des Einzelnen ein Stück Über die rein formal gegenüber der Besatzungsmacht zugestandenen Autorität hinausgeht.
 

Bloßes Veto als Übergangslösung

6. Für die Geltungsdauer des Grundgesetzes soll - als Übergangslösung - noch nicht die volle Gleichberechtigung beider Kammern hergestellt werden; sondern das Veto des Senats durch eine qualifizierte Mehrheit des Bundestags überstimmbar sein.
 

Ewiger Senat

7. Wenn nach einer zu bildenden Tradition die Mitglieder des Senats in dem Kreis von Männern gesucht werden, die sich um das öffentliche Wohl bereits verdient gemacht und durch öffentliche Leistung ausgewiesen haben, und wenn weiterhin für die Auswahl nach Landesgesetz bestimmte besondere Qualifikationen aufgestellt werden, wird auch die Gefahr vermieden, daß der Senat ein Abbild des Bundestages ist und eine parteipolitische Gleichschaltung beider Häuser herbeigeführt wird. Um alle derartige Bedenken zu beseitigen, könnte erwogen werden, einen "ewigen" Senat zu bilden, der in regelmäßigen Abschnitten eine Teilerneuerung, etwa zu einem Drittel oder zur Hälfte, erfährt und für eine besondere Wahlperiode gewählt wird.
 

Einzelfragen zur Bundesratslösung An Einzelfragen wurden zur Bundesratslösung erörtert:
Stimmenzahl der Länder

1. Im Bundesrat ist die verschiedene Stärke der einzelnen Bundesmitglieder dadurch berücksichtigt, daß die Länder je nachdem 1, 2 oder 3 Mitglieder entsenden und die entsprechende Stimmenzahl haben. Die Verschiedenheit ist also geringer als nach der Weimarer Verfassung. Die Stimmenzahl liegt nicht endgültig fest, sondern es wird auch künftig jedes Land, das die Bevölkerungszahl von zwei Millionen überschreitet, eine zweite Stimme und nach Überschreiten der vierten Million eine dritte Stimme erhalten.

Die Gleichbehandlung aller, auch der kleinsten Länder, erschien schon deshalb nicht angezeigt, weil gleichen Rechten auch die gleiche Mitarbeit in den Ausschüssen entsprechen sollte, und kleine Länder dem nicht gewachsen sein können.
 

Nur Mitglieder von Landesregierungen als Bundesratsmitglieder

2. Mitglieder und stellvertretende Mitglieder des Bundesrats müssen Minister ihres Landes sein. Den Ländern bleibt es überlassen, ob sie Fachminister oder Sonderminister für Bundesangelegenheiten entsenden oder gegebenenfalls ein gemischtes System wählen wollen. Länder, in denen Staatssekretäre Regierungsmitglieder sind, können auch solche entsenden.
 

Bundesratspräsident

3. Über das Amt des Bundesratspräsidenten ergaben sich zwei verschiedene Meinungen. Die eine legt Wert darauf, das Amt möglichst wenig zu akzentuieren. Nach ihr soll den Vorsitz eines der Mitglieder des Bundesrats führen, das Präsidium soll jährlich wechseln, sofortige Wiederwahl nicht zulässig sein. Die laufenden Geschäfte in der Bundeshauptstadt hätte ein Generalsekretär wahrzunehmen. Nach der anderen Meinung bedarf das Element Land der Vertretung durch eine Persönlichkeit, die vom Einzelinteresse eines Landes losgelöst ist und ständig in der Bundeshauptstadt wohnt. Nur dann kann der Bundesratspräsident eine Rolle spielen, die der des Bundespräsidenten, Bundestagspräsidenten und Bundeskanzlers gleichwertig ist. Insbesondere erscheint es dieser Meinung unerträglich, daß der Bundesratspräsident durch das Mißtrauensvotum seines heimischen Landtags gestürzt werden kann. Es soll daher der Bundesratspräsident nicht nur aus der Zahl der Bundesratsmitglieder, sondern auch durch Zuwahl gewählt werden können, und ein zum Präsidenten gewähltes Bundesratsmitglied soll damit als Vertreter seines Landes und Mitglied der heimischen Landesregierung ausscheiden. Beide Lösungen sind als Varianten in den Text der Hauptfassung aufgenommen.

Sofern das Amt des Bundespräsidenten dauernd oder einstweilen vom Bundesratspräsidenten oder einem Kollegium, dem er angehört, wahrgenommen werden sollte, kommt nur die zweite Lösung in Betracht, da selbstverständlich das Bundesoberhaupt oder ein Teil desselben keinesfalls durch das Mißtrauensvotum eines Landtags darf gestürzt werden können.

Volle Einigkeit bestand darüber, daß die Lösung der Weimarer Verfassung, die dem Reichsrat das eigene Präsidium vorenthielt und den Vorsitz einem Reichsminister überließ, nicht mehr angemessen erscheint.
 

Mitwirkung bei der Gesetzgebung

4. Bei der Gesetzgebung muß der Bundesrat nach der Auffassung der Mehrheit innerhalb der Vertreter der Bundesratslösung dem Bundestag gleichberechtigt sein. Bei Gesetzen, die das föderative System verschieben, wird erhöhte Mehrheit verlangt. Gesetze, die einen bundeseigenen Verwaltungsunterbau einführen, sind nur bei einstimmiger Annahme im Bundesrat zulässig. Erst recht bedarf es der einstimmigen Annahme im Bundesrat bei solchen Gesetzen, die das Grundgesetz abändern und dabei seine föderative Grundlage verlassen.

Nach der Variante tritt der Bundesrat gegenüber dem Bundestag zurück. Er ist auf ein überwindbares Veto beschränkt. Sofern er allerdings sein Veto mit Zweidritteltmehrheit beschließt, kann es auch im Bundestag nur mit Zweidrittelmehrheit überwunden werden. Hierin deckt sich der Entwurf mit der Empfehlung des Deutschen Volksrats.

Bei Gesetzen, die das föderative System verschieben, ist dem Bundesrat das volle Zustimmungsrecht vorbehalten. Bei solchen Gesetzen, die durch Einführung eines bundeseigenen Verwaltungsunterbaues das föderative System besonders stark berühren, wird qualifizierte Mehrheit, bei solchen, die es ganz aufgeben, einstimmige Annahme im Bundesrat verlangt. Letzterenfalls treten die sonstigen Erfordernisse einer Verfassungsänderung hinzu.
 

Notverordnungen

5. Bei Notverordnungen steht der Bundesrat im Vordergrund, da hier von der Situation auszugehen ist, daß der Bundestag entweder arbeitsunfähig oder nicht versammelt ist und seine Einberufung nicht abgewartet werden kann oder überhaupt auf Schwierigkeiten stößt. Die Regierung bedarf demgemäß zu einer Notverordnung der Zustimmung des Bundesrats, während es dem Bundestag überlassen ist, sie durch positiven Beschluß wieder außer Kraft zu setzen.
 

Ausführung der Bundesgesetze

6. Bei der Ausführung der Bundesgesetze, soweit sie Ländersache ist, ist der Bundesrat in erster Linie beteiligt, wie dies seiner schon erörterten besonderen Eignung gerade für diese Aufgabe entspricht. Außerdem wurde die Meinung vertreten, daß der Bundesrat auch dann ein Zustimmungsrecht zu Durchführungsverordnungen und allgemeinen Anweisungen der Bundesregierung haben müsse, wenn die Ausführung der Gesetze Sache einer bundeseigenen Verwaltung sei. Auch eine Gesetzesanwendung durch solche Behörden spiele sich in den Ländern ab und könne deren Interessen auf das tiefste berühren.
 

Mitwirkung bei der Regierungsbildung

7. Bei der Regierungsbildung kommt der Bundesrat nur als Legalitätsreserve zum Zug, wenn der Bundestag bei der Wiederbesetzung des erledigten Bundeskanzleramtes versagt hat. Ein Benennungsrecht wie dem Bundestag steht dem Bundesrat nicht zu; der Bundespräsident ist an seinen Vorschlag für das Kanzleramt nicht gebunden.
 

Mitwirkung bei der Wahl des Bundespräsidenten

8. Bei der Wahl des Bundespräsidenten ist der Bundesrat gleichberechtigt mit dem Bundestag beteiligt. Tritt hierbei die besondere Versammlung aus beiden Häusern zusammen (Art. 75. Abs. 2), so stimmen dort die mehreren Bundesratsmitglieder eines Landes unabhängig voneinander ab.

 

 

SECHSTES KAPITEL
BUNDESPRÄSIDENT ODER BUNDESPRÄSIDIUM
 

Die Erwägungen des Konvents

Die Mehrheit spricht sich für den Bundespräsidenten als Institution aus, wenn sie auch großenteils der Ansicht ist, daß das Amt des Bundespräsidenten wegen der Beschränkung des neuen Gebildes auf die westlichen Besatzungszonen sowie im Hinblick auf die gegenwärtige Form der Besatzungsherrschaft vorläufig noch nicht besetzt werden kann. Für die Übergangszeit schlägt die Mehrheit daher vor, daß die Funktionen des Bundespräsidenten vorübergehend von dem Präsidenten des Bundesrats wahrgenommen werden. Demgegenüber war freilich auch die Ansicht vertreten, daß gerade das Besatzungsregime eine baldige Besetzung des Bundespräsidentenamtes besonders erwünscht erscheinen lasse.
 

Die Vorschläge

Es wird vorgeschlagen, daß die Funktionen des Bundespräsidenten zunächst durch den Präsidenten des Bundesrats wahrgenommen werden (Art. 143). Gegenüber dieser Ansicht der Mehrheit hat sich eine Minderheit überhaupt gegen einen Bundespräsidenten ausgesprochen. Nach ihrem Vorschlag sollen die sonst einem Staatsoberhaupt zukommenden Funktionen durch ein Dreierkollegium ausgeübt werden, das aus den Präsidenten des Bundesrats und des Bundestags sowie dem Bundeskanzler besteht.
 

Kein plebiszitärer, aber auch kein repräsentativer Bundespräsident

Wenn die Mehrheit sich für die Institution des Bundespräsidenten ausgesprochen hat, so glaubt sie doch, daß der Bundespräsident auf keinen Fall die starke Position haben darf, die der Reichspräsident der Weimarer Verfassung gehabt hat. Sie hält es jedoch andererseits nicht für vertretbar, den Bundespräsidenten allein auf eine Wahrnehmung der mehr formalen Funktionen des Staatsoberhauptes zu beschränken. Mit dem Entwurf wird vielmehr der Vorschlag unterbreitet, den Bundespräsidenten als ein echtes pouvoir neutre in die Lage zu versetzen, eine ausgleichende Wirkung zwischen den verschiedenen Organen des Verfassungsaufbaus auszuüben.
 

Unterschied gegenüber der Weimarer Verfassung

Von dem Reichspräsidenten der Weimarer Verfassung unterscheidet sich der nach dem Entwurf vorgesehene Bundespräsident dadurch, daß er nicht durch das Volk gewählt wird, daß ihm kein bestimmender Einfluß auf die Regierungsbildung eingeräumt ist und daß er auch nur in einem einzigen Fall das Recht zur Auflösung des Bundestags haben soll (Art. 88 Abs. 3). Darüber hinaus soll er weder ein Notverordnungsrecht haben noch bei der Bundesexekution mitwirken.
 

Typische Funktionen des Staatsoberhauptes

Die für den Bundespräsidenten nach dem Entwurf vorgesehenen typischen Funktionen eines Staatsoberhauptes bestehen in der völkerrechtlichen Vertretung (Art. 81), in der Ernennung und Entlassung der Bundesbediensteten und Bundesrichter (Art. 82) sowie in der Ausübung des Begnadigungsrechts (Art. 83).
 

Möglichst unabhängige Stellung des Bundespräsidenten

Um dem Bundespräsidenten auch ohne eine Wahl durch das Volk gegenüber den anderen Organen eine möglichst unabhängige Stellung zu geben, soll er durch den Bundestag und den Bundesrat gewählt werden. Dem gleichen Zweck dient die Bestimmung, daß seine Amtsdauer fünf Jahre beträgt und auf diese Weise nicht mit der Wahlperiode des Bundestags zusammenfällt. Einmalige Wiederwahl soll zulässig sein. Nach Ansicht einer Minderheit soll die Wiederwahl, unbegrenzt erfolgen können. Der auf diese Weise möglichst unabhängig gestaltete Bundespräsident soll in der Lage sein, erforderlichenfalls sowohl bei der Regierungsbildung wie bei der Gesetzgebung eine ausgleichende Wirkung auszuüben.
 

Ernennung des Bundeskanzlers

Die Ernennung des vom Bundestag benannten Bundeskanzlers durch den Bundespräsidenten ist an sich als ein bloßer Formalakt vorgesehen. Trotzdem soll der Bundespräsident - wenn auch nur mit einer aufschiebenden Wirkung - die Möglichkeit haben, Bedenken gegen die Person des vorgeschlagenen Bundeskanzlers auszusprechen. Hierfür ist die Form einer formellen Botschaft an den Bundestag vorgesehen. Der Bundestag soll jedoch in der Lage sein. auch gegenüber diesen Bedenken seinen Vorschlag durchzusetzen (Art. 87 Abs. 2).
 

Mitwirkung bei der Regierungsbildung

Für den Fall, daß sich im Bundestag keine Mehrheit für eine Regierungsbildung findet, ist ein Vorschlagsrecht des Bundesrats vorgesehen. Im Gegensatz zu der für den Bundespräsidenten verbindlichen Benennung eines Bundeskanzlers durch den Bundestag ist jedoch der Bundespräsident an diesen Vorschlag des Bundesrats nicht gebunden. In diesem Fall wird es dem Bundespräsidenten vielmehr überlassen, ob er den Kandidaten des Bundesrats zum Bundeskanzler ernennt oder ob er dem Bundestag bei seinen Bemühungen um eine Regierungsbildung weiter eine Chance geben will (Art. 88).
 

