Neue Landschaftsordnung für das Herzogtum Braunschweig

vom 12. October 1832

geändert durch
Gesetz von 1855
Gesetz vom 25. Juni 1867 (GVS S. 293)
Gesetz vom 3. August 1867 (GVS. S. 437)
Gesetz vom 9. August 1867 (GVS. S. 493)
Gesetz vom 18. September 1876 (GVS S. 399)
Gesetz vom 25. Januar 1878 (GVS S. 5)
Gesetz vom 16. Februar 1879 (GVS S. 5)
Gesetz vom 12. Februar 1886 (GVS S. 75)
Gesetz vom 26. März 1888 (GVS. S. 33)
Gesetz vom 6. Mai 1899 (GVS S. 299)
Gesetz vom 4. Dezember 1902 (GVS S. 263)
Gesetz vom 2. März 1903 (GVS S. 21)
Gesetz vom 1. Juli 1904 (GVS S. 213)
Gesetz vom 18. Mai 1912 (GVS S. 287)
Gesetz vom 20. Juni 1919 (GVS. S. 199)

aufgehoben durch die Verfassung vom 6. Januar 1922

Von Gottes Gnaden, Wir Wilhelm, Herzog von Braunschweig und Lüneburg ect.

Eingedenk Unsers hohen Berufes, das Glück Unserer getreuen Unterthanen nach Kräften zu befördern und die Rechte Aller zu sichern, haben wir eine Revision der Landschaftsordnung von 1820 nothwendig  erachtet, und nach beendigter Berathung und getroffener Übereinkunft mit getreuer Landschaft erlassen Wir, mit Zustimmung Unserer getreuen Stände, die gegenwärtige neue Landschaftsordnung, als das Grundgesetz des Landes; jedoch hinsichtlich der im § 109 und 110 enthaltenen, sich auf das gemeinschaftliche Oberappellationsgericht beziehenden, Bestimmungen, unter ausdrücklichem Vorbehalt der dieserhalb mit den fürstlichen Häusern Waldeck und Pyrmont, Lippe und Schaumburg-Lippe, zu treffenden Verabredungen.

Erstes Kapitel.  Von dem Herzogthume, der Regierungsform und dem Landesfürsten

§ 1. Die sämmtlichen herzoglichen Lande bilden einen, durch dasselbe Grundgesetz verbundenen, untheilbaren Staat, und kein Bestandtheil des Herzogthums kann ohne Zustimmung der Stände, Grenzberichtigungen ausgenommen, veräußert werden.

§ 2. Die Regierungsform des Herzogthums ist die erblich monarchische.

§ 3. Der souveraine Landesfürst, als Oberhaupt des Staates, vereinigt in sich die gesammte, ungetheilte Staatsgewalt, und übt sie auf verfassungsmäßige Weise aus.

Seine Person ist heilig und unverletzlich.

§ 4. Der Landesfürst wird in dem Patente, durch welches er seinen Regierungsantritt verkündigt und die allgemeine Huldigung anordnet, zugleich bei seinem fürstlichen Worte versichern, daß er die Landesverfassung in allen ihren Bestimmungen, beobachten, aufrecht erhalten und beschützen wolle.

Die Urschrift dieses Patents, unter des Landesfürsten Hand und Siegel, wird dem ständischen Ausschusse zur Aufbewahrung in dem ständischen Archive zugestellt.

§ 5. Die gesammte Staatsverwaltung geht vom Landesfürsten aus. Sie wird nur vermöge der von ihm verliehenen Gewalt unmittelbar oder mittelbar in seinem Namen ausgeübt, und steht unter seiner Oberaufsicht.

Kein Landesgesetz und keine Verordnung tritt in Kraft, bevor sie von der Landesregierung verkündigt sind.

§ 6. Der Landesfürst kann in einzelnen Fällen Dispensationen von den gesetzlichen Vorschriften ertheilen, jedoch, insofern dritte Personen wegen ihrer Rechte betheiligt sind, nur mit deren Zustimmung.

