Gesetz, betreffend die evangelische Kirchenverfassung in den acht älteren Provinzen der Monarchie.

vom 3. Juni 1876

geändert durch
Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes, betr. die evangelische Kirchenverfassung in den acht älteren Provinzen der Monarchie, vom 3. Juni 1876, vom 6. März 1882 (GS S. 14)

aufgehoben durch
Gesetz, betreffend die Kirchenverfassungen der evangelischen Landeskirchen vom 8. April 1924 (GS. S. 221)
 

Wir, Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen ec.

verordnen, mit Zustimmung der beiden Häuser des Landtages der Monarchie, für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien, Sachsen und Westfalen und die Rheinprovinz, was folgt:

Artikel. 1. Die in der Kirchengemeinde- und Synodalordnung vom 10. September 1873 (Ges.Samml. 1874 S. 151) und in der anliegenden General-Synodalordnung vom 20. Januar 18176 bestimmten und nach diesen Vorschriften zusammengesetzten Synodalorgane üben die nachstehenden Rechte nach Maßgabe dieses Gesetzes aus.

Artikel 2. Die Kreissynode übt die ihr in der Kirchengemeinde- und Synodalordnung vom 10. September 1873 zugewiesenen Rechte in Betreff
1) der in den Kirchengemeinden bestehenden und der den Kirchengemeinden des Synodalkreises gemeinsamen Einrichtungen und Institute für christliche Liebeswerke (§ 53 Nr. 5);
2) des Kassen- und Rechnungswesens der einzelnen Gemeinden und der kirchlichen Stiftungen innerhalb des Bezirks (§ 53 Nr. 6);
3) der Kreis-Synodalkasse, des Kreis-Synodalrechners, des Etats der Kasse und der Repartition der zu derselben erforderlichen beiträge der Kirchenkassen und Gemeinden (§ 53 Nr. 7);
4) der statutarischen Ordnungen (§ 53 Nr. 8).

Die zur Ausübung dieser Rechte erforderlichen Beschlüsse werden nach § 52 Absatz 3, 4 gefaßt.

Artikel 3. Den Gemeinden steht gegen Beschlüsse der Kreissynode wegen Repartition der zur Kreis-Synodalkasse erforderlichen Beiträge binnen einundzwanzig Tagen seit Zustellung des Beschlusses Beschwerde zu.

Über die Beschwerde entscheidet die Staatsbehörde.

Artikel 4. Zur Feststellung statutarischer Ordnungen in dem der Kreissynode überwiesenen Geschäftsgebiete (§ 53 Nr. 8, § 65 Nr. 5) bedarf es der vorgängigen Anerkennung seitens der Staatsbehörde, daß die entworfenen Bestimmungen dem Gesetz vom 25. Mai 1874 und diesem Gesetz nicht zuwider seien.

Artikel 5. Der Kreis-Synodalvorstand übt in Bezug auf die nach § 53 Nr. 5 und 6 der Synode übertragne Mitaufsicht das Recht, in eiligen Fällen die vorläufige Entscheidung zu treffen (§ 55 Nr. 6)

Artikel 6. Die Rechte, welche nach den Artikeln 2 bis 5 der einzelnen Kreissynode und deren Vorstande zustehen, werden in dem Fall des § 57 Absatz 1 den vereinigten Kreissynoden und deren Vorständen für die gemeinsamen Angelegenheiten beigelegt, wenn die Vereinigung mit Einwilligung der einzelnen Kreissynoden erfolgt.

Artikel 7. Wenn der Wirkungskreis einer Kreissynode oder einer nach § 57 Absatz 1 gebildeten Vereinigung von Kreissynoden, sowie ihres Vorstandes nach Absatz 2 dieses Paragraphen mit Rücksicht auf eigenthümliche Einrichtungen oder Bedürfnisse des Kreises erweitert werden soll, so ist ein Regulativ zu erlassen, für welches die Bestimmungen des bezeichneten Absatzes maßgebend sind. Auf die Feststellung desselben findet Artikel 4 dieses Gesetzes Anwendung.

