Verfassungsgesetz über Schulen
in freier Trägerschaft
vom 22. Juli 1990
§ 1 Verfassungsänderung und Ergänzung (1) Der Artikel 25 Absatz 1, 3. Satz sowie Artikel 17 Abs. 1 und Abs. 2 der Verfassung der DDR werden aufgehoben.
(2) Der Artikel 25 Absatz 2 der
Verfassung
der DDR erhält folgende
Fassung und wird um Absatz 2a erweitert:
"(2) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.
(2 a) Das Recht zur Errichtung von Schulen in freier Trägerschaft
wird gewährleistet. Schulen in freier Trägerschaft als Ersatz
für staatliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und
unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die
Schulen in freier Trägerschaft in ihren Lehrzielen und Einrichtungen
sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht
hinter den staatlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der
Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert
wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche
Stellung der Lehrkräfte nicht gesichert ist."
(3) Der Artikel 25 Absatz 4 der
Verfassung
der DDR erhält folgende
Fassung und wird um Absatz 4a erweitert:
"(4) In der Deutschen Demokratischen Republik besteht die allgemeine
zehnjährige Schulpflicht, die grundsätzlich durch den Besuch
der zehnklassigen allgemeinbildenden Schulen zu erfüllen ist. Das
Recht zur Einrichtung von Schulen in freier Trägerschaft wird gewährleistet.
Schulen in freier Trägerschaft haben Anspruch auf öffentliche
Finanzhilfe. Einzelheiten werden durch Gesetz geregelt. In Ausnahmefällen
kann die allgemeine Schulbildung in den Einrichtungen der Berufsausbildung
oder der Aus- und Weiterbildung der Werktätigen beendet werden. Alle
Jugendlichen haben das Recht, einen Beruf zu erlernen.
(4a) Eine Grundschule in freier Trägerschaft ist nur zuzulassen,
wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse
anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule,
als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine
staatliche Grundschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht."
§ 2 Geltungsbereich. Das Verfassungsgesetz (nachfolgend Gesetz genannt) regelt Errichtung und Betrieb von allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen in freier Trägerschaft.
§ 3 Begriffsbestimmung. (1) Schulen in freier Trägerschaft sind Ersatz- oder Ergänzungsschulen.
(2) Ersatzschulen sind solche Schulen in freier Trägerschaft, die entsprechend dem Ziel ihrer Errichtung als Ersatz für in der DDR vorhandene oder grundsätzlich vorgesehene staatliche Schulen dienen sollen. Bei Einhaltung der Genehmigungsvoraussetzungen sind Abweichungen von den Lehr- und Erziehungsmethoden, den Lehrstoffen sowie den Richtlinien des Unterrichts der staatlichen Schulen möglich. An Ersatzschulen können die Schüler ihre gesetzliche Schulpflicht erfüllen bzw. alle an staatlichen Schulden erreichbaren Abschlüsse erwerben. Mit der Einhaltung der Genehmigungsvoraussetzungen erlangt der Träger das Recht auf die Errichtung und das Betreiben einer Ersatzschule.
(3) Ergänzungsschulen sind Schulen in freier Trägerschaft, die nicht als Ersatz für öffentliche Schulen errichtet werden, sondern ergänzende Bildungsangebote unterbreiten. Durch den Besuch von Ergänzungsschulen können Schüler ihre Schulpflicht nicht erfüllen.
§ 4 Trägerschaft. Schulen in freier Trägerschaft sind alle nichtstaatlichen Schulen, die von natürlichen oder juristischen Personen, z. B. Religionsgemeinschaften oder Stiftungen getragen werden.
§ 5 Genehmigung. (1) Ersatzschulen dürfen nur mit staatlicher Genehmigung errichtet und betrieben werden. Die Genehmigung erteilt auf Antrag des Trägers der Schule die zuständige Schulaufsichtsbehörde1 im Einvernehmen mit der nach § 7 zuständigen Kommunalen Vertretungskörperschaft.
