Reglement über das Verfahren bei den ständischen Wahlen

vom 22. Juni 1842

aufgehoben durch
Verfassung vom 5. Dezember 1848

Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen ec. ec. verordnen zur Beförderung eines gleichmäßigen Verfahrens bei den ständischen Wahlen, nach eingeholtem Gutachten Unserer getreuen Stände sämmtlicher Provinzen, was  folgt:

§ 1. Die Wahl jedes Landtags-Abgeordneten und jedes Stellvertreters erfolgt in einer besondern Wahlhandlung.

§ 2. Wenn die für die verschiedenen Stände gebildeten Wahlbezirke oder einzelne Städte mehrere Abgeordnete und Stellvertreter zu wählen haben, so wird, um deren Reihenfolge unzweifelhaft festzustellen, jede einzelne Wahlhandlung ausdrücklich auf die Wahl des ersten, zweiten u. s. w. Abgeordneten, beziehungsweise ersten zweiten u. s. w. Stellvertreter, gerichtet.

§ 3. Ein Stellvertreter der in der Reihefolge eine Stelle einnimmt, welche hinter der zur Zeit erledigten steht, ist zu der letzteren ihn gefallene Wahl annimmt, eine anderweitige Wahl in Beziehung auf die von ihm zuvor eingenommene Stelle statt.

§ 4. Alle Wahlen erfolgen durch absolute Stimmenmehrheit in der Art, daß der Gewählte mehr als die Hälfte der Stimmen der erschienenen Wähler, oder zwar nur die Hälfte, aber darunter die Stimme des - nach den Lebensjahren - ältesten Mitgliedes der Wahlversammlungen erhalten haben muß. befindet sich indeß das älteste Mitglied unter denen, welche gleiche Stimme erhalten haben, so entscheidet die Stimme des nächstältesten, bei der Entscheidung nicht persönlich betheiligten Wählers.

§ 5. Finden sich die Stimmen zwischen Mehreren in der Art getheilt, daß sich für keinen derselben eine absolute Mehrheit ausgesprochen hat, so sind diejenigen beiden Personen, welche die meisten Stimmen erhalten haben, auf eine engere Wahl zu bringen.

§ 6. Sind die Stimmen zwischen Dreien oder mehreren gleich geheilt, so findet eine Vorwahl unter ihnen statt, um diejenigen beiden Personen zu bestimmen, welche auf die engere Wahl zu bringen sind.

Ergiebt die zweite Abstimmung kein anderes Resultat als die erste, so ist die Wahl nochmals zu wiederholen, und wenn auch dann noch die Stimmen in derselben Weise getheilt bleiben, so sind von denen, welche die gleiche Stimmenzahl erhalten haben, die beiden den Lebens-Jahren nach Ältesten auf die engere Wahl zu bringen.

§ 7. Ist zwar für Einen die relative Stimmen-Mehrheit vorhanden; haben aber nächst ihm mehrere andere eine gleiche Stimmenzahl erhalten, so ist durch eine weitere Vorwahl nach dem im § 6 vorgeschriebenen Verfahren festzustellen, welcher von ihnen mit jenem auf die engere Wahl gebracht werden soll.

§ 8. Bei allen Vorwahlen, welche nur zu dem Zweck geschehen, um die beiden Personen zu ermitteln, welche auf die engere Wahl zu bringen sind, entscheidet die relative Stimmenmehrheit.

§ 9. Die auf eine engere Wahl gebrachten Personen haben sich des Mitstimmens bei derselben zu enthalten.

§ 10. Die Wahlstimmen werden mittelst verdeckter Stimmzettel abgegeben, wobei jederzeit die beiden jüngsten Mitglieder die Stimmzettel einsammeln, welche sie demnächst gemeinschaftlich mit dem Wahl-Kommissarius zu eröffnen haben.

§ 11. Im Wahl-Termin, zu welchem die Wahlberechtigten mindestens 14 Tage zuvor einberufen sind, legt der Wahlkommissarius den Anwesenden zuvörderst die Bescheinigungen über die Insinuation der Einladungen vor, und wird, daß dies geschehen, im Wahl-Protokoll ausdrücklich bemerkt. Demnächst sind in diesem Protokoll sämmtliche erschienene Wähler, mit Angabe des Gutes, auf welchem die Stimme ruht, beziehungsweise des Wahlbezirks, der Kommune oder Korporation, welche von ihnen vertreten wird, genau aufzuführen. Aus demselben müssen ferner die Stellen, zu deren Wiederbesetzung die Wahlen erfolgt sind, die Periode, für welche sie statt gefunden, die Art und Weise der Abstimmung, der Gang der Wahlhandlungen in Beziehung auf etwanige Anwendung der Vorschriften §§ 4 - 7 und die Resultate derselben deutlich hervorgehen. Insbesondere ist zu letzterm Zweck in dem Protokoll nicht nur auszudrücken, mit wie viel Stimmen die betreffenden Abgeordneten, beziehungsweise Stellvertreter, gewählt sind; sondern es sind auch die Namen aller derer, welche außer den Gewählten, Stimmen erhalten haben, mit Angabe der Zahl der letztern, darin vollständig zu verzeichnen.

§ 12. Fällt die Wahl auf ein Mitglied des betreffenden ständischen Verbandes, bei dem die Bedingung des zehnjährigen Grundbesitzes nicht vollständig erfüllt wird, so ist jederzeit noch eine zweite subsidiarische Wahl für den Fall vorzunehmen, daß die erforderliche Dispensation nicht ertheilt werden sollte.

§ 13. Diese Vorschriften gelten nicht nur für die Wahlen von Abgeordneten und Stellvertretern der verschiedenen Stände zu Provinzial-Kommunal-Landtagen und Kreistagen; sondern auch für die anderen von den Ständen auf denselben zu vollziehenden Wahlen (mit Ausnahme der Landraths-Wahlen), imgleichen für die Wahlen der Bezirks-Wähler durch die Orts-Wähler im Stande der Landgemeinden.

Die Dom-Kapitel ernennen auch künftig ihre Abgeordneten und Stellvertreter nach den bei ihnen bestehenden Oberservanzen.

Die Wahlen der Orts-Wähler in den zu Kollektiv-Stimmen berechtigten Städten und den Landgemeinden erfolgen nach der rücksichtlich ihrer, wegen der Gemeindewahlen, bestehenden Gesetzes-Vorschriften oder Observanzen.

§ 14. Dagegen werden alle bisher gültigen Bestimmungen und Observanzen, welche diesem Reglement entgegenstehen, hierdurch aufgehoben.

    Gegeben Sanssouci, den 22. Juni 1842

Friedrich Wilhelm.

Prinz von Preußen

v. Boyen        Mühler.        v. Rochow.        v. Nagler.      
Graf v. Alvensleben.        Eichhorn.        v. Thile.        v. Savigny.        Frh. v. Bülow.
v. Bodelschwing.        Graf zu Stolberg.

 


Quellen: Preußische Gesetzsammlung 1842 S. 213
Dr. v. Lancizolle, Rechtsquellen für die gegenwärtige landständische Verfassung in Preußen, Berlin 1847
© 16. Mai 2011
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