Verordnung wegen Einführung des Staatsrats

vom 20. März 1817

faktisch aufgehoben durch
Gesetz zur vorläufigen Ordnung der Staatsgewalt in Preußen vom 20. März 1919
Verfassung des Freistaats Preußen vom 30. November 1920 (GS. S. 543)

Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen

haben in Unserer Verordnung vom 27. Oktober 1810, die veränderte Verfassung der obersten Staatsbehörden betreffend, die Bestimmungen gegeben, nach welchen die obere Verwaltung Unsers Staats unter der Oberaufsicht und Kontrolle des Staatskanzlers geführt werden soll. Späterhin haben Wir durch einen Kabinets-Befehl vom 3. Juni 1814 unter dem Vorsitz des Staatskanzlers ein Staatsministerium angeordnet und dabei seine Verhältnisse als solche, im Ganzen unverändert gelassen, insonderheit aber verordnet, daß alle Berichte des Ministerii und der Minister an Uns, ihm ohne Ausnahme zugeschickt werden sollen, damit er die Übersicht der ganzen Verwaltung behalte und Uns nöthigenfalls seine Meinung darüber abgeben könne. Wir haben ihm überlassen, Uns sodann nach Beschaffenheit der Gegenstände, diese Berichte Selbst vorzulegen und Uns Vortrag daraus zu machen, oder solches den Ministern, oder den bei Unserm Militair-und Civilkabinett angestellten vortragenden Personen zu übertragen.

Alle diese Einrichtungen bestätigen Wir und wollen, daß sie auch fernerhin genau beobachtet werden. Wir setzen auch fest, daß jeder Staatsminister mit dem Ende des Februars eine Darstellung seiner Verwaltung im abgelaufenen Jahre an Uns ablege und bei dem Staatskanzler einreiche.

Wir wollen aber nunmehr auch den schon in der oberwähnten Verordnung vom 27. Oktober 1810 und in Unserm Kabinetsbefehl vom 3. Juni 1814 bestimmten Staatsrath in Wirksamkeit treten lassen, nachdem die Hindernisse jetzt gehoben sind, die sich derselben in den Begebenheiten der Zeit entgegengesetzt haben und die Organisation der verwaltenden Behörden so weit vorgeschritten ist, daß der Staatsrath den beabsichtigten Zweck erfüllen kann.

Diesemnach setzen Wir folgendes hiermit fest:

§ 1. Der Staatsrath wird den 30. März 1817 eröffnet, und tritt von diesem Tage an in Wirksamkeit. Er wird seine Sitzungen in Unserm Königlichen Schlosse in der Residenzstadt Berlin halten.

§ 2. Der versammelte Staatsrath ist für Uns die höchste berathende Behörde; er hat aber durchaus keinen Antheil an der Verwaltung.

Zu seinem Wirkungskreise gehören die Grundsätze, nach denen verwaltet werden soll, mithin:
a. Alle Gesetze, Verfassungs- und Verwaltungs-Normen, Pläne über Verwaltungs-Gegenstände, durch welche die Verwaltungs-Grundsätze abgeändert werden, und Berathungen über allgemeine Verwaltungs-Maaßregeln, zu welchen die Ministerialbehörden verfassungsmäßig nicht autorisirt sind, dergestalt, daß sämmtliche Vorschläge zu neuen oder zur Aufhebung, Abänderung und authentischer Deklaration von bestehenden Gesetzen und Einrichtungen, durch ihn an Uns zur Sanktion gelangen müssen.
    Die Einwirkung der künftigen Landesrepräsentanten bei der Gesetzgebung, wird durch die, in Folge Unserer Verordnung vom 22. Mai 1815 auszuarbei tende Verfassungsurkunde näher bestimmt werden.
b. Streitigkeiten über den Wirkungskreis der Ministerien.
c. Alle Gegenstände, welche durch schon bestehende gesetzliche Bestimmungen vor den Staatsrath gehören, (z.B. Entsetzung eines Staatsbeamten § 101 Tit. X. Teil II. ALR).
d. Alle Sachen, welche Wir in einzelnen Fällen an den Staatsrath weisen werden, welches dem Befinden nach besonders in Absicht auf die von Unsern Unterthanen eingehenden Beschwerden über die Entscheidung der Ministerien geschehen wird. Wir werden jedesmal bestimmen, ob die Sache dem Staatsrath zur Entscheidung überlassen wird, oder ob Wir dessen Gutachten verlangen.
    Die auswärtigen Angelegenheiten sollen nur dann an den Staatsrath gebracht werden, wenn Wir es in wichtigen Fällen besonders verordnen.