Recht zur Auflösung des Bundestages

Ernennt der Bundespräsident den Bundeskanzler auf Grund eines Vorschlages des Bundesrats, so soll er das Recht haben, den Bundestag, der sich als unfähig zur Regierungsbildung erwiesen hat, aufzulösen. Hierdurch sollen im Wege einer Neuwahl die parlamentarischen Spielregeln durch die Schaffung neuer Mehrheitsverhältnisse wieder hergestellt werden.
 

Ausfertigung der Gesetze

Bei der Gesetzgebung ist eine Mitwirkung des Bundespräsidenten zunächst in der Weise vorgesehen; daß die Gesetze durch ihn ausgefertigt werden. Wenn es sich hier auch im wesentlichen um einen Formalakt handelt, so wird dem Bundespräsidenten damit doch die erste Prüfung jedes Gesetzes auf sein verfassungsmäßiges Zustandekommen übertragen (Art. 109).
 

Mitwirkung bei der Gesetzgebung

Für den Fall der Variante des bei der Gesetzgebung völlig gleichberechtigten Bundesrats ist darüber hinaus eine nicht unwesentliche Mitwirkung des Bundespräsidenten bei der Gesetzgebung vorgesehen. Bei nicht übereinstimmendem Beschluß von Bundestag und Bundesrat soll der Bundespräsident hiernach die Möglichkeit haben, einen Konvent aus Vertretern beider Häuser einzuberufen. Auf Grund der Beratung in diesem Konvent hat dann in beiden Häusern eine nochmalige Beschlußfassung stattzufinden (Art. 104 Abs. 2).
 

Recht zur Einberufung des Bundestages

Eine weitere Einflußmöglichkeit auf das politische Leben des, Bundes ist dem Bundespräsidenten schließlich durch das Recht eingeräumt, daß er die Einberufung des Bundestages verlangen kann (Art. 56 Abs. 2).
 

Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler Anordnungen des Bundespräsidenten bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegen­zeichnung durch den Bundeskanzler oder den zuständigen. Bundesminister (Art 80).
 
Anklage vor dem Bundesverfassungsgericht

Wenn damit auch die Verantwortung für die Anordnungen des Bundespräsidenten übernommen wird, so ist doch vorgesehen, daß der Bundespräsident von dem Bundestag oder dem Bundesrat wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht angeklagt werden kann (Art. 85).
 

Vertretung

Die Vertretung des Bundespräsidenten soll ähnlich wie nach der Weimarer Verfassung dem Präsidenten des Verfassungsgerichts zustehen. Statt dessen wurde auch die Vertretung durch den Bundesrats präsidenten vorgeschlagen. Die erstgenannte Lösung kann zu Schwierigkeiten führen, wenn es zur Anklage des Präsidenten kommen sollte. Gerade bei einem solchen politischen Rechtsfall ersten Ranges würde dann der oberste Verfassungsrichter an der Ausübung seines Richteramtes verhindert sein, weil er nicht wohl bei einem Spruch (Urteil oder einstweilige Anordnung) mitwirken kann, durch den er selbst zum Nachfolger des Angeklagten wird.
 

Gegenvorschlag
Dreierkollegium statt Bundespräsident

Für den Vorschlag der Minderheit, die Funktionen des Staatsoberhauptes durch ein Dreierkollegium wahrnehmen zu lassen, das aus den Präsidenten des Bundestages und des Bundesrats sowie dem Bundeskanzler besteht, wurden folgende Gesichtspunkte geltend gemacht:
1) Praktisch verträgt es sich nicht mit dem provisorischen Charakter der zu schaffenden staatlichen Ordnung, sie mit einem Staatsorgan auszustatten, das vorwiegend die Aufgabe der Repräsentation nach außen hat. Eine solche kann nicht stattfinden, weil die auswärtige Politik wenigstens vorläufig Sache der Alliierten ist.
2) Grundsätzlich ist der Gedanke des pouvoir neutre überholt. Abgesehen davon, daß es in Krisenzeiten gefährlich nahe der Idee des Chef d 'Etat liegt, haben die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit bewiesen, daß in Grenzsituationen der Politik kein Präsident neutral über den kämpfenden Parteien stehen kann.
3) Konstruktiv ist es deshalb besser, die Dynamik des Staatsleben: auch an der obersten Spitze klar zum Ausdruck zu bringen. Deshalb ist es am besten, die drei Präsidenten der obersten Staatsorgane, denen eine gewisse Objektivität der Amtsführung zukommt, zu einem Kollegium zu vereinigen und unter einem regelmäßig wechselnden Vorsitzenden die staatsoberhauptlichen Funktionen wahrnehmen zu lassen.

Dieses Kollegium ist ein neues demokratisches Organ, das sich durch die Funktionen, die die Mitglieder hauptamtlich zu tragen haben, selbst kontrolliert. Es bedarf darum auch keiner Übernahme der parlamentarischen Verantwortlichkeit durch den Ministerpräsidenten oder einen Minister.

 

 

SIEBENTES KAPITEL
DIE BUNDESREGIERUNG
 

Bundeskanzler und Bundesregierung

Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern. In der Gestaltung der inneren Struktur der Bundesregierung folgt der Entwurf weitgehend der Weimarer Verfassung. Wie diese lehnt er die verschiedenen extremen Möglichkeiten der Organisation eines Regierungskörpers ab. Die Bundesregierung soll nicht wie in der Bismarckschen Verfassung durch eine absolut überwiegende Stellung des Bundeskanzlers bestimmt, aber auch weder auf dem reinen Kollegialprinzip der Schweizer Verfassung noch auf dem in verschiedenen deutschen Einzelstaaten vor 1918 üblichen Grundsatz der Selbständigkeit der Fachminister (Ressortprinzip) beruhen. Der Entwurf versucht vielmehr, im Anschluß an die Weimarer Verfassung diese drei Prinzipien in einer fruchtbaren Weise zu kombinieren. Danach soll der Bundeskanzler die Stellung eines Premierministers haben. Er - nicht die gesamte Bundesregierung - wird von dem Bundestag "benannt" und vom Bundespräsidenten ernannt und schlägt - dann seinerseits die Mitglieder seines Kabinetts dem Bundespräsidenten verbindlich vor. Vor allem soll er, wie der Reichskanzler der Weimarer Verfassung, die Richtlinien der Politik bestimmen. Damit erhält er „die Stellung eines nicht für die Einzelheiten, sondern für das Ganze verantwortlichen leitenden Staatsmannes" (Anschütz). Durch diese Prärogative des Bundeskanzlers soll die Festigkeit in der Führung der Politik des Bundes auch verfassungsmäßig verbürgt werden. Neben diesem als notwendig erachteten Vorrang des Bundeskanzlers soll die Bundesregierung nach dem Entwurf jedoch auch als Kollegium handeln (Art. 94 Abs. 2), und jeder einzelne Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung leiten.
 

Wahl des Bundeskanzlers durch den Bundestag

Eine bestimmende Einflußnahme des Bundespräsidenten auf die Regierungsbildung, wie sie der Reichspräsident der Weimarer Verfassung hatte, wurde einmütig abgelehnt. Es bestand vielmehr Einigkeit darüber; daß die Bundesregierung in ein möglichst enges Verhältnis zum Bundestag gebracht werden müsse und es daher zweckmäßig sei, den Bundeskanzler vom Bundestag wählen zu lassen. Eine Minderheit machte darüber hinaus geltend, daß der Bundesrat auch bei der Regierungsbildung dem Bundestag gleichberechtigt sein sollte.
 

Keine Regierung auf Zeit

Die Bundesregierung soll jedoch nicht nur in dieser Weise auf Grund einer Wahl des Bundeskanzlers durch den Bundestag gebildet werden, sondern grundsätzlich vom Vertrauen der Mehrheit des Bundestages abhängig bleiben. Der Ausschuß hat sich in seiner Mehrheit gegen den Gedanken einer Regierung auf Zeit ausgesprochen. Er verkennt dabei nicht die Gesichtspunkte, die von den Befürwortern einer Regierung auf Zeit gegenüber den Schwächen des parlamentarischen Systems geltend gemacht werden. Er ist jedoch der Ansicht, daß gerade für die deutschen Verhältnisse eine Regierung auf Zeit mit nicht geringen Nachteilen verbunden wäre, vor allem aber in Deutschland die Voraussetzungen nicht gegeben sind, die in den Staaten bestehen, die bisher gute Erfolge mit einer auf Zeit bestellten Regierung gemacht haben.
 

Korrekturen des parlamentarischen Systems

Wenn der Ausschuß sich daher auch grundsätzlich für das parlamentarische System ausgesprochen hat, so ist er doch der Ansicht, daß von diesem Grundsatz dann abgewichen werden muß, wenn die parlamentarischen Spielregeln selbst versagen. Zu diesem Zweck hat er zwei Korrekturen des reinen parlamentarischen Systems vorgeschlagen: Wenn im Bundestag binnen einer bestimmten Frist keine Mehrheit für eine Regierungsbildung zustande kommt, dann soll das Recht, dem Bundespräsidenten einen Bundeskanzler zur Ernennung vorzuschlagen, auf den Bundesrat übergehen (Art. 88). Andererseits soll der Bundestag eine im Amt befindliche Regierung durch sein Mißtrauensvotum nur in der Form stürzen, daß er den Bundespräsidenten unter gleichzeitiger Benennung eines Nachfolgers ersucht, den bisherigen Bundeskanzler zu entlassen (Art. 90). Mit beiden Bestimmungen wird der Versuch unternommen, den zwei Hauptschwächen des parlamentarischen Systems abzuhelfen, die besonders in der letzten Zeit der Weimarer Republik besonders in Erscheinung getreten sind.
 

Sicherung der Regierungsbildung

Mit Art. 88 des Entwurfs wird das Ziel einer Sicherung der Regierungsbildung verfolgt. Diese Bestimmung soll dazu beitragen, daß das Ansehen des neuen Bundestages nicht wieder in der gleichen Weise beeinträchtigt wird, wie es bei früheren deutschen Parlamenten infolge des immer wiederkehrenden Versagens bei der Regierungsbildung weitgehend der Fall gewesen ist. Nach dieser Bestimmung soll der Bundestag nur eine zeitlich begrenzte Chance zur Regierungsbildung haben. Ist er nicht in der Lage, diese Chance auszunutzen, dann soll auf die "Legalitätsreserve" des Bundesrats zurückgegriffen werden.
 

Sicherung der Regierungsexistenz

Mit Art. 90 des Entwurfs wird der Versuch unternommen, aus den Erfahrungen der Weimarer Republik zu einer Sicherung der Regierungsexistenz beizutragen. Die Praxis des parlamentarischen Systems der Weimarer Verfassung war dadurch gekennzeichnet, daß die Regierungsgeschäfte während langer Zeiträume durch geschäftsführende Regierungen wahrgenommen werden mußten. Dabei beruhten die Mehrheiten, die diesen Regierungen jeweils ihr Mißtrauen ausgesprochen hatten, überwiegend auf einer bloßen Übereinstimmung im Negativen und könnten daher nicht die - notwendigerweise positive - Grundlage für eine neue Regierungsbildung abgeben. Die Erfahrungen der Weimarer Zeit legen daher den Gedanken nahe, zur Wiederherstellung der echten parlamentarischen Spielregeln in das Grundgesetz Bestimmungen aufzunehmen, die eine Anwendung des Mißtrauensvotums nur durch eine zu konstruktiver Arbeit bereite Mehrheit zulassen, mit anderen Worten, den Mißtrauensbeschluß als einen Akt bloßer Obstruktion auszuschalten.
 

Bisherige Versuche in den Länderverfassungen

Zur Verwirklichung dieses Gedankens sind in den neuen deutschen Länderverfassungen bereits verschiedene Versuche unternommen worden. Nach einigen dieser Verfassungen soll der Rücktritt einer Regierung, der der Landtag das Mißtrauen ausgesprochen hat, erst rechtswirksam werden, wenn er einer neuen Regierung das Vertrauen ausspricht. Nach einer anderen Verfassung muß die Regierung bei Annahme eines Mißtrauensantrages zwar sofort zurücktreten; doch verliert das Mißtrauensvotum und damit der Rücktritt der Regierung seine Wirksamkeit, wenn nicht binnen 21 Tagen eine Neuwahl der Regierung erfolgt ist.
 

Kritik dieser Versuche

Das Problem ist. hier zweifellos richtig gesehen worden. Es bleibt jedoch fraglich, ob es auch schon in einer befriedigenden Form gelöst ist. Nach den erwähnten Länderverfassungen kann die nur im Negativen übereinstimmende Mehrheit des Parlaments nach wie vor die Waffe des Mißtrauensvotums anwenden. Es ist lediglich vorgesehen, daß der Rücktritt, den die Regierung auf Grund eines solchen Mißtrauensvotums erklären muß, erst mit der Bildung einer neuen Regierung rechtswirksam wird bzw. seine Wirksamkeit verliert, wenn es nicht innerhalb einer bestimmten Frist zu einer Neubildung der Regierung kommt. Der Unterschied gegenüber der Weimarer Verfassung scheint sich hiernach allein in einer begrifflichen Formulierung zu erschöpfen. Auch nach den erwähnten Länderverfassungen muß eine in aller Form "gestürzte" Regierung die Geschäfte weiterführen. Es wurde daher in den Beratungen des Konvents mit Recht die Frage gestellt, in welcher Weise die Stellung einer solchen Regierung gegenüber der geschäftsführenden Regierung der Weimarer Zeit allein durch die Klausel eines nicht rechtswirksam werdenden bzw. seine Wirksamkeit wieder verlierenden Regierungsrücktritts eine ins Gewicht fallende Stärkung erfahren könne.
 

