Gesetz über die Wahlen zur zweiten Kammer des Landtags für Elsaß-Lothringen

vom 31. Mai 1911

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen ec.

verordnen im Namen des Reichs für Elsaß-Lothringen, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags, was folgt:

§ 1. Die zweite Kammer wird aus 60 Abgeordneten gebildet.

Hiervon entfallen:
    auf den Kreis Altkirch             2 Abgeordnete
    auf den Kreis Colmar             3 Abgeordnete
    auf den Kreis Gebweiler             2 Abgeordnete
    auf den Kreis Mülhausen             6 Abgeordnete
    auf den Kreis Rappoltsweiler         2 Abgeordnete
    auf den Kreis Thann                     2 Abgeordnete
    auf den Kreis Straßburg-Stadt         6 Abgeordnete
    auf den Kreis Straßburg-Land         3 Abgeordnete
    auf den Kreis Erstein                     2 Abgeordnete
    auf den Kreis Hagenau                 3 Abgeordnete
    auf den Kreis Molsheim                 2 Abgeordnete
    auf den Kreis Schlettstadt                 2 Abgeordnete
    auf den Kreis Weißenburg                 2 Abgeordnete
    auf den Kreis Zabern                     3 Abgeordnete
    auf den Kreis Metz-Stadt             2 Abgeordnete
    auf den Kreis Metz-Land             3 Abgeordnete
    auf den Kreis Bolchen                 2 Abgeordnete
    auf den Kreis Chateau-Salins         2 Abgeordnete
    auf den Kreis Diedenhofen-Ost         2 Abgeordnete
    auf den Kreis Diedenhofen-West     2 Abgeordnete
    auf den Kreis Forbach                     3 Abgeordnete
    auf den Kreis Saarburg                 2 Abgeordnete
    auf den Kreis Saargemünd             2 Abgeordnete
                                                        60 Abgeordnete

Jeder Abgeordnete wird in einem besonderen Wahlkreis gewählt.

Innerhalb der einzelnen Verwaltungskreise werden die Wahlkreise durch Kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats unter tunlichster Anlehnung an die bestehende Kantonaleinteilung in der Weise abgegrenzt, daß die Bevölkerung des Verwaltungskreises möglichst gleichmäßig auf die einzelnen Wahlkreise verteilt wird. Die Wahlkreise müssen örtlich zusammenhängen.

§ 2. Wahlberechtigt sind die männlichen Einwohner Elsaß-Lothringens, sofern sie im Zeitpunkt der Wahl
1. im Besitze der Reichsangehörigkeit sind,
2. das 25. Lebensjahr zurückgelegt und
3. seit mindestens drei Jahren ihren Wohnsitz in Elsaß-Lothringen haben. Es genügt jedoch der Wohnsitz von einjähriger Dauer für die Einwohner, die in Elsaß-Lothringen ein öffentliches Amt ausüben, Religionsdiener oder Lehrer an öffentlichen Schulen sind.

Die Berechtigung zum Wählen ruht für die zum aktiven Heere gehörigen Militärpersonen mit Ausnahme der Militärbeamten.

Von der Berechtigung zum Wählen sind ausgeschlossen:
1. Personen, welche entmündigt oder unter vorläufige Vormundschaft gestellt sind, für die Dauer der Entmündigung oder Vormundschaft,
2. Personen, über deren Vermögen der Konkurs eröffnet worden ist, während der Dauer des Konkursverfahrens,
3. Personen, welche bei Abschluß der Wählerliste mit den für die letzten beiden Rechnungsjahre fälligen direkten Staatssteuern oder Gemeindeabgaben trotz rechtzeitiger Mahnung, und ohne Stundung erhalten zu haben, ganz oder zum Teil im Rückstand sind,
4. Personen, welche wegen eines Verbrechens oder wegen eines Vergehens, das die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte zur Folge haben kann, zu einer Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind, für die Dauer von fünf Jahren, von dem Tage an gerechnet, an welchem die Strafe verbüßt, verjährt oder erlassen ist, sofern nicht der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf eine längere Dauer ausgesprochen ist,
5. Personen, welche eine Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln beziehen, oder in dem letzten der Wahl vorhergegangenen Jahre bezogen haben.