(2) Die Genehmigung wird erteilt, wenn
1. die Ersatzschule in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der
wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den staatlichen
Schulen zurücksteht
2. eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen
der Erziehungsberechtigten oder entgegen verfassungsrechtlichen Grundsätzen
nicht gefördert wird
3. die wirtschaftliche, soziale und rechtliche Stellung der Lehrkräfte
mit der an staatlichen Schulen vergleichbar ist.
(3) Mit der Genehmigung von Schulen in freier Trägerschaft sind die Wahlmöglichkeiten zu erweitern, die dem Recht der Eltern auf die freie Wahl der Schule für ihre Kinder im betreffenden Territorium entsprechen. Der Fortbestand von staatlichen Schulen in Wohnnähe ist bei Genehmigung von Schulen in freier Trägerschaft zu sichern.
§ 6 Anerkennung. Genehmigten Ersatzschulen, die nach ihrem
vollständigen Aufbau dauernd die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllen,
wird
auf Antrag des Trägers der Schule von der zuständigen Schulaufsichtsbehörde
die Anerkennung ausgesprochen. Anerkannte Ersatzschulen sind berechtigt,
nach den für staatliche Schulen geltenden Vorschriften Prüfungen
abzuhalten sowie Zeugnisse und Abschlüsse zu erteilen
§ 7 Finanzierung. (1) Für die personelle, materielle und fmanzielle Sicherstellung der Tätigkeit einer Schule in freier Trägerschaft ist ihr Träger verantwortlich.
(2) Die Träger genehmigter Ersatzschulen haben Anspruch auf öffentliche Finanzhilfe und materielle Unterstützung. Der Anspruch besteht nicht, wenn die Ersatzschule einen erwerbswirtschaftlichen Gewinn erzielt oder erstrebt.
(3) Finanzhilfe und materielle Unterstützung werden auf Antrag des Trägers die Ersatzschule durch die zuständige staatliche Instanz gewährt.
(4) Die Höhe der Finanzhilfe für Ersatzschulen beträgt mindestens 70% und höchstens 90% der für staatliche Schulen geltenden Richtwerte.
(5) Art und Umfang der materiellen Unterstützung entsprechen den vergleichbaren Aufwendungen für staatliche Schulen.
§ 8 Antragstellung und Entscheidung. (1) Anträge gemäß § 5 Absatz 1, § 6 und § 7 Absatz 3 sind durch den Träger einer Ersatzschule schriftlich unter Beifügung der den Antrag begründenden Unterlagen bei der zu-ständigen Schulaufsichtsbehörde zu stellen. Anträge gemäß § 7 Absatz 3 werden mit einer Stellungnahme der zuständigen Schulaufsichtsbehörde an die zuständigen kommunalen Behörden zur Entscheidung weitergeleitet.
(2) Die Termine für die jeweilige Beantragung werden durch Rechts-vorschriften bestimmt.
(3) Die Entscheidung über Anträge gemäß Absatz 1 treffen die in Absatz 1 genannten zuständigen Behörden innerhalb von 4 Wochen. Diese Frist beginnt zu laufen, sobald der vollständige Antrag bei der Entscheidungsbehörde eingegangen ist.
(4) Die Entscheidungen haben schriftlich zu ergehen, sind zu begründen und dem Antragsteller auszuhändigen oder zuzusenden. Der Antragsteller ist nachweislich über das Rechtsmittel zu belehren.
§ 9 Widerruf. Die Genehmigung bzw. Anerkennung kann widerrufen werden, wenn die Genehmigungs- bzw. Anerkennungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt werden und eine von der Schulaufsichtsbehörde gesetzte Frist zur Erfüllung dieser Voraussetzungen nicht eingehalten wird.
§ 10 Rechtsstellung der Schüler und Eltern. (1) Die Rechtsstellung der Schüler und Eltern .an Schulen in freier Trägerschaft, insbesondere ihr Mitbestimmungsrecht, wird durch einen Beschulungsvertrag bestimmt.
