Gesetz, betreffend die Verfassung und die Verwaltung Elsaß-Lothringens

vom 4. Juli 1879

geändert durch
Gesetz vom 18. Juni 1902 (RGBl. S. 231)
Gesetz vom 31. Mai 1911 (RGBl. S. 225)
 

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen ec.

verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, wie folgt:

§ 1. Der Kaiser kann landesherrliche Befugnisse, welche ihm kraft Ausübung der Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen zustehen, einem Statthalter übertragen. Der Statthalter wird vom Kaiser ernannt und abberufen. Er residirt in Straßburg.

Der Umfang der dem Statthalter zu übertragenden landesherrlichen Befugnisse wird durch Kaiserliche Verordnung bestimmt.

Durch Gesetz vom 31. Mai 1911 wurde der § 1 aufgehoben.

§ 2. Auf den Statthalter gehen zugleich die durch Gesetze und Verordnungen dem Reichskanzler in elsaß-lothringischen Landesangelegenheiten überwiesenen Befugnisse und Obliegenheiten, sowie die durch § 10 des Gesetzes, betreffend die Einrichtung der Verwaltung, vom 30. Dezember 1871 (Gesetzbl. für Elsaß-Lothringen von 1872m S. 49) dem Oberpräsidenten übertragenen außerordentlichen Gewalten über.

Durch Gesetz vom 18. Juni 1902 wurde bestimmt:
"Die durch § 2 des Gesetzes, betreffend die Verfassung und die Verwaltung Elsaß-Lothringens, vom 4. Juli 1879 (Reichs-Gesetzbl. S. 165) in Verbindung mit § 10 Abs. 1 des Gesetzes für Elsaß-Lothringen, betreffend die Einrichtung der Verwaltung, vom 30. Dezember 1871 (Gesetzblatt für Elsaß-Lothringen 1872 S. 49) dem STatthalter in Elsaß-Lothringen übertragenen außerordentlichen Gewalten werden aufgehoben."
damit war der § 2 zweiter Halbsatz faktisch aufgehoben.

Durch Gesetz vom 31. Mai 1911 wurde der § 2 aufgehoben.

§ 3. Das Reichskanzler-Amt für Elsaß-Lothringen und das Oberpräsidium in Elsaß-Lothringen werden aufgelöst. Zur Wahrnehmung der von dem ersteren und dem Reichs-Justizamte n der Verwaltung des Reichslandes, sowie der von dem Oberpräsidenten bisher geübten Obliegenheiten wird ein Ministerium für Elsaß-Lothringen errichtet, welches in Straßburg seinen Sitz hat und an dessen Spitze ein Staatssekretär steht.

§ 4. Die Anordnungen und Verfügungen, welche der Statthalter kraft des ihm nach § 1 ertheilten Auftrags trifft, bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Staatssekretärs, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt.

In den im § 2 bezeichneten Angelegenheiten hat der Staatssekretär die Rechte und die Verantwortlichkeit eines Stellvertreters des Statthalters in dem Umfange3,m wie ein dem Reichskanzler nach Maßgabe des Gesetzes vom 17. März 1878 (Reichs-Gesetzbl. S. 7) substituirter Stellvertreter sie hat. Dem Statthalter ist vorbehalten, jede in diesen Bereich fallende Amtshandlung selbst vorzunehmen.

Durch Gesetz vom 31. Mai 1911 wurde der § 4 aufgehoben.

§ 5. Das Ministerium für Elsaß-Lothringen zerfällt in Abtheilungen. An der Spitze der Abtheilungen stehen Unterstaatssekretäre. Dem Staatssekretär kann die Leitung einer Abtheilung übertragen werden. Das Nähere über die Organisation des Ministeriums wird durch Kaiserliche Verordnung bestimmt.

§ 6. Der Staatssekretär, die Unterstaatssekretäre und die Räthe des Ministeriums werden vom Kaiser unter Gegenzeichnung des Statthalters, die übrigen höheren Beamten des Ministeriums werden vom Statthalter, die Subaltern- und Unterbeamten vom Staatssekretär ernannt.

Auf den Staatssekreätr und die Unterstaatssekretäre finden die Bestimmungen der §§ 25, 35 des Gesetzes, betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten, vom 31. März 1873 (Gesetzbl. für Elsaß-Lothringen S. 479) Anwendung.

