Texte zur Verfassung von "Deutschland als Ganzem"
 (1945 - 1990)

 

Die Völkerrechtliche Lage von "Deutschland als Ganzem"

Durch die Niederlage Deutschlands im 2. Weltkrieg und die bedingungslose Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 8./9. Mai 1945 entstand in Deutschland eine besondere rechtliche Lage, die in vielen Lehrbüchern zum Völkerrecht beschrieben ist und war. Hier sollen die Texte sichtbar werden, die die "Verfassung von Deutschland als Ganzem" nach der Niederlage gebildet haben und die 1990 durch den Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland (2+4-Vertrag) vom 12. September 1990 aufgelöst wurde.

Entgegen den allgemeinen Rechtsauffassungen,
- daß die Bundesrepublik Deutschland allein als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches eingetreten war, wie die ersten Regierungen der Bundesrepublik Deutschland sowie die Westmächte es vertraten oder
- daß Bundesrepublik Deutschland und DDR beide gleichberechtigt Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches waren, wie die späteren Regierungen der Bundesrepublik Deutschland es vertraten oder aber
- daß das Deutsche Reich mit ihrer Niederlage im 2. Weltkrieg untergegangen und zwei neue Staaten entstanden seien, wie es die Regierungen der DDR praktisch seit 1952 und die der UdSSR vertraten,
geht der Autor davon aus,

- daß "Deutschland als Ganzes" völkerrechtlich identisch mit dem Deutschen Reich war, so wie die Alliierten Deutschland unter ihrer Regierung seit 1945 nannten und in verschiedenen Verträgen auch offiziell so bezeichnet wurde.

Nach dem Völkerrecht benötigt ein rechtmäßiges Völkerrechtssubjekt zu seiner Anerkennung drei Hauptmerkmale:

ein Staatsgebiet,
ein Staatsvolk und
eine Staatsgewalt.

Nachdem die Streitkräfte des Deutschen Reiches 1945 bedingungslos kapituliert hatten und die amtierende Reichsregierung (unter dem vom "Führer und Reichskanzler" testamentarisch verfassungswidrig ernannten Reichspräsident Karl Dönitz) am 23. Mai 1945 von den Alliierten verhaftet wurde, hätte es Deutschland einer Staatsgewalt gefehlt, doch haben die drei (später vier) Alliierten bereits im Jahr 1944 damit begonnen, die Regierungsgewalt in Deutschland nach einer Niederlage zu organisieren und förmlich wurde durch die "Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und die Übernahme der obersten Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands" vom 5. Juni 1945 diese Regierungsgewalt auch übernommen. Durch die Proklamation Nr. 1 des Alliierten Kontrollrates vom 30. August 1945 wurde auch das, gemäß den vierseitigen Verträgen und Abkommen vorgesehene höchste Staats- und Regierungsorgan Deutschlands, der Alliierte Kontrollrat eingesetzt.
>Die Staatsgewalt in Deutschland übte damit der Alliierte Kontrollrat aus.

