Konvention zwischen Frankreich und dem Saarland über die französisch-saarländische Gerichtsbarkeit
(Justizvertrag)

vom 20. Mai 1953

faktisch aufgehoben und ersetzt durch den Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich zur Regelung der Saarfrage vom 27. Oktober 1956 (BGBl. II. S. 1589).

Die Regierung der Französischen Republik einerseits, die Regierung des Saarlandes andererseits,

in der Erwägung, daß es in dem durch den Allgemeinen Vertrag zwischen Frankreich und dem Saarland festgelegten Rahmen erforderlich ist, auf dem Gebiet der Justiz die Auswirkungen der Währungs- und Zollunion und der sich daraus ergebenden Wirtschaftsunion zu bestimmen,

sind über nachfolgende Bestimmungen übereingekommen:

TITEL I
Gerichtsbarkeit der Union

Artikel 1. Die Hohen vertragschließenden Parteien errichten in Saarbrücken zwei Gerichte der französisch-saarländischen Zoll-, Währungs- und Wirtschaftsunion:
1. den Gerichtshof der französisch-saarländischen Union,
2. den Obersten Gerichtshof der französisch-saarländischen Union.

Abschnitt I
Der Gerichtshof der französisch-saarländischen Union

Artikel 2. Der Gerichtshof entscheidet in der Besetzung mit einem Präsidenten saarländischer Staatsangehörigkeit, zwei Beisitzern französischer Staatsangehörigkeit und zwei Beisitzern saarländischer Staatsangehörigkeit.

Artikel 3. (1) Die Mitglieder des Gerichtshofes werden auf die Dauer von zwei Jahren von ihrer Regierung nach Anhörung der anderen Regierung ernannt. Ihre Wiederernennung ist zulässig.

(2) Die gleiche Anzahl von Stellvertretern wird unter denselben Bedingungen berufen.

Artikel 4. Die Aufgaben des Vertreters des öffentlichen Interesses werden von französischen Justiz- oder Verwaltungsbeamten ausgeübt, die durch ihre Regierung ernannt werden.

Artikel 5. (1) Die Geschäftsstelle des Gerichtshofes wird durch einen Urkundsbeamten geleitet, der abwechselnd von der französischen und von der saarländischen Regierung auf eine Dauer von zwei Jahren berufen wird.

(2) Dem geschäftsleitenden Urkundsbeamten werden französische und saarländische Urkundsbeamte in gleicher Zahl beigegeben, die von ihrer Regierung ernannt werden.

Artikel 6. Wird der Gerichtshof mit einer Berufung gegen eine Entscheidung des Finanzgerichts befaßt,
a) so müssen die französischen Richter und mindestens ein saarländischer Richter Verwaltungsrichter sein. wenn die Sache nach französischem Recht zur Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte gehört;
b) so muß mindestens ein saarländischer Richter Verwaltungsrichter sein, wenn die Sache nach französischem Recht zur Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gehört.

Artikel 7. In Abweichung von den Bestimmungen des Artikels 2 werden
a) in den im Artikel 9, Absatz 1a) vorgesehenen Fällen, die Entscheidungen durch drei französische Richter, von denen der Dienstälteste den Vorsitz führt, und zwei saarländische Richter erlassen;
b) in den im Artikel 10 vorgesehenen Fällen die Entscheidungen in der unter a) erwähnten Weise erlassen, wobei einer der französischen Richter durch eine von ihrer Regierung berufene französische Militärperson ersetzt wird. Die Aufgaben des Urkundsbeamten werden dann von einem französischen Beamten wahrgenommen; auf den die Bestimmungen des Artikels 35 Anwendung finden.

Artikel 8. Der Gerichtshof ist zuständig zur Entscheidung über Berufungen gegen erstinstanzliche Urteile saarländischer Gerichte mit Ausnahme der Arbeitsgerichte:
a) in allen Fällen, in denen das französische Recht anwendbar ist,
b) in allen Fällen, in denen das saarländische Recht in Anwendung der französisch-saarländischen Verträge dem französischen Recht entspricht.

