Kontrollratsgesetz Nr. 21
Deutsches Arbeitsgerichtsgesetz

vom 30. März 1946

in Kraft getreten am 4. April 1946

für die Bundesrepublik Deutschland außer Wirkung gesetzt durch
Gesetz Nr. A-35 der Alliierten Hohen Kommission vom 11. August 1953 (ABl. AHK S. 2633)

für die DDR außer Wirkung gesetzt durch
Beschluß des Ministerrats der UdSSR über die Auflösung der Hohen Kommission der Sowjetunion in Deutschland vom 20. September 1955

Der Kontrollrat hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel I. Zur Beilegung von Streitigkeiten in Arbeitssachen werden örtliche und Berufungsarbeitsgerichte in ganz Deutschland errichtet.

Artikel II. Die Arbeitsgerichte sind, unter Ausschluß der ordentlichen Gerichte, ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes für die folgenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zuständig:
1. Streitigkeiten zwischen Tarifvertragsparteien oder zwischen diesen und Dritten aus Tarifverträgen (Kollektivverträgen) oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen (Kollektivverträgen); ferner Streitigkeiten zwischen tarifvertragsfähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, sofern es sich um Maßnahmen zu Zwecken des Arbeitskampfes oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit handelt,
2. Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aus dem Arbeits- oder Lehrverhältnis, über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeits- oder Lehrvertrags oder aus Verhandlungen über die Eingebung eines Arbeits- oder Lehrver­trages und aus dessen Nachwirkungen; ferner Streitigkeiten aus unerlaubten Handlungen, soweit diese mit dem Arbeits- oder Lehrverhältnis im Zusammenhange stehen. Ausgenommen sind:
a) Streitigkeiten, deren Gegenstand die Erfindung eines Arbeitnehmers bildet, soweit es sich nicht nur um Ansprüche auf eine Vergütung oder Entschädigung für die Erfindung handelt.
b) Streitigkeiten der nach § 481 des Handelsgesetzbuchs zur Schiffsbesatzung gehörenden Personen.
3. Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern aus gemeinsamer Arbeit und aus unerlaubten Handlungen, soweit diese mit dem Arbeits- oder Lehrverhältnis im Zusammenhang stehen.
4. Streitigkeiten aus Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern über Arbeitsbedingungen, Gesundheitsschutz und Unfallverhütung.
5. Streitigkeiten bezüglich Auslegung von Vereinbarungen zwischen Betriebsräten und Arbeitgebern.

Artikel III. Die deutschen Arbeitsgerichte unterstehen, lediglich zum Zwecke ihrer Verwaltung, den deutschen Provinz- oder Landesarbeitsbehörden. Diese Behörden dürfen auf Entscheidungen der Arbeitsgerichte keinerlei Einfluß nehmen und sie weder außer Kraft setzen noch abändern.

Artikel IV. l. Die örtlichen Arbeitsgerichte sind Gerichte ersten Rechtszuges, ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes.

2. Die Berufungsarbeitsgerichte entscheiden als Gerichte zweiten Rechtszuges über die Berufung gegen Entscheidungen der örtlichen Arbeitsgerichte. Diese Entscheidungen unterliegen der Berufung, wenn der Streitwert den von der Provinz­ oder Landesarbeitsbehörde festgesetzten Betrag erreicht oder übersteigt oder wenn das örtliche Arbeitsgericht wegen des Vorliegens einer Frage von grundsätzlicher Bedeutung die Berufung gegen sein Urteil zuläßt, obgleich der unter dem festgesetzten Betrag liegt. Das Gericht hat in einem derartigen Falle seine Entscheidung, gegen das Urteil die Berufung zuzulassen mit Gründen zu versehen.

3. Die Zonenbefehlshaber können in Ermangelung eines deutschen obersten Arbeitsgerichts ein oder mehrere Gerichte höheren Rechtszuges als Gerichte letzten Rechtszuges in Arbeitsstreitigkeiten bestimmen.

Artikel V. Jedes Arbeitsgericht besteht aus einem Vorsitzenden oder stellvertretenden Vorsitzenden und aus Beisitzern. Die Beisitzer werden in gleicher Anzahl aus den Kreisen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer entnommen. Alle Mitglieder müssen anerkannt demokratische Anschauungen haben.