Das Staatsgebiet des Deutschen Reiches, das zuletzt von der Mehrheit der Alliierten anerkannt wurde, also das Deutsche Reich von 1937, Österreich (1938 mit dem Deutschen Reich vereinigt und von der Mehrzahl der Staaten anerkannt) und das Sudetenland (durch das Münchner Abkommen von Großbritannien und Frankreich anerkannte Abtretung von Staatsgebiet der CSR), hätte also Grenzen vom 31. Dezember 1938 ! Durch verschiedene Konferenzen 1943 bis 1945 wurde jedoch von den Alliierten die Eingliederung Österreichs als (schon damals völkerrechtswidrige) Annexion anerkannt und die Abtretung des Sudetenlandes durch die CSR als nichtig betrachtet, so daß das Staatsgebiet des Deutschen Reiches bei der Übernahme der Regierungsgewalt durch die vier Alliierten aus den Gebieten bestand, die dem Deutschen Reich am 31. Dezember 1937 angehörten (somit größtenteils identisch mit den Grenzen, die der Versailler Vertrag in seinem Teil II. Deutschland gegeben hat). Da die Alliierten in ihren vierseitigen Verträge und Abkommen ausdrücklich betont haben, daß die Übernahme der Regierungsgewalt keine Annexion (was ja wiederum völkerrechtswidrig gewesen wäre) bedeutete, hatte "Deutschland als Ganzes" also die Grenzen von 1937. Durch das Potsdamer Protokoll wurden jedoch in Punkt VI. die Stadt Königsberg und das anliegende Gebiet (Nord-Ostpreußen) der Sowjetunion, und in Punkt IX. die weiteren Gebiete östlich von Oder und westlicher Neiße Polen zur Verwaltung übergeben, bis hierüber ein Friedensvertrag mit einer neuen deutschen Regierung abgeschlossen wird. Während für Nord-Ostpreußen die USA und Großbritannien der Sowjetunion verbindlich zugesagt haben, die Abtretung dieses Gebiets an die Sowjetunion bei einer Friedensregelung mit Deutschland zu unterstützen, fehlt diese Unterstützung bei den, unter polnische Verwaltung gestellten Gebiete. Auch Frankreich hat das Saargebiet unter nachträglicher Zustimmung der anderen Alliierten aus seiner Besatzungszone herausgelöst. Diese Gebiete waren zwar formalrechtlich weiterhin deutsches Staatsgebiet, haben aber weder einer Besatzungszone der Alliierten in Deutschland angehört noch dem Alliierten Kontrollrat unterstanden.
> Das Staatsgebiets Deutschland war gemäß den Bestimmungen der Alliierten festgestellt und auf das Gebiet innerhalb der Grenzen vom 31. Dezember 1937 beschränkt.

Daß ein Staatsvolk bestand und besteht, ist nie bezweifelt worden. Diesem Staatsvolk kam aber keinerlei Souveränität in Angelegenheiten von Deutschland als Ganzem zu; diese lag ausschließlich beim Alliierten Kontrollrat.
> Staatsvolk war das Deutsche Volk.

Einem Untergang des Völkerrechtssubjekts "Deutsches Reich" ist auch deshalb entgegenzutreten, weil erst in den 50er Jahren der Kriegszustand zwischen den vier Alliierten und dem Völkerrechtssubjekt "Deutsches Reich", der seit 1939/1941 bestanden hat, beendet wurde. Wäre das Völkerrechtssubjekt "Deutsches Reich" untergegangen, so hätte der Kriegszustand mit dem Untergang automatisch geendet. (Dekret der Französischen Republik betreffend der Beendigung des Kriegszustandes mit Deutschland vom 9. Juli 1951, Note der Regierung Großbritanniens betreffend die Beendigung des Kriegszustandes mit Deutschland vom 9. Juli 1951, Proklamation des Präsidenten der USA betreffend die Beendigung des Kriegszustandes mit Deutschland vom 24. Oktober 1951, Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR über die Beendigung des Kriegszustandes zwischen der Sowjetunion und Deutschland vom 25. Januar 1955).

 

Kurzübersicht über die Verfassung von "Deutschland als Ganzem"

Der Alliierte Kontrollrat als Oberste Legislative und Oberste Exekutive Deutschlands besteht aus den vier Oberbefehlshabern der alliierten Streitkräften, die den Weisungen ihrer Regierungen unterliegen. Der Alliierte Kontrollrat hat neben dem Zweck, die Einheitlichkeit des Vorgehens seiner Mitglieder in den jeweiligen Besatzungszonen zu gewährleisten, auch für die gemeinsame Verwaltung von Berlin zu sorgen sowie Entscheidungen in militärischen, politischen, wirtschaftlichen und sonstigen Fragen für Deutschland als Ganzes zu treffen. Die später einzurichtende deutsche Zentralverwaltung sollte unter ihrer Kontrolle stehen. Den Vorsitz im Alliierten Kontrollrat übernimmt jeden Monat ein anderes Mitglied des Kontrollrates; er sollte mindestens alle zehn Tage zusammentreten und kann nur einstimmig entscheiden.

