Beschluß des Rates der Westeuropäischen Union
über die Durchführung der in Artikel I. des Abkommens über das Statut des Saarlandes vorgesehenen Volksabstimmung

vom 11. Mai 1955

I. DIE KOMMISSION

Artikel 1. Zusammensetzung und Geschäftsordnung. 1. Es wird eine Kommission eingesetzt, die aus je einem Vertreter der Regierungen Belgiens, Italiens und Luxemburgs, der Niederlande und des Vereinigten Königreichs besteht.

Die Kommission ist dem Rat der Westeuropäischen Union verantwortlich.

2. Die Kommission bestimmt ihren Vorsitzenden.

3. Die Kommission faßt ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

4. Die Kommission ernennt Delegierte, denen sie, soweit dies zur Wahrnehmung der Aufgaben erforderlich ist, für begrenzte Zeitabschnitte, die verlängert werden können, bestimmte Befugnisse überträgt. Hierbei wird es sich insbesondere um die Wahrnehmung von Aufgaben in den einzelnen Abstimmungsbezirken, um die Überwachung von Versammlungen und um die Überwachung der Abstimmung selbst handeln. Die Delegierten müssen den Staaten angehören, deren Regierungen in der Kommission vertreten sind.

5. Die Kommission stellt den Mitarbeiterstab, dessen sie bedarf, selbst zusammen.

Das mit technischen Aufgaben betraute Personal kann aus ortsansässigen Kräften genommen werden.

Artikel 2. Immunitäten und Vorrechte. 1. Die Mitglieder der Kornmission genießen die den beglaubigten Missionschefs zustehenden diplomatischen Immunitäten und Vorrechte.

2. Die von der Kommission ernannten Delegierten und ihr ausländisches Personal genießen die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Immunitäten und Vorrechte, insbesondere:
a) Befreiung von der saarländischen Gerichtsbarkeit in bezug auf alle von ihnen in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen, einschließlich mündlicher oder schriftlicher Äußerungen; diese Befreiung bleibt auch nach Beendigung ihrer Amtstätigkeit bestehen;
b) Befreiung von allen saarländischen Steuern hinsichtlich der ihnen gezahlten Gehälter oder Bezüge;
c) Befreiung von Einwanderungsbeschränkungen und von der für Ausländer geltenden Registrierpflicht für ihre Person, ihre Ehegatten und die von ihnen unterhaltenen Familienmitglieder;
d) zollfreie Einfuhr von Wohnungseinrichtungs- und persönlichen Gebrauchsgegenständen sowie zollfreie Ausfuhr in ihr Wohnsitz-Land bei Beendigung ihrer Amtstätigkeit.

3. Die der Kommission zur Verfügung gestellten Räume und Gebäude sind unverletzlich.

Artikel 3. Befugnisse der Kommission im Verhältnis zur Regierung des Saarlandes. a) Zur Durchführung ihrer Aufgaben kann die Kommission an die Regierung des Saarlandes Ersuchen richten.

b) In Eilfällen kann sie auf einstimmigen Beschluß auch Ersuchen an örtliche Instanzen richten. Von solchen Ersuchen wird die Kommission die Regierung des Saarlandes unverzüglich unterrichten.

c) Die Regierung des Saarlandes wird der Kommission jede Unterstützung gewähren, um ihr die Durchführung ihrer Aufgaben zu erleichtern. Sie wird der Kommission von allen sich auf die Volksabstimmung beziehenden Unterlagen und Vorgängen Kenntnis und auf Befragung Auskunft geben.

d) Die Mitglieder der Kornmission und ihre Delegierten haben zu allen Stimmlokalen freien Zutritt. Sie sind berechtigt, an allen Stimmzählungen teilzunehmen. Bei der Ermittlung der Abstimmungsergebnisse in den Stadt- und Landkreisen sowie des Gesamtabstimmungsergebnisses haben die Mitglieder der Kornmission oder ihre Delegierten das Recht der Anwesenheit,

Die Regierung des Saarlandes stellt der Kommission nach Bedarf Büroräume, Büromaterial und Transportmittel zur Verfügung.