Artikel VI. 1. Bei der Auswahl und Bestellung von Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden von Arbeitsgerichten, ist folgendermaßen zu verfahren:
a) Der Vorsitzende und der stellvertretende Vorsitzende sollen besondere Befähigung in Arbeitsangelegenheiten haben und auf Grund ihrer früheren Tätigkeit, ihrer Ausbildung oder der Obliegenheiten, die sie in Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberverbänden ausgeübt haben, fähig sein, richterliche Aufgaben wahrzunehmen. Sie brauchen nicht Berufsrichter zu sein; die Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden der Berufungsgerichte müssen jedoch entsprechende juristische Befähigung haben.
b) Vertreter der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber schlagen den Provinz- oder Landesarbeitsbehörden Anwärter für das Amt des Vorsitzenden oder stellvertretenden Vorsitzenden vor. Diese Vertreter benennen jeder für sich eine solche Anzahl von Anwärtern, wie sie der Zahl der zu besetzenden Stellen entspricht.
c) Die Provinz- oder Landesarbeitsbehörden stellen eine Anwärterliste für die Stellen der Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden aus den von den Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber eingereichten Vorschlagslisten zusammen. Sie können daneben Personen, die nicht von den Vertretern empfohlen sind, als Anwärter vorschlagen. Nach Beratschlagung mit den oben genannten Vertretern reichen dann die Provinz­ oder Landesarbeitsbehörden der höchsten Provinz- oder Landesbehörde, zusammen mit den von den Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber ursprünglich gemachten Empfehlungen, eine Anwärterliste ein. Die genannte höchste Provinz- oder Landesbehörde nimmt sodann die Berufungen vor.

2. Die deutschen Provinz- oder Landesarbeitsbehörden stellen zwei Beisitzerlisten auf:
a) Die Arbeitnehmerbeisitzerliste wird auf Grund der von den im Gerichtsbezirk bestehenden Gewerkschaften oder ihren Verbänden gemachten Vorschlägen aufgestellt.
b) Die Arbeitgeberbeisitzerliste wird auf Grund der von den Arbeitgebern oder den anerkannten Arbeitgeberverbänden des Gerichtsbezirkes gemachten Vorschlägen aufgestellt.

Artikel VII. 1 Die Amtsdauer des Vorsitzenden oder stellvertretenden Vorsitzenden eines Arbeitsgerichts beträgt drei Jahre; eine Wiederbestellung ist zulässig.

2 Vorsitzende oder stellvertretende Vorsitzende können von der bestellenden Behörde auf Empfehlung einer Disziplinarkammer aus dem Amte entfernt werden. Die Disziplinarkammer setzt sich aus einem Vertreter der bestellenden Behörde als Vorsitzendem und sechs Vorsitzenden von Arbeitsgerichten der betreffender. oder benachbarten Provinzen oder Länder als Beisitzern zusammen.

3. Die Befugnis der Zonenbefehlshaber, Personal von Arbeitsgerichten abzusetzen oder der Absetzung zuzustimmen, bleibt unberührt.

Artikel VIII. 1. Die Kosten für die Einrichtung und den Betrieb der Arbeitsgerichte sind von den Ländern oder Provinzen zu tragen und in ihre Haushaltspläne aufzunehmen.

2. Die Kosten eines einzelnen Rechtsstreites sind von den vom Arbeitsgericht namhaft zu machenden Parteien zu tragen.

Artikel IX. Die örtliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte wird von den betreffenden Zonenbefehlshabern festgesetzt.

Artikel X. Die Vorschriften des deutschen Arbeitsgerichtsgesetzes vom 23. Dezember 1926, jedoch in seiner ursprünglichen Fassung, sind vorläufig weiter anzuwenden, soweit sie nicht im Widerspruch zu den Bestimmungen dieses Gesetzes stehen.

Artikel XI. Die Alliierte Kommandatura wird hiermit beauftragt, geeignete Maßnahmen für die Errichtung von Arbeitsgerichten in Berlin in Übereinstimmung mit den in diesem Gesetz festgelegten Grundsätzen zu treffen.

Artikel XII. Dieses Gesetz betrifft, soweit es nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt, Gerichte des ersten und zweiten Rechtszuges.

Artikel XIII. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft.

    Ausgefertigt in Berlin, den 30. März 1946.

(Die in den drei offiziellen Sprachen abgefaßten Originaltexte dieses Gesetzes sind von V. Sokolowsky, General der Armee, Lucius D. Clay, Generalleutnant, Montgomery of Alamein, Feldmarschall, und L. Koeltz, Armeekorps-General, unterzeichnet.)

 


Quellen: Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland S. 124, ber. S. 241
© 1. Mai 2004 - 7. Juni 2004
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