Sämmtliche Beamte des Ministeriums sind Landesbeamte im Sinne des die Rechtsverhältnisse der Beamten und Lehrer betreffenden Gesetzes vom 23. Dezember 1873 (Gesetzbl. für Elsaß-Lothringen S. 479).

§ 7. Zur Vertretung der Vorlagen aus dem Bereiche der Landesgesetzgebung sowie der Interessen Elsaß-Lothringens bei Gegenständen der Reichsgesetzgebung können durch den Statthalter Kommissare in den Bundesrath abgeordnet werden, welche an dessen Berathungen über diese Angelegenheiten Theil nehmen.

Durch Gesetz vom 31. Mai 1911 wurde der § 7 aufgehoben.

§ 8. Die in den §§ 5, 39, 52 und 68 des vorerwähnten Gesetzes vom 31. Mai 1873 bezeichneten Befugnisse des Bundesraths gehen bezüglich der Landesbeamten auf das Ministerium über. Auch bedarf es der Zustimmung des Bundesraths, welche in § 18 desselben Gesetzes, sowie in § 2 des die Kautionen der Beamten des Staates, der Gemeinden und der öffentlichen Anstalten betreffenden Gesetzes vom 15. Oktober 1873 (Gesetzbl. für Elsaß-Lothringen S. 273) vorgesehen ist, fortan nicht mehr.

§ 9. Es wird ein Staatsrath eingesetzt, welcher berufen ist zur Begutachtung:
1. der Entwürfe zu Gesetzen,
2. der zur Ausführung von Gesetzen zu erlassenden allgemeinen Verordnungen,
3. anderer Angelegenheiten, welche ihm vom Statthalter überwiesen werden.

Durch die Landesgesetzgebung können dem Staatsrath auch andere, insbesondere beschließende Funktionen übertragen werden.

Durch Gesetz vom 31. Mai 1911 wurde der § 9 aufgehoben.

§ 10. Der Staatsrath besteht unter dem Vorsitze des Statthalters aus folgenden Mitgliedern:
1. dem Staatssekretär,
2. den Unterstaatssekretären,
3. dem Präsidenten des Oberlandesgerichts und dem ersten Beamten der Staatsanwaltschaft bei diesem Gerichte,
4. acht bis zwölf Mitgliedern, welche der Kaiser ernennt.

Von den unter 4 bezeichneten Mitgliedern werden drei auf den Vorschlag des Landesausschusses ernannt, die übrigen beruft der Kaiser aus Allerhöchstem Vertrauen. Die Ernennung erfolgt jedesmal auf drei Jahre.

Im Vorsitze des Staatsraths wird der Statthalter im Behinderungsfalle durch den Staatssekretär vertreten.

Die Geschäftsordnung des Staatsraths wird vom Kaiser festgestellt.

Durch Gesetz vom 31. Mai 1911 wurde der § 10 aufgehoben.

§ 11. Die Mitglieder des Kaiserlichen Raths in Elsaß-Lothringen (§ 8 des Gesetzes vom 30. Dezember 1871) werden bis auf weiteres in der Zahl von zehn durch Kaiserliche Verordnung ernannt.

§ 12. Die Zahl der Mitglieder des Landesausschusses wird auf achtundfünfzig erhöht.

Von den Mitgliedern werden vierunddreißig nach Maßgabe der in dem Kaiserlichen Erlaß vom 29. Oktober 1874 getroffenen Bestimmungen durch die Bezirkstage, und zwar zehn durch den Bezirkstag des Ober-Elsaß, elf durch den Bezirkstag von Lothringen, dreizehn durch den Bezirkstag des Unter-Elsaß gewählt. Die Wahl von Stellvertretern findet ferner nicht statt.

Durch Gesetz vom 31. Mai 1911 wurde der § 12 aufgehoben.

§ 13. Von den übrigen vierundzwanzig Mitgliedern werden je eines in den Gemeinden Straßburg, Mülhausen, Metz und Colmar, zwanzig von den zwanzig Landkreisen, in den Kreisen Mülhausen und Colmar unter Ausscheidung der gleichnamigen Stadtgemeinde, gewählt.

Durch Gesetz vom 31. Mai 1911 wurde der § 13 aufgehoben.

§ 14. Die Abgeordneten von Straßburg, Mülhausen, Metz und Colmar werden von den Gemeinderäthen aus deren Mitte gewählt.

Die Wahl in den Kreisen wird derart vorgenommen, daß die Gemeinderäthe aus ihren Mitgliedern, in Gemeinden mit weniger als 1000 Einwohnern einen Wahlmann, in Gemeinden mit über 1000 Einwohnern für je volle 1000 Einwohner mehr einen Wahlmann mehr wählen.