§ 7. Der Landesfürst vertritt den Staat in allen Verhältnissen zu dem teutschen Bunde und zu anderen Staaten.

Er ordnet die Gesandtschaften und Missionen an, schließt Staatsverträge und erwirbt dadurch Rechte für das Herzogthum, so wie er dasselbe zur Erfüllung der vertragsmäßigen Verbindlichkeiten verpflichtet.

§ 8. Der Ständeversammlung wird, sobald es die Umstände zulassen, von solchen Verträgen in Kenntniß gesetzt.

Die zur Ausführung derselben erforderlichen Mittel bedürfen der ständischen Bewilligung, und, sollen in deren Folge neue Landesgesetze erlassen oder die bestehenden aufgehoben oder abgeändert werden; so ist hiezu die verfassungsmäßige ständische Mitwirkung erforderlich.

§ 9. Dem Landesfürsten steht die Verfügung über die bewaffnete Macht, deren Formation, Organisation, Ausbildung und Disciplin ausschließend zu.

Ohne seine Erlaubniß darf sich in dem Herzogthume keine bewaffnete Macht bilden oder aufstellen.

§ 10. Der Landesfürst hat allein das Recht, Titel, Rang, Würden, gesetzlich zulässige Privilegien, Standeserhöhungen und Ehrenzeichen zu verleihen.

Titel, Rang und Würden, Privilegien, Standeserhöhungen und Ehrenzeichen, welche Landeseinwohnern von auswärtigen Regierungen verliehen worden, dürfen nur mit Zustimmung des Landesfürsten angenommen werden.

§ 11. Der Landesfürst theilt als Mitglied des teutschen Bundes alle aus diesem herfließenden Rechte und Verpflichtungen.

§ 12. Allgemeine Anordnungen und Beschlüsse des teutschen Bundes erhalten dadurch Gesetzeskraft für das Herzogthum, daß sie von dem Landesfürsten verkündigt werden.

§ 13 Der Sitz der Regierung kann, dringliche Nothfälle ausgenommen, nicht außer Landes verlegt werden.

§ 14. Die Regierung wird vererbt in dem fürstlichen Gesammthause Braunschweig-Lüneburg nach der Linealerbfolge und dem Rechte der Erstgeburt, und zwar zunächst in dem Mannsstamme aus rechtmäßiger, ebenbürtiger und hausgesetzlicher Ehe.

Erlischt der Mannsstamm des fürstlichen Gesammthauses, so geht die Regierung auf die weibliche Linie nach gleichen Grundsätzen über.

§ 15. Der Landesfürst wird mit vollendetem achtzehnten Jahre volljährig.

§ 16. Eine Vormundschaft tritt ein, wenn der Landesfürst wegen Minderjährigkeit zur eigenen Ausübung der Regierung nicht fähig ist.

§ 17. Der Landesfürst kann für seinen minderjährigen Nachfolger den Vormund bestellen.

Er wird diesen aber aus den regierungsfähigen Agnaten des Hauses wählen, oder, Falls besondere Gründe hiervon abzugehen, vorhanden seyn sollten, seiner Gemahlin oder seiner Mutter die Vormundschaft übertragen, und nur wenn keine dieser Personen vorhanden ist, steht es ihm zu, einen nicht regierenden volljährigen Prinzen aus den zum teutschen Bunde gehörenden Fürstenhäusern zum Regenten zu ernennen.

§ 18. Hat der Landesfürst keine Anordnung über die Vormundschaft getroffen, so gebührt dieselbe dem, nach der Erbfolgeordnung, zunächststehenden volljährigen, regierungsfähigen Agnaten, und falls dieser die Regentschaft ausschlüge, dem nachfolgenden, sodann der Mutter des minderjährigen Landesfürsten, und endlich dessen Großmutter von väterlicher Seite, sofern diese im Wittwenstande verblieben sind.