Artikel 9. (1) Der Gerichtshof ist ferner zuständig zur Entscheidung über Verbrechen und Berufungen bei Vergehen, wenn angeklagt oder angeklagt und verletzt sind:
a) Personen, die zu den französischen Land-, See- und Luftstreitkräften gehören, sowie Personen nichtsaarländischer Staatsangehörigkeit, die in den französischen Streitkräften Dienst tun, soweit sich die vorbezeichneten Personen in Ausübung ihres Dienstes im Saarland befinden und nach dem französischen Militärgesetzbuch die französischen Militärgerichte nicht zuständig sind.
b) Offiziere, Unteroffiziere und Beamte der Zollverwaltung , die im Saarland Dienst tun, sofern die Tat in oder gelegentlich der Ausübung des Dienstes begangen wurde.

(2) Der Gerichtshof ist ebenfalls zuständig zur Aburteilung von Verbrechen. durch die eine zu den vorbezeichneten Personengruppen gehörende Person verletzt ist.

(3) Im Hinblick auf die Bestimmungen des Artikels 9 des Allgemeinen Vertrages kann jedoch der Befehlshaber der französischen Streitkräfte im Saarland bis zum Schluß der Beweisaufnahme und vor dem Plädoyer des Vertreters des öffentlichen Interesses, wenn eine dringende militärische Notwendigkeit besteht, die Abgabe der Verfahren, in denen im Absatz 1 a) bezeichneter. Personen angeklagt sind, an das französische Militärgericht verlangen.

(4) Bei Verstößen, durch die eine der in Absatz 1 a) bezeichneten Personen verletzt ist, kann das Verfahren ebenfalls an die französischen Militärgerichte abgegeben werden:
a) in allen n Fällen, in denen mit Zustimmung des Befehlshabers der französischen Streitkräfte im Saarland die saarländischen Behörden dies beantragen, sofern Personen nichtsaarländischer Staatsangehörigkeit angeklagt oder verfolgt sind;
b) in dem in Artikel 8, Absatz 2, Satz 2 des Allgemeinen Vertrages vorgesehenen Fall, wenn ein Übereinkommen der beiden Regierungen vorliegt.

(5) In den in den vorbezeichneten Absätzen 3 und 4 vorgesehenen Fällen geht die Zuständigkeit unbeschadet aller entgegenstehenden Bestimmungen auf die französischen Militärgerichte über. Die saarländischen Gerichtsbehörden -werden über die ergangene Entscheidung in Kenntnis gesetzt.

(6) Die saarländischen Gerichtsbehörden werden, wenn sie als erste von einem Verbrechen oder Vergehen Kenntnis erlangen, bei dem in Absatz 1 a) bezeichnete Personen beteiligt oder verletzt sind, unverzüglich den Befehlshaber der französischen Streitkräfte im Saarland in Kenntnis setzen.

Artikel 10. Der Gerichtshof ist außerdem zur Aburteilung der in Artikel 47 näher bezeichneten Verstöße gegen die äußere Sicherheit des Staates zuständig:
a) wenn die Straftaten von Personen gleich welcher Staatsangehörigkeit im Saarland begangen wurden und diese im Saarland festgenommen worden sind;
b) die Straftaten in Frankreich oder außerhalb Frankreichs von einem Saarländer oder von einer Person begangen wurden, deren Auslieferung nicht erfolgen kann.

Artikel 11. (1) Das saarländische Verfahrensrecht findet vor dein Gerichtshof Anwendung. Handelt es sich jedoch um in Artikel 10 erwähnte Verstöße, so richtet sich das Verfahren nach den in Artikel 47 vorgesehenen Bestimmungen.

(2) Bei den in Artikel 8 und 9 erwähnten Verstößen ist das Gericht zur Entscheidung über Berufungen, unbeschadet entgegenstehender Bestimmungen des innerstaatlichen Rechtes in allen Fällen, ausgenommen bei Verbrechen, zuständig. Der Vertreter des öffentlichen Interesses beim Gerichtshof kann in allen Fällen Berufung binnen einer Frist von einem Monat einlegen.

Artikel 12. (1) Alle bei französischen oder saarländischen Gerichten ständig zugelassenen Rechtsanwälte sind auch beim Gerichtshof zugelassen.