Keine geschäftsführende Regierung mehr

Während einige Mitglieder auf die Möglichkeit eines spontanen Mißtrauensvotums nicht glauben verzichten zu können, hat die Mehrheit den Vorschlag gebilligt, der in Art. 90 des Entwurfs enthalten ist. Darnach soll nur eine positive Mehrheit, die einen neuen Bundeskanzler benennen kann, in der Lage sein, dem im Amte befindlichen Bundeskanzler ihr Mißtrauen auszusprechen. Nach diesem Vorschlag würde es keine „geschäftsführende" Regierung mehr geben. Eine einmal ernannte Regierung würde vielmehr solange als vollkommen „intakte" Regierung im Amte bleiben, bis sie von einer neuen Regierung abgelöst wird, die sich wieder auf eine echte Mehrheit im Bundestag stützen kann. Gegen diese Lösung wurde von einer Seite eingewendet; daß es nicht wohl möglich sei, einen neuen Bundeskanzler zu benennen, solange der alte noch im Amte sei. Ein solches Verfahren begünstige nur das politische Intrigenspiel.
 

Charakterisierung der Bundesregierung des Entwurfs

Die mit dem Entwurf vorgeschlagene Regelung läßt sich abschließend folgendermaßen charakterisieren: Die Bundesregierung kommt auf echt parlamentarische Weise zustande und kann, soweit eine zu konstruktiver Arbeit bereite Mehrheit vorhanden ist, auch jederzeit nach parlamentarischem Brauch gestürzt werden. Solange jedoch in dem Bundestag keine positive Mehrheit vorhanden ist und damit die parlamentarischen Spielregeln auch nicht funktionieren können, würde die mit dem Entwurf vorgeschlagene Bundesregierung im Ergebnis die Stellung einer Regierung auf Zeit haben. Damit stellt der in dem Entwurf gemachte Vorschlag den Versuch dar, das Prinzip einer parlamentarischen Regierung mit den Vorzügen einer auf Zeit bestellten Regierung zu verbinden, ohne jedoch einer konstruktiven Mehrheit, die sich in Opposition zu der im Amte befindlichen Regierung bildet, die Möglichkeit zum Sturze dieser Regierung und zur Übernahme einer neuen Regierung zu nehmen.
 

Rücktritt von Bundeskanzler und Bundesminister

Der Entwurf sieht vor, daß der Bundeskanzler und die Bundesminister zurücktreten können. Der Rücktritt des Bundeskanzlers erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Bundespräsidenten, der Rücktritt eines Bundesministers durch Erklärung gegenüber dem Bundeskanzler. Um jedoch zu verhindern, daß Mitglieder der Bundesregierung ohne weiteres ihr Amt im Stich lassen, ist vorgesehen, daß der zurücktretende Bundeskanzler oder Bundesminister verpflichtet ist, die Geschäfte bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiterzuführen, wenn er durch den Bundespräsidenten bzw. den Bundeskanzler darum ersucht wird (Art. 95).
 

Entlassung von Bundesministern

Andererseits muß der Bundeskanzler die Möglichkeit haben, die Entlassung eines Bundesministers herbeizuführen; der sich nicht an die von ihm festgelegten Richtlinien der Politik hält oder mit dem auf andere Weise Meinungsverschiedenheiten entstehen, die innerhalb des Kabinetts nicht beigelegt werden können. Um hier jedoch jede Willkür des Bundeskanzlers auszuschalten, sieht Art. 89 Abs. 3 vor, daß der Bundeskanzler, der dem Bundespräsidenten die Entlassung eines Bundesministers ohne dessen Antrag vorschlagen will, der Zustimmung des Bundestags bedarf. Selbstverständlich kann die Initiative zu der Entlassung eines einzelnen Bundesministers aber auch von dem Bundestag ausgehen. Maßgebend ist jedoch auch in diesem Fall die Entscheidung des Bundeskanzlers. Der Bundestag kann also zwar durch Benennung eines neuen Bundeskanzlers die gesamte Regierung stürzen (Art. 90), er soll jedoch nicht die Möglichkeit haben, einen einzelnen Minister aus der Regierung „herauszuschießen".
 

Keine Ministeranklage

Die Ministerklage hat sich als eine Einrichtung des konstitutionellen Regimes entwickelt, die in einem System mit parlamentarischer Verantwortlichkeit ihren eigentlichen Sinn verloren hat. Im Gegensatz zu dem Bundespräsidenten, gegen den nach dem Entwurf eine Anklage vor dem Verfassungsgerichtshof vorgesehen ist, hat der Ausschuß daher auf die Ministeranklage verzichtet.

 

 

ACHTES KAPITEL
DAS BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
 

Bundesverfassungsgericht als Teil der dritten Gewalt

Der Konvent hält es für angebracht, die Vorschriften über das Bundesverfassungsgericht zusammenzufassen. Dadurch soll die grundsätzliche Bedeutung dieser Institution hervorgehoben und die Gleichberechtigung dieses höchsten Organs der dritten Gewalt gegenüber den anderen Gewalten sichtbar gemacht werden.
 

Besonderes Verfassungsgericht oder einheitliches oberstes Gericht ?

Über die Frage, ob die Bundesverfassungsgerichtsbarkeit als Teil der obersten Bundesgerichtsbarkeit von einem einheitlichen obersten Bundesgericht ausgeübt oder ob für Verfassungsfragen ein besonderes Verfassungsgericht geschaffen werden soll, besteht keine einheitliche Meinung; diese Frage ist deshalb ausdrücklich offengelassen. Die im Konvent vertretenen Meinungen und die für sie angeführten Gründe sind wegen des Sachzusammenhangs in Kapitel XII im einzelnen festgehalten.
 

Erweiterung der Zuständigkeiten gegenüber der Weimarer Verfassung

Im Vergleich zum Staatsgerichtshof der Weimarer Verfassung soll das Bundesverfassungsgericht erweiterte Zuständigkeiten erhalten. Es ist oberste Instanz in Fragen des Bundesstaatsrechts und damit „Hüter der Verfassung" in wahrhaftem Sinn.
 

Zuständigkeitskatalog

Es erscheint zweckmäßig, einen umfangreichen Katalog, der keine neuen Zuständigkeiten schafft, sondern die im Grundgesetz verstreuten Bestimmungen über die Möglichkeiten der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts systematisch zusammenfaßt, aufzustellen, der folgende Fälle enthält:
  Die Entscheidung über Anklagen gegen den Bundespräsidenten, über Verfassungsstreitigkeiten zwischen obersten Bundesorganen oder in dem Grundgesetz mit eigenen Rechten ausgestatteten Teilen von solchen (z. B. Bundestagsmehrheit und -minderheit), über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern und zwischen den Ländern, über die Gültigkeit von Gesetzen auf Antrag eines Gerichts, über Meinungsverschiedenheiten, die im Gesetzgebungsverfahren entstehen können, über die Verfassungswidrigkeit von politischen Parteien, über die Gültigkeit von Wahlen zum Bundestag und über den Verlust der Mitgliedschaft beim Bundestag, über Beschwerden wegen Verletzung der durch das Grundgesetz gewährleisteten Grundrechte (sog. Verfassungsbeschwerden), über die Verwirkung bestimmter Grundrechte sowie über Beschwerden gegen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß. Darüber hinaus soll der Bundesgesetzgebung die Möglichkeit eröffnet werden, weitere Fälle dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung zuzuweisen.
 

Bindung der Gerichte und sonstigen Behörden an die Entscheidungen und Anordnungen des Bundesverfassungsgerichts. Gesetzeskraft

Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und seine zu ihrer Durchführung erlassenen Anordnungen sollen entsprechend der überragenden Stellung des Gerichts für alle Gerichte und sonstigen Behörden bindend sein. Soweit seine Entscheidungen die Nichtigkeit eines Gesetzes oder eines Teiles eines solchen feststellen, sollen sie Gesetzeskraft haben und wie Gesetze verkündet werden. Bestimmungen hierüber müssen nach Ansicht des Konvents unmittelbar geltendes Recht sein.
 

Regelung nur der wichtigsten Einzelheiten im Grundgesetz

Im übrigen wird das Grundgesetz seiner Natur nach nur die wichtigsten Einzelheiten zu regeln haben. Als solche werden angesehen: Die Bestellung der Richter und des Vorsitzenden unter Wahrung der Gleichberechtigung von Bundestag und Bundesrat, die paritätische Besetzung der Senate, der Ausschluß der Doppelmitgliedschaft beim Bundesverfassungsgericht und einem sonstigen höchsten Bundes­ oder Länderorgan und schließlich das Erfordernis bestimmter Qualifikationen für den Vorsitzenden und mindestens die Hälfte der Richter. Die weiteren Bestimmungen sollen durch ein Bundesgesetz getroffen werden, das sich insbesondere auch mit der Einrichtung des Gerichts und der näheren Ausgestaltung des Verfahrens zu befassen hat.

 

 

NEUNTES KAPITEL
DIE GESETZGEBUNG
 

Der Vorbehalt des Gesetzes

Im Hinblick auf die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit hält der Ausschuß es für erwünscht; an den Anfang des Abschnitts über die Gesetzgebung einen ausdrücklichen Vorbehalt des Gesetzes zu stellen. Der erste Artikel dieses Abschnitts beginnt daher mit den Worten: „Jede Ausübung der Staatsgewalt bedarf der Grundlage im Gesetz". Dieser Artikel bestimmt dann weiter, daß Rechte und Pflichten der Bürger nur durch Gesetz begründet werden können. Um die Mitwirkung des Gesetzgebers bei der Haushaltsgebarung zum Ausdruck zu bringen, ist in diesem Artikel auch noch die Vorschrift aufgenommen worden, daß der Bundeshaushalt durch Gesetz festgestellt wird (Art. 101).
 

Keine Übertragung der Gesetzgebungsbefugnis

Der Mißbrauch der Ermächtigungsgesetze hat es nahe gelegt, unmittelbar im Anschluß an die Bestimmung, daß die Bundesgesetzgebung durch Bundestag und Bundesrat (bzw. Senat) ausgeübt wird, ein ausdrückliches Verbot der Übertragung der Gesetzgebungsbefugnis in das Grundgesetz aufzunehmen. Mit diesem Verbot soll jedoch nur die Ermächtigung zum Erlaß von Gesetzen im eigentlichen Sinn ausgeschlossen werden. Es war daher festzusetzen, daß die Bundesregierung durch Gesetz ermächtigt werden kann, Rechtsverordnungen zu erlassen, sofern sichergestellt ist, daß Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung ausreichend im Gesetz bestimmt sind (Art. 102).
 

Träger der Bundesgesetzgebung

Es bestand Einigkeit darüber, daß Bundestag und Bundesrat (bzw. Senat) bei der Gesetzgebung des Bundes zusammenzuwirken haben. Lediglich hinsichtlich der Form dieses Zusammenwirkens standen sich zwei Ansichten gegenüber. Während die eine in dem Bundestag den eigentlichen Träger der Gesetzgebung sieht und sich für eine Mitwirkung des Bundesrats an der Gesetzgebung in Anlehnung an die Form aussprach, die der Reichsrat nach der Verfassung von Weimar gehabt hat, verlangte die andere die völlige Gleichberechtigung beider Gesetzgebungsorgane.
 

Gesetzesinitiative

Es bestand jedoch Einigkeit zwischen beiden Richtungen, daß die Gesetzesinitiative bei der Bundesregierung, dem Bundestag und dem Bundesrat (bzw. dem Senat) liegen solle (Art. 103). Soweit es sich um Gesetzesvorlagen der Bundesregierung handelt, werden diese nach Beschlußfassung in der Bundesregierung vom Bundeskanzler eingebracht. Dabei bestimmt die Bundesregierung darüber, ob ihre Vorlagen zuerst in einem der Häuser oder gleichzeitig in beiden beraten werden sollen. In die 3. Variante war noch die Bestimmung aufzunehmen, daß der Bundesrat seine Vorlagen mit einfacher Mehrheit beschließt, sofern nicht nach den folgenden Bestimmungen eine höhere Mehrheit erforderlich ist.
 

Der Gang der Gesetzgebung:
a) bei Gleichberechtigung von Bundestag und Bundesrat

Nach der 1. Variante kommt ein Bundesgesetz allein durch übereinstimmenden Beschluß beider Häuser zustande. Für den Fall, daß kein übereinstimmender Beschluß erzielt wird. ist hier die bereits begründete Möglichkeit vorgesehen, daß der Bundespräsident eingreift und eine Versammlung von Vertretern beider Häuser einberuft, nach deren Beratung dann in beiden Häusern eine neue Beschlußfassung stattzufinden hat.
 

b) bei der abgeschwächten Bundesratslösung

Die 3. Variante sieht ein Gesetzgebungsverfahren vor, nach dem dem Bundesrat lediglich ein Einspruchsrecht gegenüber den vom Bundestag beschlossenen Gesetzen zusteht (Art. 104). Dieser Einspruch hat zunächst nur die Natur eines bloß aufschiebenden Vetos. Hat der Bundesrat seinen Einspruch jedoch mit zwei Dritteln der gesetzlichen Mitgliederzahl gefaßt so kann der Einspruch im Bundestag auch nur mit zwei Dritteln der gesetzlichen Stimmenzahl überstimmt werden. Ein Unterschied gegenüber der 1. Variante liegt auch noch darin, daß nach der 3. Variante die Gesetzesinitiative nur „vom" Bundesrat, nach der 1. Variante "aus seiner Mitte", also von jedem Bundesratsmitglied ergriffen werden kann.
 

c) bei der Senatslösung

Auch bei der Senatslösung (2. Variante) ist nur ein überwindbares Veto der zweiten Kammer vorgesehen.
 