Artikel 4. Befugnisse der Kommission im Verhältnis zur Bundesregierung und zur französischen Regierung. a) Die Kommission kann die Aufmerksamkeit der Bundesregierung oder der französischen Regierung auf Tatsachen lenken, die nach ihrer Meinung mit Artikel VI Absatz 3 des Abkommens nicht im Einklang stehen.

b) Erhält die Kommission von der Bundesregierung oder der französischen Regierung keine sie befriedigende Antwort, so kann sie den Rat der Westeuropäischen Union mit der Angelegenheit befassen.

II. GRUNDSÄTZE FÜR DIE VOLKSABSTIMMUNG

Artikel 5. Abstimmungsberechtigung. 1. Zur Teilnahme an der Volksabstimmung berechtigt sind alle Männer und Frauen, die am Abstimmungstag das 20. Lebensjahr vollendet haben und
a) nach saarländischer Gesetzgebung als Saarländer bezeichnet sind oder
b) im Saarland geboren sind und am 23. Oktober 1954 ihren Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Saarland hatten oder
c) falls sie nicht im Saarland geboren sind, am 23. Oktober 1954 seit wenigstens 5 Jahren im Saarland ihren Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt hatten.

Zur Ausübung des Stimmrechts sind die Personen berechtigt, die aus politischen Gründen nach dem 8. Mai 1945 aus dem Saarland ausgewiesen worden sind.

Wenn die Regierung des Saarlandes in besonderen Fällen Bedenken gegen die Teilnahme der Ausgewiesenen an der Volksabstimmung äußert, können diese Fälle der Kommission unterbreitet werden, die endgültig entscheidet.

2. Nicht abstimmungsberechtigt sind
a) die Mitglieder der diplomatischen und konsularischen Vertretungen im Saarland und ihre Familienangehörigen;
b) Militärpersonen und ihre Familienangehörigen;
c) Bedienstete der Polizei- und Gendarmerie-Einheiten und der Zollverwaltung und ihre Familienangehörigen.

Dieser Ausschluß gilt für Personen der Gruppe II c) nur, soweit sie nicht in die Gruppe I a) fallen.

Artikel 6. Behinderung in der Ausübung des Stimmrechts. In der Ausübung des Stimmrechts sind behindert
1. die Personen, die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht sind;
2. Strafgefangene.

Artikel 7. Fragestellung. Die Abstimmungsberechtigten sind aufzufordern, auf die gestellte Frage mit ja oder Nein zu antworten.

Artikel 8. Freiheit und Gleichheit der Abstimmung. Die Volksabstimmung ist allgemein, gleich, geheim und frei.

a) Die Freiheit der politischen Betätigung und das Abstimmungsgeheimnis sind zu wahren.

b) Die Abstimmungsordnung hat die Bestimmungen zu enthalten, die notwendig sind, um allen Parteien gleiche Rechte und Einwirkungsmöglichkeiten auf den Gebieten des Presse-, Rundfunk-, Fernseh- und Versammlungswesens und, allgemein, hinsichtlich jeder Art von Werbung zu gewährleisten. Die Flugblätter und Abstimmungsplakate müssen im Saarland gedruckt werden. Für den Fall, daß die Gleichstellung hinsichtlich des Druckes von Abstimmungsplakaten und Flugblättern nicht gesichert ist, muß die Regierung des Saarlandes die erforderliche Ermächtigung haben, um alle zweckentsprechenden Maßnahmen zur Sicherstellung einer gleichen Verteilung auf alle Parteien zu treffen, z. B. durch eine Rationierung des Drucks von Abstimmungsplakaten und Flugblättern.

Die Kommission kann den Rat der Westeuropäischen Union mit jedem Vorgang befassen, der nach ihrer Auffassung mit dem Grundsatz der gleichen Behandlung aller Parteien im Widerspruch steht.

c) Niemand darf wegen der Haltung, die er während der 3 Monate der Vorbereitung der Volksabstimmung und während der Volksabstimmung selbst eingenommen hat, schlechter gestellt werden.

