Gesetz über die Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik

vom 23. Mai 1952

geändert und ergänzt durch
Gesetz vom 24. Januar 1962 (GBl. I. S. 28)

aufgehoben durch
Gesetz über die Staatsanwaltschaft der DDR vom 17. April 1963 (GBl. I. S. 57)

Die Festigung der demokratischen Gesetzlichkeit, die Stärkung der antifaschistisch-demokratischen Ordnung und der Schutz der demokratischen Rechte der Bürger ist eine Aufgabe unseres Staates. Die Achtung der Gesetzlichkeit ist die höchste Pflicht eines jeden Staatsorgans und eines jeden Bürgers. Es ist die besondere Funktion der Staatsanwaltschaft, die Einhaltung der Gesetze zu garantieren. Die Entwicklung der Staatsanwaltschaft in der Deutschen Demokratischen Republik ist gekennzeichnet durch das Gesetz über die Errichtung der Obersten Staatsanwaltschaft vom 8. Dezember 1949 (GBl. S. 111), die Verordnung über die Vereinfachung der Justiz vom 27. September 1951 (GBl. S. 877) und den Beschluß des Ministerrats über die Festigung der demokratischen Gesetzlichkeit vom 27. März 1952 (MinBl. S. 35). In Fortführung dieser Entwicklung beschließt die Volkskammer folgendes Gesetz:

Erster Abschnitt
Organisation und Struktur der Staatsanwaltschaft

§ 1. (1) Die Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik ist ein von anderen Staatsorganen unabhängiges, Organ der Staatsgewalt. Sie untersteht dem Ministerrat.

(2) Es ist die besondere Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die Aufsicht über die strikte Einhaltung der Gesetze und Verordnungen der Deutschen Demokratischen Republik zu führen, das Ermittlungs- und Untersuchungsverfahren zu leiten, vor Gericht in Straf- und Zivilverfahren tätig zu sein und den Vollzug der Strafe zu überwachen.

Durch Gesetz vom 24. Januar 1962 wurde dem § 1 folgender Absatz angefügt:
"(3) Die Erfüllung der staatsanwaltschaftlichen Aufgaben in den bewaffneten Organen obliegt der Militärstaatsanwaltschaft. Der Militäroberstaatsanwalt untersteht dem Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik. Bestimmungen über die Militärstaatsanwaltschaft erläßt der Ministerrat."

§ 2. Die Staatsanwaltschaft wird von dem Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik geleitet. Alle Staatsanwälte sind seinen Weisungen unterworfen. Er ernennt und entläßt alle Staatsanwälte.

§ 3. Der Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik: wird gemäß den Bestimmungen der Verfassung von der Volkskammer' auf die Dauer von fünf Jahren gewählt.

§ 4. Staatsanwalt kann nur sein, wer nach seiner Persönlichkeit und Tätigkeit die Gewähr dafür bietet, daß er sein Amt gemäß den Grundsätzen der Verfassung ausübt. Der Staatsanwalt muß eine staatlich anerkannte juristische Ausbildung mit Erfolg beendet haben oder sonst auf Grund seiner Persönlichkeit und Fähigkeiten für die Tätigkeit eines Staatsanwalts geeignet sein.

§ 5. (1) Jeder Staatsanwalt ist dem ihm übergeordneten Staatsanwalt verantwortlich.

(2) Alle Staatsanwälte sind dem Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik verantwortlich.

Jeder übergeordnete Staatsanwalt  kann die Sachen, für deren Bearbeitung ein nachgeordneter Staatsanwalt zuständig ist, selbst übernehmen oder einen anderen Staatsanwalt mit ihrer Erledigung beauftragen.

Dem Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik unterstehen
a) in den Ländern: die Landesstaatsanwälte
b) in den Kreisen: die Kreisstaatsanwälte.

Dem Generalstaatsanwalt, den Landesstaatsanwälten und den Kreisstaatsanwälten ist die erforderliche Zahl von Staatsanwälten beigeordnet. Die beigeordneten Staatsanwälte handeln als Vertreter des Leiters der jeweiligen Staatsanwaltschaft.

§ 9. (1) Der Sitz des Generalstaatsanwalts ist Berlin, die Hauptstadt Deutschlands.