Artikel 8. In dem Regulativ für die vereinigten Kreissynoden der Haupt- und Residenzstadt Berlin kann denselben das Recht beigelegt werden,
1) über die Veränderung, Aufhebung oder Einführung allgemeiner Gebührentaxen für alle Gemeinden Beschluß zu fassen;
2) allgemeine Umlagen auszuschreiben, und zwar:
    a) Behufs Ersatz für die aufzuhebenden Stolgebühren;
    b) zur Gewährung von Beihülfen an ärmere Parochien Behufs Befriedigung dringender kirchlicher Bedürfnisse.
        Sollte die Umlage für diesen letzteren Zweck drei Prozent der Summe der von den pflichtigen Gemeindegliedern jährlich an den Staat zu entrichtenden Personalsteuern (Klassen- und Einkommensteuer) übersteigen, so bedarf es der Genehmigung des Staatsministeriums.
    Die Umlagen müssen gleichzeitig in allen Gemeinden nach gleichem Maßstabe erhoben werden, und gilt für den Repartitionsfuß die Vorschrift des § 31 Nr. 6 der Kirchengemeinde- und Synodalordnung vom 10. September 1873.
    Auf die Beschlüsse über solche Umlagen findet Artikel 3 Absatz 3, 4 des Gesetzes vom 25. Mai 1874 Anwendung;
3) eine Synodalkasse für die Einnahme und Verwendung der ausgeschriebenen Umlagen zu errichten.
    Zur Übertragung der in diesem Gesetze den Provinzialsynoden zugestandenen Rechte auf die demnächst zu bildende Provinzialsynode Berlin bedarf es eines Staatsgesetzes.

Durch Gesetz vom 6. März 1882 wurde im Artikel 8 Ziffer 2 folgender Buchstabe angefügt:
"c) Behufs Berichtigung des Antheils aller Gemeinden an den Kreis-, Provinzial- und General-Synodalkosten, sowie an den im Wege kirchlicher Gesetzgebung festgestellten Umlagen für provinzielle und landeskirchliche Zwecke.
     Beschlüsse über den Repartitionsfuß solcher Umlagen bedürfen der Genehmigung der Staatsbehörde".

Artikel 9. In anderen Ortschaften, die mehrere unter einem gemeinsamen Pfarramt nicht verbundene Parochieen umfassen, können die im Artikel 8 bezeichneten Zwecke auf den Antrag aller oder der Mehrheit der Parochieen im Sinne des Artikel 4 des Gesetzes vom 25. Mai 1874 für gemeinsame Angelegenheiten durch das Konsistorium erklärt werden.

Artikel 10. Die Provinzialsynode übt die ihr in der Kirchengemeinde- und Synodalordnung vom 10. September 1873 zugewiesenen Rechte in Betreff
1) der von den Kreissynoden beschlossenen statutarischen Bestimmungen (§ 65 Nr. 5);
2) der Synodalwittwen- und Waisenkassen, der provinziellen Fonds und Stiftungen; der Kreis-Synodalkasse und der Provinzial-Synodalkasse (§ 65 Nr. 6);
3) neuer kirchlicher Ausgaben zu provinziellen Zwecken (§ 65 Nr. 7);
4) der Verwendung des Ertrages der vor dem jedesmaligen Zusammentritt der Provinzialsynode oder alljährlich in der Provinz einzusammelnden Kirchen- und Hauskollekten zum besten der bedürftigen Gemeinden des Bezirks (§ 65 Nr. 8).
    Die Befugniß, eine Einsammlung dieser Hauskollekte anzuordnen, bedarf nicht der besonderen Ermächtigung einer Staatsbehörde; die zeit der Einsammlung muß aber dem Oberpräsidenten vorher angezeigt werden.

