Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz
vom 14. November 1935
geändert bzw. ergänzt durch
Siebente Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 5. Dezember 1938 (RGBl. I. S.
1751),
Neunte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 5. Mai 1939 (RGBl. I. S. 891).
aufgehoben infolge der Aufhebung des, durch das Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September 1945 aufgehobenen Reichsbürgergesetz
Auf Grund des § 3 des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 (RGBl. I. S. 1146) wird folgendes verordnet:
§ 1. (1) Bis zum Erlaß weiterer Vorschriften über den Reichsbürgerbrief gelten vorläufig als Reichsbürger die Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes, die beim Inkrafttreten des Reichsbürgergesetzes das Reichstagswahlrecht besessen haben, oder denen der Reichsminister des Innern im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers das vorläufige Reichsbürgerrecht verleiht.
(2) Der Reichsminister des Innern kann im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers das vorläufige Reichsbürgerrecht entziehen.
§ 2. (1) Die Vorschriften des § 1 gelten auch für die staatsangehörigen jüdischen Mischlinge.
(2) Jüdischer Mischling ist, wer von einem oder zwei der Rasse nach volljüdischen Großelternteilen abstammt, sofern er nicht nach § 5 Abs. 2 als Jude gilt. Als volljüdisch gilt ein Großelternteil ohne weiteres, wenn er der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat.
§ 3. Nur der Reichsbürger kann als Träger der vollen politischen Rechte das Stimmrecht in politischen Angelegenheiten ausüben und ein öffentliches Amt bekleiden. Der Reichminister des Innern oder die von ihm ermächtigte Stelle kann für eine Übergangszeit Ausnahmen für die Zulassung zu öffentlichen Ämtern gestatten. Die Angelegenheiten der Religionsgesellschaften werden nicht berührt.
§ 4. (1) Ein Jude kann nicht Reichsbürger sein. Im steht ein Stimmrecht in politischen Angelegenheiten nicht zu; er kann ein öffentliches Amt nicht bekleiden.
(2) Jüdische Beamte treten mit Ablauf des 31. Dezember 1935 in den Ruhestand. Wenn diese Beamten im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder für seine Verbündeten gekämpft haben, erhalten sie bis zur Erreichung der Altersgrenze als Ruhegehalt die vollen zuletzt bezogenen ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge; sie steigen jedoch nicht in Dienstaltersstufen auf. Nach Erreichung der Altersgrenze wird ihr Ruhegehalt nach den letzten ruhegehaltsfähigen Dienstbezügen neu berechnet.
(3) Die Angelegenheiten der Religionsgesellschaften werden nicht berührt.
(4) Das Dienstverhältnis der Lehrer an öffentlichen jüdischen Schulen bleibt bis zur Neuregelung des jüdischen Schulwesens unberührt.
Siebente Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 5. Dezember
1938 wurde der § 4 Abs. 2 Satz 2 und 3 und der § 1 Abs. 5 der Zweiten Verordnung
zum Reichsbürgergesetz aufgehoben und durch den § 2 der Verordnung ersetzt, der
folgenden Wortlaut hatte:
"§ 2. (1) Das Ruhegehalt der jüdischen Beamten, die
a) nach § 4 Abs. 2 Satz 1 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.
November 1935 (RGBl. I. S. 1333) mit Ablauf des 31. Dezember 1935,
b) nach § 2 Nr. 1 des Gesetzes über Maßnahmen im ehemaligen oberschlesischen
Abstimmungsgebiet vom 30. Juni 1937 (RGBl. I. S. 717) mit Ablauf des 31. August
1937
in den Ruhestand getreten sind und als Ruhegehalt bisher die vollen zuletzt
bezogenen ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge oder ihr Wartegeld erhalten haben, ist
auf Grund der allgemeinen versorgungsrechtlichen Vorschriften nach dem Stande
zu a) vom 31. Dezember 1935,
zu b) vom 31. August 1937
neu festzusetzen und mit Wirkung vom 1. Januar 1939 ab an Stelle der bisher
gewährten Bezüge zu zahlen.