Die Wahlmänner jedes Kreises wählen den Abgeordneten desselben.

Die Wahlen der Abgeordneten werden innerhalb vier Wochen nach der Wahl der Wahlmänner vorgenommen. Wählbar zum Abgeordneten ist, wer das aktive Gemeindewahlrecht besitzt und im Bezirke seinen Wohnsitz hat.

Durch Gesetz vom 31. Mai 1911 wurde der § 14 aufgehoben.

§ 15. Die Wahlen der Wahlmänner und der Abgeordneten geschehen in geheimer Abstimmung auf drei Jahre.

Das Recht des Wahlmannes sowie der von den Gemeinderäthen unmittelbar gewählten Abgeordneten erlischt mit der Mitgliedschaft im Gemeinderath.

Durch Gesetz vom 31. Mai 1911 wurde der § 15 aufgehoben.

§ 16. In Gemeinden, deren Gemeinderath suspendirt oder aufgelöst ist, ruht das Wahlrecht.

Durch Gesetz vom 31. Mai 1911 wurde der § 16 aufgehoben.

§ 17. Die näheren Bestimmungen über die Ausführung der Wahlen werden durch Kaiserliche Verordnung getroffen.

Durch Gesetz vom 31. Mai 1911 wurde der § 17 aufgehoben.

§ 18. Die nach §§ 13 bis 17 gewählten Abgeordneten haben, insofern sie noch nicht vereidet sind, bei ihrem Eintritt in den Landesausschuß den gleichen Eid zu leisten, wie die Mitglieder der Bezirkstage. Die Ausübung des Mandats wird durch die Leistung des Eides bedingt.

Durch Gesetz vom 31. Mai 1911 wurde der § 18 aufgehoben.

§ 19. Der Kaiser kann den Landesausschuß vertagen oder auflösen.

Die Auflösung des Landesausschusses zieht die Auflösung der Bezirkstage nach sich.

Die Neuwahlen zu den Bezirkstagen haben in einem solchen Falle innerhalb dreier Monate, die Neuwahlen zu dem Landesausschuß innerhalb sechs Monaten nach dem Tage der Auflösungsverordnung stattzufinden.

Durch Gesetz vom 31. Mai 1911 wurde der § 19 aufgehoben.

§ 20. Die Mitglieder des Ministeriums und die zu deren Vertretung abgeordneten Beamten haben das Recht, bei den Verhandlungen des Landesausschusses sowie in dessen Abtheilungen und Kommissionen gegenwärtig zu sein. Sie müssen auf ihr Verlangen jederzeit gehört werden.

Durch Gesetz vom 31. Mai 1911 wurde der § 20 aufgehoben.

§ 21. Der Landesausschuß erhält das Recht, innerhalb des Bereiches der Landesgesetzgebung Gesetze vorzuschlagen und an ihn gerichtete Petitionen dem Ministerium zu überweisen.

Im übrigen bleiben die in dem Gesetze, betreffend die Landesgesetzgebung in Elsaß-Lothringen, vom 2. Mai 1877 (Reichs-Gesetzbl. S. 491), sowie die im § 8 des Gesetzes, betreffend die Einführung der Reichsverfassung in Elsaß-Lothringen, vom 25. Juni 1873 (ebendaselbst S. 161) getroffenen Bestimmungen in Geltung.

Durch Gesetz vom 31. Mai 1911 wurde der § 21 aufgehoben.

§ 22. Das Gesetzblatt für Elsaß-Lothringen - Gesetz vom 3. Juli 1871 (Gesetzbl. für Elsaß-Lothringen S. 2) - wird vom Ministerium in Straßburg herausgegeben. Die im § 2 des erwähnten Gesetzes bezeichnete vierzehntägige Frist beginnt mit dem Ablaufe des Tages, an welchem das betreffende Stück des Gesetzblattes in Straßburg ausgegeben worden ist.

Durch Gesetz vom 31. Mai 1911 wurde der § 22 Satz 2 aufgehoben.

§ 23. Der Zeitpunkt, an welchem dieses Gesetz in Kraft tritt, wird durch Kaiserliche Verordnung bestimmt.

    Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel.

    Gegeben Bad Ems, den 4. Juli 1879

Wilhelm

Fürst v. Bismarck

 


Quellen: Reichsgesetzblatt 1879, S. 165
© 23. Januar 2010

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