Gesetz über die Bearbeitung der Eingaben der Bürger
-Eingabengesetz-

vom 19. Juni 1975

faktisch aufgehoben durch
Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889).

Gemäß Artikel 103 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik wird folgendes Gesetz beschlossen:

§ 1. (1) Jeder Bürger hat das Recht, sich schriftlich oder mündlich mit Vorschlägen, Hinweisen, Anliegen und Beschwerden an die Volksvertretungen, die staatlichen und wirtschaftsleitenden Organe, die volkseigenen Betriebe und Kombinate, die sozialistischen Genossenschaften und Einrichtungen sowie an die Abgeordneten zu wenden. Dieses Recht haben auch die gesellschaftlichen Organisationen.

(2) Den Bürgern dürfen aus der Wahrnehmung dieses Rechts keine Nachteile entstehen. Gleiches gilt für die gesellschaftlichen Organisationen.

(3) Dieses Gesetz gilt nicht für Rechtsmittel, Neuerervorschläge und andere Anträge, deren Bearbeitung durch besondere Rechtsvorschriften geregelt ist.

§ 2. (1) Das achtungsvolle Verhalten gegenüber den Bürgern und die sorgfältige und schnelle Bearbeitung ihrer Anliegen sind grundlegende Pflichten für alle Leiter und Mitarbeiter dem staatlichen und wirtschaftsleitenden Organe, der volkseigenen Betriebe und Kombinate, der sozialistischen Genossenschaften und Einrichtungen.

(2) Die Leiter und Mitarbeiter haben durch eine gewissenhafte Bearbeitung der Eingaben beizutragen, den Bürgern bei der Überwindung persönlicher Schwierigkeiten zu helfen, ihr Vertrauen zu den Staatsorganen zu stärken, ihre Bereitschaft zur Teilnahme an der Lösung der staatlichen Aufgaben zu fördern und die sozialistische Gesetzlichkeit zu festigen.

(3) Bei der Bearbeitung der Eingaben ist eng mit den Ausschüssen der Nationalen Front der DDR, den Gewerkschaften sowie den anderen gesellschaftlichen Organisationen zusammenzuwirken,

§ 3. (1) Die Leiter der staatlichen und wirtschaftsleitenden Organe, der volkseigenen Betriebe und Kombinate, der sozialistischen Genossenschaften und Einrichtungen haben zu sichern, daß die Bürger ihre Eingaben und andere Anliegen persönlich vorbringen und sich beraten lassen können. Sie legen für ihren Verantwortungsbereich unter Beachtung der konkreten örtlichen Bedingungen die erforderlichen Öffnungszeiten und Sprechstunden fest.

(2) Die Öffnungszeiten und Sprechstunden sind ortsüblich öffentlich bekanntzumachen.

§ 4. (1) Die Entscheidung über Eingaben erfolgt durch den jeweils zuständigen Leiter bzw. einen von ihm Bevollmächtigten: Es liegt daher im Interesse der Bürger, wenn sie sich mit ihren Eingaben unmittelbar an das für die betreffende Angelegenheit zuständige staatliche oder wirtschaftsleitende Organ, den volkseigenen Betrieb oder das Kombinat, die sozialistische Genossenschaft oder die Einrichtung wenden.

(2) Über eine erforderliche Weiterleitung einer Eingabe an das für die Entscheidung zuständige Organ ist der Bürger unverzüglich zu informieren. Betrifft eine Eingabe die Tätigkeit mehrerer Organe, so hat gegenüber dem Bürger ein Organ federführend die Bearbeitung zu gewährleisten.

(3) Die Leiter sind für die ordnungsgemäße Arbeit mit den Eingaben persönlich verantwortlich. Sie haben in ihrem Verantwortungsbereich die Eingabenbearbeitung entsprechend diesem Gesetz exakt zu regeln und die Entscheidungs- und Unterschriftsbefugnis der nachgeordneten Leiter und Mitarbeiter festzulegen und die Kontrolle der Eingabenbearbeitung zu sichern.

§ 5. (1) Die Entscheidung über Eingaben erfolgt auf der Grundlage der jeweiligen Rechtsvorschriften. Dabei sind alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Bürgern bei der Klärung ihrer Eingaben zu helfen. Die zuständigen Leiter haben die Initiative und Bereitschaft der Bürger und der Arbeitskollektive zur Lösung der in den Eingaben enthaltenen Probleme zu fördern.

(2) Die Leiter bzw. von ihnen beauftragte verantwortliche Mitarbeiter sind verpflichtet, auf Einladung von Betrieben, Genossenschaften und Einrichtungen sowie von Brigaden, von Ausschüssen dem Nationalen Front der DDR, Hausgemeinschaften und anderen Kollektiven der Werktätigen an Aussprachen zu Eingaben der Bürger teilzunehmen.