Ausnahmen von der normalen Gesetzgebung

Außer den normalen Gesetzen unterscheidet der Entwurf:
1) Systemverschiebende Gesetze,
2) Gesetze, die das Grundgesetz ändern,
3) Gesetze, durch die von der bundesstaatlichen Grundordnung abgegangen wird,
4) Gesetze, durch die die freiheitliche und demokratische Grundordnung beseitigt würde.
 

Systemverschiebende Gesetze

Unter systemverschiebenden Gesetzen versteht der Entwurf Gesetze, durch die das bundesstaatliche Gefüge eine grundlegende Änderung erfährt. Die hier in Betracht kommenden Fälle werden erschöpfend aufgezählt (Art. 105):
1) Neuschaffung von Bundesoberbehörden,
2) Neuschaffung einer bundesunmittelbaren Selbstverwaltung,
3) Neuschaffung einer Weisungsbefugnis des Bundes gegenüber den Ländern,
4) Übernahme von Ausgaben für neue Zwecke auf den Bundeshaushalt,
5) Neuschaffung eines bundeseigenen Verwaltungsunterbaus.

Bei Erlaß systemverschiebender Gesetze erfährt die Stellung des Bundesrats gegenüber seiner Mitwirkung bei der normalen Gesetzgebung in den Varianten 1 und 3 eine wesentliche Verstärkung. Dabei ist im Hinblick auf die besonders starke Beeinträchtigung der Länder durch die Neuschaffung eines bundeseigenen Verwaltungsunterbaus bei der vorstehenden Ziff. 5 eine noch weitergehende Qualifizierung vorgesehen. Der Grad der Qualifizierung ist in beiden Vorschlägen verschieden. Nach der Variante 1, bei der schon das normale Gesetz nur durch übereinstimmenden Beschluß von Bundestag und Bundesrat zustande kommt, wird bei Ziff. 1-4 eine Zweidrittelmehrheit und bei Ziff. 5 die Einstimmigkeit des Bundesrats vorgesehen. Die Variante 3, die für die normale Gesetzgebung nur das Einspruchsrecht des Bundesrats vorsieht, verlangt bei den Ziffern 1-4 die Zustimmung der Mehrheit und bei Ziff. 5 die Zustimmung von zwei Dritteln der gesetzlichen Mitgliederzahl.
 

Gesetze, die das Grundgesetz ändern

Bei der Behandlung von Gesetzen, die das Grundgesetz ändern; stimmen die Varianten 1 und 3 wieder überein. Diese Gesetze bedürfen der Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern und außerdem der Annahme durch Volksentscheid. Beim Volksentscheid genügt jedoch nicht die bloße Mehrheit. Es wird vielmehr verlangt, daß am Volksentscheid mindestens die Hälfte der Stimmberechtigten teilgenommen und die Mehrheit der Abstimmenden sowohl insgesamt wie auch in der Mehrzahl der Länder für die Annahme gestimmt hat (Art. 106).

Gegen diese starke Erschwerung von Änderungen des Grundgesetzes sind von einigen Mitgliedern erhebliche Bedenken geltend gemacht worden. Vorgeschlagen wurde insbesondere, die Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern oder, den Volksentscheid je für sich genügen zu lassen, oder beim Volksentscheid wenigstens das Erfordernis, daß auch noch in der Mehrzahl der Länder die Mehrheit erreicht sein müsse, fallen zu lassen. Dieser Vorschlag erscheint jedoch mit dem Dokument I unvereinbar.
 

Vorherige Änderung des Textes

Um einer Wiederholung der Praxis von verfassungsdurchbrechenden Gesetzen, ohne formelle Änderung des Textes des Grundgesetzes, die nicht unwesentlich zur Entwertung der Weimarer Verfassung beigetragen hat, zu verhindern, ist in den Entwurf eine ausdrückliche Bestimmung übernommen worden, daß Anträge auf Gesetze, die mit dem Grundgesetz unvereinbar sind, erst dann zulässig sind, wenn zuvor ein besonderes Gesetz verkündet ist, das den Text des Grundgesetzes ent­sprechend ändert (Art. 106 Abs. 2).
 

Änderung der bundesstaatlichen Grundordnung

Gesetze, durch die von der bundesstaatlichen Grundordnung abgegangen wird, also etwa die Länder durch Provinzen ersetzt werden, sollen nach überwiegender Ansicht des Konvents durch den Entwurf nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Das für grundgesetzändernde Gesetze vorgesehene Verfahren wird hier aber auch von der Mehrheit nicht für genügend erachtet. Es wird vielmehr vorgeschlagen, daß solche Gesetze darüber hinaus der einstimmigen Annahme im Bundesrat bedürfen (Art. 106).
 

Keine legale Abänderung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung

Mit allem Nachdruck befürwortet der Konvent, daß solche Anträge auf Änderung des Grundgesetzes, die praktisch das Grundgesetz als solches vernichten würden, überhaupt für unzulässig erklärt werden. Unter Beiseitelassung des föderativen Grundelements, für das dieser letztgültige Rang nicht beansprucht werden soll, wird hierfür die Formulierung gewählt, daß Anträge auf Änderungen des Grundgesetzes. durch die die freiheitliche und demokratische Grundordnung beseitigt würde, unzulässig sind (Art. 108).
 

Entscheidung über das dem Grundgesetz gemäße Zustandekommen von Gesetzen

Meinungsverschiedenheiten darüber, ob ein Gesetz gemäß dem Grundgesetz zustande gekommen ist, sowie darüber, unter welche der eben erwähnten Bestimmungen ein Gesetzesantrag fällt, entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 110).
 

Gesamtwürdigung

Im Vergleich zum Üblichen ist in dem hier gemachten Vorschlag die Gesetzgebung stärker nach Gesetzesarten und den entsprechenden Zustimmungserfordernissen differenziert. Eine Minderheit sieht hierin eine Quelle von Verwirrungen und lehnt eine solche Mathematisierung schon aus Gründen der Faßlichkeit ab. Eine andere Minderheit hat dagegen noch eine zusätzliche Differenzierung vorgeschlagen, indem sie bestimmte Aufgaben zur unentziehbaren Länderangelegenheit erklärt sehen will. Es würde damit die Auffassung der Mehrheit, daß nur die freiheitliche und demokratische, nicht aber auch die föderative Grundordnung überpositives Recht ist, verlassen. Die Mehrheit glaubt, daß der von ihr vorgeschlagene Grad der Differenzierung eine brauchbare Mitte zwischen Starrheit und Labilität innehält, durch die das bundesstaatliche System gewährleistet ist, praktisch gebotene Verschiebungen innerhalb desselben aber nur mehr oder weniger schwer gemacht, nicht jedoch ausgeschlossen werden.
 

Ausfertigung von Gesetzen

Die gemäß dem Grundgesetz zustande gekommenen Gesetze sollen vom Bundespräsidenten ausgefertigt und auf seine Anordnung im Bundesgesetzblatt verkündet werden. Auch Rechtsverordnungen, die bisher oft unauffindbar waren, sind künftig im Gesetzblatt zu verkünden (Art. 109).
 

Notstandsrecht

Nach gründlicher Diskussion hat sich die Mehrheit für die Beibehaltung eines Notverordnungsrechts und für die Suspendierbarkeit der politischen Grundrechte durch Gesetz, äußerstenfalls auch durch Notverordnung ausgesprochen. Der gemachte Vorschlag bindet aber die Notstandsbefugnisse an enge Voraussetzungen, sichert tunlichst die Mitwirkung der demokratischen Organe und beugt Mißständen, die sich leicht mit der Notverordnungspraxis verknüpfen, nach Möglichkeit vor.
 

Voraussetzungen

Die Voraussetzungen für Notverordnungen sind wie üblich formuliert. Die Voraussetzungen für die Suspendierung der Grundrechte durch Gesetz oder Notverordnung sind gegenüber denjenigen für sonstige Notverordnungen dahin verschärft, daß der Bestand der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung oder diejenige des Bundes in Frage gestellt sein muß.
 

Zuständigkeit für Notverordnungen

Die Zuständigkeit ist dem Staatsoberhaupt (Bundespräsident) ganz entzogen. Eine Rückkehr zum System der Präsidialverordnungen vor 1933, die zuletzt von Kanzlern gegengezeichnet waren, die nie das Vertrauen des Parlaments erhalten hatten, verbot sich von selbst. Zuständig soll vielmehr die Bundesregierung sein, die der Zustimmung des Bundesrats, gegebenenfalls einer qualifizierten Zustimmung, bedarf. Abgelehnt wurde ein Vorschlag, auch noch die Zustimmung des ständigen Ausschusses des Bundestags zu verlangen. Dagegen wurde einstimmig gutgeheißen, daß die Notverordnungen nicht nur auf Verlangen des Bundestags außer Kraft zu setzen sind, sondern daß sie positiv der nachträglichen Zustimmung des Bundestags oder seines ständigen Ausschusses bedürfen, andernfalls nach einem Monat von selbst außer Kraft treten. Damit soll dem Aufkommen einer Denkweise im Parlament vorgebeugt werden, die die Regierung notwendige unpopuläre Maßnahmen treffen läßt, ohne selbst auch nur nachträglich die ausdrückliche Verantwortung zu übernehmen.
 

Suspension der Grundrechte nur befristet

Die Suspension der Grundrechte kann von vornherein nur befristet erfolgen. Auch vor Ablauf der Frist kann zudem der Bundestag oder sein ständiger Ausschuß suspendierende Notverordnungen jederzeit außer Kraft setzen, auch wenn er sie zunächst für notwendig gehalten und ihnen daher seine nachträgliche Zustimmung erteilt hat.
 

Die fünf suspendierbaren Grundrechte

Suspendierbar sind nur noch die politischen Grundrechte und das Postgeheimnis. Nicht mehr suspendierbar ist dagegen vor allem das Grundrecht der persönlichen Freiheit. Schutzhaftgesetze oder gar Schutzhaftverordnungen, die die richterliche Kontrolle über Festnahmen aufheben, sind also auch bei Staatsnotstand nicht mehr zulässig.
 

Notstandsrecht in den Ländern

Die Regelung des Notstandsrechts muß sich auf die Länder erstrecken. Es ist zwar Sache der Landesverfassungen, einschlägige Bestimmungen zu treffen. Für ein Notverordnungsrecht der Landesregierungen, das der vom Grundgesetz vorgeschriebenen Gewaltenteilung widerspricht, bedarf es aber der Zulassung im Grundgesetz selbst. Ebenso kann nur das Grundgesetz die Länder ermächtigen, Bundesrecht zu suspendieren. Die Ermächtigung ist in Form einer unmittelbaren Regelung erteilt, nach der ausschließlich die Landesregierungen zu einer auf 14 Tage befristeten Suspension befugt sind. Die Bundesregierung kann solche Suspensionen auch schon vorher aufheben.

Die Suspension von Grundrechten der Länderverfassungen, die nicht zugleich Bundesgrundrechte sind, wird von der Regelung im Grundgesetz nicht berührt.
 

Verlautbarung der Notstandsmaßnahmen Besondere Gefahr droht von der ungenügenden Verlautbarung des Notstandsrechts. Es ist daher nicht nur für die Verhängung, sondern auch für die Bestätigung, die Außerkraftsetzung und das automatische Außerkrafttreten in erster Linie die Verkündung im Gesetzblatt vorgeschrieben. Freilich muß anerkannt werden, daß das nicht immer möglich ist. Für diese Fälle wird auch eine andere Form der Bekanntgabe zugelassen, sofern sie gewährleistet, daß der genaue Wortlaut festgehalten wird. Es dürfen also die ausführenden Organe und die Bevölkerung z. B. nicht auf bloße Inhaltswiedergaben im Rundfunk angewiesen sein, es sind vielmehr bei Funkverlautbarungen wörtliche mehrmalige Wiedergaben zum Nachschreiben und entsprechende Formen bei der Bekanntgabe durch Lautsprecher, durch den ländlichen Ausrufer usw. zu verlangen. Die Verkündung im Gesetzblatt ist unverzüglich nachzuholen. Der Selbstkontrolle der Regierenden und der Kontrollierbarkeit durch das Volk dient schließlich die Vorschrift, daß suspendierte Grundrechte sowohl namentlich wie nach der Artikelzahl im Gesetzes- oder Verordnungstext aufzuführen sind.
 
Keine Wahlen während der Grundrechtssuspension

Eine zwingende Folgerung aus der Suspension der politischen Grundrechte ist das Unterbleiben von Wahlen während dieses Ausnahmezustandes. Es besteht Veranlassung, diese Folgerung ausdrücklich in das Gesetz aufzunehmen.

 

 

ZEHNTES KAPITEL
DIE AUSFÜHRUNG DER BUNDESGESETZE UND DIE BUNDESVERWALTUNG
 

Die 4 Formen der Ausführung der Bundesgesetze

1. Für die Ausführung der Bundesgesetze stehen vier Formen zur Verfügung, nämlich:
a) die Ausführung durch die Länder (Landesbehörden) als eigene Angelegenheit - landeseigene Verwaltung -;
b) die Ausführung durch die Länder (Landesbehörden) als vom Bund übertragene Angelegenheit mit Weisungsrecht des Bundes (der Bundesregierung) - Landesverwaltung nach Weisung -;
c) die Ausführung durch den Bund (Bundesbehörden) - bundeseigene Verwaltung -;
d) die Ausführung in Selbstverwaltung (durch Selbstverwaltungskörper des öffentlichen Rechts als Verwaltungsträger), die in unserem Jahrhundert sehr wichtig gewordene, in  Deutschland reich entwickelte Form der Dezentralisation durch Übertragung oder Überlassung öffentlicher (staatlicher) Verwaltungsaufgaben, hier von Bundesaufgaben, auf Körperschaften, Anstalten oder auch Stiftungen des öffentlichen Rechts, die unter Aufsicht des Bundes stehen - bundesunmittelbare Selbstverwaltung -.
 