(2) Die Landesstaatsanwälte haben ihren Sitz am Sitz der Landesregierung, Die Kreisstaatsanwälte haben ihren Sitz am Sitz des Rates des Kreises.

Zweiter Abschnitt
Die Aufsicht des Staatsanwalts
über die strikte Einhaltung der Gesetze und Verordnungen der Deutschen Demokratischen Republik

§ 10. (1) Der Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik übt die höchste Aufsicht aus über die strikte Einhaltung der Gesetze und der Verordnungen der Deutschen Demokratischen Republik.

(2) Diese Aufsicht erstreckt sich auf alle Ministerien, Ämter und ihnen unterstellten Dienststellen und Einrichtungen, auf Betriebe und ebenso auf alle Funktionäre des Staatsapparates und Bürger:

§ 11. Der Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik wacht darüber, daß die von den Ministerien und Ämtern sowie von allen übrigen Organen der staatlichen Verwaltung und der Wirtschaft herausgegebenen Anordnungen, Beschlüsse und sonstigen Bestimmungen mit den Gesetzen und Verordnungen der Deutschen Demokratischen Republik in Einklang stehen,

§ 12. Die Aufsicht über die Gesetzlichkeit wird vom Staatsanwalt dadurch ausgeübt, daß er
1. auf sein Verlangen von den Ministerien und Ämtern sowie von allen übrigen Organen der Verwaltung und der Wirtschaft alle Anordnungen, Beschlüsse und sonstigen Bestimmungen erhält, die in Durchführung, der Gesetze und der Verordnungen der Deutschen Demokratischen Republik ergangen sind;
2. von den im § 10 genannten Behörden, Organisationen, Betrieben und Funktionären des Staatsapparates schriftliche und mündliche -Berichte über Tatsachen erhält oder der Presse Tatsachen entnimmt; aus denen auf eine Verletzung von Gesetzen oder Verordnungen geschlossen werden kann;
3. Beschwerden der Bürger über die Verletzung ihrer gesetzlichen Rechte und Interessen entgegennimmt und . diesen Beschwer den nachgeht;
4. bei gerichtlichen Verhandlungen auf Tatsachen stößt, die auf eine Gesetzesverletzung durch einzelne Organe oder Funktionäre des Staatsapparates schließen lassen. .

§ 13. (1) Stellt der Staatsanwalt eine Gesetzesverletzung fest, so hat er die Gründe der Verletzung Zu erforschen und unverzüglich die notwendigen Maßnahmen zur Wiederherstellung- der Gesetzlichkeit zu ergreifen,

(2) Er erhebt Einspruch gegen ungesetzliche Anordnungen, Beschlüsse und sonstige Bestimmungen sowie gegen jede ungesetzliche Handlung eines Funktionärs des Staatsapparates. Er legt die Gründe dar, die zur Feststellung der Ungesetzlichkeit geführt haben und verlangt unmittelbar von dem Leiter des entsprechenden Organs die Beseitigung der Ungesetzlichkeit: Erforderlichenfalls leitet der Staatsanwalt gegen den Schuldigen das Strafverfahren ein.

§ 14. (1) Der Einspruch ist bei dem Organ einzulegen, gegen dessen Handlung er sich richtet.

(?) Das Organ, bei dem der Einspruch eingelegt ist, hat binnen einer Frist von zwei Wochen zu dem Einspruch Stellung zu nehmen. Erfolgt die Stellungnahme in dieser Frist nicht, so ist die Durchführung der beanstandeten Maßnahme auszusetzen.

(3) Wird dem Einspruch nicht oder nicht in vollem Umfang stattgegeben, so erhebt der übergeordnete Staatsanwalt den Einspruch bei der dem betreffenden Organ übergeordneten Stelle, Der Staatsanwalt ist nicht befugt, Maßnahmen anderer staatlicher Organe selbst aufzuheben, abzuändern oder ihre Durchführung zu unterbrechen.

§ 15. (1) Hat der Staatsanwalt Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Gesetzesverletzung, so kann er zwecks völliger Aufklärung des Sachverhalts von dem Leiter der Dienststelle, der Einrichtung oder des Betriebes verlangen, daß er eine Revision oder Untersuchung durchführt.