(2) Rechtsanwälten anderer Länder kann der Gerichtshof, ausgenommen in den in Artikel 7 vorgesehenen Fällen, das Auftreten gestatten.

Abschnitt II
Der Oberste Gerichtshof der französisch-saarländischen Union

Artikel 13. Der Oberste Gerichtshof entscheidet in der Besetzung mit einem französischen Richter als Präsidenten, zwei weiteren französischen Richtern und zwei saarländischen Richtern, die je nach Art der Sache unter den Mitgliedern der höchsten ordentlichen Gerichtsbarkeit oder der höchsten Verwaltungsgerichtsbarkeit der beiden Staaten ausgewählt werden.

Artikel 14. (1) In den in Artikel 18 aufgeführten Fällen müssen die Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit angehören.

(2) In den in den Artikeln 6a) und 19 aufgeführten Fällen müssen sie Verwaltungsrichter sein.

(3) Wenn der Oberste Gerichtshof mit einem Rechtsmittel gegen eine gemäß Artikel 6b) ergangene Entscheidung befaßt ist, müssen jedoch die französischen Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit angehören und die saarländischen Richter Verwaltungsrichter sein.

Artikel 15. (1) Die Mitglieder des Obersten Gerichtshofes werden auf die Dauer von zwei Jahren von ihrer Regierung nach Anhörung der anderen Regierung ernannt. Ihre Wiederernennung ist zulässig.

(2) Die gleiche Anzahl von Stellvertretern wird unter denselben Bedingungen berufen.

Artikel 16. (1) Die Aufgaben des Vertreters des öffentlichen Interesses von saarländischen Justiz- und Verwaltungsbeamten ausgeübt, die durch ihre Regierung ernannt werden.

(2) Wenn jedoch in einem Verfahren wegen eines in Artikel 10 erwähnten Verstoßes ein Rechtsmittel eingelegt wird, so werden die Aufgaben des Vertreters des öffentlichen Interesses von einem französischen Beamten wahrgenommen.

Artikel 17. (1) Die Aufgaben der Geschäftsstelle des Obersten Gerichtshofes werden durch die Geschäftsstelle des Gerichtshofes wahrgenommen.

(2) In Verfahren wegen Verstößen nach Artikel 10 wenden diese Aufgaben entsprechend der Regelung in Artikel 7 b) wahrgenommen.

Artikel 18. Der Oberste Gerichtshof entscheidet über das Rechtsmittel der Kassation, das gegen Entscheidungen des Gerichtshofes wegen Verletzung des französischen oder des saarländischen Gesetzes eingelegt ist.

Artikel 19. Der Oberste Gerichtshof ist weiter ausschließlich zuständig zur Entscheidung in erster und letzter Instanz über:
a) zivilrechtliche Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche gegen den französischen Staat, insbesondere auf Grund fehlerhafter Handlungen von Bediensteten der französischen Verwaltung im Saarland in oder gelegentlich der Ausübung ihres Dienstes; in diesen Fällen tritt die Haftung des französischen Staates gegenüber Dritten an die Stelle der Haftung seiner Bediensteten;
b) Streitigkeiten, die sich aus im Saarland zu erfüllenden Verträgen zwischen der französischen Verwaltung und saarländischen natürlichen oder juristischen Personen ergeben;
c) Streitigkeiten wegen Schäden der in Artikel 8 Absatz 3 des Zusatzprotokolls zum Allgemeinen Vertrag erwähnten Art.

Artikel 20. (1) Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird in einer Prozeßordnung geregelt, die den Bestimmungen dieses Vertrages Rechnung trägt. Sie wird in einer gemeinsamen Sitzung der in Artikel 13 und 16 aufgeführten Richter und Beamten beschlossen, an der eine gleiche Anzahl von Staatsangehörigen beider Länder teilnimmt. Die Prozeßordnung muß die Zweisprachigkeit und den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens gewährleisten, sowie die Frist bestimmen, in der die Parteien und die Vertreter des öffentlichen Interesses beim Gerichtshof und beim Obersten Gerichtshof in den in Artikel 23 nicht aufgeführten Strafsachen ein Rechtsmittel einlegen können.

