Kontrollratsgesetz Nr. 35
Ausgleichs- und Schiedsverfahren in Arbeitsstreitigkeiten

vom 20. August 1946

in Kraft getreten am 26. August 1946

für das Land Baden außer Wirkung gesetzt durch
Artikel 2 des Gesetzes Nr. A-1 der Alliierten Hohen Kommission vom 9. Februar 1949 (ABl. AHK S. 103);
siehe für Baden das die Landesschlichtungsordnung vom 19. Oktober 1949 (GVBl. S. 1950 S. 60).
für das Land Berlin außer Wirkung gesetzt durch
Gesetz zur Aufhebung des Besatzungsrechts vom 11. September 1958 (Berl. GVBl. S. 866);
siehe aber die Berliner Verfahrensregeln über Ausgleichs- und Schiedsverfahren in Arbeitsstreitigkeiten vom 28. Juni 1949 (VOBl. S. 213)

als staatliches Gesetz infolge des Art. 123 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1) aufgehoben. (?)

für die DDR außer Wirkung gesetzt durch
Beschluß des Ministerrats der UdSSR über die Auflösung der Hohen Kommission der Sowjetunion in Deutschland vom 20. September 1955

Zum Zwecke der Verhütung und der Schlichtung von Streitigkeiten, die zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern oder deren Organisationen entstehen, erläßt der Kontrollrat das folgende Gesetz:

Artikel I. 1. Die beteiligten Parteien können das zur Verhütung oder Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten einzuhaltende Verfahren vereinbaren. Dieses Verfahren kann in einem Tarifvertrage festgelegt werden.

2. Die beteiligten Parteien können sich auch der Dienste der gemäß Artikel III dieses Gesetzes errichteten offiziellen Organe bedienen.

Artikel II. 1. Wenn eine Arbeitsstreitigkeit, die nicht der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte unterliegt, weder im Ausgleichs- noch in einem anderen vereinbarten Verfahren beigelegt worden ist, so können die beteiligten Parteien diese der deutschen Provinzial­ oder Landesarbeitsbehörde zur Unterbreitung vor dem gemäß Artikel IV dieses Gesetzes errichteten Schiedsausschuß übergeben.

2. Berührt die Streitigkeit die Interessen der Alliierten Besetzung, so kann der Befehlshaber der betreffenden Zone die deutsche Provinzial- oder Landesarbeitsbehörde anweisen, den Parteien die Unterbreitung der Streitigkeit vor dem Schiedsausschuß aufzugeben.

Artikel III. Jede deutsche Provinzial- oder Landesarbeitsbehörde bestellt aus ihrem Personal eine oder mehrere geeignete Personen für folgenden Aufgabenkreis:
a) Fragen über Arbeitsbeziehungen gemeinsam mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern oder deren Organisationen zu beraten.
b) Die eines vereinbarten Verfahrens zum  Abschluß von Tarifverträgen und eines Verfahrens zur Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern oder ihren Organisationen zu fördern.
c) Unter Zustimmung der streitigen Parteien als Vermittler mit dem Ziele einzugreifen, die Arbeitsstreitigkeiten durch Ausgleich mittels Schiedsverfahrens zu schlichten.

Artikel IV. Die Schiedsausschüsse sind von jeder deutschen Provinzial- oder Landesarbeitsbehörde zu errichten.

Artikel V. Der Schiedsausschuß besteht aus einem Vorsitzenden und einer gleichen Zahl von Beisitzern, bis zu fünf von jeder Seite, als Vertreter der Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Artikel VI. 1. Der Vorsitzende des Schiedsausschusses wird von der deutschen Provinzial- oder Landesarbeitsbehörde aus einer zu diesem Behuf gemäß Absatz 2 dieses Artikels aufgestellten Vorsitzenden-Liste ausgewählt und bestellt.

2. Die Vorsitzenden-Liste wird von der deutschen Provinzial- oder Landesarbeitsbehörde aufgestellt und soll aus Personen bestehen, die
a) anerkannt demokratische Grundsätze haben;
b) in Fragen der Produktion, Arbeit und Arbeitsbeziehungen eine ausreichende Sachkunde besitzen;
c) sowohl für die Vertreter der Gewerkschaften wie die der Arbeitgeber annehmbar sind.

3. Die Vorsitzenden-Listen der Schiedsausschüsse werden für die Dauer von drei Jahren aufgestellt. Die darin benannten Personen kommen für eine Wiederernennung in Betracht, falls sie noch die Erfordernisse des Absatzes 2 dieses Artikels erfüllen.

Artikel VII. 1. Die Beisitzer der Schiedsausschüsse werden von der deutschen Provinzial- oder Landesarbeitsbehörde aus den zu diesem Behuf aufgestellten Beisitzer-Listen ausgewählt und bestellt. Die Listen sollen genügend sachkundige Personen in der Reihenfolge ihrer Berufszugehörigkeit enthalten.

3. Die deutschen Provinzial- oder Landesarbeitsbehörden stellen zwei Beisitzer-Listen auf:
a) Die Arbeitnehmer-Liste ist auf Grund der Vorschläge der Gewerkschaften oder der Gewerkschaftsverbände aufzustellen.
b) Die Arbeitgeber-Liste ist auf Grund der Vorschläge der Arbeitgeber oder der anerkannten Arbeitgeberverbände aufzustellen.