§ 19. Wäre keine der Personen, welche das Gesetz zur Vormundschaft beruft, vorhanden, oder schlügen dieselben die Vormundschaft auf, so wählt die Ständeversammlung, auf den Vorschlag des Staatsministeriums, den Vormund aus den volljährigen, nicht regierenden Prinzen der zum teutschen Bunde gehörenden Fürstenhäuser.

§ 20. Der Vormund verkündet durch ein Patent den Eintritt der vormundschaftlichen Regierung, und stellt die Reversalen nach den § 4 enthaltenen Bestimmungen für die Dauer der Vormundschaft aus.

§ 21. Die Vormundschaft erlischt, sobald der Landesfürst volljährig geworden ist, und seinen Regierungsantritt auf die verfassungsmäßige Weise verkündigt hat (§ 4).

§ 22. Wenn der vorhergehende Landesfürst über die Erziehung des minderjährigen Landesfürsten keine Bestimmung getroffen hat, so gebührt die Leitung der Erziehung des minderjährigen Landesfürsten dem Vormunde unter Beirath des Staatsministeriums.

Die Mutter des minderjährigen Landesfürsten, und nach dieser dessen Großmutter von väterlicher Seite, sind indeß berechtigt, hiebei mit ihrem Gutachten und Rathe gehört zu werden.

§ 23. Die inneren Verhältnisse des herzoglichen Hauses werden von dem Landesfürsten, als dem Oberhaupte der Familie, durch Hausgesetze geordnet. Diese bedürfen der ständischen Zustimmung nicht, es können indeß durch dieselben keine in diesem Landesgrundgesetze enthaltenen Bestimmungen abgeändert werden.

Zweites Kapitel.  Von den allgemeinen Rechten und Pflichten der Unterthanen.

§ 24. Wer auf gesetzliche Weise das Recht des Wohnsitzes innerhalb der Grenzen des Staatsgebietes erworben hat, ist Landeseinwohner.

§ 25. Alle Landeseinwohner sind dem Landesfürsten Treue, Ehrfurcht und Gehorsam schuldig, und verpflichtet, den Gesetzen und den dieselben vollziehenden Behörden zu gehorchen. Sie genießen sämmtliche, durch Verfassung und Gesetz zugesicherte, Rechte, vorbehaltlich der in Bezug auf die Ausübung einzelner Rechte geltenden Beschränkungen.

§ 26. Nur Landeseinwohner sind zur Ausübung politischer Rechte im Herzogthume befugt.

Alle männlichen Landeseinwohner sind nach zurückgelegten 21sten Lebensjahre verpflichtet, den Erbhuldigungseid zu leisten. Dieser soll also lauten:

"Ich schwöre Treue und Gehorsam dem durchlauchtigsten Landesfürsten und dessen Nachfolgern an der Landesregierung aus dem durchlauchtigsten Hause Braunschweig, so wie Gehorsam den Gesetzen."

§ 27. Das Landeseinwohnerrecht geht durch Auswanderung verloren.

Einzelne darin begriffene Befugnisse erlöschen durch den Verlust der dieselben bedingenden Eigenschaften, oder in Folge der Übertretung bestimmter Gesetze.

§ 28. Fremde, während ihres Aufenthalts im Staatsgebiete, genießen den Schutz der Gesetze und sind zu deren Beobachtung verpflichtet.

Die Verwaltungsbehörden entscheiden, ob und wie lange ihnen der Aufenthalt zu gestatten sey.

§ 29. Jedem Einwohner wird vollkommene Freiheit des Gewissens und des religiösen Glaubens, auch das öffentliche Bekenntniß desselben in einer der im Staate jetzt gestatteten kirchlichen Gesellschaften gewährt. Niemand darf jedoch seine Religion vorschützen, um sich einer gesetzlichen Verpflichtung zu entziehen. Äußere Religionsübung ist der Oberaufsicht des Staates unterworfen.

