Verordnung über die Durchführung von Organtransplantationen

vom 4. Juli 1975

geändert durch
Verordnung vom 5. August 1987 (GBl. I S. 199)

faktisch aufgehoben durch
Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. II. S. 889)

Die Möglichkeit, menschliche Organe durch Transplantation zu ersetzen, ist ein Ergebnis des wissenschaftlichen Fortschritts, das dem humanistischen Anliegen der Medizin zur Erhaltung, Förderung und Wiederherstellung der Gesundheit der Bürger dient. Zur Durchführung von Organtransplantationen wird folgendes verordnet:

I. Abschnitt
Grundsatz

§ 1. (1) Organtransplantationen werden auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse der Medizin durchgeführt. Voraussetzung ist, daß die Anwendung anderer medizinischer Mittel und Methoden zur Erhaltung des Lebens oder der Wiederherstellung oder Besserung, der Gesundheit eines kranken keine oder nur geringe Aussicht auf Erfolg verspricht.

(2) Zur Durchführung von Organtransplantationen sind vorrangig Organe von Verstorbenen zu verwenden.

(3) Organe lebender Spender, die sich aus freiem Entschluß zur Organspende bereit erklären, können für Transplantationen nur Verwendung finden; wenn geeignete Organe von Verstorbenen nicht zur Verfügung stehen.

§ 2. Organtransplantationen und Organentnahmen werden nur in den vom Ministerium für Gesundheitswesen bestimmten Gesundheitseinrichtungen durchgeführt.

§ 3. Für Organspenden dürfen materielle und finanzielle Leistungen nicht gefordert, angeboten oder gewährt werden. Unberührt hiervon bleiben die Rechtsvorschriften über das Blutspende- und Transfusionswesen.

II. Abschnitt
Voraussetzungen für eine Organentnahme von Verstorbenen

§ 4. Organentnahme für Transplantationszwecke. (1) Die Organentnahme von Verstorbenen für Transplantationszwecke ist zulässig, falls der Verstorbene zu Lebzeiten keine anderweitigen Festlegungen getroffen hat:

(2) Bei einem Tod unter verdächtigen Umständen en ist eine Organentnahme nur auf der Grundlage der in Rechtsvorschriften geregelten Voraussetzungen zulässig.

Amtliche Anmerkung zu § 4.: § 94 der Strafprozeßordnung der Deutschen Demokratischen Republik -StPO- vom 12. Januar 1988 (GBl. I Nr. 2 S. 49) in der Fassung des Gesetzes vom 19. Dezember 974 zur Änderung der Strafprozeßordnung (GBl. I Nr. 64 S. 597) und § 4 der Anordnung vom 2. Dezember 1968 über die ärztliche Leichenschau (GBl. II Nr. 129 S. 1041).

§ 5. Todesfeststellung. (1) Voraussetzung für die Organentnahme von Verstorbenen ist die zweifelsfreie und nachweisbare Feststellung des Todes.

(2) Die Feststellung des Todes eines Bürgers, bei dem Reanimationsmaßnahmen zur künstlichen Aufrechterhaltung von Organfunktionen mit dem Ziel der Lebenserhaltung durchgeführt werden, trifft das vom Bezirksarzt bestimmte Ärztekollektiv, das hierüber ein Protokoll anzufertigen hat.

(3) Die Entscheidung über die Feststellung des Todes ist unabhängig von einer möglichen Organentnahme zu treffen. Das Ärztekollektiv; das den Tod feststellt, darf die Transplantation eines Organs; das dem Verstorbenen entnommen wird, nicht durchführen.

III. Abschnitt 
Voraussetzungen für eine Organentnahme vom lebenden Spender

§ 6. Vorrang der Interessen des lebenden Spenders. Eine Organentnahme vom lebenden Spender ist nur zulässig, wenn für ihn im Ergebnis umfassender ärztlicher Untersuchung keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erwarten sind und mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, daß die Transplantation des Organs zur Rettung des Lebens oder zur Wiederherstellung oder Besserung der. Gesundheit eines Kranken führen wird.

Zustimmung des Spenders zur Organentnahme

§ 7. (1) Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Organentnahme ist die aus freiem: Entschluß ohne Beeinflussung durch Dritte erteilte Zustimmung des Spenders. Sie kann, nicht ersetzt werden.

(2) Der Spender muß volljährig sein.