§ 3. Den Vorsitz im Staatsrath werden Wir, in solchen Fällen, wo Wir es für nöthig erachten, Selbst führen, außerdem aber haben Wir Unsern Staatskanzler bereits in der Verordnung vom 27. Oktober 1810. unter Unserm Befehl zum Präsidenten bestellt. Er wird diesemnach die Berathungen leiten.

§ 4. Der Staatsrath soll bestehen:
I. Aus den Prinzen Unsers Hauses, sobald sie das achtzehnte Lebensjahr erreicht haben.
II. Aus Staatsdienern, welche durch ihr Amt zu Mitgliedern desselben berufen sind; für jetzt nämlich:
- der Staatskanzler und Präsident des Staatsraths;
- Unsere Feldmarschälle;
- die, die Verwaltung leitenden wirklichen Staatsminister;
- der Minister-Staatssekretair, welcher die Feder im Staatsrath führen, die Protokolle und Gutachten desselben zu fassen und das Formelle des Geschäftsganges zu besorgen haben wird;
- der Generalpostmeister;
- der Chef des Obertribunals;
- der erste Präsident der Oberrechnungskammer
- Unser Geheimer Kabinetsrath
- der, den Vortrag in Militairsachen bei Uns habende Offiziere;
- die kommandirenden Generale in Unsern Provinzen, jedoch nur dann, wenn sie besonders berufen werden;
- die Oberpräsidenten in den Provinzen, jedoch ebenfalls nur dann, wenn sie besonders berufen werden.
III. Aus Staatsdienern, welchen Unser besonderes Vertrauen Sitz und Stimme im Staatsrath beilegt. Für jetzt bestimmen Wir dazu die in der Anlage A. auf geführten Personen.

§ 5. Diese bilden sämmtlich das Plenum des Staatsraths und wohnen den Sitzungen desselben regelmäßig bei, wenn sie nicht abwesend und durch unvermeidliche Abhaltung daran behindert werden. Solchenfalls müssen sie dem Präsidenten Anzeige davon machen.

Keine Sitzung kann statt finden, wenn nicht wenigstens fünfzehn Mitglieder, außer den Prinzen Unsers Hauses, zugegen sind.

§ 6. Sämmtliche Mitglieder des Staatsraths behalten ihre, ihnen sonst in ihrem Dienstverhältniß beigelegten Titel.

Rangverhältäisse werden im Staatsrath nicht beachtet. Ein jeder, außer den Prinzen Unsers Hauses, nimmt seinen Sitz, wo er einen Platz offen findet. Nur der Präsident hat einen bestimmten Platz; ihm zur Rechten bleibt einer für den jedesmal Vortragenden oder Sprechenden leer, und ihm zur Linken sitzt der Minister-Staatssekretair.

Besondere Besoldungen für die Mitglieder des Staatsraths, als solche, finden nicht statt.

Dem Minister-Staatssekretair wird das nöthige Hülfspersonal überwiesen werden.

§ 7. Zur gründlichen Erörterung der bei dem Staatsrathe vorkommenden Gegenstände und zur Vorbereitung derselben für das Plenum, wo keine andere als völlig zur Entscheidung instruierte Sachen vorkommen dürfen, wird der Staatsrath in sieben besondere Abtheilungen zertheilt:
1) Für die auswärtigen Angelegenheiten;
2) Für das Kriegswesen;
3) Für die Justiz;
4) Für die Finanzen;
5) Für den Handel und die Gewerbe;
6) Für die Gegenstände der Ministerien des Innern und der Polizei;
7) Für den Kultus und die öffentliche Erziehung.

Einer besonderen Abtheilung für die Gesetze bedarf es nicht, da die erwähnten entweder einzeln, oder wenn es der Gegenstand erfordert, zusammentretend den Zweck der ehemaligen Gesetzkommission erfüllen.

§ 8. Jede dieser Abtheilungen soll aus fünf Mitgliedern bestehen. Die Mitglieder sollen zum Theil nicht in dem Zweige der Verwaltung angestellt seyn, für deren Gegenstände die Abtheilung bestimmt ist. Der erste im Range führt in der Abtheilung den Vorsitz und leitet den Geschäftsgang. Er kann auf die Zuziehung fremder nicht zum Staatsrath gehörender Personen, als Staatsbeamte, Gelehrte, Kaufleute, Grundbesitzer, bei dem Präsidenten antragen und dieser kann sie anordnen. Sie haben aber keine Stimme, sondern werden nur über einzelne. Gegenstände gehört.

§ 9. Die für jetzt auf das Jahr 1817 zu Mitgliedern der sieben Abtheilungen ernannten Personen erhellen aus der Anlage B. Wir behalten Uns vor, sie zu Anfang eines jeden Jahres zu verändern oder zu bestätigen.