Ausführung sonstigen Bundesrechts

2. Was für die Ausführung von Gesetzen des Bundes gilt, gilt auch für die Ausführung von Verordnungen des Bundes und sonstigen Bundesrechts.
 

Landeseigene Verwaltung

3. Die Ausführung von Bundesgesetzen ist grundsätzlich, soweit nicht das Grundgesetz anderes bestimmt oder zuläßt, eigene Angelegenheit der Länder. Für die landeseigene Verwaltung sollen folgende Grundsätze gelten:
  Durchführungsverordnungen zu Bundesgesetzen bedürfen der Zustimmung des Bundesrats (Senats).
  Die Länder regeln die Organisation der Behörden und das allgemeine Verwaltungsverfahren und Verwaltungsgerichtsverfahren. Die Regelung des Verwaltungsverfahrens schließt auch die Regelung der Zuständigkeit in sich; daß gegen Verfügungen oder Entscheidungen der Verwaltungsbehörden mindestens eine übergeordnete Verwaltungsbehörde oder ein Verwaltungsgericht (oder ein Gericht) angerufen werden kann, ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Verwaltungsrechts. Die landeseigene Verwaltung darf grundsätzlich weder durch Schaffung einer bundesunmittelbaren Selbstverwaltung noch mittels des sogenannten Dotationssystems ausgeschaltet werden, insbesondere muß die Einheit der allgemeinen und inneren Verwaltung gewahrt bleiben.
  Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder wird vom Bund überwacht (Bundesaufsicht). Bei der landeseigenen Verwaltung beschränkt sich die Bundesaufsicht auf die Gesetzmäßigkeit der Ausführung (Nichtanwendung oder unrichtige Anwendung von Bundesrecht). Dabei zählt sowohl die verfassungsmäßige Grundpflicht der Länder, die die staatsrechtliche Tradition als Pflicht zum bundesfreundlichen Verhalten bezeichnet, als auch die Einhaltung der Grenzen des Ermessens zu den gesetzlichen Maßstäben der Aufsicht.

In Ausübung der Bundesaufsicht kann der zuständige Bundesminister auch Beauftragte zu den obersten Landesbehörden und mit ihrer Zustimmung zu anderen Landesbehörden entsenden. Sollte den Ländern die Abgabenverwaltung im Bereich des Bundes zugewiesen werden, so wäre dem Bund hiefür ein erweitertes Bundesaufsichtsrecht in dem Sinne einzuräumen, daß das Bundesfinanzministerium zur Entsendung von Beauftragten zu den der obersten Landesbehörde untergeordneten Zoll- und Steuerbehörden keiner Zustimmung der obersten Landesbehörde bedarf. Dies müßte jedenfalls zulässig sein für Zölle und diejenigen Steuern, deren Aufkommen dem Bund zusteht. Es wäre dies aber auch ernsthaft zu erwägen für die weiteren Steuern, für die dem Bund nur das Recht der Gesetzgebung zusteht, Mängel, über die sich Bund und Länder nicht unmittelbar einigen, sind folgendermaßen zu behandeln: Der zuständige Bundesminister kann ohne weiteres die Landesregierung auffordern, den Mangel abzustellen. Er kann aber auch den Bundesrat mit der Sache befassen und von ihm eine Entscheidung darüber verlangen, ob die Mängelrüge berechtigt war oder nicht und gegebenenfalls dann die Landesregierung zur Abstellung des Mangels auffordern. In beiden Fällen bleibt das Recht beider Teile unberührt, das Bundesverfassungsgericht anzurufen.
 

Landesverwaltung nach Weisung

4. Die Landesverwaltung nach Weisung bringt eine gewisse Verwischung der Zuständigkeitsgrenzen zwischen Bund und Ländern und bedeutet zudem eine erhebliche Herabminderung der staatlichen Selbständigkeit der Länder. Diese Verwaltungsform ist daher im Entwurf des Grundgesetzes nur für die Fälle besonderen Bedürfnisses vorgesehen, insbesondere für die Verwaltung der vormaligen Reichswasserstraßen und unter Umständen für die Verwaltung der dem Bund zufließenden Abgaben. Die Schaffung einer neuen Landesverwaltung nach Weisung bedarf der Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit des Bundesrats. Für die Landesverwaltung nach Weisung sollen folgende Grundsätze gelten:
  Durchführungsverordnungen zu Bundesgesetzen bedürfen der Zustimmung des Bundesrats (Senats).
  Die Länder regeln die Organisation der Behörden im Rahmen der Bundesgesetze; dem Bund steht also das Organisationsrecht nur im Weg der Gesetzgebung, nicht der Organisationsverordnung der obersten Bundesbehörden zu.
  Der Bund (das zuständige Bundesministerium) hat hier statt der beschränkten Bundesaufsicht ein Weisungsrecht gegenüber den obersten und den ihnen nachgeordneten Landesbehörden. Das Bundesministerium kann nicht in die Besetzung der Landesbehörden eingreifen und hat keine Dienststrafgewalt. Im Entwurf des Grundgesetzes ist aber die Möglichkeit eines Eingreifens des Bundes zur Wahrung seiner Belange im Dienststrafverfahren und auch im Straf- und Verwaltungsgerichtsverfahren nach Maßgabe eines besonderen Gesetzes vorgesehen.
 

Bundeseigene Verwaltung

5. Die Verwaltungsform, die die Selbständigkeit. der Länder auf dem Gebiet: der Verwaltung ganz verdrängt, ist die bundeseigene Verwaltung. Sie soll nur aus zwingenden Gründen zur Anwendung kommen. Der Entwurf des Grundgesetzes sieht eine bundeseigene Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau nur für die Verwaltung auswärtiger Angelegenheiten sowie der Eisenbahnen und der Post vor. Außerdem sollen, abgesehen von den Bundesministerien, selbständige Bundesoberbehörden nur für bestimmte Verwaltungsaufgaben errichtet werden können. Entweder wäre ein Verzeichnis dieser Behörden dem Grundgesetz als Anlage beizugeben oder es wäre zu bestimmen, daß solche Behörden im Falle des Bedarfs für Angelegenheiten errichtet werden können, für die dem Bund die Gesetzgebung, zusteht. Die Schaffung neuer bundeseigener Verwaltungseinrichtungen bedarf der Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit des Bundesrats. Für die bundeseigene Verwaltung sollen folgende Grundsätze gelten:
  Durchführungsverordnungen erläßt die Bundesregierung oder der einzelne Bundesminister.
  Die Bundesregierung oder der einzelne Bundesminister regelt die Organisation durch Verordnung. Eine nachdrücklich vertretene Auffassung geht, hievon abweichend, dahin, daß zum mindesten solche Organisationsverordnungen der Zustimmung des Bundesrats (Senats) bedürfen sollen und daß der Aufbau und die Zuständigkeit von Bundesbehörden im grundsätzlichen durch Gesetz geregelt werden müsse; daß die Einrichtung der Bundesbehörden im einzelnen Sache der Bundesregierung sei, bestreitet auch diese Auffassung nicht. In diesem Zusammenhang ist aber auch noch auf die Einwirkungsmöglichkeiten hinzuweisen, die der Entwurf des Grundgesetzes auf dem Gebiet der Verwaltung eigens bietet: a) In der Mitwirkung des Bundesrats (Senats) bei der Aufstellung des Bundeshaushalts und der Prüfung der Bundesregierung, b) in der Verpflichtung der Bundesminister, den Bundesrat (Senat) über die Durchführung der Bundesgeschäfte auf dem laufenden zu halten und zur Beratung über wichtige Gegenstände den zuständigen Ausschuß des Bundesrats (Senats) zuzuziehen. Dazu kommt noch, daß der Bundespräsident. zur Ernennung und Entlassung der Bundesbediensteten der Zustimmung des Bundesrats (Senats) bedarf.

Für die Verwendung von Dienstkräften in der bundeseigenen Verwaltung soll außer der Übernahme des Art. 16 der Weimarer Verfassung mit einer bestimmten Einschränkung bestimmt werden, daß im Dienste des Bundes Beamte und sonstige Bedienstete aus den Ländern im angemessenen Verhältnis zu verwenden sind. Diese Bestimmung spricht eigentlich etwas Selbstverständliches aus. Ihre Aufnahme ist aber dadurch geboten, daß in der Vergangenheit nicht danach verfahren wurde.
 

Bundesunmittelbare Selbstverwaltung

6. Bei der bundesunmittelbaren Selbstverwaltung ist in erster Linie an bestimmte Träger der Sozialversicherung gedacht. Die Neuschaffung solcher Selbstverwaltungen bedarf besonderer Aufmerksamkeit der Länder, da sie ihr Recht auf Ausführung der Bundesgesetze praktisch außer Kraft setzt (vgl. hiezu oben die Ausführungen über Ausschaltung der landeseigenen Verwaltung durch Schaffung einer bundesunmittelbaren Selbstverwaltung). Die Schaffung einer neuen bundesunmittelbaren Selbstverwaltung bedarf daher der Zustimmung des Bundesrats (Senats). Für die bundesunmittelbare Selbstverwaltung gelten folgende Grundsätze:
  Durchführungsverordnungen zu Bundesgesetzen bedürfen der Zustimmung des Bundesrats (Senats).
  In diesem Zusammenhang ist auch eine für das Grundgesetz vorgeschlagene Bestimmung zu erwähnen, wonach Festsetzungen nicht nur der bundeseigenen oder vom Bund zu beherrschenden Verwaltungen und Unternehmen, die Tarife und Preise, Benützungs- und Belieferungsbedingungen regeln, sondern auch Festsetzungen bundesunmittelbarer Selbstverwaltungen über Beiträge und Leistungen und über die Voraussetzungen der Zugehörigkeit, der Zustimmung des Bundestags und des Bundesrats (Senats) oder von Ausschüssen derselben bedürfen soweit die Festsetzungen nicht im Wege der Gesetzgebung getroffen werden.
 

Bundeszwang

7. Bei hartnäckiger Weigerung eines Landes, seine Bundespflichten zu erfüllen, muß gegebenenfalls Bundeszwang gegen das Land stattfinden. Die Einleitung des Bundeszwangs ist Sache der Bundesregierung. Sie bedarf der Zustimmung des Bundesrats (Senats). Erwogen wurde, ob in der Sitzung des Bundesrats, in der ein solcher Beschluß zu fassen ist, der Bundespräsident selbst den Vorsitz führen solle. Die Zustimmung des Bundesrats erschien um so mehr erforderlich, als der Bund einstweilen waffenlos ist und daher zur Durchführung des Bundeszwangs, sei es im Wege von Sperren oder des Einsatzes von Polizeikräften, der Mitwirkung der Länder bedarf. Da der einmal beschlossene Bundeszwang keinesfalls schwächlich durchgeführt werden darf, ist dem Bund im Rahmen des Bundeszwangs das Weisungsrecht gegenüber aller. Ländern und ihren Behörden zugestanden.

Es war auch erwogen worden, ob nicht die besondere Regelung des Bundeszwanges vermieden werden kann, da doch alle Fälle von Meinungsverschiedenheiten und Streit zwischen Bund und Ländern in ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht münden und die Vollstreckung seiner Entscheidungen, notfalls eine einstweilige Verfügung derselben, zum gleichen Erfolg wie der Bundeszwang führen würde.
 

Ergänzende Bundesaufsicht durch die Bundesrechtspflege

8. Die bisher behandelte Form der Bundesaufsicht wird ergänzt durch die dem Bund eingeräumte Möglichkeit; solche Fälle von bundeswidrigem Verhalten, die sich wegen der Weitläufigkeit des Tatbestandes oder aus anderen Gründen dafür eignen, im gerichtlichen Einzelverfahren zum Austrag zu bringen. Zu diesem Zweck kann eine Bundesbehörde die Befugnisse der Anklagebehörde oder des Vertreters des öffentlichen Interesses vor den Gerichten der Länder ganz oder teilweise übernehmen und eine Streitsache, namentlich eine Dienststrafsache wegen Dienstvergehen gegen den Bund, im letzten Rechtszug vor das oberste Bundesgericht bringen. Hierdurch kann eine Entlastung der gewöhnlichen Bundesaufsicht und eine politische Neutralisierung der betreffenden Fälle, unter Umständen auch eine wirksamere Beruhigung der Öffentlichkeit, erreicht werden. Die Regelung tritt jedoch nicht schon vermöge des Grundgesetzes in Kraft, sondern bedarf noch eines besonderen Bundesgesetzes.
 

Schadensersatz bei Amtspflichtverletzungen

9. Als Artikel 120 ist den Bestimmungen über die Ausführung der Bundesgesetze ein dem Artikel 131 der Weimarer Verfassung nachgebildeter Artikel angefügt, wonach für Amtsverschulden der Bundesbediensteten der Bund schadenersatzpflichtig ist. Die Einbeziehung dieser Vorschrift auch in das neue Grundgesetz erschien sachgemäß, da ihr immerhin ein grundrechtartiger Charakter zukommt. Zu erwägen wäre, ob die Haftung des Bediensteten selbst gegenüber dem Verletzten nicht daneben bestehen bleiben sollte, da gerade in der persönlichen Haftbarkeit des Beamten gegenüber dem Bürger z. B. in den Vereinigten Staaten eine Hauptsicherung gegen Amtsmißbrauch erblickt wird.
 