§ 30. Niemand darf wegen geäußerter Meinung zur Verantwortung gezogen werden, es sey denn, daß durch deren Äußerung eine gesetzliche Vorschrift übertreten, oder daß zu gesetzwidrigen Handlungen angereizt wäre.

§ 31. Die Freiheit der Presse und des Buchhandels soll bestehen unter Beachtung der Beschlüsse des teutschen Bundes und der gegen den Mißbrauch dieser Freiheit zu erlassenden Gesetze.

§ 32. Der Staat gewährt jedem Einwohner und jeder rechtlich bestehenden Corporation Sicherheit der Person, des Eigenthums und der übrigen Rechte, und unterwirft sie keinen anderen Beschränkungen, als denen, welche auf Recht und Gesetzen beruhen.

§ 33. Privateigenthum und Privatgerechtsame können für wesentliche Zwecke des Staats oder einer Gemeinde nur in den gesetzlich bestimmten oder durch dringende Nothwendigkeit gebotenen Fällen, gegen vorgängige volle Entschädigung, auf Verfügung der competenten Verwaltungsbehörden, in Anspruch genommen werden. War es unmöglich, die Entschädigung vorgängig zu ermitteln, so muß dieselbe nachträglich ohne Anstand festgestellt und geleistet werden.

Ein Streit über den Betrag der Entschädigung ist im ordentlichen Rechtswege zu erledigen.

§ 34. Die Wahl des Berufs und Gewerbes, so wie der vorbereitenden Bildungsanstalten des In- und Auslandes, ist frei. Die Verschiedenheit des Standes und der Geburt soll  bei Besetzung von Civilämtern und Militärgraden keinen Vorzug begründen.

§ 35. Jeder Landeseinwohner hat das Recht der Auswanderung ohne Erlegung einer Abzugssteuer, jedoch unter den durch die Verpflichtung zum Kriegsdienste oder sonstige Verbindlichkeiten gegen den Staat und Privatpersonen eintretenden Beschränkungen.

§ 36. Alle privatrechtlichen Reallasten an Zehnten, Hand- und Spanndiensten, Geld-, Getraide- und sonstige Naturalabgaben und Leistungen, womit das Eigenthum oder das erbliche Besitzrecht an einem Grundstücke beschwert ist, oder in Zukunft beschwert werden könnte, so wie auch alle blos persönliche, d. h. gewissen Personen ohne den Besitz eines Grundstücks obliegende, Dienste und Leistungen sind, ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund ihrer Entstehung, der Ablösung dergestalt unterworfen, daß ihre Aufhebung gegen eine Entschädigung, welche das Gesetz bestimmten wird, verlangt werden darf.

§ 37. Alle im Umfange des Herzogthums belegene Lehne jeder Art, es mögen solche von dem Landesfürsten, von öffentlichen Anstalten, Corporationen, oder von Privatpersonen releviren, unmittelbare oder Afterlehne seyn, sind der Aufhebung des landesherrlichen und agnatischen Lehnsverbandes in den noch gesetzlich zu bestimmenden Verhältnissen unterworfen.

§ 38. Jederman darf seiner Angelegenheit schriftliche Bitten an den Landesfürsten und die Landesbehörden in vorschriftsmäßiger Weise und mit Beobachtung der vorgeschriebenen Ordnung richten, und Beschwerden über gesetz- und ordnungswidriges Verfahren der Behörden bis zur obersten Staatsbehörde, welche ihn unmittelbar bescheiden wird, schriftlich verfolgen.

§ 39. Die Theilnahme an den Staatslasten trifft Alle, welche im Staatsgebiete wohnen oder Grundeigenthum besitzen, allgemein und nach gleichmäßigen Grundsätzen. Nur Erlasse, jedesmal höchstens für die Dauer einer Finanzperiode, keine Befreiungen von denselben können bewilligt werden. Die fürstlichen Schlösser, Palläste, Gebäude und Gärten und das Grundeigenthum und Einkommen der Kirchen und übrigen frommen Stiftungen, soweit dasselbe jetzt von den ordentlichen Steuern befreiet ist, sind frei von Staatslasten.