§ 10. Die verwaltenden Staatsminister können in den Abtheilungen, wo Sachen ihrer VerwaltungSzweige vorkommen, gegenwärtig seyn und mussen einen Rath aus ihrem Departement auf jeden Fall in die Abtheilung schicken, um über alles Auskunft zu geben. Weder dieser noch der Minister aber dürfen eine Stimme in der Abtheilung führen.

§ 11. Der Vorsitzende der Abtheilung übernimmt entweder selbst den Vortrag der eingehenden Sachen, oder giebt ihn einem seiner Mitarbeiter auf. Vor dem Vortrage müssen die Sachen bei sämmtlichen Mitgliedern der Abtheilung zirkuliren.

§ 12. Nach vollständig gehaltenem Vortrage in der Abtheilung, wird über den Gegenstand gestimmt, wobei die Mehrheit der Stimmen entscheidet. Der Vorsitzende hat, gleich den Mitgliedern der Abtheilung, nur Eine Stimme.

§ 13. In den Abtheilungen führt entweder der Vorsitzende oder dasjenige Mitglied, dem er es zu übertragen für gut findet, das Protokoll und faßt die Gutachten und anderen schriftlichen Aufsätze.

§ 14. Die Prüfungen und Gutachten der Abtheilungen müssen bei minder erheblichen Gegenständen spätestens in vierzehn Tagen, bei wichtigeren Sachen aber in vier Wochen beendigt und dem Präsidenten übergeben seyn. Wird längere Zeit erfordert, so sind ihm die Gründe anzuzeigen.

§ 15. Der Präsident bestimmt, nach genommener Rücksprache mit dem Vorsitzenden der Abtheilung, den Referenten, welcher das Gutachten derselben im Pleno des Staatsraths vortragen soll; das Gutachten muß aber jederzeit vollständig schriftlich abgefaßt seyn.

§ 16. Bevor das Gutachten in das Plenum gelangt, wird der Entwurf zum Gesetz von dem Minister-Staatssekretair und einem vom Präsidenten zu bestimmenden Mitgliede der Justizabtheilung in Absicht auf die Fassung geprüft, und Ausstellungen werden gemeinschaftlich mit der betreffenden Abtheilung berichtigt.

§ 17. Die Vorsitzenden der Abtheilungen des Staatsraths sind berechtigt, die über einen Gegenstand bei den Ministerial- oder andern Behörden verhandelten Akten oder Nachrichten einzufordern, damit die Abtheilung Kenntniß davon nehme.

§ 18. Gehört ein zu erörtender Gegenstand vor mehrere Abtheilungen, so ordnet der Präsident eine gemeinschaftliche Berathung an.

§ 19. Die Prinzen Unsers Königlichen Hauses können zu keiner Abtheilung gehören. Sie sitzen und stimmen nur im Pleno des Staatsraths.

§ 20. Keine Sache kann im Staatsrathe zur Erwägung kommen, die Wir demselben nicht Selbst zuweisen; jedoch sind die oben § 2 unter bund c hievon ausgenommen, welche vom Präsidenten zum Vortrag gebracht und nach Befinden den Abtheilungen zur Prüfung gegeben werden.

§ 21. Der Präsident bestimmt die Reihefolge, in welcher die Gegenstände und die Gutachten der Abtheilungen zur Verhandlung vor den versammelten Staatsrath gebracht werden sollen. Der Minister-Staatssekretair unterrichtet hievon die Mitglieder, besonders aber den betreffenden Departementsminister und den Referenten.

§ 22. Ohne die Gegenwart des Präsidenten ist keine Sitzung des Staatsraths zulässig. In Behinderungsfällen werden Wir ihm ein Mitglied als Präsident substituiren. In dringenden Fällen soll er dieses selbst zu thun befugt seyn, bis Unsere Bestimmung erfolgen kann.

§ 23. Da es von den Arbeiten der Abtheilungen abhängt, wie oft das Plenum des Staatsraths zusammenkommen muß, so werden Wir solches Selbst durch den Präsidenten zusammenberufen lassen.

Die Abtheilungen bestimmen ihre Versammlungen nach Maaßgabe ihrer Geschäfte.

§ 24. Die Referenten halten nach der vom Präsidenten bestimmten und von dem Minister-Staatssekretair vermerkten Reihefolge, ihre Vorträge im Pleno. Sind die Mitglieder der Abtheilung in ihren Ansichten nicht übereinstimmend gewesen, so kann nach dem Vortrage ein Mitglied von der entgegengesetzten Meinung das Wort nehmen, die Gründe der Gegner gehörig erörtern und solche der Entscheidung des versammelten Staatsraths unterwerfen.