(2) Bereits gezahlte Beträge sind zu belassen."
siehe zu Abs. 2 die Zweite Verordnung zum
Reichsbürgergesetz vom 21. Dezember 1935 (RGBl. I. S. 1524), die folgendes
bestimmte:
"§ 1. (1) Beamten im Sinne des § 4 Abs. 2 der Ersten
Verordnung vom 14. November 1935 zum Reichsbürgergesetz (RGBl. I. S. 1333) sind
unmittelbare und mittelbare Beamte des Reichs - mit Ausnahme der Notare, denen
die Gebühren selbst zufließen -, unmittelbare und mittelbare Beamte der Länder
und Beamte der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie Beamte von Körperschaften
des öffentlichen Rechts. Als beamte im Sinne dieser Vorschrift gelten auch
Bedienstete der Träger der Sozialversicherung, welche die Rechte und Pflichten
der Beamten haben.
(2) Zu den Beamten im Sinne des § 4 Abs. 2 der Ersten Verordnung zum
Reichsbürgergesetz gehören auch die Beamten, die unter Gewährung ihrer vollen
Bezüge oder eines Teiles ihrer Bezüge vom Amt enthoben sind, die Lehrer im
öffentlichen Schuldienst und die Lehrer an den wissenschaftlichen Hochschulen,
soweit sie nicht von ihren amtlichen Verpflichtungen entbunden sind.
(3) Als Beamte im Sinne des § 4 Abs. 2 der Ersten Verordnung zum
Reichsbürgergesetz gelten ferner die Honorarprofessoren, die nicht beamteten
außerordentlichen Professoren und die Privatdozenten an wissenschaftlichen
Hochschulen. Bei ihnen tritt an die Stelle des Übertritts in den Ruhestand die
Entziehung der Lehrbefugnis; das gleiche gilt für die von ihren amtlichen
Verpflichtungen entbundenen Lehrer an den wissenschaftlichen Hochschulen.
(4) Die Bestimmungen des § 4 Abs. 2 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz
gelten sinngemäß für die Angehörigen der Wehrmacht.
(5) Wartestandsbeamte, die im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder
für seine Verbündeten gekämpft haben, erhalten als Ruhegehalt ihr Wartegeld bis
zu dem Zeitpunkt, zu dem sie auf Grund der allgemeinen Vorschriften sonst in den
endgültigen Ruhestand getreten wären; als Ruhegehalt erhalten sie ihr Wartegeld
auch dann, wenn sie zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens als nicht planmäßige Beamte
voll beschäftigt waren. (aufgehoben durch die Siebente Verordnung zum
Reichsbürgergesetz vom 5. Dezember 1938).
(6) Ist gegen einen Beamten (Abs. 1 bis 4) ein förmliches Disziplinarverfahren
anhängig, so kann dieses mit dem Ziele der Aberkennung des Ruhegehalts und der
Amtsbezeichnung fortgeführt werden.
§ 2. (1) Beamte im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 2 der Ersten Verordnung zum
Reichsbürgergesetz, die beim Übertritt in den Ruhestand nach den allgemeinen
versorgungsrechtlichen Bestimmungen ein Ruhegehalt noch nicht erdient hatten
oder die überhaupt keinen Anspruch auf Ruhegehalt haben, kann bei Würdigung und
Bedürftigkeit ein jederzeit widerruflicher Unterhaltszuschuß gewährt werden.
(2) Der Unterhaltszuschuß wird nach Richtlinien bewilligt, die der
Reichsminister der Finanzen im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern
erläßt. Die Richtlinien sind für die Gemeinden und Gemeindeverbände und die
Körperschaften des öffentlichen Rechts verbindlich.
(3) Den Beamten nach Abs. 1 dieser Vorschrift werden gleichgestellt die Notare,
denen die Gebühren selbst zufließen. Über die Gleichstellung anderer Gruppen von
nicht beamteten Trägern eines öffentlichen Amtes entscheidet der Reichsminister
des Innern im Einvernehmen mit dem Reichsminister der Finanzen.
