Kontrollratsdirektive Nr. 57
Verfügung über Vermögen, das auf Grund der Bestimmungen
des Kontrollratgesetzes Nr. 10 oder anderer gemäß
Kontrollratdirektive Nr.38 erlassener
Bestimmungen eingezogen worden ist.
vom 15. Januar 1948
für die Bundesrepublik Deutschland außer Wirkung gesetzt
durch
Artikel 2 des Gesetzes Nr. A-37 der Alliierten Hohen Kommission vom 5. Mai 1955
(ABl. AHK S. 3268)
für die DDR außer Wirkung gesetzt
durch
Beschluß des Ministerrats der UdSSR über die Auflösung der Hohen Kommission der
Sowjetunion in Deutschland vom 20. September 1955
Auf Grund des Kontrollratgesetzes Nr.10 und der Kontrollratdirektive Nr. 38 erläßt der Kontrollrat folgende Direktive:
Artikel I. Über sämtliches in Deutschland befindliches Vermögen, das aus der Einziehung von Vermögen herrührt, von welcher Personen auf Grund des Kontrollratgesetzes Nr. 10 oder der gemäß Kontrollratdirektive Nr. 38 erlassenen Bestimmungen betroffen worden sind, ist gemäß des Vorschriften dieser Direktive zu verfügen.
Artikel II. 1. Das Eigentum an Vermögen, das nicht der Verfügung oder der Verwendung gemäß Artikel IX unterliegt, und das einer Gewerkschaft, Genossenschaft, politischen Partei oder sonstigen demokratischen Organisation gehört hat, bevor es in den Besitz irgend einer der im Artikel I dieser Direktive bezeichneten Personen überging, ist auf eine entsprechende Organisation zurückzuübertragen, vorausgesetzt, daß diese Organisation zugelassen und ihre Betätigung von dem zuständigen Zonenbefehlshaber genehmigt ist.
2. Falls eine Rückübertragung des Eigentums nicht möglich ist, weil keine gegenwärtig bestehende Organisation mit dem früheren Eigentümer völlig identisch ist, so ist das Eigentum an dem Vermögen einer oder mehreren neuen Organisationen zu übertragen, deren Ziele nach dem Dafürhalten des Zonenbefehlshabers denen der früheren Organisationen ähnlich sind.
Artikel III. Vermögen, das nicht der Verfügung oder der Verwendung gemäß Artikel IX unterliegt, und das früher Zwecken der Unterstützung, der Wohltätigkeit, religiösen oder humanitären Zwecken gedient hat, ist unter Wahrung seiner ursprünglichen Zweckbestimmung zu übertragen oder zu verwenden, sofern dies demokratischen Grundsätzen entspricht; solches Vermögen ist daher derjenigen Organisation oder denjenigen Organisationen, denen es früher gehört hat, oder einer oder mehreren neuen Organisationen zu übertragen, im letzteren, Falle unter der Bedingung, daß der Zonenbefehlshaber zu der Feststellung gelangt, daß die Bestrebungen und Ziele derartiger Organisationen denen der früheren Organisationen ähnlich sind und sich mit den Grundsätzen der Demokratisierung Deutschlands in Übereinstimmung befinden; oder es kann unter den gleichen Bedingungen hinsichtlich Verfügung oder Verwendung nach dem Ermessen des Zonenbefehlshabers den Ländern oder Provinzen übertragen werden.
Artikel IV. Die Übertragung von Vermögen gemäß Artikel II und III erfolgt kostenfrei, indessen können die Zonenbefehlshaber nach ihrem Ermessen verlangen, daß der Erwerber die Schulden ganz oder teilweise bezahlt oder übernimmt und für jeden Wertzuwachs des Vermögens Zahlung leistet oder Haftung übernimmt nach den gleichen Grundsätzen, die für Vermögen gelten, das innerhalb Deutschlands der Rückerstattung an Opfer nationalsozialistischer Verfolgung unterliegt.
Artikel V. 1. Das Eigentum an Vermögen, das weder der Verfügung oder Verwendung gemäß Artikel IX noch der Rückerstattung oder Übertragung auf Grund der Bestimmungen der Artikel II und III dieser Direktive unterliegt, oder dessen Erwerb von den in Artikel II und III bezeichneten Organisationen abgelehnt wird, ist der Regierung des Landes oder der Provinz zu übertragen, wo sich das Vermögen befindet.