Die zur Ausübung dieser Rechte erforderlichen Beschlüsse werden nach § 70 Absatz 1, 2 gefaßt.

Artikel 11. Die von der Provinzialsynode beschlossenen neuen kirchlichen Ausgaben zu provinziellen Zwecken (§ 65 Nr. 7 der Kirchengemeinde- und Synodalordnung vom 10. September 1873) werden auf die Kreis-Synodalkassen nach Maßgabe der in den §§ 72, 73 daselbst aufgestellten Normen repartirt.

Sowohl der Beschluß über die Bewilligung der Ausgabe als die Matrikel bedarf der Bestätigung durch die Staatsbehörde. Die Bestätigung ist insbesondere zu versagen, wenn Bedenken hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit des Beschlusses, der Angemessenheit des Vertheilungsmaßstabes oder der Leistungsfähigkeit des Bezirks bestehen.

Artikel 12. Die Bestimmungen der §§ 71 bis 74 der Kirchengemeinde- und Synodalordnung vom 10. September 1873 über die Kosten der Kreis- und Provinzialsynoden kommen zur Anwendung, sobald die neuen Synodalorgane gemäß den §§ 43 bis 46 der General-Synodalordnung vom 20. Januar 1876 gebildet sind.

Artikel 13. Kirchliche Gesetze und Verordnungen, sie mögen für die Landeskirche oder für einzelne Provinzen oder Bezirke erlassen werden, sind nur soweit rechtsgültig, als sie mit einem Staatsgesetz nicht in Widerspruch stehen.

Bevor ein von einer Provinzialsynode oder von der Generalsynode beschlossenes Gesetz dem Könige zur Sanktion vorgelegt wird, ist durch eine Erklärung des Staatsministeriums festzustellen, daß gegen das Gesetz von Staatswegen nichts zu erinnern ist. In der Verkündigungsformel ist diese Feststellung zu erwähnen.

Absatz 4 des § 6 der General-Synodalordnung vom 20. Januar 1876 findet auch auf provinzielle kirchliche Gesetze Anwendung.

Die Bestimmungen dieses Artikels gelten auch in dem Bezirk der Kirchenordnung vom 5. März 1835 für die Provinz Westfalen und die Rheinprovinz.

Artikel 14. Die Generalsynode übt die ihr in der General-Synodalordnung vom 20. Januar 1876 zugewiesenen Rechte in Betreff
1) der unter die Verwaltung und Verfügung des Evangelischen Ober-Kirchenraths gestellten kirchlichen Fonds (§§ 11, 12);
2) neuer Ausgaben für landeskirchliche Zwecke (§ 14);
3) der Heranziehung der Einkünfte des Kirchenvermögens und der Pfarrpfründen zu Beiträgen für kirchliche Zwecke (§ 15).

Die zur Ausübung dieser Rechte erforderlichen Beschlüsse werden nach § 32 Absatz 2 und 4 gefaßt.

Artikel 15. Kirchengesetze, durch welche neue Ausgaben zu landeskirchlichen Zwecken bewilligt werden (§ 14 der General-Synodalordnung vom 20. Januar 1876), und die endgültige Vereinbarung zwischen der Generalsynode und der Kirchenregierung über die Vertheilung der Umlage auf die Provinzen (§ 14 Absatz 2 daselbst) bedürfen, bevor sie dem Könige zur Sanktion vorgelegt werden, der Zustimmung des Staatsministeriums. Die Zustimmung ist in der Verkündigungsformel zu erwähnen.

Die Königliche Verordnung über vorläufige Feststellung des Vertheilungsmaßstabes (§ 14 Absatz 2) ist von dem Staatsministerium gegenzuzeichnen.