Nach den Vorträgen der Mitglieder der Abtheilung soll der Minister, zu dessen Verwaltung der Gegenstand gehört, das Wort haben. Ist man allgemein einig, so wird der Beschluß vom Minister-Staatssekretair zu Protokoll gefaßt. Sind aber abweichende Meinungen, so müssen diejenigen, welche solche auseinanderzusetzen wünschen, es dem Präsidenten anzeigen, welcher sodann die Reihefolge, nach welcher ein jeder seine Stimme ablegen kann, bestimmen wird. Zuletzt faßt der Referent die verschiedenen geäußerten Meinungen zusammen und stellt jeden streitig gebliebenen Gegenstand kurz und deutlich dar, worauf der Präsident abstimmen läßt. Die Mehrheit der Stimmen entscheidet.

§ 25. Bei gleicher Anzahl der Stimmen auf beiden Seiten, giebt der Präsident durch die seinige den Ausschlag, und die Gutachten oder Beschlüsse werden nach der vorhandenen Mehrheit der Stimmen im Staatsrathe abgefaßt.

§ 26. Der Minister-Staatssekretair verzeichnet sie, unter namentlicher Bemerkung der anwesenden Mitglieder, in das Protokoll, welches von sämmtlichen anwesenden Mitgliedern unterzeichnet wird.

§ 27. Bei Vertretungsfällen muß das Protokoll dem Präsidenten nachträglich durch den Minister-Staatssekretair zur Unterschrift vorgelegt werden.

§ 28. Wenn Wir nicht Selbst anwesend im Staatsrathe entscheiden, wird Uns das Gutachten desselben durch Unsern Staatskanzler vorgelegt. Wir werden alsdann bestimmen, ob Wir den Beschluß des Staatsraths genehmigen, oder die Genehmigung verweigern, oder solchen mit Bemerkungen dem Staatsrathe zur anderweiten Berathung zurückgeben.

Die Gutachten des Staatsraths und die entworfenen Gesetze und Verordnungen, sind ohne Ausnahme Unserer Bestätigung unterworfen, und erhalten für die ausübenden Behörden nur dann Kraft, wenn Unsere Sanktion erfolgt ist. Jedes Gesetz wird vom Präsidenten kontrasignirt und vom Minister-Staatssekretair beglaubigt.

§ 29. Wird erst mit den Ständen verhandelt, so geschieht dieses durch den Staatsrath, welcher eins oder mehrere seiner Mitglieder dazu nach der Auswahl des Präsidenten deputirt. Nach Beendigung der Verhandlung wird Uns die Sache wieder vorgelegt.

§ 30. Die Beurlaubung der Mitglieder des Staatsraths geschieht nach den bestehenden Verordnungen, entweder von Uns selbst, oder durch den Präsidenten.

§ 31. In den Monaten Juni, Juli und August werden die Sitzungen des ganzen Staatsrath suspendirt, wenn nicht dringende Angelegenheiten dessen Zusammenberufung erfordern. Die Arbeiten in den Abtheilungen können aber fortgehen.

§ 32. Wir beauftragen Unsern Staatskanzler, den Fürsten von Hardenberg, dafür zu sorgen, daß gegenwärtige Verordnung in allen ihren Theilen zur Ausführung gebracht werde.

Die Konzeption des Staatsrats der Preußischen Monarchie war der, der in anderen deutschen Staaten als Geheimer Rat bezeichnet wurde, als oberstes Beratungsgremium des Königs, dessen wichtigste Mitglieder die Minister der Krone waren. Der Staatsrat in Preußen hat jedoch keine Bedeutung erlangt, da er nach der Absetzung des Staatskanzlers Hardenberg nicht oder nur sehr selten und unregelmäßig zusammengetreten ist. In der Verfassung von 1848/50 war er nicht vorgesehen, wobei jedoch immer mal wieder der Versuch von Seiten der Krone oder der Regierung gemacht wurde, den Staatsrat wieder zu beleben, allerdings ohne Erfolg. Das Staatsministerium, der Ministerpräsident und die einzelnen Minister waren die obersten Berater der Krone und dem Landtag verantwortlich. Nach der Verfassung von 1920 wurde dann ein Staatsrat eingerichtet, der die Interessen der Provinzen bei der Landesgesetzgebung einbringen sollte und der bis 1933 bestand. In der Zeit des Nationalsozialismus war der Staatsrat ein beratendes Organ des Preußischen Staatsministeriums unter Ministerpräsident Göring.
 


Quellen: Preußische Gesetzsammlung 1817, S. 67
Ernst Rudolf Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte Band 1, Verlag Kohlhammer
Reich und Länder, Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte, dtv Wissenschaft  (dtv 4443)
© 18. Februar 2001 - 26. März 2011
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