Artikel VIII. Die Unterbreitung einer Streitigkeit zur Schlichtung durch den Schiedsausschuß darf, falls nicht die Voraussetzungen des Artikels II. Absatz 2, vorliegen, nur unter Zustimmung der streitigen Parteien erfolgen.

Artikel IX. l. Die Deutsche Provinzial- oder Landesarbeitsbehörde setzt die von den Schiedsausschüssen anzuwendenden Verfahrensregeln fest.

2. Der Vorsitzende des Schiedsausschusses muß unparteiisch, von den beiden streitigen, Parteien unabhängig und von ihnen gebilligt sein. Beisitzer bedürfen der Billigung der Partei, deren Interessen sie vertreten. Wurde eine Streitigkeit dem Schiedsverfahren in Anwendung des Artikels II. Absatz 2, dieses Gesetzes zugewiesen, bedarf die Ernennung des Vorsitzenden oder der Beisitzer nicht der obigen Billigung.

3. Die Schiedsausschüsse können Zeugen und Sachverständige vernehmen und andere ihnen erforderlich erscheinende Beweise erheben. Sie können die zuständigen Gerichte um eidliche Vernehmungen ersuchen, die sie für notwendig trachten.

4. Die streitigen Parteien sind vor der Fällung des Schiedsspruchs von dem Schiedsausschuß zu hören; im übrigen ist dieser an Formvorschriften über Beweisaufnahmen nicht gebunden.

S. Die. Entscheidungen der Schiedsausschüsse ergehen mit einfacher Mehrheit. Die Schiedssprüche sind schriftlich niederzulegen.

Artikel X. 1. Mit den in Absatz 2 dieses Artikels vorgesehenen Ausnahmen bindet ein von einem Schiedsausschuß gefällter Schiedsspruch die streitigen Parteien nur dann, wenn beide Parteien seine Annahme erklären.

2. Schiedssprüche haben bindende Wirkung unter den Parteien,
(a) wenn diese vor Fällung des Schiedsspruches seine Annahme vereinbart haben, oder
(b) wenn eine Streitigkeit dem Schiedsverfahren in Anwendung des Artikel II. Absatz 2 dieses Gesetzes zugewiesen wurde.

3. Ein die Parteien bindender Schiedsspruch hat die Wirkung eines Tarifvertrages; dieser wirkt nur zwischen den streitigen Parteien.

Artikel XI. 1 . Kein Schiedsspruch eines ordnungsmäßig errichteten Schiedssausschusses kann von einer deutschen Behörde aufgehoben worden, es sei denn, daß ein Schiedsspruch gegen eine gesetzliche Bestimmung der Alliierten Kontrollbehörde oder der Militärregierung verstößt, oder :m Widerspruch zu den Zielen der Alliierte n Besetzung steht oder bei dessen Zustandekommen Betrug oder andere Gesetzesverletzungen mitgewirkt haben.

2. Die Zonenbefehlshaber haben das Recht, in ihrer Zone die Schiedssprüche nachzuprüfen, um sich davon zu überzeugen, daß sie nicht den Bestimmungen und den in diesem Gesetz dargelegten Zielen widersprechen.

Artikel XII. Die Alliierte Kommandatura in Berlin wird beauftragt, die notwendigen Maßnahme zur Einführung von Ausgleichs- und Schiedsverfahren in Berlin gemäß den Grundsätzen dieses Gesetzes zu treffen

Artikel XIII. Sämtliche deutschen gesetzlichen Bestimmungen, die mit diesem Gesetz unvereinbar sind, werden aufgehoben oder in Übereinstimmung mit den Bestimmungen dieses Gesetzes geändert.

Artikel XIV. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Verkündung in Kraft.

    Ausgefertigt in Berlin, den 20. August 1946.

(Die in den drei offiziellen Sprachen abgefaßten Originaltexte dieses Gesetzes sind von Joseph T. McNarney, General, Sholto Douglas, Marshall der Royal Air Force, R. Noirel, Divisionsgeneral, und W. Sokolowsky, Marschall der Sowjetunion, u , verzeichnet.)

Das vorstehende Gesetz ist weder in der Systematische Übersicht des Bundesrechts nach dem Stande vom 1. Januar 1951, noch im Fundestellennachweis zum Bundesrecht nach dem Stande vom 1. Januar 2002 zu finden, da es wohl infolge des Artikels 123 Abs. 1 in Verbindung  mit Artikel 9 Abs. 3 (Tarifautonomie) des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1) als staatliches Gesetz ungültig wurde. Die Schlichtungsordnung wird jedoch von vielen Tarifparteien noch anerkannt bzw. in abgewandelter, durch übereinstimmende Vereinbarung geänderter Form weiter angewandt. Für das ehemalige Land (Süd-)Baden ist ein gesondertes Landesgesetz, für Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachse (1959 aufgehoben) und Nordrhein-Westfalen sowie Berlin sind Durchführungsverordnungen zum Kontrollratsgesetz Nr. 35 erlassen, die jedoch wohl ebenso an der Unvereinbarkeit mit Artikel 9 Abs. 3 aufgehoben bzw. als staatliche Gesetze nicht mehr anwendbar sind. Trotzdem ist das Gesetz in der aktuellen Sammlung "Nipperdey, Arbeitsrecht des Verlags C.H. Beck München" weiterhin als Nr. 520ff. enthalten.


Quellen: Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland S. 174
Nipperdey, Arbeitsrecht, Nr. 520 C.H.Beck
© 1. Mai 2004 - 7. Juni 2004
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