Tragung der Verwaltungskosten

10. Die Frage der Tragung der Verwaltungskosten ist von wesentlicher Bedeutung bei der landeseigenen Verwaltung und bei der Landesverwaltung nach Weisung. Die Frage, ob und inwieweit eine Deckung oder Erstattung von Verwaltungskosten der Länder, die durch die Ausführung von Bundesgesetzen erwachsen, seitens des Bundes in Betracht kommt, insbesondere wenn für die Länder durch eine Neuregelung in einem Bundesgesetz recht beträchtliche Verwaltungskosten neu entstehen, konnte noch nicht näher geprüft werden. Der Entwurf hat eine solche Regelung der Kostenerstattung lediglich für die Landesverwaltung nach Weisung in positivem Sinn im Abschnitt über das Finanzwesen getroffen, obwohl gerade für das etwaige Hauptgebiet der Landesverwaltung nach Weisung, die Finanzverwaltung, eine Sonderregelung in den Bestimmungen über die Finanzverwaltung enthalten ist. Die Regelung der Kostenerstattung hätte daher im Bereich der Landesverwaltung nach Weisung zunächst nur Bedeutung für die Verwaltung der vormaligen Reichswasserstraßen wenn und soweit diese den Ländern übertragen werden sollte.

Eine ganz andere Frage von noch größerer finanzieller Tragweite für Länder und Gemeinden ist es, ob nicht im Grundgesetz die Zuweisung zusätzlicher Aufgaben oder Lasten an die Länder oder Gemeinden im Wege der Bundesgesetzgebung an die Voraussetzung geknüpft werden soll, daß den Ländern oder Gemeinden gleichzeitig die notwendigen Mittel zu erschließen sind.

 

 

ELFTES KAPITEL
DAS FINANZWESEN
 

 

Die Verteilung der finanziellen Aufgaben und Lasten zwischen Bund und Ländern
(vgl. Art. 121 des Entwurfs)
 

Finanzierungsaufgaben des Bundes

A. Aufgaben deren Finanzierung dem Bund obliegt, sollen nach dem Vorschlag des Verfassungskonvents insbesondere die folgenden sein:
1. die Kosten der Bundesverwaltung einschließlich der Kosten für eine Verwaltung, die die Länder nach den Weisungen des Bundes führen;
2. die Kosten der Besatzung und die sonstigen äußeren und inneren Kriegsfolgelasten;
3. die Lasten der Sozialversicherung mit Einschluß der Arbeitslosenversicherung und die Lasten der Arbeitslosenfürsorge, soweit die Sozialversicherungsträger Mittel des öffentlichen Haushalts in Anspruch nehmen müssen.

Es wurde angeregt, in Art. 122 das Wort „insbesondere" zu streichen und statt dessen zu versuchen, einen erschöpfenden Katalog der Aufgaben, die der Bund finanziert, zu erstellen.
 

Abweichende Auffassungen

B. Im einzelnen wurden folgende, zum Teil voneinander abweichende Auffassungen vertreten:
 

Bedenken gegen Beschränkung des Ersatzes der Verwaltungskosten der Länder durch den Bund auf den Fall der Auftragsverwaltung

a) Es wurden Bedenken erhoben, die Deckung von Verwaltungskosten durch den Bund an die Länder auf den Fall einer nach Weisungen des Bundes von den Ländern besorgten Verwaltung zu beschränken. In diesem Zusammenhang wäre noch zu erwägen, ob nicht durch eine Bestimmung des Grundgesetzes die Zuweisung zusätzlicher Aufgaben oder Lasten an die Länder oder Gemeinden im Wege der Bundesgesetzgebung an die Voraussetzung geknüpft werden soll, daß den Ländern oder Gemeinden gleichzeitig die notwendigen Mittel zu erschließen sind (vgl. Art. 124 Abs. 6 des Entwurfs).
 

Bedenken gegen volle Tragung der Besatzungskosten durch den Bund; nur Spitzenausgleich

b) Eine Minderheit äußerte Bedenken, ob die Kosten der Besatzung im vollen Umfang vom Bund getragen werden sollten. Es wäre besser, wenn diese Last von den Ländern getragen und der Bund nur für den Spitzenausgleich sorgen würde. Dadurch würde sichergestellt, daß nach Abminderung oder Wegfall der Besatzungskosten die finanzielle Entlastung unmittelbar den Ländern zugute kommt. Die Darlegungen unter c) gehen von der Voraussetzung aus, daß entsprechend der Auffassung der Mehrheit die Besatzungskosten im vollen Umfang vom Bund getragen werden.
 

Vorschlag des Ausschusses auf Grund einer Sachverständigen-schätzung der dem Bund zufallenden Lasten

c) Der Vorschlag des Ausschusses ist auf Grund einer eingehenden Erörterung mit. den Sachverständigen gemacht worden. Die Sachverständigen hatten dabei folgende Schätzung der dem Bund zufallenden Lasten vorgelegt. und zwar zu­nächst nur für das Gebiet der Bizone:
1. Kosten der Bundesverwaltung             DM    400 Mill.
2. Besatzungs- und Reparationskosten     DM. 3500 Mill.
3. Zuschüsse zur Sozialversicherung         DM    300 Mill.
                                                               DM. 4 200 Mill.
Dazu würden die aus den Erträgen des Lastenausgleichs zu finanzierenden, bisher von den Ländern getragenen Aufwendungen für kriegsursächliche Fürsorgelasten kommen, nämlich: die Renten der Körperbeschädigten, die Versorgungsbezüge der verdrängten Beamten, eines bestimmten Kreises der Wehrmachtsangehörigen usw., die Sozialrenten der Flüchtlinge, die Zuschüsse an Fürsorgeverbände zum Unterstützungsaufwand für Flüchtlinge und die Kleinrentnerfürsorge. Diese sind im Laufe der Diskussion von den Sachverständigen auf weitere 1 800 Mill. DM. jährlich geschätzt worden. Dazu kämen als ebenfalls aus dem Lastenausgleich zu finanzierende einmalige Entschädigung die Ansprüche der politisch Verfolgten (soweit die Mittel der Sonderfonds nicht ausreichen) sowie der Fliegergeschädigten. Die Sachverständigen schätzten diese Ansprüche ganz unverbindlich auf einen einmaligen Betrag von 2000 Mill. DM.
 

Bedenken gegen diese Schätzung

Ein Teil des Verfassungskonvents hielt diese Schätzungen der aus den Erträgen des Lastenausgleichs zu finanzierenden kriegsursächlichen Fürsorgelasten für zu niedrig, desgleichen die Schätzung der Zuschüsse zur Sozialversicherung in Höhe von 300 Mill. DM. Andererseits wurde zu der Frage, ob die laufenden kriegsbedingten Fürsorgeausgaben tatsächlich in den Lastenausgleich

Einbeziehung der laufenden kriegsbedingten Fürsorgeausgaben in den Lastenausgleich als einmaliger Vermögensausgleich.

einzubeziehen sein werden; nicht Stellung genommen. Sollte der Lastenausgleich auf einen einmaligen Vermögensausgleich beschränkt werden, so würde zu entscheiden sein, ob die laufenden kriegsbedingten Fürsorgeausgaben in voller Höhe auf den Bundeshaushalt zu übernehmen sind. Würde sich der Bund auf den Spitzenausgleich beschränken, so würden diese Lasten überwiegend in den Landeshaushalten verbleiben.

Legt man die Schätzungen der Sachverständigen zugrunde, so würden sich die laufenden Lasten allein bereits für die Bizone auf 4,2 + 1,8 = 6 Mrd. DM, oder für das Gebiet der 11 Länder auf mindestens 7 bis 7,5 Mrd. DM. jährlich stellen. Dabei muß ausdrücklich hervorgehoben werden, daß selbst diese Summe nur unter der Voraussetzung einer ganz erheblichen Verminderung der Besatzungskosten gegenüber dem heutigen Stand denkbar ist. Die Besatzungskosten für das letzte Jahr betrugen in der Bizone 4,3 Mrd. RM., in der französischen Zone etwa 1 Mrd. RM. Es bestand völlige Übereinstimmung unter den Sachverständigen und unter den Ausschußmitgliedern darüber, daß die Aufrechterhaltung der Besatzungskosten in der bisherigen Höhe zuzüglich der sonstigen Kriegsfolgelasten einen Lastenetat für den Bund ergeben würde, für den auch bei äußerster Ausschöpfung aller Steuerquellen unter keinen Umständen Deckung geschaffen werden könnte. Die Schätzung von 7 bis 7,5 Mrd. DM als Bundeslast für das Gebiet der 11 Länder ist auf der Annahme einer Senkung der Besatzungskosten auf etwa zwei Drittel der derzeitigen Beträge aufgebaut.
 

 

Die Verteilung der Einnahmequellen zwischen Bund und Ländern
(vgl. Art. 122 des Entwurfs)
 

Getrennte Einnahmequellen für Bund und Länder

Art. 122 schließt hinsichtlich der Verteilung der Einnahmequellen an den Grundsatz des Art. 37 an:
„Bund und Länder führen eine gesonderte Finanzwirtschaft."

Es bestand Einmütigkeit über das Ziel, diese gesonderte Finanzwirtschaft durch Zuweisung getrennter Einnahmequellen an Bund und Länder nach Möglichkeit so nu gestalten, daß weder der Bund Kostgänger der Länder ist, noch die Länder Kostgänger des Bundes sind.
 

Unbestrittene Einnahmequellen des Bundes

Einmütigkeit bestand im Verfassungskonvent ferner insoweit, als der Bund seine Ausgaben bestreitet aus:
1. den Ablieferungen der Bundesbahn, der Bundespost und des Fernmeldewesens,
2. seinen Verwaltungseinnahmen und Erwerbseinkünften,
3. dem Aufkommen der Zölle, der bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern, der Beförderungsteuer und der Versicherungsteuer.
 

Einnahmen aus dem Lastenausgleich für den Bund, falls ihm hier die Gesetzgebung und die Aufbringung der Mittel zukommt

Wenn dem Bund die Gesetzgebung über den Ausgleich der Kriegs- und Nachkriegsschäden sowie die Aufbringung der hierfür erforderlichen Mittel zugewiesen wird, so bedeutet dies, daß außerdem sämtliche Einnahmen aus dem Lastenausgleich an den Bund fallen.
 

Drei Auffassungen über die Zuweisung der Einnahmen aus der Umsatz-, Einkommen-, Körperschaft- und Vermögensteuer

Bezüglich der Zuweisung der Einnahmen aus der Umsatzsteuer sowie der Einkommen-, Körperschaft- und Vermögensteuer bestanden drei Auffassungen:

a) Ein Teil des Verfassungskonvents schlägt folgende Regelung vor:
„Soweit die Ausgaben des Bundes durch seine Einnahmen nicht gedeckt werden, sind sie aus dem Aufkommen der Umsatzsteuer zu decken. Der Anteil des Bundes an Aufkommen der Umsatzsteuer wird jährlich durch das Haushaltsgesetz festgelegt.
Soweit die Einnahmen des Bundes seine Ausgaben übersteigen, sind sie den Ländern je zur Hälfte nach dem Verhältnis ihrer Bevölkerungszahl und ihres Aufkommens an den Verbrauchsteuern des Bundes zu überweisen. Entsprechendes gilt für den Betrag, um den sich der Aufwand für äußere Kriegsfolgelasten in einem Rechnungsjahr gegenüber dem Aufwand im vorausgegangenen Rechnungsjahr gemindert hat."

Die Vertreter dieser Auffassung wollen also dem Bund einen Anteil am Aufkommen der Umsatzsteuer, und zwar im Bedarfsfall äußerstenfalls das ganze Umsatzsteueraufkommen, zuweisen. Der Ertrag der Umsatzsteuer würde hiernach gewissermaßen als Puffer zwischen der Finanzwirtschaft des Bundes und der der Länder wirken.

Dagegen soll das Aufkommen aus der Einkommen-, Körperschaft- und Vermögensteuer in voller Höhe den Ländern vorbehalten bleiben. Letzteres entspricht der Auffassung einer ganz überwiegenden Mehrheit, wonach bei den Steuern vom Einkommen und Vermögen die Bestimmung der Steuer- und Hebesätze und der Freigrenzen innerhalb eines bundesgesetzlich festzusetzenden Rahmens den Ländern zu überlassen ist (vgl. die Darstellung zu Art. 38).

Nach demselben Vorschlag sollen Rücküberweisungen aus den Steuereinnahmen des Bundes an die Länder stattfinden, wenn der Bund - insbesondere im Fall einer fühlbaren Senkung der Besatzungs-, Reparations- und Kriegsfolgelasten - auch nach völliger Abtretung des Ertrages der Umsatzsteuer an die Länder im Vergleich zu den Ländern noch zu reich finanziert erscheint.

b) Eine zweite Gruppe, deren Auffassung im Text des Gesetzentwurfs keinen Niederschlag gefunden hat, hält es für notwendig, das gesamte Umsatzsteueraufkommen dem Bund zu überlassen und darüber hinaus für den Bedarfsfall Beiträge der Länder an den Bund nach ihrer Steuerkraft vorzusehen.

Es wurde folgende Fassung vorgeschlagen:
„Soweit die Ausgaben des Bundes durch die Einnahmen nicht gedeckt werden, sind sie durch Beiträge der Länder nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit zu decken. Zur Feststellung der Leistungsfähigkeit der Länder dient vor allem das Aufkommen an Umsatzsteuer.
Soweit die Einnahmen des Bundes die Ausgaben übersteigen, sind sie den Ländern im Verhältnis ihrer Bevölkerungszahl au überweisen."