Der Alliierte Kontrollrat errichtet einen Koordinierungsausschuß, der aus Vertretern der Mitglieder des Kontrollrates bestand. Aufgabe des Koordinierungsausschusses war neben der Koordinierung zur Behebung von Problemen, die mehrere Besatzungszonen betrafen und der Vorbereitung der Sitzungen des Kontrollrates auch die Ausführungen der Kontrollratsentscheidungen (also praktisch die Exekutive) sowie die ständige Überwachung der niemals eingerichteten deutschen Zentralverwaltung. Der Koordinierungsausschuß bildete Stäbe für das Heer, die Marine, die Luftwaffe, das Transportwesen, die Politik, die Wirtschaft, die Finanzen, Reparationen und Leistungen an die Besatzungsmächte sowie Restitutionen, für Innere Angelegenheiten und Nachrichtenwesen, für das Rechtswesen, für Kriegsgefangene und Vertriebene sowie für Arbeit.

Jeder Oberbefehlshaber hat in seiner Besatzungszone die oberste staatliche Gewalt; diese ist nur begrenzt durch die Beschlüsse des Alliierte Kontrollrates, der einstimmig entscheidet; außerdem ist er an die Weisungen seiner Regierung gebunden.

Mitglieder des Alliierten Kontrollrates waren:
General P. Koenig (seit 1945)
Armeegeneral Dwight D. Eisenhower (1945)
Feldmarschall Bernard L. (Viscount) Montgomery (of Alamein) (1945 bis 1946)
Marschall G. Schukow (1945 bis 1946)
General Joseph McNarney (1945 bis 1947)
Marschall W. Sokolowski (1946 bis 1949)
Marschall Sir Sholto Douglas (1946 bis 1947)
General Lucius D. Clay (seit 1947)
General B. H. Robertson (seit 1947)

Seit der Erklärung betreffend die Vertagung der Kontrollratssitzungen vom 20. März 1948, die durch den amtierenden sowjetischen Oberbefehlshaber erfolgte, ist der Kontrollrat formal nicht mehr zusammen getreten. Die Botschafter der vier Mächte sind jedoch mehrmals (so 1971 und 1972 sowie 1989) im Gebäude des Kontrollrates (im amerikanischen Sektor von Berlin) zusammen gekommen und haben Verträge und Entschließungen vereinbart, die einen Bezug auf ihre Rechte in Deutschland hatten; formal haben sie sich jedoch nicht als Alliierter Kontrollrat konstituiert. Der Alliierte Kontrollrat ist durch Artikel 7 Absatz 1 des Vertrags über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland (2+4-Vertrag) vom 12. September 1990 formalrechtlich aufgehoben worden (suspendiert seit 3. Oktober 1990; endgültig seit 15. März 1991).

 

Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der DDR

In der Zeit von der Vertagung des Kontrollrates (20. März 1948) und der Wiedervereinigung Deutschlands (3. Oktober 1990) hat es verschiedene Formen der deutschen Verwaltung gegeben.