2. Die Regierung eines Landes oder einer Provinz kann das Vermögen in eigener Verwaltung behalten und verwenden oder seine Verwendung an Kreise, Bezirke oder Gemeinden ihres Zuständigkeitsbereiches übertragen. Die Verwendung des Vermögens muß innerhalb des Aufgabenkreises des Berechtigten oder seines Rechtsnachfolgers liegen und darf nicht nach dem Dafürhalten des Zonenbefehlshabers eine unangemessene oder unbefugte sein.
3. Die Regierung des Landes oder der Provinz, wo sich das Vermögen befindet, hat gemäß dieser Direktive und gemäß den Anordnungen des Zonenbefehlshabers alles Vermögen, das nicht gemäß Absatz 2 dieses Artikels verwaltet oder verwendet wird, zu verkaufen. Der Reinerlös derartiger Verkäufe muß im Haushaltsplan des betreffenden Landes oder der betreffenden Provinz erscheinen und ist in einer Weise zu verwenden, die nach dem Dafürhalten des Zonenbefehlshabers nicht als unangemessene oder unbefugte Verwendung des Erlöses anzusehen ist.
4. Die Regierung eines Landes oder einer Provinz bleibt ohne Rücksicht darauf, ob sie das Vermögen gemäß den Bestimmungen dieses Artikels in eigener Verwaltung behält, überträgt oder verkauft, dafür verantwortlich, daß dieses Vermögen nicht für einen Zweck verwendet wird, den der Zonenbefehlshaber für ungeeignet erachtet.
5. Wird einem Land oder einer Provinz Eigentum an Vermögen
übertragen, so gehen
a) besondere Haftungen und Belastungen, die auf dem gemäß diesem Artikel
übertragenen Vermögen ruhen, gleichviel, ob sie vor oder nach der Einziehung des
Vermögens entstanden sind, bis zu einem Betrage, der den Wert des übertragenen
Vermögens nicht übersteigt, auf das erwerbende Land oder die erwerbende Provinz
über und
b) das erwerbende Land oder die erwerbende Provinz hat die Haftung für die
Verbindlichkeiten einer Person, deren Vermögen auf Grund dieses Artikels
erworben wurde, zu übernehmen, jedoch mit der Maßgabe, daß diese Haftung unter
Anrechnung der darauf ruhenden Lasten nicht den Wert des durch das Land oder die
Provinz von der betreffenden Person erworbenen Vermögens übersteigen darf, und
mit der weiteren Maßgabe, daß im Falle einer Teileinziehung von Vermögen eine
Haftung für Verbindlichkeiten gemäß diesem Absatz erst dann eintritt, wenn die
Gläubiger sämtliche Rechtsbehelfe gegen die Person, deren Vermögen zum Teil
eingezogen wurde, erschöpft haben. Die Regierung des Landes oder der Provinz,
die das Vermögen erhält, muß in letzter Linie die Zahlung der Gesamtschuld
tragen, für die sie die Haftung übernommen hat, und zwar im Verhältnis zu dem
Wert des Vermögens der betreffenden Person, welches jedes einzelne Land oder
jede einzelne Provinz erworben hat; jedoch braucht vor dem Erlaß weiterer
Anweisungen der Alliierten Kontrollbehörde keine Zahlung geleistet zu werden;
auch dürfen keine Schulden im Widerspruch zu den von der Alliierten
Kontrollbehörde festgelegten Grundsätzen beglichen werden, und insbesondere
dürfen Schulden nicht bezahlt werden, wenn dies zu einer Entschädigung von
Personen führen würde, die die nationalsozialistische Partei oder die
nationalsozialistische Herrschaft unterstützt haben.
Artikel VI. Den Zonenbefehlshabern und in Berlin den Sektorenbefehlshabern obliegt es, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Verfügung über Vermögen sowie dessen Verwendung nach Maßgabe dieser Direktive zu sichern.
Artikel VII. Das Eigentum an Vermögen, das sich in Berlin befindet, ist den Verwaltungsbezirken zu übertragen; es ist darüber nach den obigen für das übrige Deutschland festgesetzten Grundsätzen zu verfügen. Zu diesem Zweck werden in Berlin die der. Zonenbefehlshabern übertragenen Befugnisse von den zuständigen Sektorenbefehlshabern ausgeübt. Die Aufgaben, Befugnisse und Verbindlichkeiten der Landes- oder Provinzialregierungen fallen in bezug auf in Berlin befindliches Vermögen den betreffenden Verwaltungsbezirken zu.
