Kirchengesetz,
betreffend eine außerordentliche Kirchenversammlung zur  Feststellung der künftigen Verfassung für die evangelische Landeskirche der älteren Provinzen Preußens

vom 19. Juni 1919

bestätigt durch Staatsgesetz vom 8. Juli 1920 (GS S. 401)

geändert durch
?

 

Für die evangelische Landeskirche der älteren preußischen Provinzen wird unter Zustimmung der Generalsynode verordnet, was folgt:

§ 1. Die künftige Verfassung der evangelischen Kirche der älteren preußischen Provinzen wird von einer nach diesem Gesetze zu bildenden Kirchenversammlung festgestellt.

§ 2. Die Kirchenversammlung besteht aus:
1. 193 von den Kirchengemeinden zu wählenden Mitgliedern;
2. den Generalsuperintendenten und den Präsiden der Provinzialsynoden;
3. je einem Mitgliede der evangelisch-theologischen Fakultäten an den Universitäten der älteren Provinzen, das von jeder Fakultät aus ihrer Mitte gewählt wird.

§ 3. (1) Die nach § 2 Ziffer 1 zu Wählenden werden von den Mitgliedern der vereinigten kirchlichen Körperschaften oder größeren Gemeindevertretungen der Kirchengemeinden in unmittelbarer und geheimer Wahl gewählt.

(2) In Kirchengemeinden, die für ihre eigenen Angelegenheiten besondere Gemeindevertreter (Repräsentanten) nicht zu wählen haben, erfolgt die Wahl lediglich durch die Mitglieder des Gemeindekirchenrats (Presbyteriums).

§ 4. (1) Von den nach § 2 Ziffer 1 zu wählenden Mitglieder werden 192 nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt und auf die neun Kirchenprovinzen wie folgt verteilt:
Ostpreußen 18
Westpreußen 9
Brandenburg 51
Pommern 18
Posen 9
Schlesien 21
Sachsen 27
Westfalen 18
Rheinprovinz             21

 

192

(2) Sie sind aus Mitgliedern der Landeskirche ohne Unterschied des Geschlechts zu wählen, davon ein Dritteil, jedoch nicht mehr, aus Geistlichen und zwar nur aus Geistlichen der Landeskirche, die in der Kirchenprovinz wohnen.

(3) Das letzte zu wählende Mitglied wird aus den innerhalb der Hohenzollernschen Lande wohnenden Mitgliedern der Landeskirche gewählt.

(4) Alle Gewählten müssen am Tage der Wahl das 30. Lebensjahr zurückgelegt haben.

(5) Die Wahl ist auf Personen von bewährtem christlichen Sinne, kirchlicher Einsicht und Erfahrung zu richten.

§ 5. (1) Jede Kirchenprovinz bildet einen Wahlkreis.

(2) Wahlkommissar des Wahlkreises ist der Präsident des Konsistoriums.

§ 6. (1) Beim Wahlkommissar sind spätestens am 21. Tage vor dem ersten der drei Wahltage (§ 19) Wahlvorschläge einzureichen. Jeder Wahlvorschlag muß für jede der beiden im § 4 Abs. 2 genannten Gruppen gültige Benennungen in dem für die Gruppen vorgeschriebenen Zahlenverhältnis enthalten. Die Wahlvorschläge müssen von mindestens 20 Mitglieder der kirchlichen Gemeindekörperschaften im Wahlkreis unterzeichnet sein.

(2) Von jedem vorgeschlagenen Bewerber ist eine Erklärung über seine Zustimmung zur Aufnahme in den Wahlvorschlag einzureichen.

(3) In demselben Wahlkreise darf ein Bewerber nur einmal vorgeschlagen werden. Erklärt sich ein auf mehreren Wahlvorschlägen Benannter auf Aufforderung innerhalb der ihm gesetzten Frist nicht für einen bestimmten Wahlvorschlag, so ist er auf allen Wahlvorschlägen zu streichen.

§ 7. (1) Mehrere Wahlvorschläge können miteinander verbunden werden. Die Verbindung muß von den Unterzeichnern der betreffenden Wahlvorschläsge oder ihren Bevollmächtigten übereinstimmend spätestens am 14. Tage vor dem ersten der drei Wahltage (§ 19) beim Wahlkommissar schriftlich erklärt werden.

(2) Verbundene Wahlvorschläge können nur gemeinschaftlich zurückgenommen werden.

(3) Die verbundenen Wahlvorschläge gelten den anderen Wahlvorschlägen gegenüber als ein Wahlvorschlag.

§ 8. (1) Zur Prüfung der Wahlvorschläge und ihrer Verbindung wird für jeden Wahlkreis ein Wahlausschuß gebildet, der aus dem Wahlkommissar als Vorsitzendem und vier Beisitzern besteht.

(2) Der Wahlausschuß faßt seine Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.

(3) Nach der öffentlichen Bekanntgabe der zugelassenen Wahlvorschläge können diese nicht mehr zurückgenommen, auch kann ihre Verbindung dann nicht mehr aufgehoben werden.

