Gesetz über die Zuständigkeit und das Verfahren der Gerichte zur Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen
-GNV-

vom 29. Juni 1990

faktisch aufgehoben durch
Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889), Anl. I, Kap. III, Sachgebiet A, Abschn. III, Nr. 1 u) und Nr. 6.

 

§ 1. Geltungsbereich. (1) Dieses Gesetz regelt die Zuständigkeit und das Verfahren der Gerichte zur Nachprüfung von Einzelentscheidungen, die von Behörden gegenüber natürlichen und juristischen Personen sowie nichtrechtsfähigen Vereinigungen und anderer Subjekten, soweit sie Adressaten von Verwaltungsentscheidungen sein können, getroffen worden sind (nachfolgend Verwaltungsentscheidung genannt).

(2) Behörden im Sinne dieses Gesetzes sind Verwaltungsorgane sowie staatliche und sonstige Einrichtungen oder Betriebe, soweit ihnen die Befugnis übertragen wurde, Verwaltungsentscheidungen zu treffen.

§ 2. Zulässigkeit des Gerichtsweges. Der Gerichtsweg ist insbesondere zulässig zur Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen über
a) die Übertragung, den Entzug oder die Beschränkung von Eigentums- und Nutzungsrechten,
b) den Entzug oder die Beschränkung der Ausübung des Rechts auf Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit sowie des Rechts auf Vereinigung,
c) die Erteilung, die Versagung, den Entzug oder die Beschränkung von Erlaubnissen oder Genehmigungen zur Berufsausübung einschließlich nebenberuflicher Tätigkeit,
d) die Erteilung, die Versagung, den Entzug oder die Beschränkung von Erlaubnissen oder Genehmigungen für die Ausübung eines Gewerbes,
e) die Erteilung, die Versagung, den Widerruf der Genehmigung sowie gegen Auflagen bei der Gründung und Tätigkeit von Unternehmen mit ausländischer Beteiligung,
f) die Erteilung, die Versagung, den Widerruf oder die Beschränkung von Genehmigungen für die Errichtung, Veränderung oder den Abriß von Gebäuden und baulichen Anlagen,
g) den Zugang zu Universitäten, Hochschulen und Fachschulen,
h) Ansprüche aus der Sozialfürsorge,
i) Ansprüche aus der Sozialversicherung und aus der Arbeitsförderung,
j) Steuern und Abgaben,
k) die Anwendung und Durchsetzung verwaltungsrechtlicher Zwangsmaßnahmen,
l) Ordnungsstrafmaßnahmen.

§ 3. Recht zur Anrufung des Gerichts. (1) Die gerichtliche Nachprüfung einer Verwaltungsentscheidung kann verlangt werden, wenn das gegen die Verwaltungsentscheidung vorgesehene Rechtsmittel eingelegt und darüber auf dem Verwaltungswege abschließend entschieden wurde. Soweit in den Rechtsvorschriften kein Rechtsmittel vorgesehen ist, kann die gerichtliche Nachprüfung der Verwaltungsentscheidung verlangt werden, wenn die erste Verwaltungsentscheidung getroffen wurde.

(2) Hat die Behörde die Entgegennahme eines Antrages verweigert oder über einen Antrag oder die Beschwerde innerhalb von 2 Monaten seit Einreichung weder entschieden noch Zwischenbescheid erteilt, ist der Gerichtsweg zur Verpflichtung der Behörde zum Tätigwerden zulässig, es sei denn, daß sich aus anderen Regelungen längere oder aus Gründen der Eilbedürftigkeit kürzere Fristen ergeben.

(3) Die Behörde hat in jeder nicht antragsgemäßen abschließenden Entscheidung darüber zu belehren, daß eine gerichtliche Nachprüfung innerhalb von 1 Monat beim zuständigen Gericht beantragt werden kann.

(4) Rechtsmittel gemäß § 3 Abs. 1 und Klagen zur Prüfung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung haben aufschiebende Wirkung, soweit in Gesetzen oder anderen Rechtsvorschriften nichts anderes festgelegt ist.

§ 4. Rechte der Prozeßparteien im gerichtlichen Verfahren. (1) Die Prozeßparteien haben das Recht und die Pflicht, am Verfahren teilzunehmen, insbesondere an der Feststellung des Sachverhalts mitzuwirken. Sie haben Anspruch darauf, vor Gericht in mindestens einer Instanz gehört zu werden und in die Prozeß- und die vom Gericht in dieser Sache beigezogenen Akten einzusehen.