Auch diese Gruppe verlangt ebenso wie die erste die volle Überlassung dem Aufkommens der Steuern vom Einkommen und Vermögen an die Länder.

c) Eine dritte Gruppe schlägt vor, das gesamte Aufkommen der Umsatzsteuer sowie auch das Aufkommen der Steuern vom Einkommen und Vermögen ausschließlich dem Bund zuzuweisen, mit dem Zusatz:
"Die Länder dürfen innerhalb des bundesgesetzlich festgelegten Rahmens der Hebesätze Zuschläge zur Einkommensteuer erheben."

Gegen diese Auffassung wurde geltend gemacht, daß die Einkommensteuer wegen ihrer progressiven Tarife als Zuschlagsteuer nicht geeignet sei. Mit der Erhebung von Zuschlägen sei die Gefahr der Bildung von Steueroasen in besonders hohem Maß verbunden. Würden die Länder von dem Zuschlagsrecht praktisch keinen Gebrauch machen können, so besäßen sie nicht. eine einzige namhafte Steuer, deren Hebesätze die Landtage selbst beschließen könnten; denn die Erhebung der Realsteuern und einer roh bemessenen Personalsteuer müßten die Länder ihren Gemeinden überlassen. Die Länder besäßen also bei dieser Regelung praktisch kein parlamentarisches Steuerbewilligungsrecht, das die Grundlage der demokratischen Staatsform sei.

 

 

Die Finanzverwaltung
(Vgl. Art. 123 des Entwurfs)
 

Landeseigene Finanzverwaltung, auf die Länder übertragene Finanzverwaltung, bundeseigene Finanzverwaltung

In der Frage der Finanzverwaltung ist von Ziff. 2 des Art. 38 auszugehen, wonach dem Bund das Recht der Gesetzgebung zusteht, über „den Aufbau der Steuerverwaltungsbehörden der Länder und das von ihnen anzuwendende Verfahren". Diese Bestimmung legt bereits bis zu einem gewissen Grade fest, daß die Finanzverwaltung den Ländern übertragen werden soll; wenn die Zölle sowie die Steuern des Bundes und der Länder einheitlich von Bundesbehörden erhoben und verwaltet werden sollen, ist eine gesetzgeberische Einflußnahme des Bundes auf „den Aufbau der Steuerverwaltungsbehörden der Länder" sinnlos. Sie könnte auch entbehrt werden, wenn Bund und Länder je ihre eigenen Abgaben durch gesonderte Steuerbehörden erheben und verwalten.
 

Vier verschiedene Auffassungen:

a. Erhebung und Verwaltung der Zölle und der dem Bund zustehenden Steuern eigene Angelegenheit der Länder; insoweit besonders Überwachungsrecht des Bundes

Trotzdem ergaben sich vier verschiedene Auffassungen:

a) Eine Gruppe will die Erhebung und Verwaltung der Zölle und der dem Bund zustehenden Steuern den Ländern als eigene Angelegenheit zuweisen. Bei Überwachung des Vollzugs der Zollgesetze und der vom Bund erlassenen Steuergesetze soll dieser über die Befugnis des Art. 114 Abs. 2 Satz 2 hinaus das Recht haben Beauftragte auch ohne Zustimmung der obersten Landesbehörden unmittelbar zu allen Zoll- und Steuerbehörden zu entsenden. Die Beauftragten haben die Befugnis, auf Abstellung von Mängeln hinzuwirken. Sie haben sich aber jeder eigenen Verfügung zu enthalten. Es wird noch zu prüfen sein, ob diese erweiterte Überwachungsbefugnis nicht auf die Erhebung und Verwaltung der Zölle und derjenigen Steuern zu beschränken ist, deren Aufkommen dem Bund ganz oder teilweise zusteht.
 

b. Erhebung und Verwaltung durch die Länder für den Bund nach Weisungen des Bundes b) Nach einer zweiten Auffassung sollen die Länder für den Bund die Zölle und diejenigen Steuern, deren Aufkommen dem Bund Zusteht, erheben und verwalten; es handelt sich um eine nach Weisungen des Bundes zu führende Landesverwaltung.
 
c. Getrennte Verwaltungsführung von Bund und Ländern für ihre Abgaben

c) Eine dritte Auffassung, die im Text des Gesetzentwurfes keinen Niederschlag gefunden hat, geht dahin, daß Bund und Länder je für ihre Abgaben eine getrennte Verwaltung führen sollen. Die Verwirklichung dieser Auffassung würde wohl insbesondere bei der Umsatzsteuer Schwierigkeiten bereiten, sofern das Umsatzsteueraufkommen ganz oder teilweise dem Bund, das Aufkommen der Personalsteuern dagegen, den Ländern zufließen soll; denn die Veranlagung und Bewertung von Umsatz, Einkommen und Vermögen ist nur einheitlich durchzuführen.
 

d. Einheitliche Bundesfinanzverwaltung für Bundes- und Länderaufgaben

d) Eine vierte Gruppe schlägt vor, die Zölle und diejenigen Steuern, deren Aufkommen dem Bund oder den Ländern zufließt, einheitlich vom Bund verwalten zu lassen.

 

 

Das Haushaltsrecht des Bundes (Art. 124)
 

Haushaltswesen

Die Bestimmungen in Abs. 1, 2 und 3 entsprechen der Regelung in anderen Verfassungen. Abs. 4, 5 und 6 dienen der Sparsamkeit in der Führung des Bundeshaushalts.

 

 

Das Rechnungswesen des Bundes (Art. 125)
 

Rechnungslegung und Rechnungsprüfung

Rechnungslegung und Rechnungsprüfung sind gleichfalls in der üblichen Weise geregelt.

 

 

Das Schuldenwesen des Bundes (Art. 126)
 

Schuldenwesen Das Schuldenwesen des Bundes ist in Anlehnung an Art. 87 der Weimarer Verfassung geregelt.

 

 

Die Regelung finanzieller Festsetzungen im Bereich des Bundes (Art. 127)
 

Schutz der Wirtschaft gegen willkürliche Preis- und Tarifpolitik vom Bund geführter oder kontrollierter Betriebe und gegen willkürliche Beitragsfestsetzung der unter Bundesaufsicht stehenden Selbstverwaltungen

Diese Bestimmung bezweckt den Schutz der deutschen Wirtschaft vor einer willkürlichen Preis- und Tarifpolitik der Bundesbahn, der Bundespost und anderer vom Bund geführter oder kontrollierter Betriebe. Auch soll die Wirtschaft durch Art. 127 vor einer willkürlichen Beitragsfestsetzung der unter Bundesaufsicht stehenden Selbstverwaltungen geschützt werden.

 

 

ZWÖLFTES KAPITEL
DIE RECHTSPFLEGE
 

Eigener Abschnitt für die Rechtspflege

Der Konvent ist sich darüber einig, daß ebenso wie in der Weimarer Verfassung und sämtlichen neuen Länderverfassungen der Rechtspflege als dritter Staatsfunktion ein eigener Abschnitt zu widmen ist.
 

Wiederaufbau der Rechtspflege

Eine unabhängige, unpolitische und rein sachlich eingestellte Rechtspflege ist, ein besonders wichtiges Erfordernis und zugleich eine unentbehrliche Bürgschaft des Rechtsstaats. Auf diesem Gebiet hat das nationalsozialistische Regime ein großes Vertrauenskapital zerstört. Die schon in den Länderverfassungen in Angriff genommene Aufgabe, hier von Grund aus aufzubauen, muß im Grundgesetz fortgesetzt werden. Zum Teil handelt es sich darum, alte bewährte Grundsätze (Anspruch auf den gesetzlichen Richter, sachliche und persönliche Unabhängigkeit der Richter, nulla poena sine lege) wieder zu Ehren kommen zu lassen, zum Teil darum, neue Formulierungen zu finden, um früher unbekannten, in der nationalsozialistischen Zeit eingerissenen Mißbräuchen für die Zukunft den Boden zu entziehen (Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen, Anspruch auf rechtliches Gehör, Recht auf einen Verteidiger, ne bis in idem).
 

Gerichtshoheit der Länder und des Bundes. Grundsätzlich nur Oberste Bundesgerichte und nur für Fragen des Bundesrechts

An die Spitze des Abschnitts soll das Prinzip gestellt werden, daß die Gerichtshoheit grundsätzlich den Ländern zusteht. Eine Gerichtshoheit des Bundes ist nur in den Fällen gegeben, die durch das Grundgesetz selbst festgelegt sind. Grundsätzlich sind nur oberste Bundesgerichte und nur zur Entscheidung über Fragen des Bundesrechts zulässig.
 

Einheitliches oberstes Bundesgericht oder mehrere oberste Bundesgerichte ?

Meinungsverschiedenheiten bestehen darüber, ob ein einheitliches oberstes Bundesgericht für sämtliche Sachgebiete des Bundesrechts zu schaffen sei oder ob verschiedene oberste Bundesgerichte errichtet werden sollen. Für die erste Meinung wird vor allem angeführt:
  Konzentration der dritten Gewalt, um sie dem Volksbewußtsein einzuprägen und eine scharfe Trennung der Gewalten herbeizuführen;
  Zusammenhang der Materie;
  einheitliche Rechtsprechung;
  Vorbilder in der Schweiz und den Vereinigten Staaten.

Gegen diese Auffassung wird vorgebracht:
  Andere Voraussetzungen in Deutschland und Gegenvorbilder in Frankreich und  Großbritannien;
  Entstehung eines Übergerichts, daher zwangsläufige Aufsplitterung in Abteilungen oder Senate, so daß eine Einheit der Rechtsprechung auch nicht leichter zu erzielen sei als bei mehreren Gerichten;
  Förderung der Bundesfreudigkeit durch Sitz der Gerichte in verschiedenen Ländern (Beispiel: Reichsgericht in Leipzig).

Schließlich wird noch der Standpunkt vertreten, daß in dem Grundgesetz überhaupt nur das Bundesverfassungsgericht geregelt und die Möglichkeit zur Schaffung eines obersten Bundesgerichts für Zivil- und Strafsachen gegeben werden solle.
 

Einigkeit über Herbeiführung der Rechtseinheit Alle Meinungen sind sich aber einig im Ziel, daß möglichst bald eine Rechtseinheit herbeigeführt werden müsse.
 
Regelung durch Bundesgesetzgebung

Zum Ausgleich der widersprechenden Ansichten wird vorgeschlagen, die Zahl der Gerichte offen zu lassen und es dem Bundesgesetzgeber anheimzustellen, ein oder mehrere oberste Bundesgerichte zu schaffen.
 

Oberste Bundesgerichte nur als Spruchstellen

Von verschiedenen Seiten wird die Ausgestaltung der obersten Bundesgerichte lediglich als Spruchstellen für ausreichend gehalten. Das Wesen dieser Spruchstellen besteht darin, daß sie nur angegangen werden, wenn das oberste Gericht eines Landes von der Entscheidung eines obersten Gerichts eines anderen Landes oder, wenn über die Rechtsfrage bereits eine Entscheidung eines obersten Bundesgerichts ergangen ist, von dieser abweichen will. Die Entscheidung der Spruchstelle ist für das oberste Gericht eines Landes bindend. Hierdurch wird die Rechtseinheit in vollem Umfang gewahrt, aber die Überlastung und damit verbundene Aufblähung des obersten Bundesgerichts vermieden. In Würdigung dieser Gründe soll der Bundesgesetzgebung die Möglichkeit eröffnet werden, auch diesen Weg zu wählen.
 

Untere Bundesgerichte. Zuweisung von Entscheidungen über Landesrecht an oberste Bundesgerichte

Der Grundsatz, daß nur oberste Bundesgerichte und nur für Fragen des Bundesrechts zulässig sind, soll nur in genau begrenzten Fällen durchbrochen werden dürfen.

Untere Bundesgerichte sollen nur für (die wahrscheinlich seltenen) Verwaltungsstreitsachen gegen Bundesverwaltungsbehörden und für Dienststrafverfahren gegen Bundesbeamte errichtet werden können. Hier wird ein Unterbau für tragbar und notwendig gehalten, damit den Betroffenen nicht nur eine Instanz zur Verfügung steht. Es wird aber auch die Meinung vertreten, daß auf diese unteren Bundesgerichte verzichtet werden kann und Ländergerichte mit diesen Aufgaben betraut werden können.

Die Entscheidung über Landesrecht soll obersten Bundesgerichten durch Ländergesetze zugewiesen werden können. Diese Durchbrechung des Grundsatzes entspringt dem Wunsch einzelner neu gebildeter Länder, in denen ehemaliges einheitliches Landesrecht (z. B. preußisches), das auch in anderen Ländern weitergilt, noch anwendbar ist, für Fragen aus diesem Rechtsgebiet eine einheitliche letzte Instanz zu schaffen Hiergegen werden keine Bedenken erhoben.
 

Einschaltung von Bundesbehörden in Verfahren vor Ländergerichten

Letztes Mittel der Durchsetzung des Überwachungs- und allenfalsigen Weisungsrechts des Bundes gegenüber den Ländern ist der Bundeszwang, die aber nur auf die äußersten Fälle beschränkt werden soll. Deshalb soll es Bundesbehörden ermöglicht werden, sich in Verfahren vor Ländergerichten, namentlich in Dienstverfahren wegen Vergehen, gegen den Bund, einzuschalten.
 

