Kontrollratsproklamation Nr. 3
Grundsätze für die Umgestaltung der Rechtspflege

vom 20. Oktober 1945

für die Bundesrepublik Deutschland außer Wirkung gesetzt durch
Erstes Gesetz zur Aufhebung des Besatzungsrechts vom 30. Mai 1956 (BGBl. I. S. 437)

für die DDR außer Wirkung gesetzt durch
Beschluß des Ministerrats der UdSSR über die Auflösung der Hohen Kommission der Sowjetunion in Deutschland vom 20. September 1955

Mit der Ausschaltung der Gewaltherrschaft Hitlers durch die Alliierten Mächte ist das terroristische System der Nazigerichte abgeschafft worden. An seine Stelle muß eine Rechtspflege treten, die sich auf die Errungenschaften der Demokratie, Zivilisation und Gerechtigkeit gründet. Der Kontrollrat verkündet die folgenden Grundsätze für die Wiederherstellung der Rechtspflege. Sie haben für ganz Deutschland Geltung.

I. Gleichheit vor dem Gesetz. Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich. Niemandem, was immer seine Rasse, Staatsangehörigkeit oder Religion sei, dürfen die ihm gesetzlich zustehenden Rechte entzogen werden.

II. Gewährleistung der Rechte des Angeklagten. 1. Niemandem darf das Leben, die persönliche Freiheit oder das Eigentum entzogen werden; es sei denn auf Grund von Recht und Gesetz.

2. Strafbare Verantwortlichkeit besteht nur für Handlungen, welche das Recht für strafbar erklärt hat.

3. Kein Gericht darf irgendeine Handlung auf Grund von „Analogie" oder im Hinblick auf das sogenannte „gesunde Volksempfinden" für strafbar erklären, wie es bisher im deutschen Strafrecht der Fall war.

4. In jedem Strafverfahren müssen dem Angeklagten die folgenden Rechte zustehen, wie sie die demokratische Rechtsauffassung anerkennt: Unverzügliches und öffentliches Gerichtsverfahren, Bekanntgabe von Grundlage und Art der Anklage, Gegenüberstellung mit den Belastungszeugen, gerichtliche Vorladung von Entlastungszeugen und Hinzuziehung eines Verteidigers. Strafen, die gegen das gerechte Maß oder die Menschlichkeit verstoßen und solche, die das Gesetz nicht vorsieht, dürfen nicht verhängt werden.

5. Verurteilungen, die unter dem Hitler-Regime ungerechterweise aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen erfolgten, müssen aufgehoben werden.

III. Abschaffung der Hitlerschen Ausnahme- und Sondergerichte. Der Volksgerichtshof, die Gerichte der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei und die Sondergerichte sind aufgehoben. Ihre Wiederherstellung ist verboten.

IV. Unabhängigkeit des Richters. 1. In der Ausübung seiner richterlichen Tätigkeit ist der Richter frei von Weisungen der ausführenden Gewalt. Er ist nur dem Gesetz unterworfen.

2. Der Zugang zum Richteramt steht ohne Rücksicht auf Rasse, gesellschaftliche Herkunft oder Religion allen Personen offen, sofern sie die Grundsätze der Demokratie anerkennen. Beförderung des Richters erfolgt ausschließlich nach Maßgabe seiner Leistung und juristischen Befähigung.

V. Schlußbestimmung. Ordentliche deutsche Gerichte nach Maßgabe ihrer Rangordnung werden im Einklang mit dieser Proklamation in Deutschland die Rechtsfolge ausüben.

siehe hierzu das Gesetz Nr. 4 des Kontrollrats vom 30. Oktober 1945.

    Ausgefertigt in Berlin, den 20. Oktober 1945.

(Die in den drei offiziellen Sprachen abgefaßten Originaltexte dieser Proklamation sind von P. Koenig, Armeekorps-General, G. Shukow, Marschall der Sowjetunion, Dwight D. Eisenhower, General der Armee, und B. H. Robertson, Generalleutnant, unterzeichnet.)


Quellen: Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland S. 22
© 5. Mai 2004 - 2. Juli 2004
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