(3) Der Spender kann seine Zustimmung bis unmittelbar vor der Organentnahme jederzeit ohne Angabe von Gründen zurücknehmen.

§ 8. (1) Der Spender ist vor seiner Zustimmung über die möglichen Folgen und Risiken der Organentnahme umfassend aufzuklären. Die Aufklärung hat sich auch auf alle im Zusammenhang mit der Organentnahme stehenden Umstände zu erstrecken, soweit sie für die Erteilung der Zustimmung des Spenders von Bedeutung sein können.

(2) Die Zustimmung des Spenders ist gegenüber dem zuständigen Kreisarzt in Anwesenheit eines Vertreters des Ärztekollektivs, das die Organentnahme vornimmt, zu erklären. Dabei ist der. Spender auf die bestehenden Möglichkeiten der Nachsorge hinzuweisen.

(3) Über den Inhalt der Aufklärung und die Zustimmungserklärung des Spenders ist ein Protokoll aufzunehmen, das vom Kreisarzt, dem Vertreter des Ärztekollektivs und dem Organspender zu unterschreiben ist.

§ 9. (1) Der Organspender kann die Zustimmung zur Organentnahme unter der Bedingung erteilen, das Organ nur einem bestimmten Empfänger zu transplantieren.

(2) Ist nach der -Organentnahme eine Transplantation bei dem vorgesehenen Empfänger unmöglich geworden, darf das Organ einem Dritten transplantiert werden, wenn andere Organe nicht zur Verfügung stehen und eine Replantation beim Spender nicht möglich ist oder von ihm nicht :gewünscht wird.

§ 10. Entscheidung über die Organentnahme. Die Entscheidung über die Organentnahme trifft ein vom Ärztlichen Direktor der Gesundheitseinrichtung bestimmtes Ärztekollektiv, das hierüber ein Protokoll aufzunehmen hat.

§ 11. Materielle Sicherstellung des Spenders. (1) Hat die Organentnahme wider Erwarten zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Spenders geführt, sind ihm hierdurch entstehende materielle Nachteile auf der Grundlage der Rechtsvorschriften zu ersetzen.

(2) Ist infolge der gesundheitlichen Beeinträchtigung ein Wechsel des Berufs oder der bisherigen Tätigkeit des Spenders erforderlich, erhält dieser durch die örtlichen Staatsorgane Unterstützung bei der Vermittlung eines neuen Arbeitsplatzes oder bei einer notwendigen Umschulung.

(3) Hat die Organentnahme den Tod des Spenders zur Folge, sind den unterhaltsberechtigten Hinterbliebenen der wegfallende Unterhalt und die Bestattungskosten durch die Staatliche Versicherung der Deutschen Demokratischen Republik zu ersetzen. Leistungen der Sozialversicherung, aus der zusätzlichen Altersversorgung der Intelligenz und aus sonstigen Alters- und Invalidenversorgungen werden angerechnet.

Amtliche Anmerkung zu § 11 Abs. 1:  § 10 der Anordnung vom 18. November 1969 über die Bedingungen für die Pflichtversicherung der staatlichen Organe und staatlichen Einrichtungen bei der Staatlichen Versicherung der Deutschen Demokratischen Republik (GBl. II Nr. 101 S. 682) und § 2 Buchst. c der Verordnung vom 11. April 1973 über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller oder sportlicher Tätigkeiten (GBl. I Nr. 22 S. 199).