Vorlagepflicht des Richters statt richterlichem Prüfungsrecht

Zur viel umstrittenen Frage des richterlichen Prüfungsrechts wird vorgeschlagen, dieses Recht aus praktischen Gründen (man denke beispielsweise an die Einzelheiten des parlamentarischen Werdegangs eines Gesetzes) nicht dem einzelnen Richter zu überlassen. Um aber eine gründliche Prüfung und zugleich die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu sichern, soll der Richter angewiesen werden, falls ihm Zweifel darüber auftauchen, ob ein Gesetz das Grundgesetz oder die Verfassung eines Landes verletzt oder ob ein Landesgesetz mit einem Bundesgesetz vereinbar ist, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (für Fragen des Bundesrechts) oder des Landesverfassungsgerichts (hinsichtlich einer Landesverfassung) anzurufen. Darunter soll auch der Fall begriffen werden, daß z. B. ein hessisches Gericht, für dessen Entscheidung es auf bayerisches Landesrecht ankommt und das dieses Recht mit der bayerischen Verfassung für unvereinbar hält, das bayerische Verfassungsgericht anrufen kann; dieser Fall kann durch die Länderverfassungen nicht geregelt werden.
 

Generalklausel für Verwaltungsrechtsstreitigkeiten

Notwendig erscheint es dem Konvent auch, von Verfassungs wegen zwingend die Generalklausel für Verwaltungsrechtsstreitigkeiten vorzuschreiben. Die Verwaltungsgerichte sollen aber nicht ausdrücklich erwähnt werden, weil die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden soll, eine einheitliche Gerichtsbarkeit für alle Sachgebiete zu schaffen oder etwa auch für Verwaltungsrechtsstreitigkeiten den ordentlichen Rechtsweg zu eröffnen.
 

Todesstrafe

Schließlich wurde im Zusammenhang mit den Grundrechten erwogen, ob in das Grundgesetz ein Verbot der Todesstrafe aufgenommen werden soll. Die Meinungen hierüber waren geteilt. Weil es sich um eine eminent politische Frage handelt, wurde beschlossen, sich auf die Anregung an den Parlamentarischen Rat zu beschränken, der Frage der Abschaffung der Todesstrafe, insbesondere in Bezug auf politische Delikte sein Augenmerk zuzuwenden.

 

 

DREIZEHNTES KAPITEL
ÜBERGANGS- UND SCHLUSSBESTIMMUNGEN
 

Rechtsbereinigung

Der Konvent hat sich bemüht, in das Gewirr von altem Reichsrecht (und zwar .sowohl von Reichsrecht mit räumlich unbeschränktem als auch mit räumlich beschränktem Geltungsbereich), ferner von Landesrecht nach dem 8. Mai 1945, von zonalem und von bizonalem Recht eine gewisse Ordnung für die Praxis zu bringen Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß das bestehende Recht weitergilt, soweit es nicht dem Grundgesetz widerspricht. Es muß jedoch klargestellt werden, ob das bestehende Recht als Bundesrecht fortgilt, also nur von der Bundesgesetzgebung nicht von der Landesgesetzgebung abgeändert werden kann, oder ob es als Landes­recht fortgilt, und daher vom Land geändert werden kann. Diese Klarstellung so­wie die Möglichkeit einer Entscheidung von Zweifelsfragen sollen durch die Art. 138 und 140 geschaffen werden. Die beiden Artikel werden in zwei Fassungen vorgelegt. Inhaltlich stimmen die beiden Fassungen überein. Sie gehen lediglich deshalb in der Textierung auseinander, weil im Ausschuß von der einen Seite eine übersichtlichere, wenn auch längere Formulierung für zweckmäßiger gehalten wird, während von der anderen Seite eine knappere, die einzelnen Fälle mehr zusammenfassende Formulierung bevorzugt wird. Die beiden Seiten sind sich über den Umfang der zu regelnden Fälle einig; jede Seite glaubt auch, daß in der von ihr gewählten Formulierung sämtliche möglichen Fälle erfaßt sind: Insbesondere wurde darauf hingewiesen, daß Art. 139 Abs. 5 der einen Fassung in Art. 139 Abs. 2 der anderen Fassung mitenthalten ist.
 

Fortgeltung als Bundesrecht

In sachlicher Hinsicht werden von beiden Seiten als Bundesrecht bezeichnet:
a) Gesetze und Verordnungen, die Gegenstände der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes betreffen;
b) Gesetze und Verordnungen, die Gegenstände der Vorranggesetzgebung des Bundes betreffen und Geltung über den Bereich eines Landes hinaus haben.
 

Fortgeltung als Landesrecht Dagegen werden als Landesrecht bezeichnet:
a) Gesetze und Verordnungen des Landes, die Gegenstände der Vorranggesetzgebung betreffen und nur im Landesgebiet gelten;
b) Gesetze und Verordnungen, die Gegenstände der Grundsatzgesetzgebung des Bundes betreffen.

Da es zu Unzuträglichkeiten führen würde, wenn im selben Gesetz Bundesrecht und Landesrecht enthalten wäre, erklärt Abs. 5 ein solches Gesetz einheitlich als Landesrecht.
 

Streit über Fortgeltung als Bundes- oder Landesrecht

In Art. 140 wird ein vereinfachtes Verfahren vorgeschlagen, Streit darüber zu. entscheiden, ob nach Art. 139 ein Gesetz oder eine Verordnung als Bundesrecht oder als Landesrecht fortgilt. Die Entscheidung soll der Bundesjustizminister im Einvernehmen mit einem Minister des Landes oder der Länder treffen, deren Recht betroffen wird. Die Regelung erscheint erforderlich, um durch eine derartige rasch zu schaffende Klärung schädliche Unsicherheit in Rechts- und Wirtschaftsleben zu beseitigen. Bundes- oder Landesinteressen werden bei dieser Regelung nicht verletzt, da die Entscheidung nur im Einvernehmen von Bund und Ländern erfolgen kann. Kommt eine Einigung zwischen Bundesjustizminister und Landesminister nicht zustande, so kann der Bundesjustizminister nicht entscheiden. In diesem Fall der Nichteinigung besteht jedoch die Möglichkeit, die Streitfrage vor dem Bundesverfassungsgericht auszutragen (Art. 44).

Eine Minderheit erhob Bedenken gegen Art. 140, weil er die Entscheidung die Frage, ob ein Gesetz auf der Bundes- oder Landesebene weitergelte, einem Verwaltungsorgane übertrage, also das Prinzip der Trennung der Gewalten verwische. Es wurde vorgeschlagen, die Entscheidung der Ländervertretung (Bundesrat, oder Senat) zu übertragen.
 

Nachfolge für weggefallene Organe

Im Artikel 141 wird klarzustellen versucht, welche Organe zur Rechtsetzung und Verwaltung zuständig sind, wenn durch Rechtsnormen aus früherer Zeit Organe für zuständig erklärt werden, die nicht mehr bestehen; in solchen Fällen soll nicht schlechthin das Nachfolgeorgan des früher zuständigen Organs zuständig sein, sondern das Organ, das nach dem Grundgesetz zuständig wäre. Für reichsrechtliche Einrichtungen und Vorschriften, die durch das Grundgesetz aufgehoben werden oder aus sonstigen Gründen nicht mehr bestehen, wurde in Art. 142 eine entsprechende Bestimmung getroffen.
 

Überleitung gemeinsamer Nachkriegseinrichtungen

Offengelassen wurde die Überleitung der bizonalen und trizonalen Einrichtungen, der gemeinsamen Ländereinrichtungen in der amerikanischen und französischen Zone und der Reichsnachfolgeverwaltungen in der britischen Zone.
 

Recht undemokratischen Ursprungs

Keine Mehrheit fand ein Antrag, das Reichsrecht seit 1933 und das Landes- und Zonenrecht, das seit dem 9. Mai 1945 von einer „demokratisch nicht legitimierten Behörde" erlassen wurde, Ende 1950 außer Kraft treten zu lassen, falls es nicht durch Landesneuordnung bestätigt würde.
 

Befreiung von Nationalismus und Militarismus

Die in den Ländern zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften sollen durch das Grundgesetz nicht berührt werden. Erörtert wurde, ob in diesem Zusammenhang die öffentlichen Ämter für bestimmte Gruppen von Belasteten gesperrt werden sollten. Dabei wurde auf Artikel 14 der Verfassung der USA, Zusatz 1866-68 hingewiesen. Danach sollten Ämter im Zivil- oder Militärdienst der Vereinigten Staaten und der Einzelstaaten nicht von Personen bekleidet werden dürfen, die sich schon einmal unter Bruch ihres Eides gegen die Vereinigten Staaten aufgelehnt hatten.
 

Abänderung des Grundgesetzes nach Herstellung der außenpolitischen Freiheit

Da das Grundgesetz nicht dem freien Gestaltungswillen des deutschen Volkes entspringt, sondern sich in vorgezeichneten Bahnen zu halten hat, wurde vorgeschlagen, es außer Kraft treten zu lassen, sobald eine vom deutschen Volk in freier Selbstbestimmung beschlossene Verfassung in Kraft trete. Dem wurde aber entgegengehalten, daß die künftige freie Entscheidung über eine Bestätigung oder Abänderung des Grundgesetzes sich auf jeden Fall nach den vom Grundgesetz selbst für seine Abänderung gegebenen Bestimmungen vollziehen müsse. Ein Artikel des vorgesehenen Wortlautes würde statt dessen eine Legalisierung beliebiger anderweitiger Akte bedeuten, die etwa nach Herstellung der außenpolitischen Freiheit unter dem Titel einer freien Neukonstituierung Deutschlands vorgenommen werden sollten.
 


Anlage

GUTACHTEN ZUR BIERSTEUERFRAGE
 

Für die Herausnahme der Biersteuer aus der Gesetzgebungszuständigkeit den Bundes und aus den dem Bund zu überlassenen Verbrauchsteuern wird folgendes geltend gemacht:

I. Biererzeugung und Bierverbrauch spielen je nach der Bedeutung des Bieres als Genußmittel oder als Volksnahrungsmittel in den einzelnen Ländern eine sehr verschiedene Rolle.
a) Die Biererzeugung und das Biersteueraufkommen betrugen in Bayern ein Drittel der Gesamterzeugung und des Gesamtaufkommens im Reichsgebiet, während in einer großen Zahl von Ländern Biererzeugung und Biersteuer eine ganz untergeordnete Rolle spielen.
  Biersteueraufkommen 1946/47: Bizone 393,2 Mill. RM, hiervon Bayern allein 201,3, Hessen nur 30.1, Schleswig-Holstein nur 5,2, Bremen nur 2 Mill. RM. Steuerbelastung pro Kopf der Bevölkerung 1946/47: Bizone 10.1, Bayern 22.8, Hessen 7.5, Niedersachsen 2.9, Schleswig-Holstein 2.0 RM.

b) Der Bierverbrauch ist - anders als der Verbrauch von Branntwein, Tabak, Wein, Zucker, Salz usw.  überwiegend ortsgebunden. Der allergrößte Teil des in Bayern erzeugten Bieres wird in Bayern selbst verbraucht, während die anderen Verbrauchsgüter in großen Mengen außerhalb des Landes, in dem die Besteuerung erfolgt, verbraucht werden. Die Übertragung der Biersteuer auf den Bund bedeutet daher eine unverhältnismäßig starke Belastung des bayerischen Verbrauches zugunsten des Bundes.

c) Das bayerische Biersteuerreservat erfüllte eine wichtige F'inanzausgleichsfunktion im Bismarckschen Reich; diese wurde nach Eintritt Bayerns in die Norddeutsche Brausteuergemeinschaft durch eine laufende Entschädigung Bayerns anerkannt, die den Ausgleich der Personalsteuerschwäche Bayerns durch § 35 des Finanzausgleichsgesetzes erleichterte. Der Abbau der Entschädigung führte daher zu schweren politischen Kämpfen, auch hinsichtlich dieses § 35:

d) Die Verbundenheit des Braugewerbes mit der Landwirtschaft (Gerste und Hopfen als Braustoffe, Trebern als Futtermittel), seine Bedeutung für die Hefeerzeugung und Weiterverarbeitung (Nährmittelbetriebe) und für zahlreiche gewerbliche Hilfsbetriebe (Faß- und Flaschenherstellung, Transportmaterial, Brauereimaschinen usw.) verlangen wegen ihrer wirtschaftlichen und steuerlichen Auswirkungen eine besondere Rücksichtnahme auf die örtlichen Verhältnisse, die bei einer Besteuerung der Biererzeugung durch den Bund nicht gewährleistet ist.

II. Falls eine Herausnahme der Biersteuer aus der Gesetzgebungszuständigkeit den Bundes abgelehnt wird, muß der Tatsache des fast ausschließlichen Verbrauches des Steuergegenstandes im Erzeugungsland und der sich daraus ergebenden unverhältnismäßigen Mehrbelastung der Verbraucher zugunsten der Steuerzahler in den übrigen Ländern dadurch Rechnung getragen werden, daß entweder die Biersteuer schlechthin aus den Verbrauchssteuern herausgenommen wird, deren Aufkommen dem Bunde zufließt,
  oder falls auch dies nicht möglich ist, die Verpflichtung des die Biersteuer erhebenden Landes zur Überweisung seines Biersteueraufkommens an den Bund auf die Abführung jenes Betrages beschränkt wird, der sich nach dem durchschnittlichen Betrag der Biersteuerkopfbelastung der übrigen Länder ergibt.

Für den letzteren Fall wäre folgende - allenfalls auch auf andere Verbrauchssteuern auszudehnende - Fassung vorzuschlagen:
Übersteigt das Aufkommen der Biersteuer in einem Lande, auf den Kopf der Bevölkerung gerechnet, den durchschnittlichen Betrag des Aufkommens dieser Steuer in den übrigen Ländern um mehr als 10 v. H., so beschränkt sich die Verpflichtung des Landes zur Überweisung des Biersteueraufkommens an den Bund auf das der Bevölkerungszahl des Landes entsprechende Vielfache dieses durchschnittlichen Betrages, sofern das innerhalb des Landes besteuerte Bier überwiegend im Bereiche dieses Landes verbraucht wird. Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.
 

 

 

 


Quellen: Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, Pflaum München 1948
© 30. Mai 2004 - 1. Juni 2004
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