Patent über die Aufhebung der Verfassung

vom 1. November 1837

- Auszug –

Ernst August, von Gottes Gnaden König von Hannover usw.

Wir haben durch Unser Regierungs-Antritts-Patent vom 5. Julius d. J. Unsern getreuen Unterthanen Unsern Königlichen Willen dahin zu erkennen gegeben, daß Wir der Frage: ob und in wie fern Abänderungen des Staats-Grundgesetzes vom 26. September 1833 würden eintreten müssen, oder ob die Verfassung auf die vor dem gedachten Jahre bestandene zurückzuführen sei die sorgfältigste Untersuchung und Prüfung würden widmen lassen.

Unsere getreuen Unterthanen können sich davon überzeugt halten, daß Wir die Erfüllung einer heiligen, Unserm landesväterlichen Herzen theuern, Pflicht darin gesucht haben, bei dieser Prüfung alle in Betracht zu ziehenden Verhältnisse auf das sorgfältigste zu berücksichtigen, und daß Unsere Wünsche dabei stets auf das Glück und die Zufriedenheit Unsers treuen Volkes gerichtet gewesen sind.

Nach Vollendung jener Prüfung beeilen Wir Uns, Unsern getreuen Unterthanen Unsere Entschließungen zu eröffnen.

Das Staats-Grundgesetz vom 26. September 1833 können Wir als ein Uns verbindendes Gesetz nicht betrachten, da es auf eine völlig ungültige Weise errichtet worden ist.

Die allgemeine, durch das Patent vom 7. December 1819 entstandene, Stände-Versammlung sprach, wie sie in ihrem Schreiben vom 30. April 1831 an das Cabinets-Ministerium die Errichtung eines Staats-Grundgesetzes beantragte, den Grundsatz aus: daß ein solches hochwichtiges Werk nur durch einhelliges Zusammenwirken des Königs und der Stände zu Stande gebracht werden könne.

Die Regierung nahm diesen Grundsatz an, und mithin war nicht von einer, dem Lande vom Könige zu gebenden, sondern von einer, vertragsmäßig zwischen dem Regenten und seinen Ständen zu errichtenden, Verfassung die Rede.

Allein, der Grundsatz der vertragsmäßigen Errichtung ist auf mehrfache Weise verletzt worden. Denn, mehrere der von der allgemeinen Stände-Versammlung in Beziehung auf das neue Staats-Grundgesetz gemachten Anträge erhielten nicht die Genehmigung der Königlichen Regierung, sondern es wurde dasselbe mit den, von dieser für nothwendig oder nützlich gehaltenen Abänderungen am 26. September 1833 vom Könige verkündigt, ohne daß diese zuvor den allgemeinen Ständen mitgetheilt und von ihnen wären genehmigt worden.

Offenbar fehlt es also an dem einhelligen Zusammenwirken des Regenten und seiner Stände in Hinsicht der, in dem Staats-Grundgesetze enthaltenen, Bestimmungen, wodurch die, bis dahin in anerkannter Wirksamkeit gestandene Verfassung vom Jahre 1819, aufgehoben werden sollte.

Offenbar enthält diese Errichtungsart des Staats-Grundgesetzes eine wirkliche Verletzung der bestimmten Vorschrift des Art. 56 der Wiener Schluß-Acte vom Jahre 1820.

Allein, nicht nur ungültig und folglich für Uns unverbindlich ist überhaupt das Staats-Grundgesetz, wenn man dessen Entstehung betrachtet, sondern es enthält dasselbe auch mehrere Vorschriften und Bestimmungen, welche sich als vollkommen ungültig und für Uns unverbindlich aus dem Grunde darstellen, weil sie Unsere agnatischen Rechte tief kränken und selbst Unsere Regierungs-Rechte wesentlich verletzen.

Der dem Staats-Grundgesetze anklebende Fehler der Ungültigkeit ist aber auch durch eine, von Unserer Seite erfolgte, Anerkennung nicht gehoben worden.

Denn, Wir haben offen Unsern Widerspruch wider das Staats-Grundgesetz zu erkennen gegeben und Unsere Unterschrift zu wiederholten Malen verweigert.

Da Wir nun das Staats-Grundgesetz als gültig und für Uns verbindlich nicht betrachten, so können Wir auch mit den, durch dieses Gesetz hervorgerufenen, Ständen über eine, von Neuem zu errichtende Verfassungs-Urkunde auf keine Weise unterhandeln.

Unter diesen Umständen haben Wir Uns am 30. October d. J. verpflichtet gehalten:
    die von Uns unterm 29. Junius d. J. vertagte allgemeine Stände-Versammlung aufzulösen, und erklären nunmehr hiemit:
    daß die verbindliche Kraft des Staats -Grundgesetzes vom 26. September 1833 von jetzt an erloschen sei.