§ 40. Alle Landeseinwohner sind in dem gesetzlichen Verhältnisse zur Vertheidigung des Vaterlandes im Kriegsdienste, und zum Waffendienste behuf des Gemeindeschutzes verpflichtet.

Drittes Kapitel.   Von den Gemeinden

A. Allgemeine Bestimmungen

§ 41. Jedes Grundstück im Lande muß einem bestimmten Gemeindebezirke angehören.

Die Landesregierung wird diese Gemeindebezirke, soweit sie noch zweifelhaft sind, durch Verordnungen bestimmen.

§ 42. Jeder Landeseinwohner muß einer bestimmten Gemeinde angehören, und zwar derjenigen, in welcher er, den gesetzlichen Bestimmungen zufolge, seinen Wohnsitz hat.

§ 43. Grundbesitzer, welche das Recht des Wohnsitzes in der Gemeinde nicht erlangt haben, genießen wegen ihres Besitzthums denselben Schutz, welcher den Einwohnern gewählt wird; sie sind aber auch, wie diese, zu den auf den Grundstücken haftenden Lasten verpflichtet.

§ 44. Keine Gemeinde kann sich bilden ohne Genehmigung der Landesregierung, und ohne diese darf eine Gemeinde weder ihrem Gemeindeverwaltungsverband durch Aufnahme anderer Gemeinden erweitern, noch durch Bildung neuer und besonderer Gemeinden zu verändern, noch ihre rechtliche Tätigkeit bestehende Gemeindeverfassung eigenmächtig umgestalten.

§ 45. Das Vermögen und Einkommen der Gemeinden und ihrer Anstalten darf nie mit den Staatsvermögen oder den Staatseinnahmen vereinigt werden.

§ 46. Die Gemeinden haben ihr Vermögen durch ihre Behörden selbstständig zu verwalten. Die Oberaufsicht der Regierungsbehörden erstreckt sich nur darauf, daß die Verwaltung überhaupt den bestehenden Gesetzen gemäß geschehe, daß insbesondere das Gemeindevermögen erhalten, das Einkommen davon zu Gemeindezwecken verwandt, und daß bei der Vertheilung der Gemeindeabgaben nach gleichmäßigen Grundsätzen verfahren werde.

Der Regierungsbehörde steht die Entscheidung auf die Beschwerden zu, welche gegen die Gemeindeverwaltung erhoben werden.

§ 47. In den Ortschaften, welche aus verschiedenen Gemeinden zusammengesetzt sind, bleibt die Verwaltung des, einer jeden derselben besonders zustehenden, Vermögens und der Gerechtsame getrennt, es sey denn, daß das Gegentheil durch ordnungsmäßig gefaßte Beschlüsse der betheiligten Gemeinden festgestellt würde.

§ 48. Durch die mit dem Wohnsitzrechte verbundene Aufnahme in die Gemeinde allein werden keine Anrechte an den Gemeindegütern gewonnen, deren Mitbenutzung an den Besitz gewisser Grundstücke in der Gemeinde geknüpft ist, auch nicht an den Gütern, welche gewissen Genossenschaften gehören.

§ 49. Von den verfassungsmäßig der Gemeinde oder mehreren im Verbande stehenden Gemeinden aufgelegten Gemeindelasten und Leistungen kann kein Mitglied der Gemeinde oder des Verbandes, so wie auch kein in derselben belegenes Grundstück anders, als aus gesetzlichen Gründen befreiet werden.

§ 50. Keine Gemeinde kann mit Leistungen und Ausgaben beschwert werden, wozu sie nicht nach allgemeinen Gesetzen oder besonderen Rechtsverhältnissen verbunden ist. Dasselbe findet auch auf mehrere, im Verbande stehende, Gemeinden Anwendung.