(4) Wird einem Beamten, der beim Übertritt in den Ruhestand nach den allgemeinen
versorgungsrechtlichen Bestimmungen ein Ruhegehalt noch nicht erdient hatte, ein
Unterhaltszuschuß bewilligt, so findet eine Nachversicherung nach Maßgabe der
reichsgesetzlichen Sozialversicherung nicht statt. In den Fällen, in denen der
Unterhaltszuschuß widerrufen wird oder der Unterhaltszuschuß zeitlich beschränkt
bewilligt worden ist, finden die Vorschriften der Reichsversicherung über die
Nachversicherung von Personen, die von der Versicherungspflicht befreit sind,
vom Zeitpunkt des Widerrufs oder des Fortfalls des Unterhaltszuschusses ab
Anwendung. Hierbei gilt die Zeit zwischen dem Ausscheiden und der
Nachversicherung als Ersatzzeit für die Erhaltung der Anwartschaft.
§ 3. Die Reichsbank und die Deutsche Reichsbahngesellschaft werden
ermächtigt, dem § 4 Abs. 2 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz und dem
§ 2 dieser Verordnung entsprechende Bestimmungen zu erlassen.
§ 4. (1) Bei Beamten im Sinne des § 4 Abs. 2 der Ersten Verordnung zum
Reichsbürgergesetz, die beim Übertritt in den Ruhestand nach den allgemeinen
versorgungsrechtlichen Bestimmungen ein Ruhegehalt noch nicht erdienst hatten
oder die überhaupt keinen Anspruch auf Ruhegehalt haben, sowie bei den Notaren,
denen die Gebühren selbst zufließen, finden auf die Kündigung von
Mietverhältnissen über Räume, die sie für sich oder ihre Familie gemietet haben,
die Vorschriften des Gesetzes über das Kündigungsrecht der durch das Gesetz zur
Wiederherstellung des Berufsbeamtentums betroffenen Personen vom 7. April 1933
(RGBl. I. S. 187) entsprechende Anwendung. Die Kündigung muß für den 31. März
1936 erfolgen und dem Vermieter spätestens am 31. Januar 1936 zugehen.
(2) Das gleiche gilt für Mietverhältnisse der Angestellten von Notaren, die
durch das Ausscheiden des Notars stellungslos geworden sind.
§ 5. (1) Träger eines öffentlichen Amtes im Sinne des § 4 Abs. 1 der
Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz sind neben den Beamten die Personen,
die dazu bestellt sind, obrigkeitliche oder hoheitliche Aufgaben zu erfüllen.
(2) In Zweifelsfällen entscheidet der Reichsminister des Innern im Einvernehmen
mit dem Reichsminister der Finanzen, ob ein öffentliches Amt im sinne dieser
Bestimmung vorliegt.
(3) Aus Beurlaubungen oder sonstigen behördlichen Maßnahmen, die gegen Träger
eines öffentlichen Amtes im Hinblick auf das Reichsbürgergesetz getroffen sind,
können Ansprüche nicht hergeleitet werden.
(4) Amtshandlungen sind nicht deshalb rechtsunwirksam, weil der Träger des
öffentlichen Amtes im Sinne des Absatzes 1 sie nach dem 14. November 1935
vorgenommen hat, obwohl er uz diesem Zeitpunkt nach § 4 Abs. 1 der Ersten
Verordnung zum Reichsbürgergesetz bereits ausgeschieden war.
(5) War ein Notar, der auf Grund es § 4 Abs. 1 der Ersten Verordnung zum
Reichsbürgergesetz ausgeschieden ist, beurlaubt, und hat aus diesem Grunde ein
Gericht oder eine andere Behörde eine zur Zuständigkeit des Notars gehörende
Amtshandlung vorgenommen, so können hieraus Bedenken gegen die Wirksamkeit
dieser Handlung nicht hergeleitet werden.