§ 9. Jede Kirchengemeinde bildet einen Stimmbezirk. Sind mehrere Kirchengemeinden unter einem gemeinschaftlichen Pfarramte derart verbunden, daß ihre kirchlichen Organe in den gemeinsamen Angelegenheiten der Gesamtparochie zu einer gemeinsamen Körperschaft zusammentreten, so bilden sie zusammen eine Stimmbezirk.

§ 10. (1) Auf jedes Mitglied der kirchlichen Körperschaften entfällt eine Stimme.

(2) In Kirchengemeinden von mehr als 2000 Seelen erhalten die Mitglieder der kirchlichen Körperschaften Zusatzstimmen, und zwar jedes Mitglied in den Kirchengemeinden
von mehr als 2000 aber höchstens 5000 Seelen 1 Zusatzstimme
von mehr als 5000 aber höchstens 10000 Seelen 2 Zusatzstimmen
von mehr als 10000 aber höchstens 20000 Seelen 3 Zusatzstimmen
von mehr als 20000 aber höchstens 30000 Seelen 4 Zusatzstimmen
von mehr als 30000 aber höchstens 40000 Seelen 5 Zusatzstimmen
von mehr als 40000 aber höchstens 60000 Seelen 7 Zusatzstimmen
von mehr als 60000 aber höchstens 80000 Seelen 10 Zusatzstimmen
von mehr als 80000 aber höchstens 100000 Seelen 14 Zusatzstimmen
von mehr als 100000 24 Zusatzstimmen
Die Festsetzung der Seelenzahl erfolgt gemäß § 3 des Gemeindewahlgesetzes.

§ 11. (1) Die Wahl erfolgt unter Leitung des Vorsitzenden des Gemeindekirchenrats (Presbyteriums) als Wahlvorsteher in einer Sitzung der kirchlichen Körperschaften. Der Wahlvorsteher ernennt zwei bis vier Mitglieder zu Beisitzern und einen Schriftführer. Wahlvorsteher, Beisitzer und Schriftführer bilden den Wahlvorstand.

(2) Auf die Beschlüsse des Wahlvorstandes findet § 8 Abs. 2 sinngemäß Anwendung.

Wahlvorschläge sind spätestens am 21. Tage vor dem Wahltage beim Vorsitzenden des Gemeindekirchenrats (Presbyteriums) einzureichen. Wird erst in den letzten drei Tagen vor Ablauf der Einreichungsfrist ein Wahlvorschlag eingereicht, so können noch während weiterer sieben Tage andere Wahlvorschläge eingereicht werden. Die Wahlvorschläge müssen von mindestens 20, in Kirchengemeinden unter 1000 Seelen von mindestens 10 wahlberechtigten Mitgliedern dieser Kirchengemeinde unterzeichnet sein.

(2) Von jedem vorgeschlagenen Bewerber ist eine Erklärung über seine Zustimmung zur Aufnahme in den Wahlvorschlag anzuschließen.

(3) Ein Bewerber darf nicht in mehreren Wahlvorschlägen benannt werden. Erklärt sich ein auf mehreren Wahlvorschlägen Benannter auf Aufforderung innerhalb der ihm gesetzten Frist nicht für einen bestimmten Wahlvorschlag, so ist er auf allen Wahlvorschlägen zu streichen.

§ 12. (1)  Die Prüfung der Wahlvorschläge liegt dem Gemeindekirchenrate (Presbyterium) ob. In größeren Kirchengemeinden kann auf Beschluß des Gemeindekirchenrats (Presbyteriums) für diesen Zweck ein Wahlausschuß gebildet werden, der aus dem Vorsitzenden des Gemeindekirchenrats (Presbyteriums) als Vorsitzendem und vier gewählten Beisitzern besteht. Auf seine Beschlüsse findet § 8 Abs. 3 sinngemäß Anwendung.

(2) Nach der öffentlichen Bekanntgabe der zugelassenen Wahlvorschläge können diese nicht mehr zurückgenommen werden.

§ 13. Gewählt wird mit verdeckten Stimmzetteln. Abwesende können sich weder vertreten lassen noch sonst an der Wahl teilnehmen.

§ 14. (1) Über die Gültigkeit der Stimmzettel entscheidet vorbehaltlich der Nachprüfung im Wahlprüfungsverfahren der Wahlvorstand.

(2) Die ungültigen Stimmzettel sind dem Wahlprotokoll beizufügen, die gültigen verwahrt der Wahlvorsteher so lange versiegelt, bis die Gültigkeit der Wahl feststeht.

§ 15. Zur Ermittelung des Wahlergebnisses wird die Verhandlungsniederschrift über die Wahlhandlung nebst den zur Prüfung des Verfahrens erforderlichen Unterlagen vom Wahlvorsteher dem Wahlkommissar übersandt. Der Wahlausschuß stellt fest, wieviel gültige Stimmen abgegeben und wieviel hiervon auf jeden Wahlvorschlag und auf die verbundenen Wahlvorschläge gemeinschaftlich entfallen sind.