Für die Untervertheilung in den Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen kommt Artikel 11 zur Anwendung. Die Untervertheilung in der Provinz Westfalen und der Rheinprovinz erfolgt nach Maßgabe des § 135 der Kirchenordnung vom 5. März 1835. Wegen der Bestätigung der Matrikel für die Vertheilung auf die Kreissynoden findet Artikel 11 Absatz 2, wegen der Vertheilung der Antheile der Kreissynoden auf die Gemeinden Artikel 3 Anwendung.

Artikel 16. Die Gesammtsumme der auf Grund der Artikel 10 Nr. 3 und 14 Nr. 2 zu beschließenden Umlagen darf - abgesehen von den Synodalkosten - für provinzielle und landeskirchliche Zwecke vier Prozent der Gesammtsumme der Klassen- und Einkommensteuer der zur evangelischen Landeskirche gehörigen bevölkerung nicht übersteigen.

Wie viel von den innerhalb dieser Grenzen zulässigen Umlagen durch die Provinzialsynoden und wie viel durch die Generalsynode ausgeschrieben werden kann, wird durch landeskirchliches Gesetz bestimmt.

Kirchengesetze, welche diesen Prozentsatz überschreiten, bedürfen der Bestätigung durch ein Staatsgesetz. Dasselbe gilt, wenn Kirchengesetze eine Belastung der Gemeinden zu Gemeindezwecken anordnen oder zur Folge haben.

Artikel 17. Kirchengesetze, durch welche die Einkünfte des Kirchenvermögens oder der Pfarrpfründen zu Beiträgen für kirchliche Zwecke herangezogen werden (§ 15 der General-Synodalordnung vom 20. Januar 1876), dürfen die Pfründeninhaber in ihren schon vor Erlaß dieses Gesetzes erworbenen Rechten nicht schmälern, müssen die Heranziehung in den einzelnen Kategorien der Kirchenkassen oder Pfründen nach gleichen Prozentsätzen anordnen und bedürfen, bevor sie dem Könige zur Sanktion vorgelegt werden, der Zustimmung des Staatsministeriums. Die Zustimmung ist in der Verkündigungsformel zu erwähnen.

Die Zustimmung darf nicht versagt werden, wenn das Gesetz ordnungsmäßig zu Stande gekommen ist und der Inhalt desselben dem § 15 der General-Synodalordnung vom 20. Januar 1876 und diesem Artikel entspricht.

Kirchengemeinden, welche den Nachweis führen, daß sie die vollen Überschüsse ihrer Kirchenkasse zu bestimmten, innerhalb der nächstfolgenden Jahre zu befriedigenden Bedürfnissen nicht entbehren können, sind von dieser Beitragspflicht zeitweilig zu entbinden.

Die Beiträge können im Wege der Administrativ-Exekution beigetrieben werden.

Zur Abwendung der Exekution steht den Betheiligten binnen einundzwanzig Tagen seit Empfang der Zahlungsaufforderung die Beschwerde dahin zu, daß die Heranziehung nicht dem Gesetz entspricht oder die Berechnung des Beitrages unrichtig, oder die Kirchenkasse nach Absatz 3 von der Beitragspflicht zu entbinden ist.

Über die Beschwerde entscheidet die Staatsbehörde.

Artikel 18. Der General-Synodalvorstand übt die ihn in den §§ 11, 12 der General-Synodalordnung vom 20. Januar 1876 zugewiesenen Rechte und verwaltet die General-Synodalkasse (§ 34 Nr. 6).

Die zur Ausübung dieser Rechte erforderlichen Beschlüsse werden nach § 35 Absatz 2 gefaßt.

Artikel 19. Die Vertretung der evangelischen Landeskirche in ihren vermögensrechtlichen Angelegenheiten erfolgt durch den Evangelischen Ober-Kirchenrath unter Mitwirkung des General-Synodalvorstandes (§ 36 Nr. 4 der General-Synodalordnung vom 20. Januar 1876). Die Befugniß zur Aufnahme von Anleihen ist darin nicht einbegriffen.