Von dem Aufhören des gedachten Staats-Grundgesetzes ist eine natürliche Folge, daß die, bis zu dessen Verkündigung gegoltene, Landes- und landständische Verfassung wieder in Wirksamkeit trete.

Um indessen allen, daraus auf irgend eine Weise entstehenden, nachtheiligen Folgen vorzubeugen, finden Wir Uns, aus Liebe zu Unsern getreuen Unterthanen bewogen, hiemit zu erklären:

    daß die Aufhebung des Staats-Grundgesetzes ohne allen Einfluß auf die Rechtsbeständigkeit der, seit dessen Publication verkündigten, Gesetze und erlassenen Verordnungen sein soll,

    daß vielmehr diese Gesetze und Verordnungen bis dahin, daß deren Aufhebung auf gesetzlichem Wege erfolgen möchte, in voller Kraft und Gültigkeit verbleiben.

Nicht weniger soll der bisherige Gang der Landes-Verwaltung bis dahin völlig unverändert bleiben, daß Wir darin Abänderungen für nothwendig oder zweckmäßig erachten werden.

Ist nun das bisherige Staats-Grundgesetz von Uns für aufgehoben erklärt, so ergiebt sich daraus von selbst, daß die sämmtlichen Königlichen Diener, von welchen Wir übrigens die pünctlichste Befolgung Unserer Befehle mit völliger Zuversicht erwarten, ihrer, auf das Staats-Grundgesetz ausgedehnten, eidlichen Verpflichtung vollkommen enthoben sind.

Gleichwohl erklären Wir noch ausdrücklich, daß Wir dieselben von diesem Theile ihres geleisteten Diensteides hiemit entbunden haben wollen.

Wenn nun gleich Wir das Staats-Grundgesetz vom Jahre 1833 nicht anerkennen können, so sind Wir doch gern geneigt, durch neue Bestimmungen die, bis zum Jahre 1833 bestandere, Verfassung in verschiedenen Puncten zu ergänzen und genauer festzustellen.

Um aber diesen wichtigen, Unserm Herzen so theuern, Zweck auf eine gültige Weise zu erreichen, haben Wir beschlossen:

die, in dem Königlichen Patente vom 7. December 1819 angeordneten, allgemeinen Stände, welche bis zur Entstehung des, von Uns jetzt aufgehobenen Staats-Grundgesetzes in voller Wirksamkeit waren, unverzüglich zusammen zu berufen und ihnen Unsere Anträge mittheilen zu lassen.

[...]

Da Wir auf die Liebe, das Vertrauen und die Ergebenheit Unserer geliebten Unterthanen einen sehr hohen Werth legen, so haben die vielfachen Beweise, welche Wir davon seit Unserer Thronbesteigung erhielten, Uns mit lebhafter Freude erfüllt, und Wir bezeugen gern dafür Unserm treuen Volke Unsern vollen Dank.

In allen Theilen Unsers Königreichs, die Wir bisher zu berühren Gelegenheit hatten, erhielten Wir Beweise von Biedersinn und Zuneigung und fanden diejenige Unterthanentreue, welche seit unvordenklicher Zeit die Hannoveraner ihren Regenten erhalten und die sie, während der französischen Occupation, in so hohem Grade bewährt haben.

Dieses hat auf Unser Gemüth einen tiefen Eindruck gemacht, der nie daraus verschwinden wird, und Unsere treuen Unterthanen mögen dagegen versichert sein, daß Unsere Gefühle für sie die eines Vaters für seine Kinder sind, und daß Wir den unwandelbaren Entschluß gefaßt haben, Alles zu thun, was die Landes-Verfassung auf eine solche Art begründen kann, daß das ursprüngliche Zutrauen zwischen dem Regenten und Seinem Volke bewahrt und immer mehr befestigt werde, welches Übelgesinnte in den letzteren Jahren versucht haben, zu vernichten: aber Wir haben, Dank dem Allmächtigen, aus den Gesinnungen, die Uns seit Unserm Regierungs-Antritte dargelegt worden, die Überzeugung gewonnen, daß Wir das Zutrauen Unserer Unterthanen besitzen, welche glücklich zu machen Unser stetes und eifrigstes Bestreben sein wird.

Hoffentlich werden Übelgesinnte, welche nur selbstsüchtige Zwecke verfolgen, ohne das wahre Beste des Volkes zu berücksichtigen, durch ihre Handlungen Uns nie in die traurige Nothwendigkeit setzen, die ganze Strenge der Gesetze wider sie zur Anwendung bringen zu lassen.

    Hannover, den 1. November 1837.

Ernst August
G. v. Schele


Quellen: Hannoversche Gesetzsammlung 1837 S. 103 f.
E.R. Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte Band 1, Kohlhammer 1961
© 23. Juli 2001
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