§ 6. Es ist unzulässig, daß Eingaben durch denjenigen Mitarbeiter bzw. Leiter bearbeitet oder entschieden werden, an dessen Arbeit oder Verhalten in der Eingabe Kritik geübt wird: Die Entscheidung über solche Eingaben erfolgt durch den- zuständigen bzw. übergeordneten Leiter.

§ 7. (1) Jeder Bürger hat Anspruch auf begründete schriftliche oder mündliche Antwort auf seine Eingabe.

(2) Die Entscheidung über Eingaben ist spätestens innerhalb von 4 Wochen nach Eingang oder Bekanntwerden der Eingabe zu treffen und dem Bürger mitzuteilen.

(3) Wird eine Fristüberschreitung aus zwingenden Gründen erforderlich, so ist diese gegenüber dem Einreicher der Eingabe zu begründen. Ihm ist gleichzeitig mitzuteilen, bis wann die Entscheidung über seine Eingabe erfolgt.

§ 8. (1) Ist ein Bürger mit der Entscheidung über seine Eingabe nicht einverstanden, kann er sich an das übergeordnete Organ oder den übergeordneten Leiter wenden. Für die Bearbeitung gelten die Grundsätze der §§ 6 und 7.

(2) Entscheidungen der Leiter zentraler Staatsorgane sind endgültig.

§ 9. (1) Die Eingaben und die Ergebnisse ihrer Bearbeitung sind in allen staatlichen und wirtschaftsleitenden Organen, volkseigenen Betrieben und Kombinaten, sozialistischen Genossenschaften und Einrichtungen regelmäßig auszuwerten und für die Verbesserung der Arbeit; insbesondere die Erfüllung der staatlichen Pläne und die Förderung der Initiativen der Bürger, zu nutzen. Die Ergebnisse und Schlußfolgerungen aus der Eingabenarbeit sind in die Rechenschaftslegungen vor den übergeordneten Leitern und vor den Bürgern einzubeziehen.

(2) Die zuständigen Leiter sichern die Anleitung und Kontrolle der Arbeit mit den Eingaben in den jeweils nachgeordneten Organen, Betrieben und Einrichtungen.

§ 10. Die örtlichen Volksvertretungen nutzen die Ergebnisse der Eingabenarbeit für die staatliche, ökonomische, kulturelle und soziale Entwicklung in ihrem Territorium und gewährleisten und kontrollieren die Bearbeitung und Auswertung der Eingaben durch ihre Räte. Die Räte sind verpflichtet, den Volksvertretungen regelmäßig, insbesondere im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Pläne oder anderer wichtiger Beschlüsse, über die Schwerpunkte der dazu vorliegenden Eingaben Bericht zu erstatten.

§ 11. Der Ministerrat gewährleistet entsprechend seiner Verantwortung für die einheitliche Durchführung der Staatspolitik der DDR die Einbeziehung der Bearbeitung der Eingaben in die staatliche Leitung und Planung, und er sichert die Kontrolle der Durchführung dieses Gesetzes durch die Minister und Leiter der anderer, zentralen Staatsorgane und durch die Räte der Bezirke.

§ 12. (1) Der Ministerrat erläßt die zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlichen Rechtsvorschriften.

(2) Der Staatsrat, das Präsidium der Volkskammer, das Oberste Gericht und der Generalstaatsanwalt treffen die für ihren Verantwortungsbereich erforderlichen Regelungen.

§ 13. Leiter und Mitarbeiter, die Eingaben der Bürger mißachten oder die im Ergebnis der Bearbeitung festgelegte Maßnahmen nicht durchführen oder die in anderer Weise gegen dieses Gesetz verstoßen, sind disziplinarisch zur Verantwortung zu ziehen, soweit nicht andere Rechtsvorschriften weitergehende Maßnahmen bestimmen.

§ 14. (1) Dieses Gesetz tritt am 1. Juli 1975 in Kraft.

(2) Gleichzeitig tritt der Erlaß des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik vom 20. November 1969 über die Bearbeitung der Eingaben der Bürger (GBl. I Nr. 13 S.239) außer Kraft.

Das vorstehende, von der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik am neunzehnten Juni neunzehnhundertfünfundsiebzig beschlossene Gesetz wird hiermit verkündet.

    Berlin, den neunzehnten Juni neunzehnhundertfünfundsiebzig

Der Vorsitzende des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik
W. Stoph


Quellen: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1975 Teil I. S. 461
© 23. Januar 2004

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