Schriftliche Willenserklärungen, welche die Landeskirche Dritten gegenüber rechtlich verpflichten, bedürfen in ihrer Ausfertigung des Vermerks, daß der General-Synodalvorstand bei dem Beschluß mitgewirkt hat, der Unterschrift des Präsidenten des Evangelischen Ober-Kirchenraths oder dessen Stellvertreters und der Beidrückung des Amtssiegels.

Artikel 20. Für die Kosten der Generalsynode, deren Vorstände, Ausschüsse oder Kommissionen, sowie des Synodalraths kommen die §§ 38 bis 40 der General-Synodalordnung vom 20. Januar 1876 zur Anwendung.

Artikel 21. Die Verwaltung der Angelegenheiten der evangelischen Landeskirche geht, soweit solche bisher von dem Minister der geistlichen Angelegenheiten und von den Regierungen geübt worden ist, auf den Evangelischen Ober-Kirchenrath und die Konsistorien als Organe der Kirchenregierung über.

Der Zeitpunkt und die Ausführung des Überganges bleibt Königlicher Verordnung vorbehalten.

Veränderungen der kollegialen Verfassung dieser Organe bedürfen der Genehmigung durch ein Staatsgesetz (General-Synodalordnung vom 20. Januar 1876, § 7 Nr. 5).

hierzu die Verordnung, betreffend den Übergang der Verwaltung der Angelegenheiten der evangelischen Landeskirche auf den evangelischen Ober-Kirchenrath und die Konsistorien der acht älteren Provinzen der Monarchie vom 5. September 1877 (GS. S. 215).

Artikel 22. In Beziehung auf die Patronatsverhältnisse, sowie auf die kirchlichen Angelegenheiten bei dem Militair und öffentlichen Anstalten wird in den Zuständigkeiten der Behörden durch dieses Gesetz nichts geändert.

Artikel 23. Den Staatsbehörden verbleibt:
1) die Anordnung und Vollstreckung der zur Aufrechthaltung der äußeren kirchlichen Ordnung erforderlichen polizeilichen Vorschriften;
2) die Regelung der streitigen Kirchen-, Pfarr- und Küstereibausachen, sowie die Vollstreckung der einstweiligen Entscheidungen in diesen Sachen;
3) die Beitreibung kirchlicher Abgaben;
4) die Leitung der Kirchenbuchführung, soweit die Kirchenbücher noch zur Beurkundung des Personenstandes dienen;
5) die Ausstellung von Attesten über das Vorhandensein derjenigen Thatsachen, welche den Anspruch auf Kostenfreiheit begründen;
6) die Mitwirkung bei der Veränderung bestehender, sowie bei der Bildung neuer Pfarrbezirke;
7) die Mitwirkung bei der Besetzung kirchenregimentlichen Ämter oder bei der Anordnung einer kommissarischen Verwaltung derselben. Diese Mitwirkung bleibt in dem bisherigen Umfange bestehen. Insbesondere hat die Anstellung der Mitglieder der kirchenregimentlichen Behörden unter Gegenzeichnung des Ministers der geistlichen Angelegenheiten zu erfolgen.