Als Armenunterstützung sind nicht anzusehen:
a) die Krankenunterstützung,
b) die einem Angehörigen wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen gewährte Anstaltspflege,
c) Unterstützungen zum Zwecke der Jugendfürsorge, der Erziehung oder Ausbildung für einen Beruf,
d) sonstige Unterstützungen, wenn sie nur in der Form vereinzelter Leistungen zur Hebung einer augenblicklichen Notlage gewährt sind,
e) Unterstützungen, die erstattet sind.

Das Wahlrecht darf nur in der Gemeinde ausgeübt werden, in der der Wahlberechtigte seit mindestens einem Jahre seinen Wohnsitz hat. Kein Wähler darf das Wahlrecht an mehr als einem Orte ausüben.

§ 3. Jeder Wahlberechtigte hat eine Stimme.

§ 4. Wählbar sind die männlichen Einwohner Elsaß-Lothringens, welche seit mindestens drei Jahren die Reichsangehörigkeit besitzen, ebensolange in Elsaß-Lothringen ihren Wohnsitz haben, eine direkte Staatssteuer entrichten und das 30. Lebensjahr vollendet haben.

Die Ausschließungsgründe des § 2 Abs. 3 gelten auch für die Wählbarkeit.

§ 5. Die Wahl erfolgt gemeindeweise auf Grund von Listen, welche die Wahlberechtigten der Gemeinde enthalten und ihre durch § 2 dieses Gesetzes geforderten Eigenschaften angeben (Wählerlisten).

Sind aus einer Gemeinde mehrere Wahlkreise gebildet, so erfolgt die Aufstellung der Wählerliste der Gemeinde gesondert für die einzelnen Wahlkreise. Die Listen werden von dem Bürgermeister und zwei von dem Gemeinderat aus seiner Mitte zu bezeichnenden Mitgliedern aufgestellt und spätestens sechs Wochen vor dem zur Wahl bestimmten Tage während einer Woche zu jedermanns Einsicht ausgelegt. Spätestens drei Tage vorher ist zur öffentlichen Kenntnis zu bringen, wann und wo dies geschieht.

Einwendungen gegen die Richtigkeit der Wählerliste müssen, während die Liste zur Einsicht ausliegt, bei dem Bürgermeister eingereicht oder zu Protokoll erklärt werden. Befugt zur Erhebung von Einwendungen ist jeder Wahlberechtigte sowie die Gemeindeaufsichtsbehörde.

Über die Einwendungen wird innerhalb fünf Tagen durch den Bürgermeister und die zwei im Abs. 2 bezeichneten Gemeinderatsmitglieder nach Stimmenmehrheit entschieden. Gegen diese Entscheidung kann Beschwerde erhoben werden. Die Beschwerde ist innerhalb drei Tagen nach Zustellung der Entscheidung durch Erklärung auf der Gerichtsschreiberei des Amtsgerichts einzulegen und durch das Amtsgericht innerhalb fünf Tagen zu entscheiden.

Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts steht den Beteiligten weitere Beschwerde an das Landgericht zu, welches endgültig entscheidet. Die Beschwerde ist in der Frist von drei Tagen nach Zustellung der Entscheidung auf der Gerichtsschreiberei des Landgerichts einzulegen. Die Entscheidung ist binnen fünf Tagen zu treffen, dem Beschwerdeführer und dem Bürgermeister mitzuteilen und von letzterem in der Wählerliste zu berücksichtigen.

Das Verfahren ist frei von Gerichtsgebühren.

Nach Ablauf der Auslegefrist wird die Liste vorbehaltlich derjenigen Äderungen, welche infolge der Entscheidung über erhobene Einwendungen notwendig werden, geschlossen.