- Bereits Ende 1946 wurde aufgrund von Vereinbarungen zwischen Großbritannien und den USA eine wirtschaftliche Vereinigung von deren Besatzungszonen in Deutschland geschaffen (Bi-Zone; aufgrund der Befugnisse, die diesen Ländern in ihren Besatzungszonen zustand). 1945 hat auch die Sowjetunion deutsche Zentralverwaltungen (über die fünf Länder in deren Besatzungszone) errichtet. In der französischen Besatzungszone wurden keine deutschen Zentralverwaltungen geschaffen; Frankreich hat hier sehr stark auf die einzelnen ihrer drei Länder gesetzt und auch eine Zusammenarbeit zwischen diesen zu verhindern gewußt. Frankreich hat sich jedoch, nach der Erkenntnis, daß die Sowjetunion keine einheitliche deutsche Zentralverwaltung für alle Besatzungszonen wollte und aufgrund der geopolitischen Lage, den beiden Westmächten angeschlossen und sich für die Schaffung eines deutschen Staates auf dem Gebiet der drei westlichen Besatzungszonen angeschlossen. So kam es zur Berufung des Parlamentarischen Rates am 1. September 1948 nach Bonn. 1949 wurde die französische Besatzungszone mit der Bi-Zone verbunden und mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland in diese integriert. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, das Gründungsakt und Verfassung der Bundesrepublik Deutschland war, wurde durch das Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure der britischen, französischen und amerikanischen Besatzungszone vom 12. Mai 1949 genehmigt. Diese Genehmigung konnte nur für die drei Besatzungszonen Deutschlands Geltung erlangen, deren oberste Gewalt die Militärgouverneure nach Maßgabe des vierseitigen Abkommens über Kontrolleinrichtungen in Deutschland ausübten. Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland übertrugen die drei Militärgouverneure somit den größten Teil ihrer Gewalt auf dem Gebiet der drei Besatzungszonen auf die staatlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland; mit dem Inkrafttreten des Vertrags über die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den Drei Mächten (Deutschlandvertrag) vom 26. Mai 1954 i.d.F. vom 23. Oktober 1954 am 5. Mai 1955 verzichteten die drei westlichen Mächte USA, Großbritannien und Frankreich auf die, ihnen bzw. ihren Militärgouverneuren durch den vierseitigen Vertrag über Kontrolleinrichtungen in Deutschland übertragene oberste Gewalt in ihren Besatzungszonen, behielten jedoch ihre Rechte und Verantwortlichkeiten für Berlin und Deutschland als Ganzes.

- Die DDR ist aufgrund von Entscheidungen der Sowjetunion, welche die oberste Gewalt in der östlichen Besatzungszone Deutschlands gemäß dem vierseitigen Abkommen über Kontrolleinrichtungen in Deutschland inne hatte, entstanden. Durch die Erklärung der Regierung der UdSSR über die Gewährung der Souveränität an die DDR vom 25. März 1954 verzichtete auch die Sowjetunion formalrechtlich auf diese oberste Gewalt in ihrer Besatzungszone, hat jedoch ebenfalls die Verpflichtungen der UdSSR, die sich aus den Viermächteabkommen erwachsen, als fortbestehend und bei der UdSSR liegend betrachtet. Wie bei der Bundesrepublik Deutschland auch, wurde zwischen der DDR und der Sowjetunion ein Vertrag über die Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (Moskauer Vertrag) vom 20. September 1955 geschlossen.

Somit entstanden beide deutsche Staaten formalrechtlich aufgrund desselben Rechts: aus der obersten Gewalt jeder Besatzungsmacht in ihrer Besatzungszone; sie waren souverän, solange der Kontrollrat keine einstimmigen Entscheidungen traf. Da der Kontrollrat zwischen 1949 und 1990 niemals formalrechtlich zusammengetreten ist, konnte er solche, die Souveränität der beiden deutschen Staaten beschränkende Entscheidungen nicht fällen, hätte dies aber jederzeit machen können. Die Souveränität der DDR war auch hinsichtlich der Breschenew-Doktrin als sozialistischer Staat eingeschränkt.
 


Quellen: Rechtsstellung Deutschlands - Völkerrechtliche Verträge und andere rechtsgestaltende Akte, Beck-Verlag 1985
von Münch, Dokumente des geteilten Deutschland, Kröner-Verlag 1976
Rauschning, Die Gesamtverfassung Deutschlands, Metzner Verlag 1962
Amtsblatt des Alliierten Kontrollrats 1945-1948
© 2. Juli 2000 - 3. Juni 2004


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