(2) Die Prozeßordnung wird im Journal Officiel de la République Française und im Amtsblatt des Saarlandes veröffentlicht.

Artikel 21. Im Falle der Aufhebung einer Entscheidung des Gerichtshofes wird die Sache an den Gerichtshof zurückverwiesen, der in anderer Besetzung entscheidet und an die rechtliche Beurteilung des Obersten Gerichtshofes in dieser Frage gebunden ist.

Artikel 22. Alle Rechtsanwälte beim Conseil d'Etat und bei der Cour de Cassation sowie die bei den französischen und saarländischen Gerichten ständig zugelassenen Rechtsanwälte sind auch beim Obersten Gerichtshof zugelassen.

Artikel 23. (1) Die Entscheidungen des Gerichtshofes können, auch wenn keine der Parteien sie innerhalb der vorgesehenen Fristen angefochten hat, außer in den Fällen des Artikels 10 von dem Vertreter des öffentlichen Interesse hei beiden Gerichtshöfen vor den Obersten Gerichtshof gebracht werden, wenn sie dem französischen oder saarländischen Recht widersprechen.

(2) Erfolgt in diesem Falle die Aufhebung der Entscheidung, so können sich die Parteien nicht auf sie berufen, um sich den Anordnungen der aufgehobenen Entscheidung zu entziehen.

(3) In Strafsachen wirkt die Aufhebung des Urteils jedoch zu Gunsten des Verurteilten, in dessen Interesse sie ausgesprochen ist.

TITEL II
Gemeinsame Bestimmungen

Artikel 24. Die Verwaltung der beiden Gerichtshöfe obliegt ihren Präsidenten.

Artikel 25. (1) Die durch diesen Vertrag den Gerichtshöfen zugewiesene Zuständigkeit ist eine ausschließliche.

(2) Hält ein mit der Sache befaßtes saarländisches Gericht oder der Vertreter des öffentlichen Interesses beim Gerichtshof die Zuständigkeit eines der beiden Gerichtshöfe in der Sache für begeben, so wird sie an den Vertreter des öffentlichen Interesses beim Gerichtshof abgegeben, der den nach seiner Ansicht zuständigen Gerichtshof damit befaßt.

(3) Die Entscheidung des Gerichtshofes oder des Obersten Gerichtshofes, die seine Zuständigkeit bejaht, bewirkt die Unzuständigkeit des Gerichtes, das mit der Sache zunächst befaßt war.

Artikel 26. (1) Die Gerichtssprachen vor dem Obersten Gerichtshof und vor dem Gerichtshof sind französisch und deutsch.

(2) Den Gerichtsakten wird eine von einem vereidigten Übersetzer angefertigte Übersetzung in die andere Sprache beigefügt.

(3) In der mündlichen Verhandlung kann jeder französische oder saarländische Beteiligte beantragen, daß durch einen vereidigten Übersetzer die Unterlagen, die Gegenstand der Verhandlung sind, die Erklärungen eines anderen Beteiligten und die Aussagen der Zeugen sowie eine Zusammenfassung der Anträge und Plädoyers in die andere Sprache übersetzt werden.

Artikel 27. (1) Die Entscheidungen werden in der Sprache des Landes erlassen, dem der Präsident angehört. Eine von einem vereidigten Übersetzer angefertigte Übersetzung wird der Urschrift des Urteils durch den Urkundsbeamten beigefügt.

(2) Jede Ausfertigung oder Abschrift der Entscheidung ist zusammen mit der Übersetzung in die andere Sprache auszustellen.

(3) Bei Widersprüchen ist nur die Urschrift maßgebend.

Artikel 28. (1) Die Entscheidungen ergehen im Namen des französischen Volkes und des saarländischen Volkes.

(2) Sie werden mit der in beider. Ländern üblichen Vollstreckungsklausel versehen.

(3) Sie sind in Frankreich ebenso vollstreckbar wie im Saarland.