Artikel 9. Abstimmungsbezirke und -ausschüsse. Jede Gemeinde bildet einen oder mehrere Abstimmungsbezirke. Abstimmungsleiter ist der Bürgermeister. Im Falle mehrerer Abstimmungsbezirke ernennt der Bürgermeister die erforderlichen Abstimmungsleiter. Die Gemeindeabstimmungsbezirke jedes Kreises werden zu einem Kreisabstimmungsbezirk zusammengefaßt. Kreisabstimmungsleiter sind die Landräte.

Der Landesabstimmungsleiter wird von der Regierung. des Saarlandes ernannt.

In allen Abstimmungsbezirken jeder Stufe sowie für das ganze Land wird je ein Abstimmungsausschuß gebildet, dem der Abstimmungsleiter vorsitzt und in den jede in dem betreffenden Bereich vertretene Partei mindestens einen Beisitzer entsendet. In jedem Falle muß eine gleiche Vertretung der Parteien, die für das Statut sind, und der anderen Parteien sichergestellt sein.

Artikel 10. Stimmlisten. a) Die Listen der Stimmberechtigten werden in den Gemeinden aufgestellt und spätestens 30 Tage vor dem Tage der Abstimmung vierzehn Tage lang zur allgemeinen Einsicht öffentlich ausgelegt.

b) Jeder, der das Abstimmungsrecht hat oder für sich in Anspruch nimmt, kann die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Listen bei dem Gemeindeabstimmungsausschuß rügen,

c) Gegen die Entscheidung des Gemeindeabstimmungsausschusses kann bei der Kommission Beschwerde eingelegt werden. Diese kann ihre Entscheidungsbefugnis auf einen Ausschuß übertragen, der aus einem Kommissionsmitglied und zwei saarländischen Richtern besteht; diese Richter werden auf Vorschlag der Regierung des Saarlandes durch die Kommission ernannt.

Artikel 11. Verstöße. Beanstandungen wegen Verstößen bei der Vorbereitung und Durchführung der Abstimmung können bei der Kommission vorgebracht werden, jedoch nicht später als acht Tage nach dem Abstimmungstag.

Artikel 12. Erlaß von Rechtsvorschriften. Auf der Grundlage der in diesem Beschluß festgelegten Grundsätze arbeitet die Regierung des Saarlandes die Rechtsvorschriften für die Organisation der Volksabstimmung aus und veröffentlicht sie, nachdem die Kommission festgestellt hat, daß sie den genannten Grundsätzen entsprechen.

Artikel 13. Zeitpunkt der Abstimmung. Der Rat der Westeuropäischen Union stellt auf Bericht der Kommission fest, ob und wann die in Artikel X des Abkommens vorgesehene Dreimonatsfrist zu laufen begonnen hat.

Die Regierung des Saarlandes setzt darauf das Datum der Volksabstimmung fest.

Artikel 14. Überwachung durch die Kommission. Während der Zeit der Vorbereitung der Volksabstimmung und der Volksabstimmung selbst wacht die Kommission über die Einhaltung der Grundsätze für die Volksabstimmung.

Artikel 15. Feststellung der Ergebnisse. Nach Auszählung der Stimmen stellt die Kommission die vorläufigen Ergebnisse fest, die von der Regierung des Saarlandes bekanntgemacht werden.

Binnen zwei Wochen nach der Volksabstimmung erstattet die Kommission dem Rat der Westeuropäischen Union einen Bericht über das vorläufige Ergebnis, den Verlauf der Volksabstimmung und etwa bei der Vorbereitung der Abstimmung und der Abstimmung selbst vorgekommene Verstöße.

Der Rat der Westeuropäischen Union entscheidet alsdann endgültig, ob die saarländische Bevölkerung das Statut gebilligt hat.

(Es folgt die Unterschrift des Präsidenten des Rates)


Quellen: Das Saar-Statut, herausgeg. von der saarländ. Regierung, 1955
© 17. Juli 2004


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