Artikel 24. Die Beschlüsse der kirchlichen Organe bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung der staatlichen Aufsichtsbehörde in folgenden Fällen:
1) bei dem Erwerb, der Veräußerung oder der dinglichen Belastung von Grundeigenthum;
2) bei der Veräußerung von Gegenständen, welche einen geschichtlichen, wissenschaftlichen oder Kunstwerth haben;
3) bei Anleihen, soweit sie nicht blos zu vorübergehender Aushülfe dienen und aus der laufenden Einnahme derselben Voranschlagsperiode zurückerstattet werden können;
4) bei der Einführung und Veränderung von Gebührentaxen;
5) bei der Errichtung neuer, für den Gottesdienst, die Geistlichen oder andere Kirchendiener bestimmter Gebäude;
6) bei der Anlegung oder veränderten Benutzung von Begräbnißplätzen;
7) bei der Ausschreibung, Veranstaltung oder Abhaltung von Sammlungen außerhalb der Kirchengebäude, unbeschadet des Artikels 10 Nr. 4;
8) bei einer Verwendung des kirchlichen Vermögens zu andern, als den bestimmungsmäßigen Zwecken.
    Bewilligungen aus der Kirchenkasse an andere Gemeinde oder zur Unterstützung evangelischer Vereine und Anstalten, sofern dieselben einzeln zwei Prozent und im Gesammtbetrage eines Etatsjahres fünf Prozent der Solleinnahme nicht übersteigen, bedürfen nicht der Genehmigung der Staatsbehörde.

Artikel 25. In Betreff der Schenkungen und letztwilligen Zuwendungen bewendet es bei dem Gesetz vom 23. Februar 1870.

Artikel 26. Die kirchlichen Organe bedürfen zur Führung von Prozessen keiner Ermächtigung von Seiten einer Staatsbehörde.

Artikel 27. Die Staatsbehörde ist berechtigt, von der kirchlichen Vermögensverwaltung Einsicht zu nehmen, zu diesem Behuf die Etats und Rechnungen einzufordern, sowie außerordentliche Revisionen vorzunehmen und auf Abstellung der etwa gefundenen Gesetzwidrigkeiten durch Anwendung der gesetzlichen Zwangsmittel zu dringen.

Weigert sich ein Gemeindekirchenrath oder eine Gemeindevertretung, gesetzliche Leistungen, welche aus dem kirchlichen Vermögen zu bestreiten sind, oder den Pfarreingesessenen obliegen, auf den Etat zu bringen, festzusetzen oder zu genehmigen, so ist sowohl das Konsistorium als auch die Staatsbehörde unter gegenseitigem Einvernehmen befugt, die Eintragung in den Etat zu bewirken und die weiter erforderlichen Anordnungen zu treffen.

Bestreiten die Gemeindeorgane die Gesetzwidrigkeit der beanstandeten Posten oder die Verpflichtung zu der auf Anordnung des Konsistoriii und der Staatsbehörde in den Etat eingetragenen Leistungen, so entscheidet af Klage der Gemeindeorgane im Verwaltungsstreitverfahren das Ober-Verwaltungsgericht.

Artikel 28. Durch Königliche Verordnung werden diejenigen Staatsbehörden bestimmt, welche die in den Artikeln 3, 5 und 8 des Gesetzes vom 25. Mai 1874 und in den Artikeln 3, 4, 7, 8, 11, 17 Absatz 6, Artikel 23, 24, 27 dieses Gesetzes erwähnten Rechte auszuüben haben.

Artikel 29. Alle diesem Gesetz, der Kirchengemeinde- und Synodalordnung vom 10. September 1873, Abschnitt 2-5 und der anliegenden General-Synodalordnung vom 20. Januar 1876 entgegenstehenden Bestimmungen, mögen deiselben in den allgemeinen Landesgesetzen, in Provinzial- oder Lokalgesetzen und Lokalordnungen enthalten, oder durch Observanz oder Gewohnheit begründet sein, treten außer Kraft.

    Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Königlichen Insiegel.

    Gegeben Berlin, den 3. Juni 1876

Wilhelm.

Fürst v. Bismarck.        Camphausen.        Gr. zu Eulenburg.        Leonhardt.
Falk.        v. Kameke.        Achenbach.        Friedenthal.

 

Allerhöchster Erlaß
vom 20. Januar 1876,
 betreffend Einführung einer General-Synodalordnung für die evangelischen Landeskirche der acht älteren Provinzen der Monarchie.