TITEL III
Besondere Bestimmungen

Artikel 29. (1) Abgesehen von den Fällen der Ergreifung auf frischer Tat, können Untersuchungen, Festnahmen und Durchsuchungen, die sich auf die in Artikel 9 Absatz 1 a) bezeichneten Personen beziehen, von saarländischen Polizeibeamten nur durchgeführt werden, wenn es sich um Fälle handelt, die zur Zuständigkeit der saarländischen Gerichte oder des französisch-saarländischen Gerichtshofes gehören, und nur in Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsdienst der Streitkräfte. Diese Personen können, abgesehen von dem vorerwähnten Fall der Ergreifung auf frischer Tat, nur auf Anordnung oder mit Ermächtigung ihrer zuständigen Vorgesetzten festgenommen werden.

(2) In Kasernen sowie in militärischen Gebäuden und Anlagen wird die Durchführung aller polizeilichen Maßnahmen sowie aller Ladungen und aller Zustellungen der saarländischen Gerichtsbehörden oder des französisch-saarländischen Gerichtshofes ausschließlich durch die zuständige französische Militärbehörde gewährleistet,

Artikel 30. (1) Zum Zwecke der Ermittlung und Verfolgung von Zuwiderhandlungen der in Artikel 10 dieses Vertrages genannten Art, unterhält die Regierung der Französischen Republik im Saarland Sonderbedienstete als Hilfsbeamte des Vertreters des öffentlichen Interesses bei dem französisch-saarländischen Gerichtshof.

(2) Eine gemischte Verbindungsdienststelle, die sich aus zwei im Einvernehmen beider Regierungen ernannten Beamten zusammensetzt, von denen der eine französischer, der andere saarländischer Staatsangehöriger ist, sichert die notwendige Verbindung mit den saarländischen Dienststellen. Für die beiden Beamten wird je ein Vertreter in der gleichen Weise bestimmt.

(3) Festnahmen und Durchsuchungen können, wenn davon saarländische Staatsangehörige betroffen sind, nur in Gegenwart von saarländischen Polizeibeamten vorgenommen werden, ausgenommen in den Fällen, in denen eine unmittelbare Gefahr die Interessen der nationalen Verteidigung bedroht und ein saarländischer Vertreter der Verbindungsstelle nicht rechtzeitig zu erreichen war.

Artikel 31. Der Vertreter des öffentlichen Interesses kann die Eröffnung einer Untersuchung wegen Zuwiderhandlungen der in Artikel 10 genannten Art nur auf Antrag des Befehlshabers der französischen Streitkräfte im Saarland verlangen.

Artikel 32. Ein Untersuchungsrichter französischer Staatsangehörigkeit, der durch seine Regierung ernannt wird, leitet eine Untersuchung wegen dieser Zuwiderhandlungen gegen jede Person ein, von der angenommen werden kann, daß sie sich im Saarland befindet.

Artikel 33. Abweichend von den im Rechtshilfeabkommen oder seinen Anlagen enthaltenen Bestimmungen, und gegebenenfalls unbeschadet der Anwendung der Vorschriften des Artikels 10, wird die saarländische Regierung auf formloses Ersuchen der französischen Regierung die Auslieferung gewähren
a) jedes französischen Staatsangehörigen, jedes Angehörigen der französischen Union oder der unter französischem Schutz stehenden Gebiete, der wegen Zuwiderhandlungen der in Artikel 10 genannten Art, die im Saarland oder außerhalb des Saarlandes begangen wurden, verfolgt wird oder verurteilt worden ist,
b) jeder Person anderer als saarländischer Staatsangehörigkeit, die nicht den dauernden Aufenthalt im Saarland gemäß dem saarländischen Gesetz vom 29. 7. 1948 besitzt, wenn sie wegen einer Zuwiderhandlung dieser Art verfolgt wird oder verurteilt worden ist und die Zuwiderhandlung außerhalb des Saarlandes begangen wurde.

Artikel 34. Die Erklärungen des Notstandes unter den in Artikel 11 des Allgemeinen Vertrages vorgesehenen Bedingungen hat die Anwendung der französischen Gesetzgebung über den Ausnahmezustand zur Folge. In diesem Falle sind die französischen Militärgerichte zuständig; sie wende. die Bestimmungen der französischen Strafgesetze auf Zuwiderhandlungen an. die zu ihrer Zuständigkeit gehören.