Artikel VIII. 1. Ist von einem auf Grund des
Kontrollratgesetzes Nr. 10 ermächtigten Gericht oder ist auf Grund eines durch
Kontrollratdirektive Nr. 38 ordnungsgemäß festgesetzten Verfahrens gegen eine
Person eine Entscheidung auf Verhängung einer Geldstrafe oder auf
Vermögenseinziehung erlassen worden, so ist in jeder der vier Zonen. wie folgt
zu verfahren:
a) Nach Erlaß und Rechtskraft einer derartigen Entscheidung ist jeder der vier
Zonen und Sektoren eine Ausfertigung dieser Entscheidung mit einer Aufstellung
des in jeder einzelnen der vier Zonen befindlichen und dem Gericht bekannten
Vermögens der verurteilten Person zu übermitteln.
b) Nach Eingang dieser Ausfertigung und der Aufstellung sind diese in Abschrift
an alle diejenigen Landesregierungen weiterzuleiten, in deren
Zuständigkeitsbereich sich das Vermögen der von der Entscheidung betroffenen
Person befindet.
c) Die Landesregierungen oder die zuständigen Regierungen haben unverzüglich die
Einziehung des Vermögens vorzunehmen. Im Falle einer Teileinziehung von Vermögen
haben die Länder oder Provinzen, die sich innerhalb des örtlichen
Zuständigkeitsbereiches des erkennenden Gerichts befinden, von dem Vermögen der
betroffenen Personen, das sich in ihrem Zuständigkeitsbereich befindet, den
angegebenen Prozentsatz zu entnehmen; alle anderen Länder oder Provinzen, die
sich außerhalb des örtlichen Zuständigkeitsbereiches des erkennenden Gerichts
befinden, und in denen sich anderes Vermögen der betroffenen Personen befindet,
sind berechtigt, nach Maßgabe der obigen Bestimmungen deren Vermögen innerhalb
ihres Zuständigkeitsbereiches im gleichen Verhältnis einzuziehen.
2. Lautet die Entscheidung auf Geldstrafe; so ist diese in erster Linie von demjenigen Vermögen zu erheben, welches sich in dem Land oder der Provinz befindet, wo die Entscheidung erlassen wurde; in zweiter Linie ist sie von in anderen Ländern oder Provinzen befindlichem Vermögen derjenigen Zone, in welcher die Entscheidung erlassen wurde, zu erheben. Ein etwa verbleibender Restbetrag ist in denjenigen Ländern oder in denjenigen Provinzen zu erheben, in denen sich der größte Teil des Vermögens der von der Entscheidung betroffenen Person befindet, und die anderen Zonen und Sektoren sind in gleicher Weise wie unter Ziffer 1 a vorgesehen über die Geldstrafe und über die Vermögensaufstellung der verurteilten Person zu verständigen.
3. Die Bestimmungen dieses Artikels stehen der Verhängung weiterer Strafen durch eine neue Entscheidung auf Grund neuer Anklagen und Beweise gegen eine bereits von einer Entscheidung betroffenen Person nicht entgegen.
4. Jeglicher Zuwachs des Vermögens im Sinne der Ziffern 1-3 dieses Artikels ist als den Artikeln II, III, V und IX dieser Direktive unterliegendes Vermögen zu behandeln.
Artikel IX. 1. Die Zonenbefehlshaber sollen
Vermögen, das als Kriegspotential der Zerstörung unterliegt, vernichten;
reparationspflichtiges Vermögen für Reparationszwecke bestimmen; Vermögen, das
für Besetzungszwecke bestimmt ist, für diese Zwecke verwenden; ferner sollen sie
zurückerstatten:
a) an die betreffende Regierung das auf Grund der Bestimmung des Begriffes
„Wiedergutmachung" seitens der Alliierten Kontrollbehörde
rückerstattungspflichtige Vermögen;
b) Vermögen der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung.
Dabei ist in derselben Weise zu verfahren, wie mit gleichartigem Vermögen, das nicht Eigentum von in Artikel 1 dieser Direktive bezeichneten Personen ist.
2. Zum Zwecke der Verwirklichung der Ziele dieses Artikels können die Zonenbefehlshaber Rechtsgeschäfte oder Maßnahmen hinsichtlich des gemäß dieser Direktive übertragenen Vermögens, die sie für unvereinbar mit dem Zweck und Inhalt dieser Direktive erachten, jederzeit aufheben oder abändern.
Artikel X. Diese Direktive tritt mit dem Tage ihrer Unterzeichnung in Kraft.
Ausgefertigt in Berlin, den 15. Januar 1948.
(Die in den drei offiziellen Sprachen abgefaßten Originaltexte dieser Direktive sind von . N. C. D. Brownjohn, Generalmajor, R. Noiret, Divisionsgeneral G. S. Lukianchenko, Generalleutnant, für M. I. Dratvin, Generalleutnant, und George P. Hays, Generalmajor, unterzeichnet )