(2) Der Beschulungsvertrag umfaßt konkrete Festlegungen zur Dauer der Beschulung der Kinder, zum Umfang der Leistungen während der Beschulung, zu den gegenseitigen Rechten und Pflichten und zu den finanziellen Kosten für die Beschulung.
§ 11 Ergänzungsschulen. (1) Die Errichtung von Ergänzungsschulen ist der zuständigen Schulaufsichtsbehörde vor Aufnahme des Unterrichtsbetriebes anzuzeigen.
(2) Für die personelle, materielle und finanzielle Sicherstellung der Tätigkeit einer Ergänzungsschule ist ihr Träger verantwortlich. Eltern werden im Regelfall an der Finanzierung beteiligt.
(3) Die Träger von Ergänzungsschulen im öffentlichen Interesse können auf Antrag Finanzhilfe und materielle Unterstützung durch die Kommunen erhalten. Finanzhilfe wird nicht gewährt, wenn die Ergänzungsschule einen erwerbswirtschaftlichen Gewinn erzielt und erstrebt.
(4) Bei Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen kann die Tätigkeit der Ergänzungsschulen von der Schulaufsichtsbehörde untersagt werden.
§ 12 Aufsicht. (1) Die Schulen in freier Trägerschaft unterliegen der staatlichen Schulaufsicht.
(2) Die Aufsicht beinhaltet die Einhaltung der Genehmigungs- und Anerkennungsvoraussetzungen, die Kontrolle über die Verwendung der ma-teriellen und finanziellen Unterstützung sowie die Einhaltung der für staatliche Schulen verbindlichen gesetzlichen Regelungen des Gesundheits-, Arbeits- und Brandschutzes.
(3) Die Grenzen der staatlichen Schulaufsicht bestimmen sich nach Artikel 25 Abs. 4 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik.
§ 13 Rechtsmittel. (1) Gegen Entscheidungen, die nach diesem Gesetz getroffen werden, ist das Rechtsmittel der Beschwerde zulässig.
(2) Die Beschwerde ist innerhalb von 2 Wochen nach Zugang der Entscheidung unter Angabe von Gründen bei der zuständigen Schulaufsichtsbehörde oder der zuständigen kommunalen Behörde einzulegen.
(3) Die Beschwerde führt zur erneuten Überprüfung der Sache innerhalb von 4 Wochen. Der Beschwerdeführer hat das Recht, im Beschwerdeverfahren gehört zu werden.
(4) Wird der Beschwerde nicht stattgegeben, ist sie innerhalb dieser Frist an die übergeordnete Schulaufsichtsbehörde oder zuständige kommunale Behörde weiterzuleiten. Diese entscheidet abschließend.
(5) Entscheidungen über Beschwerden haben schriftlich zu ergehen, sind zu begründen und dem Einreicher der Beschwerde auszuhändigen oder zuzusenden.
§ 14 Zulässigkeit des Gerichtsweges. (1) Gegen Entscheidungen, die nach diesem Gesetz getroffen werden, kann der Träger der Schule, wenn seiner Beschwerde nicht abgeholfen wurde, innerhalb von einem Monat nach Zugang der Beschwerdeentscheidung Antrag auf Nachprüfung durch das Gericht stellen. Das Gericht kann in der Sache selbst entscheiden.
(2) Für das Verfahren gelten die Bestimmungen des Gesetzes über die Zuständigkeit und das Verfahren der Gerichte zur Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen.
§ 15 Schlußbestimmungen. (1) Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Veröffentlichung in Kraft.
(2) Die zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlichen Bestimmungen werden für die Zeit bis zum Inkrafttreten der von den zukünftigen Ländern zu beschließenden eigenen Regelungen durch den Minister für Bildung und Wissenschaft erlassen.
Quellen:
Gesetzblatt der DDR 1990 I. S. 1324
DDR-Sartorius, Verwaltungsgesetze
für das Gebiet der ehemaligen DDR, Verlag C.H.Beck (Stand 1994)
von Münch, Dokumente der
Wiedervereinigung
Deutschlands, Kröner Verlag Stuttgart 1991
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