$ 6. (1) Die Bestimmung des § 4 Abs. 1 der Ersten Verordnung zum
Reichsbürgergesetz über die Bekleidung eines öffentlichen Amtes gilt auch für
die Stellung des leitenden Arztes an öffentlichen Krankenanstalten sowie freien
gemeinnützigen Krankenanstalten und des Vertrauensarztes.
(2) Jüdische leitende Ärzte an öffentlichen Krankenanstalten sowie freien
gemeinnützigen Krankenanstalten und jüdische Vertrauensärzte scheiden mit dem
31. März 1936 aus ihrer Stellung aus. Bestehende Verträge erlöschen mit dem
gleichen Zeitpunkt.
(3) Jüdische Krankenhäuser werden von dieser Regelung nicht betroffen.
(4) In Zweifelsfällen entscheidet der Reichsminister des Innern nach Anhörung
der Reichsärztekammer."
siehe zu Abs. 4 die Zehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 4. Juli 1939 (RGBl. I. S. 1097).
§ 5. (1) Jude ist, wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt. § 2 Abs. 2 Satz 2 findet Anwendung.
(2) Als Jude gilt auch der von zwei
volljüdischen Großeltern abstammende staatsangehörige jüdische Mischling,
a) der beim Erlaß des Gesetzes der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat
oder danach in sie aufgenommen wird,
b) der beim Erlaß des Gesetzes mit einem Juden verheiratet war oder sich danach
mit einem solchen verheiratet,
c) der aus einer Ehe mit einem Juden im Sinne des Absatzes 1 stammt, die nach
dem Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der
deutschen Ehre vom 15. September 1935 (RGBl. I. S. 1146) geschlossen ist,
d) der aus dem außerehelichen Verkehr mit einem Juden im Sinne des Absatzes 1
stammt und nach dem 31. Juli 1936 außerehelich geboren wird.
Durch die Neunte Verordnung zum Reichsbürgergesetz wurde
eine Ausnahmeregelung zum § 5 Abs. 2 lit. b) bestimmt:
"Bei Anwendung des § 5 Abs. 2 b der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom
14. November 1935 (RGBl. I. S. 1333) gilt nicht als mit einem Juden verheiratet
der von zwei volljüdischen Großeltern abstammende staatsangehörige jüdische
Mischling, dessen Ehe in Österreich nach österreichischem Recht dem Bande nach
nicht getrennt werden konnte, aber am 16. September 1935 rechtskräftig von Tisch
und Bett geschieden war, es sei denn, daß er sich seit diesem Zeitpunkt mit dem
anderen Ehegatten wieder vereinigt hat (§ 110 des österreichischen Allgemeinen
Bürgerlichen Gesetzbuchs). Der Scheidung der Ehe von Tisch und Bett steht die
Trennung der Ehe von Tisch und Bett nach dem burgenländischen Eherecht gleich."
§ 6. (1) Soweit in Reichsgesetzen oder in Anordnungen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei und ihrer Gliederungen Anforderungen an die Reinheit des Blutes gestellt werden, die über § 5 hinausgehen, bleiben sie unberührt.
(2) Sonstige Anforderungen an die Reinheit des Blutes, die über § 5 hinausgehen, dürfen nur mit Zustimmung des Reichsministers des Innern und des Stellvertreters des Führers gestellt werden. Soweit Anforderungen dieser Art bereits bestehen, fallen sie am 1. Januar 1936 weg, wenn sie nicht von dem Reichsminister des Innern im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers zugelassen werden. Der Antrag auf Zulassung ist bei dem Reichsminister des Innern zu stellen.
§ 7. Der Führer und Reichskanzler kann Befreiungen von den Vorschriften der Ausführungsverordnungen erteilen.
Berlin, den 14. November 1935
Der Führer und Reichskanzler
Adolf Hitler
Der Reichminister des Innern
Frick
Der Stellvertreter des Führers
R. Heß
Reichsminister ohne Geschäftsbereich