(2) Die Prozeßparteien können sich durch einen zugelassenen Rechtsanwalt oder einen anderen Bevollmächtigten vertreten lassen.

§ 5. Örtliche Zuständigkeit des Gerichts. (1) Für die Durchführung des Verfahrens ist das Gericht gemäß § 13 Abs. 1 und 2 zuständig, zu dessen territorialem Bereich die Behörde gehört, die die erste Verwaltungsentscheidung getroffen hat. Das gilt auch, wenn nur die Beschwerdeentscheidung angefochten wird.

(2) Die territoriale Zuordnung der Behörde wird von deren örtlicher Zuständigkeit bestimmt.

§ 6. Einleitung des Verfahrens. (1) Das Verfahren zur gerichtlichen Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen wird durch Klage eingeleitet. Die Klage ist schriftlich innerhalb von 1 Monat nach Zugang der abschließenden Entscheidung der Behörde bei dem erstinstanzlich zuständigen Gericht einzureichen. Sie ist zu begründen und zu unterschreiben. Die Entscheidungen der Behörden sind beizufügen.

(2) Die Behörde, die die erste Entscheidung getroffen oder die Entgegennahme eines Antrages abgelehnt hat oder untätig geblieben ist, ist die zu verklagende Prozeßpartei. Richtet sich die Klage ausschließlich gegen die Beschwerdeentscheidung„ ist die Behörde zu verklagen, die die Beschwerdeentscheidung getroffen hat.

§ 7. Verhandlung. (1) Über die Klage wird nach mündlicher Verhandlung entschieden. Das Gericht kann eine Beweisaufnahme durchführen. Von einer mündlichen Verhandlung darf nur abgesehen werden, wenn Gründe vorliegen, die eine Verhandlung und Entscheidung zur Sache ausschließen.

(2) Der Vorsitzende hat den Verhandlungstermin zu bestimmen und die Prozeßparteien zu laden. Die Klage ist der verklagten Behörde zuzustellen. Das Erscheinen der Prozeßparteien kann angeordnet werden. Der Vorsitzende kann von der verklagten Behörde sowie von anderen Behörden und Einrichtungen insbesondere fordern, zur Klage Stellung zu nehmen, Auskünfte zu erteilen und Urkunden vorzulegen.

(3) Bei besonderer Eilbedürftigkeit können auf Antrag Festlegungen durch einstweilige Anordnung gemäß Zivilprozeßordnung getroffen werden.

§ 8. Umfang der Nachprüfung. (1) Die Nachprüfung des Gerichts erstreckt sich auf die Feststellung, ob die Verwaltungsentscheidung rechtswidrig ist und dadurch Rechte des Klägers verletzt wurden.

(2) Das Gericht prüft auch, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung zur Ermessensentscheidung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.

§ 9. Beendigung des Verfahrens. (1) Das Gericht entscheidet über die Klage durch Urteil und in den gesetzlich vorgesehenen Fällen durch Beschluß.

(2) Soweit die Verwaltungsentscheidung rechtswidrig ist und Rechte des Klägers verletzt, hebt das Gericht die Entscheidung auf. Es kann in der Sache selbst entscheiden:

(3) Ist die Sache nicht entscheidungsreif, kann das Gericht sie zur erneuten Entscheidung an die zuständige Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist an die Rechtsauffassung des Gerichts gebunden.

(4) Die Klage ist abzuweisen, wenn sie unzulässig oder unbegründet ist.

(5) Der Rechtsstreit kann durch Einigung der Prozeßparteien beendet werden.

§ 10. Rechtsmittel. (1) Gegen die in erster Instanz ergangenen Urteile und Beschlüsse sind das Rechtsmittel der Berufung oder der Beschwerde und gegen Rechtsmittelentscheidungen die Revision nach den Bestimmungen der Zivilprozeßordnung zulässig. Sie sind nach Zustellung innerhalb der bestimmtem Frist schriftlich bei dem Gericht einzulegen, das die Entscheidung getroffen hat.

(2) In Finanzangelegenheiten gelten die besonderen Rechtsmittelbestimmungen der Abgabenordnung.

§ 11. Kostenbestimmung. Für das gerichtliche Verfahren zur Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen werden Gerichtskosten nach den Bestimmungen der Zivilprozeßordnung erhoben. Verfahren gemäß § 2 Buchstabe h und i sind gerichtskostenfrei. Darüber hinaus kann durch Gesetz oder Verordnung für weitere Verfahren eine Befreiung von den Gerichtskosten bestimmt werden.