Nachdem in Gemäßheit Meines Erlasses vom 10. September 1873 eine außerordentliche Generalsynode den von dem Evangelischen Ober-Kirchenrath in Vereinigung mit dem Minister der geistlichen Angelegenheiten festgestellten und von Mir genehmigten Entwurf einer General-Synodalordnung berathen hat, ertheile Ich kraft der Mir als Träger des landesherrlichen Kirchenregiments zustehenden Befugnisse der als Anlage beifolgenden General-Synodalordnung für die evangelische Landeskirche der acht älteren Provinzen der Monarchie hierdurch Meine Sanktion und verkünde dieselbe als kirchliche Ordnung. Das wichtige Werk einer selbstständigen Verfassung für die evangelische Landeskirche ist hiermit in allen ihren Entwicklungsstufen begründet; überall sind den Gemeindegliedern wesentliche Befugnisse der Theilnahme an der kirchlichen Gesetzgebung und Verwaltung übertragen.

Ich vertraue auf die Barmherzigkeit Gottes, an dessen Segen Alles gelegen ist, daß auch diese neue Ordnung dienen wird zur Hebung des kirchlichen Lebens, zur Herstellung des kirchlichen Friedens und  zur Anregung eines kräftigen und ersprießlichen Zusammenwirkens aller Betheiligten für die Wahrung des evangelischen Glaubens und guter Sitte.

Soweit es zur Ausführung der General-Synodalordnung nicht noch einer Mitwirkung der Landesgesetzgebung bedarf, wegen deren Herbeiführung von Mir das Erforderliche veranlaßt ist, hat der Evangelische Ober-Kirchenrath mit dem Minister der geistlichen Angelegenheiten wegen dieser Ausführung die weiteren Einleitungen zu treffen. Zugleich bestimme Ich, daß die Vorschriften des § 7 Nr. 6 der General-Synodalordnung über das förmliche Disziplinarverfahren auf diejenigen Disziplinaruntersuchungen, welche am Tage der Verkündung dieses Erlasses bereits eingeleitet sind, keine Anwendung finden, diese Untersuchungen vielmehr nach dem bisherigen Verfahren zu Ende zu führen sind.

Der gegenwärtige Erlaß ist durch die Gesetz-Sammlung zur öffentlichen Kenntniß zu bringen.

    Berlin, den 20. Januar 1876

Wilhelm.

Falk.

An den Minister der geistlichen ec. Angelegenheiten und den
    Evangelischen Ober-Kirchenrath.

 

General- Synodalordnung
für die
evangelische Landeskirche der acht älteren Provinzen.

aufgehoben durch
Verfassung der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union vom 29. September 1922 (GS S. 226),
genehmigt und bestätigt durch
Staatsgesetz, betreffend die Kirchenverfassungen der evangelischen Landeskirchen vom 8. April 1924 (GS. S. 221)
 

 

Die Generalsynodalordnung für Preußen nach dem Stande vor 1866 (ohne Hohenzollern) setzt einen Schlußpunkt über die Neuordnung der evangelischen Landeskirche, nachdem bereits 1873 eine Kirchengemeindeordnung und eine Kreissynodalordnung erlassen worden war.

Das erforderliche Staatsgesetz hat beide Rechtsgrundlagen (Kirchengemeinde-, Kreissynodal-, Provinzialsynodal- und Generalsynodal-Ordnung) so zusammengefaßt, dass diese als evangelische Kirchenverfassung bezeichnet wurde.

Die Kirchenverfassung galt bis zu dem Staatsgesetz von 1924, in dem die von der Evangelischen Kirchen Altpreußens eigenständig vorgelegte Kirchenverfassung bestätigt wurde und dabei große Teile der Verbindungen zwischen Staat (bzw. bürgerlicher Gemeinde) und Kirche gekappt wurden, wie es die Weimarer Verfassung von1919 vorgeschrieben hat.

 


Quellen: Gesetzsammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, Jahrgang 1876, S. 7 / S. 125
© 23. September  2011 - 1. September 2014
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