§ 16. (1) Die Verteilung der als gewählt geltenden Mitglieder auf die einzelnen Wahlvorschläge erfolgt nach dem Verhältnisse der ihnen nach § 15 zustehenden Stimmen. Die Berechnungsweise wird in der Wahlordnung geregelt.

(2) Für die Verteilung unter die einzelnen Bewerber der Gruppen ist die Reihenfolge der Benennungen in den einzelnen Gruppen der Wahlvorschläge maßgebend.

§ 17. (1) wenn ein Gewählter die Wahl ablehnt oder nachträglich aus der Kirchenversammlung ausscheidet, so tritt an seine Stelle ohne Ersatzwahl der Bewserber, der derselben Gruppe des Wahlvorschlags oder, wenn diese erschöpft ist, der entsprechenden Gruppe eines verbundenen Wahlvorschlags angehört und nach dem Grundsatze des § 16 Abs. 2 hinter dem Ausscheidenden an erster STelle berufeun ist.

(2) Ist ein solcher Bewerber nicht vorhanden, so bleibt die Stelle unbesetzt.

§ 18. Für die Wahl des nach § 4 Abs. 3 zu wählenden Mitglieds gilt der Präsident des Konsistoriums der Rheinprovinz als Wahlkommissar. Auf die Wahl finden die §§ 6, 7, 8, 12 Abs. 2, 15 Satz 2, 16 und 17 keine Anwendung. Gewählt ist, wer die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält. Das Nähere regelt die Wahlordnung.

§ 19. Die Wahlen zur Kirchenversammlung finden tunlichst bald nach den Neuwahlen der kirchlichen Gemeindekörperschaften an einem von drei aufeinanderfolgenden Tage stat, unter denen sich ein Sonntag befinden muß. Diese Tage bestimmt der Evangelische Oberkirchenrat, den Wahltag für jeden Stimmbezirk der Gemeindekirchenrat (Presbyterium).

§ 20. Das Wahlverfahren wird auf der Grundlage dieses Gesetzes durch eine besondere Wahlordnung näher geregelt, die der Evangelische Oberkirchenrat in Gemeinschaft mit dem Generalsynodalvorstand erläßt.

§ 21. Die Kosten für die Vordrucke zu den Wahlprotokollen und für die Ermittelung des Wahlergebnisses werden aus  Mitteln der Landeskirche, alle übrigen Kosten des Wahlverfahrens von den Kirchengemeinden bestritten.

§ 22. (1) In Kirchengemeinden, auf welche die allgemeinen kirchlichen Gemeindewahlordnungen keine Anwendung finden, treten an Stelle des Gemeindekirchenrats (Presbyteriums) und der Gemeindevertreter (Repräsentanten) die entsprechenden bisherigen Organe dieser Gemeinden. Ist in einer solchen Gemeinde eine ständige größere Gemeindevertretung mit geschlossener Mitgliederzahl nicht vorhanden, so erfolgt die Wahl nur durch die Mitglieder der dem Gemeindekirchenrate (Presbyterium) entsprechenden Körperschaft.

(2) Militär- und Anstaltsgemeinden nehmen an der Wahl nicht teil.

§ 23. Soweit infolge des Ausscheidens von Teilen der Landeskirche aus dem preußischen Staatsgebiet Änderungen in der Abgrenzung der Kirchenprovinzen und Wahlkreise (§§ 4 und 5) notwendig werden, ist der Evangelische Oberkirchenrat unter Mitwirkung des Generalsynodalvorstandes ermächtigt, die Bestimmungen zu treffen, die zu einer entsprechend veränderten Durchführung der Grundsätze dieses Gesetzes erforderlich sind.  Insbesondere ist er auch ermächtigt, die Zahl der Abgeordneten, welche auf die von der Veränderung betroffenen Kirchenprovinzen nach § 4 Abs. 1 entfällt, anderweit verhältnismäßig zu verteilen. Dabei sind jedem Wahlkreise mindestens sechs Abgeordnete zuzuweisen; soweit hierzu nötig, kann die im § 4 Abs. 1 festgesetzte Gesamtzahl der Abgeordneten erhöht werden.

§ 24. Die außerordentliche Kirchenversammlung (§ 1) wird binnen drei Monaten nach dem letzten Wahltage (§ 19) durch den Evangelischen Oberkirchenrat in Gemeinschaft mit dem Generalsynodalvorstnand einberufen.

§ 25. Dieses Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.

    Berlin, den 19. Juni 1920

Die mit der vorläufigen Wahrnehmung des landesherrlichen Kirchenregiments beauftragten Staatsminister.

Fischbeck.        Oeser.        Severing.       
 

Der Präsident des Evangelischen Oberkirchenrats.

Moeller.
 


Quellen: Preußische Gesetzsammlung 1920, S. 408
© 26. August 2015 - 28. August 2015
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