Artikel 35. (1) Die Richter und die Vertreter des öffentlichen Interesses französischer Staatsangehörigkeit. die an der Gerichtsbarkeit, wie sie durch diesen Vertrag eingerichtet wird, beteiligt sind. genießen im Saarland vollständige gerichtliche Immunität.

(2) Gegen sie können keine Zwangs- oder Untersuchungsmaßnahmen ergriffen werden.

Artikel 36. (1) Untersuchungen gegen die im Artikel 30 Absatz (1) dieses Vertrages genannten Beamten können nur in Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsdienst der französischen Streitkräfte durchgeführt werden.

(2) Durchsuchungen und Festnahmen, welche die im vorhergehenden Absatz genannten Beamten betreffen, können nur nach vorherigem Benehmen mit dem Vertreter des öffentlichen Interesses bei dem Gerichtshof der französisch-saarländischen Union vorgenommen werden. Dieser kann alsdann den vorerwähnten Sicherheitsdienst damit befassen. Diese Bestimmungen berühren nicht das Recht der saarländischen Polizei, gegen Personen einzuschreiten. die auf frischer Tat betroffen werden.

(3) Für die Aburteilung der in Absatz 1 genannten Beamten ist da; Gericht zuständig, dis in Artikel 7a) dieses Vertrages vorgesehen ist.

TITEL IV
Verschiedene Bestimmungen

Artikel 37. (1) Das Landgericht entscheidet in erster Instanz in Zoll- und Devisenstrafsachen sowie in allen Streitigkeiten, die sich unmittelbar au; der Anwendung der im Saarland gemäß Artikel 2 des Allgemeinen Vertrages eingeführten französischen Vorschriften ergeben.

(2) Der Vorsitzende einer der Kammern dieses Gerichts ist zuständig, das Visum für die Zoll- und Zwangsbescheide (contraintes) zu erteilen und auf Antrag die in der französischen Zollgesetzgebung vorgesehenen Anordnungen zu erlassen.

Artikel 38. (1) Auf dem Gebiete der Zölle und Devisen hat die Zollverwaltung die Befugnis,
- das Landgericht in Zivilsachen durch Erhebung der Klage und in Strafsachen durch Strafantrag oder Protokolle, die an die Staatsanwaltschaft zu richten sind, zu befassen,
- Strafen, Einziehungen und Verwaltungsgeldstrafen auf dem Gebiete der Zölle und Devisen sowie die Verurteilung zur Bezahlung von Abgaben, Gebühren, Schadenersatz, Kosten und anderen Zoll- und devisenrechtlichen Forderungen zu beantragen.
- Rechtsmittel, gegen die Urteile oder Entscheidungen einzulegen, die ihren Anträgen nicht entsprochen haben,
- allgemein alle einem Nebenkläger zustehenden Rechte auszuüben.

(2) Gemäß dem saarländischen Recht und in Abweichung von Artikel 367 des Code Douanes müssen die Parteien in Zivilsachen von einem Rechtsanwalt vertreten sein, der beim Landgericht oder bei dem französisch-saarländischen Gerichtshof zugelassen ist.

Artikel 39. (1) Zuwiderhandlungen gegen die Devisenbestimmungen werden festgestellt, verfolgt und abgeurteilt wie solche auf dem Gebiete der Zölle.

(2) Jedoch genießen die Protokolle, die Zuwiderhandlungen gegen die Devisenbestimmungen feststellen, ohne daß ein Zusammenhang mit Zolldelikten besteht. Beweiskraft nur bis zum Beweise des Gegenteils.

Artikel 40. (1) In Zoll- und Devisensachen wird die Urschrift der Urteile des Landgerichts in deutscher Sprache abgefaßt; eine von einem vereidigten Übersetzer beglaubigte Übersetzung in die französische Sprache wird beigefügt.

(2) Zwangsbescheide (contraintes) der Zollverwaltung gegen Schuldner, die ihren Wohnsitz im Saarland haben, werden in französischer Sprache abgefaßt. Eine von einem vereidigten Übersetzer beglaubigte Übersetzung in die deutsche Sprache wird beigefügt.