(2) Der Staatsanwalt kann von den im Absatz 1 genannten Stellen auch die Vorlage von Akten und Unterlägen verlangen. Er kann von den dazu zuständigen Stellen die Entbindung von Angestellten von ihrer Pflicht zur Amtsverschwiegenheit fordern.

§ 16. (1) Der Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht, an den Sitzungen des'. Ministerrats der Deutschen Demokratischen Republik teilzunehmen.

(2) Die Landesstaatsanwälte haben das Recht, an den Sitzungen der Landesregierung teilzunehmen.

Dritter Abschnitt.
Ermittlungsverfahren und Untersuchungsaufsicht

§ 17. Der Staatsanwalt führt das Ermittlungsverfahren in Strafsachen. Er hat dafür Sarge zu tragen, daß die Umstände der Tat allseitig ermittelt und alle belastenden und entlastenden Umstände aufgeklärt werden, Dein Staatsanwalt obliegt die Aufsicht über alle Untersuchungen, die von den einzelnen Untersuchungsorganen durchgeführt werden.

Vierter Abschnitt
Tätigkeit des Staatsanwalts im Gerichtsverfahren

§ 18. Der Staatsanwalt erhebt die Anklage und vertritt sie vor Gericht.

§ 19. Der Staatsanwalt wacht über die richtige und einheitliche Anwendung, der Gesetze durch die Gerichte, indem er gemäß der Strafprozeßordnung Rechtsmittel einlegt und entsprechend dem Gesetz vorn R. Dezember 1949 (GBl. S. 111) die Kassation rechtskräftiger Entscheidungen beantragt.

§ 20. Der Staatsanwalt ist zum Zwecke der Wahrung der demokratischen Gesetzlichkeit berechtigt, in jedem Zivilrechtsstreit und in jedem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch Einreichung von Schriftsätzen und durch Teilnahme an Gerichtsverhandlungen mitzuwirken.

§ 21. Der Staatsanwalt führt selbst Zivilprozesse in den Fällen, die in der Zivilprozeßordnung vorgesehen sind.

§ 22. Der Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik beantragt beim Obersten Gericht die Kassation rechtskräftiger Entscheidungen in Zivilsachen entsprechend dem Gesetz vom 8. Dezember 1949 (GBl. S. 111).

§ 23. Der Generalstaatsanwalt der Deutschen Demokratischen Republik kann beim Obersten Gericht der Deutschen Demokratischen Republik im Zusammenhang mit einer Entscheidung des Obersten Gerichts den Erlaß von allgemein geltenden Richtlinien über die Auslegung und Anwendung der Gesetze für die Praxis der Gerichte beantragen.

Fünfter Abschnitt
Strafvollstreckung, Strafvollzug, Begnadigung, Strafregister

§ 24. Die Staatsanwaltschaft überwacht die Vollstreckung der Strafurteile und übt die Aufsicht über alle Haft- und Strafvollzugsanstalten aus.

§ 25. Die Staatsanwaltschaft wirkt im Begnadigungsverfahren nach Maßgabe der Gesetze mit.

§ 26. Die Staatsanwaltschaft führt das Strafregister. Die Tilgung von Strafvermerken und die Anordnung der Erteilung beschränkter Auskunft aus dem Strafregister auf der Grundlage der hierfür geltenden Gesetze obliegt ausschließlich ihr.

§ 27. Dieses Gesetz tritt am 1. Juni 1952 in Kraft. Einsprüche der Staatsanwaltschaft gemäß § 13 dieses Gesetzes sind nur gegen Maßnahmen zulässig, die nach Erlaß des Gesetzes vorgenommen werden.

    Berlin, den 23. Mai 1952

Das vorstehende, vorn Präsidenten der Volkskammer unter dem dreiundzwanzigsten Mai neunzehnhundertzweiundfünfzig ausgefertigte Gesetz wird hiermit verkündet.

    Berlin, den neunundzwanzigsten Mai neunzehnhundertzweiundfünfzig.

Der Präsident der Deutschen Demokratischen Republik
W. Pieck


Quellen: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1952 S. 408
© 12. November 2004 - 5. Dezember 2004

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