Den in der Wählerliste eingetragenen Wahlberechtigten werden alsbald Ausweiskarten übersandt.

§ 6. Mit Genehmigung der Gemeindeaufsichtsbehörde kann der Bürgermeister zum Zwecke der Stimmabgabe die Gemeinde in Stimmbezirke einteilen. Wer bei Schluß der Wählerliste dem Stimmbezirk, in dem er seinen Wohnsitz hat, noch nicht drei Monate angehört, wählt in dem Stimmbezirk in dem er drei Monate vor Schluß der Wählerliste seinen Wohnsitz gehabt hat. Diese Vorschrift ist entsprechend anzuwenden, wenn ein Wahlberechtigter seinen Wohnsitz innerhalb der Gemeinde aus einem Wahlkreis in einen anderen verlegt.

§ 7. Die Berufung der Wahlberechtigten zur Wahl erfolgt durch den Bürgermeister mindestens acht Tage vor dem Wahltag mittels ortsüblicher Bekanntmachung. Die Bekanntmachung muß den Raum, in dem die Wahl stattfindet, Tag, Stunde und Dauer der Wahl und, falls die Gemeinde in Stimmbezirke eingeteilt ist, deren Abgrenzung bezeichnen.

Die Wahl dauert mindestens vier Stunden und höchstens acht Stunden; sie darf nicht vor 10 Uhr Morgens beginnen, der Schluß muß spätestens auf 6 Uhr Abends festgesetzt werden.

Der Wahltag muß ein Sonntag sein.

§ 8. Das Wahlrecht wird in Person durch Abgabe eines Stimmzettels in eine geschlossene Wahlurne ausgeübt. Die Wahlurnen sollen den im Verordnungswege zu erlassenden Normativbestimmungen entsprechen.

Jeder Stimmzettel muß von weißem Papier sein, darf kein äußeres Kennzeichen aufweisen, und ist von dem Wähler in einem mit amtlichem Stempel versehenen Umschlag, der sonst kein Kennzeichen haben darf, abzugeben.

§ 9. Die Wahl sowie die Ermittlung des Wahlergebnisses erfolgt öffentlich.

§ 10. Gewählt ist, wer im Wahlkreis die meisten Stimmen und zugleich mehr als die Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten hat.

Soweit sich keine solche Stimmenmehrheit ergibt, findet am siebenten Tage nach der Hauptwahl eine Nachwahl statt. Gewählt ist bei der Nachwahl, wer die meisten gültigen Stimmen erhalten hat. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los.

§ 11. Wird die Wahl abgelehnt oder für ungültig erklärt oder scheidet ein Mitglied während der Wahlperiode aus, so findet sofort eine Ersatzwahl statt.

Bei einer Ersatzwahl, die innerhalb eines Jahres nach einer Wahl stattfindet, für welche die Wählerliste neu aufgestellt war, bedarf es einer neuen Aufstellung der Wählerliste nicht.

§ 12. Den Aufwand für die Anfertigung der Wählerlisten und Ausweiskarten und die Bereitstellung und Ausrüstung des Wahlraums tragen die Gemeinden, alle übrigen durch die Wahlen entstehenden Kosten trägt die Staatskasse.

§ 13. Soweit das Wahlverfahren nicht durch dieses Gesetz festgestellt worden ist, wird es durch Kaiserliche Verordnung (Wahlordnung) geregelt.

Die Wahlordnung sowie die Wahlkreiseinteilung (§ 1 Abs. 4) können nur durch Gesetz abgeändert werden.

siehe hierzu die Verordnung über die Einteilung der Landtagswahlkreise für Elsaß-Lothringen vom 3. Juli 1911 (RGBl. S. 267)

§ 14. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Verkündung in Kraft.

    Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel.

    Gegeben Neues Palais, den 31. Mai 1911

Wilhelm

von Bethmann Hollweg

 


Quelle: Reichsgesetzblatt. 1911 S. 234
© 29. Januar 2010
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