(3) Vergleiche (Transaktionen), die im Saarland begangene Verstöße gegen die Zoll- und Devisenvorschriften betreffen, werden entweder auf zweisprachigen Formularen oder in französischer Sprache abgefaßt. In dem letztgenannten Falle wird, wenn der Betroffene seinen Wohnsitz im Saarland hat, eine Übersetzung in die deutsche Sprache beigefügt, es sei denn, daß der Betroffene auf diese verzichtet.

(4) Bei Verstößen gegen die Zoll- und Devisenbestimmungen werden die im Saarland errichteten Protokolle je nach der Sprache des protokollierenden Beamten in französischer oder deutscher Sprache abgefaßt. Jedoch werden die Erklärungen des Beschuldigten und der Zeugen nach deren Wahl in französischer oder deutscher Sprache entgegengenommen und niedergeschrieben. Auf dieses Wahlrecht sind die Beteiligten in beiden Sprachen hinzuweisen. Der Hinweis ist gleichfalls in beiden Sprachen in das Protokoll aufzunehmen. Die Abschriften der Protokolle müssen außerdem den Text des Artikels 336 des Code des Douanes in französischer und deutscher Sprache enthalten.

Artikel 41. (1) In Frankreich und im Saarland sind ohne Exequaturverfahren vollstreckbar:
- die Straf- und Zwangsbescheide (contraintes), die von der französischen Zollverwaltung erlassen und von dem zuständigen Richter ordnungsgemäß mit dem Visum versehen worden sind;
- die Urteile, die von den Gerichten der einen oder anderen der Hohen vertragschließenden Parteien ausschließlich auf dem Gebiete der Zölle, der Devisenkontrolle und der im Artikel 6 des Steuer- und Haushaltvertrages genannten Steuern erlassen worden sind.

(2) Werden vor den Gerichten der einen oder anderen der Hohen vertragschließenden Parteien gleichzeitig Zuwiderhandlungen auf den in Absatz 1 genannten Gebieten und Zuwiderhandlungen gegen das allgemeine Strafrecht geahndet, so können nur Geldstrafen, die auf Grund der Steuer-, Zoll- und Devisengesetzgebung ausgesprochen werden, unmittelbar und ohne Exequaturverfahren in Frankreich und im Saarland vollstreckt werden.

Artikel 42. Auf dem Gebiet der Zölle und der Devisenkontrolle wird in Abweichung von Artikel 368 des Code des Douanes die Zwangsvollstreckung im Saarland nach saarländischem Recht durchgeführt:
- durch den zuständigen Gerichtsvollzieher auf Antrag der französischen Zollverwaltung hinsichtlich der Abgaben. Gebühren, Verwaltungsgeldstrafen und anderen zoll- und devisenrechtlichen Forderungen;
- durch die Staatsanwaltschaft in allen anderen Fällen.

Artikel 43. Vorschriften, durch die die Gesetzgebung einer der beiden Staaten il Zivil- und Handelssachen Freiheitsentziehungen vorsieht, sind nicht anwendbar gegenüber Angehörigen des anderen Staates.

Artikel 44. (1) Schiedsverträge, durch welche die Beteiligten einen Streitfall der Entscheidung durch Schiedsrichter unterbreiten, haben in beiden Ländern Gültigkeit.

(2) Das gleiche gilt für Schiedsklauseln, durch welche sich die Parteien eines Vertrages verpflichten, die sich aus diesem Vertrag ergebenden Streitigkeiten ganz oder teilweise durch Schiedsrichter entscheiden au lassen, vorausgesetzt, daß es sich nach dem Recht des Landes, in dem die Schiedsklausel geltend gemacht wird, um eine Handelssache handelt.

(3) Die sachliche und verfahrensrechtliche Regelung des Schiedsverfahrens einschließlich der Bestellung der Schiedsrichter richtet sich nach der freien Übereinkunft der Parteien und den Gesetzen des Landes, in welchem das Schiedsverfahren stattfinden soll.