§ 12. Anzuwendende Bestimmungen. (1) Auf das gerichtliche Verfahren zur Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, die Zivilprozeßordnung anzuwenden.

(2) In Finanzangelegenheiten finden die prozeßrechtlichen Bestimmungen der Abgabenordnung Anwendung.

Schlußbestimmungen

§ 13. (1) Für die Durchführung der erstinstanzlichen Verfahren nach § 2 Buchstaben a bis i sind die Kreisgerichte der Bezirksstädte, in Berlin das Stadtbezirksgericht Mitte, zuständig.

(2) Für die Durchführung der erstinstanzlichen Verfahren gemäß § 2 Buchstabe j und für die Verhandlung und Entscheidung über Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Kreisgerichte sind die Bezirksgerichte
    Schwerin für die Bezirke Schwerin, Rostock und Neubrandenburg
    Potsdam für die Bezirke Potsdam, Frankfurt/Oder und Cottbus
    Magdeburg für die Bezirke Magdeburg und Halle
    Dresden für die Bezirke Leipzig, Dresden und Karl-Marx-Stadt (Chemnitz)
    Erfurt für die Bezirke Erfurt, Suhl und Gera zuständig.

Für Berlin - Hauptstadt der DDR - ist das Stadtgericht zuständig.

(3) Für die Verhandlung und Entscheidung über die Revision gegen Entscheidungen der Bezirksgerichte und über die Beschwerden gegen Entscheidungen der Senate für Finanzrecht der nach Abs. 2 zuständigen Bezirksgerichte ist das Oberste Gericht der DDR zuständig.

(4) Die Rechtsprechung des Kreisgerichts gemäß § 2 Buchstaben a bis h wird durch Kammern für Verwaltungsrecht und gemäß § 2 Buchstabe i durch Kammern für Sozialrecht ausgeübt. Die Kammern für Verwaltungsrecht verhandeln und entscheiden mit einem Richter als Vorsitzenden, zwei weiteren Richtern und zwei ehrenamtlichen Richtern und die Kammern für Sozialrecht in der Besetzung mit einem Richter als Vorsitzenden und mit zwei ehrenamtlichen Richtern.

(5) Die Rechtsprechung der Bezirksgerichte gemäß § 2 Buchstabe j wird durch die Senate für Finanzrecht ausgeübt. Die Senate verhandeln und entscheiden in der Besetzung mit einem Richter als Vorsitzenden, zwei weiteren Richtern und zwei ehrenamtlichen Richtern. Der Rechtsmittelsenat des ®bersten Gerichts verhandelt und entscheidet mit einem Richter als Vorsitzenden und vier weiteren Richtern.

(6) In Angelegenheiten gemäß § 2 Buchstaben k und 1 verhandeln und entscheiden die Kammern für Verwaltungsrecht. Die Kammern für Sozialrecht oder die Senate für Finanzrecht verhandeln und entscheiden, wenn der zugrunde liegende Sachverhalt ihre Zuständigkeit begründen würde.

(7) Bei Entscheidungen außerhalb der mündlichen Verhandlung entfällt die Mitwirkung ehrenamtlicher Richter.

§ 14. (1) Das Gesetz tritt am 1. Juli 1990 in Kraft.

(2) Gleichzeitig tritt das Gesetz vom 14. Dezember 1988 über die Zuständigkeit und das Verfahren der Gerichte zur Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen (GBl. 1 Nr. 28 S. 327) außer Kraft.

(3) Verfahren, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits gerichtsanhängig sind, sind auf der Grundlage des bisher geltenden Rechts abzuschließen. Gegen ergangene Entscheidungen ist das Rechtsmittel zulässig. § 10 dieses Gesetzes ist entsprechend anzuwenden.

(4) Mit Inkrafttreten dieses Gesetzes gelten die diesem entgegenstehenden Bestimmungen in anderen Rechtsvorschriften als aufgehoben. Soweit in Gesetzen oder anderen Rechtsvorschriften auf die durch dieses Gesetz aufgehobenen oder geänderten Bestimmungen verwiesen worden ist, treten die entsprechenden Bestimmungen dieses Gesetzes an ihre Stelle.

(5) Rechtsvorschriften zur Durchführung dieses Gesetzes erläßt der Minister der Justiz.

Das vorstehende, von der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik am neunundzwanzigsten Juni neunzehnhundertneunzig beschlossene Gesetz wird hiermit verkündet.

    Berlin, den neunundzwanzigsten Juni neunzehnhundertneunzig

Die Präsidentin der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik
Bergmann-Pohl


Quellen Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1990 Teil I S. 595
© 10. April 2005

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