Durch Verordnung vom 5. August 1987 erhielt der § 11 mit Wirkung vom 1. Oktober 1987 folgende Fassung:
"§ 11. Materielle Sicherstellung des Spenders. (1) Für die Dauer der ärztlich bescheinigten Arbeitsbefreiung erhalten Organspender, die
- sich in einem Arbeitsrechtsverhältnis befinden, Geldleistungen in Höhe ihres Nettodurchschnittsverdienstes,
- Mitglieder von Genossenschaften sind, Geldleistungen in Höhe ihrer Nettodurchschnittseinkünfte
von der zuständigen Sozialversicherung.
Die Dauer dieser ärztlich bescheinigten Arbeitsbefreiung wird durch andere Geldleistungen der Sozialversicherung wegen Arbeitsbefreiung bei Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit, Arbeitsunfall oder Berufskrankheit nicht angerechnet.
(2) Private Handwerker sowie Gewerbetreibende und andere selbständig oder freiberuflich Tätige sowie deren ständig mitarbeitende Ehegatten und Mitglieder von Kollegien der Rechtsanwälte erhalten für die Dauer der ärztlich bescheinigten Arbeitsbefreiung von der für sie zuständigen Sozialversicherung eine Geldleistung in Höhe des Nettoeinkommens, höchstens 14 400 M jährlich. Die Berechnung der Geldleistung wird auf der Grundlage des Nettoeinkommens des vorangegangenen Kalenderjahres vorgenommen. Dazu ist die Bescheinigung der Abteilung Finanzen des Rates des Kreises über die Höhe des Nettoeinkommens vorzulegen.
(3) Die ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsbefreiung ist von der Gesundheitseinrichtung mit einem Vermerk zu versehen, aus dem sich der Anspruch des Organspenders auf Geldleistungen gemäß den Absätzen 1 und 2 ergibt.
(4) Die notwendigen Fahrkosten werden entsprechend den geltenden Richtlinien der Sozialversicherung von der Stelle gezahlt, die auch die Geldleistungen für Organspender vornimmt.
(5) Die Verantwortlichkeit für Schäden, die im Zusammenhang mit Organspenden auftreten, bestimmt sich nach den Vorschriften des Zivilgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 19. Juni 1975 (GBl. I Nr. 27 S. 465) über die erweiterte Verantwortlichkeit bei Schadenszufügung. Eine Befreiung von der Verpflichtung zum Schadenersatz ist ausgeschlossen. Der Schadenersatzanspruch wird durch die Staatliche Versicherung der Deutschen Demokratischen Republik erfüllt.
(6) Ist infolge einer gesundheitlichen Beeinträchtigung des Organspenders ein Wechsel des Berufs oder der bisherigen Tätigkeit erforderlich, erhält dieser durch den für seinen Wohnsitz zuständigen Rat des Kreises, Amt für Arbeit, die notwendige Unterstützung bei der Aufnahme einer neuen Tätigkeit und einer dafür erforderlichen Qualifizierung."

IV. Abschnitt
Voraussetzungen für die Durchführung von Organtransplantationen beim Empfänger

§ 12. Medizinische Indikation. Die Durchführung von Organtransplantationen ist medizinisch indiziert, wenn die Voraussetzungen des § 1 vorliegen und begründete Aussicht besteht, daß das Leben des Patienten durch eine Organtransplantation erhalten oder seine Gesundheit wiederhergestellt oder gebessert werden kann.

§ 13. Zustimmung des Empfängers. (1) Voraussetzung für die Durchführung einer Organtransplantation ist die Zustimmung des Empfängers. Bei nicht volljährigen Bürgern ist die Zustimmung der Erziehungsberechtigten, bei Entmündigten die des Vormunds einzuholen: Nicht volljährige Bürger und Entmündigte sollen nach Möglichkeit gehört werden.

(2) Der Empfänger bzw, der gesetzliche Vertreter ist über die Art. und das Ausmaß der Erkrankung und die für die medizinische Indikation einer Organtransplantation wesentlichen Umstände sowie über Risiken, die mit der Transplantation verbunden sein können, aufzuklären.

(3) Über die Zustimmungserklärung des Empfängers und den Inhalt der Aufklärung ist ein Protokoll aufzunehmen, das von einem Vertreter des Ärztekollektivs, das die Transplantation durchführt, und vom Organempfänger bzw, seinem gesetzlichen Vertreter zu unterschreiben- ist. Der Empfänger soll über die Herkunft des transplantierten Organs nur informiert werden, wenn ein enges persönliches Verhältnis zum Spender besteht.

V. Abschnitt
Schlußbestimmungen

§ 14. Die Organentnahme von Verstorbenen zu Transplantationszwecken ist nur zulässig, wenn diese Bürger der Deutschen Demokratischen Republik oder Staatenlose mit ständigem Wohnsitz in der Deutschen Demokratischen Republik waren.

§ 15. Durchführungsbestimmungen erläßt der Minister für Gesundheitswesen im Einvernehmen mit den Leitern der zuständigen staatlichen Organe.

§ 16. Diese Verordnung tritt am 1. September 1975 in Kraft.

    Berlin, den 4. Juli 1975

Der Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik
Mittag
.               Erster Stellvertreter des Vorsitzenden

Der Minister für Gesundheitswesen
i. V. Tschersich
 Staatssekretär


Quellen: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1975 Teil I. S. 597
© 23. Januar 2004 - 18. Februar 2005

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