Artikel 45. (1) Die Gerichte der vertragschließenden Staaten, die mit einem Streitfall aus einem Vertrag befaßt werden, der einen nach Artikel 44 gültigen und durchführbaren Schiedsvertrag oder eine solche Schiedsklausel enthält, verweisen auf Antrag eines der Beteiligten die Sache vor den Schiedsrichter.

(2) Die Verweisung beeinträchtigt die Zuständigkeit der Gerichte nicht für den Fall, daß der Schiedsvertrag, die Schiedsklausel oder der Schiedsspruch aus irgendeinem Grunde hinfällig oder unwirksam werden.

Artikel 46. Die vor dem Gerichtshof abgeschlossenen Vergleiche sind in Frankreich ebenso vollstreckbar wie im Saarland.

TITEL V
Übergangs- und Schlußbestimmungen

Artikel 47. Zur Durchführung des Artikels 10 schließen die Hohen vertragschließenden Parteien besondere Abkommen:
1) über das Verfahrensrecht und über die zur Anwendung des geltenden Strafrechts notwendigen Bestimmungen;
2) über den Erlaß neuer strafrechtlicher Bestimmungen.

Bis zum Inkrafttreten des unter Ziffer 1) vorgesehenen Abkommens finden die Artikel 31, 33 und 34 der Rechtshilfekonvention vom 3. März 1950 und bis zum Inkrafttreten des unter Ziffer 3) vorgesehenen Abkommens Artikel 31 Anwendung.

Artikel 48. Die Sachen, die bei den französischen, saarländischen oder gemischten Gerichten auf Grund der durch die Konvention vom 3. Januar 1948 über die Organisation des Justizwesens im Saarland und durch die Rechtshilfekonvention vom 3. März 1950 begründete Zuständigkeit anhängig sind. ,lohen mit Inkrafttreten dieses Vertrages in der Lage, in der sie sich befinden auf die nach diesem Vertrag zuständigen Gerichte über, ohne daß Prozeßhandlungen, Förmlichkeiten und Zwischenentscheidungen, die vor dem Inkrafttreten dieses Vertrages ergangen sind, wiederholt werden müssen.

siehe auch den Vertrag über die Änderung und Ergänzung der Konvention über den Rechtshilfeverkehr vom 3. März 1950, vom 20. Mai 1953

Artikel 49. (1) Die Bezüge der Richter, Vertreter des öffentlichen Interesses und der Beamten der Geschäftsstelle der Gerichtshöfe werden je nach der Staatsangehörigkeit dieser Beamten von der entsprechenden Regierung übernommen.

(2) Die sächlichen Kosten dieser Gerichtshöfe trägt jede Regierung zur Hälfte.

Artikel 50. (1) Die Bestimmungen der Konvention vom 3. Januar 1948 über die Organisation des Justizwesens im Saarland treten außer Kraft.

(2) Bis zum Abschluß einer neuen Vereinbarung über das Gnadenwesen bleibt die Entscheidung der durch Artikel 27 der oben erwähnten Konvention errichteten Gemischten Kommission vom 18. Juli 1949 in Kraft.

Artikel 51. Dieser Vertrag ist, was Frankreich betrifft, anwendbar auf das französische Mutterland, auf Algerien und auf die überseeischen Departements. Er kann nach Übereinkunft beider Regierungen auf die anderen Gebiete der französischen Union ausgedehnt werden sowie auf die Staaten, für die Frankreich die internationale Vertretung übernimmt.

Artikel 52. Dieser Vertrag ist in französischer und in deutscher Sprache ausgefertigt: beide Texte sind maßgebend. Er tritt nach seiner Veröffentlichung in beiden Staaten in Kraft.

    Urkundlich dessen haben die beiderseitigen Bevollmächtigten diesen Vertrag unterzeichnet und mit ihren Siegeln versehen.

    Vollzogen in doppelter Ausfertigung zu Paris am 20. Mai 1953.

Für die Regierung des Saarlandes
Hoffmann

Für die Regierung der Französischen Republik
 Bidault


Quellen: Amtsblatt des Saarlandes 1953 S. 770
Die neuen Staatsverträge, herausgeg. von der Regierung des Saarlandes 1953.
Jahrbuch des öffentlichen Rechts, Neue Folge Band 9, 1960

© 16. Juli 2004


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