§ 51. Alle Lasten, welche nicht durch die örtlichen Bedürfnisse der Gemeinde, oder eines Verbandes von Gemeinden, sondern durch die Erfüllung allgemeiner Verbindlichkeiten des Landes oder einzelner Theile desselben herbeigeführt werden, z. B. Einquartierungen und Kriegsfuhren, müssen, insowie nicht besondere Rechtsverhältnisse eine Ausnahme begründen, von dem gesammten Lande oder dem betreffenden Landestheile in dem Maaße getragen werden, daß diejenigen, welchen die Last wirklich aufgelegt ist, Entschädigung erhalten.

§ 52. Sämmtliche Vorstände, so wie die übrigen Beamten der Gemeinden, sind auf Festhaltung der Landesverfassung und Wahrnehmung der dadurch begründeten Rechte der Gemeinden zu verpflichten.

B. Besondere Bestimmungen

§ 53. Die Bürgerschaft ist in den Städten und denjenigen Flecken, welchen eine städtische Verwaltung zugestanden ist, soll berechtigt seyn:
1) durch eine doppelte Wahlhandlung ihre Vertreter zu wählen;
2) durch diese Vertreter und die stimmführenden Mitglieder des Magistrats die Beamten der Stadtverwaltung frei zu wählen, und zwar in dem Maaße, daß nur die stimmführenden Mitglieder des Magistrats der landesfürstlichen Bestätigung bedürfen;
3) durch diese Vertreter bei der Verwaltung aller Gemeindeangelegenheiten, insbesondere bei allen denen, welche das Vermögen, die Rechte und Verbindlichkeiten, so wie die Bewilligung der von der Gemeinde zu tragenden Lasten und Leistungen zum Gegenstande haben, mitzuwirken.

§ 54. Auf den Grund der Bestimmungen dieses Kapitels sollen die Rechtsverhältnisse der städtischen Gemeinden und deren Beamten durch die allgemeine Städteordnung, und die jeder einzelnen städtischen Gemeinde durch ein besonderes Statut näher und ausführlicher festgesetzt werden.

§ 55. Den Landgemeinden steht das Recht zu, ihre Ortsvorsteher unter Vorbehalt der Bestätigung von Seiten der Regierungsbehörde, zu wählen. Gleichfalls haben sie das Recht, ihre Ortsgeschworenen selbst zu wählen, und durch diese alle Gemeindeangelegenheiten mit zu berathen, insofern nicht, bei wichtigen gegenständen, den Rath der versammelten gemeinde zu vernehmen erforderlich erachtet würde.

Diesen Grundsätzen gemäß sollen die Verhältnisse der Landgemeinden durch eine Gemeindeordnung festgestellt, und in dieser über die Wahl des Ortsvorstehers und der Ortsgeschworenen das Nähere bestimmt werden.

§ 56. Neue Anbauer sollen nicht ohne vorgängige Vernehmung der Landgemeinde, und im Falle eines Widerspruchs, nicht ohne vorgängige Entscheidung der Verwaltungsbehörden über die vorgebrachten Gründe, zugelassen werden.

Viertes Kapitel.  Von den Landständen

Erster Titel.  Von dem Wesen und Zwecke der Landstände und von der Zusammensetzung der Ständeversammlung und des ständischen Ausschusses

Erster Abschnitt. Wesen und Zweck der Stände

§ 57. Die Stände des Herzogthums vertreten in dem grundgesetzlichen Verhältnisse zu den Landesregierung die Gesammtheit der Landeseinwohner und sind daher berechtigt und verpflichtet, deren verfassungsmäßige Rechte und allgemeine Interessen wahrzunehmen, und auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise geltend zu machen.

§ 58. Die gesammte Landschaft bildet ein ungetrenntes Ganzes.

§ 59. Sie übt ihre verfassungsmäßige Wirksamkeit entweder in voller Versammlung auf Land- und Convocationstagen durch die Ständeversammlung, oder, zwischen den Landtagen und während deren Vertagung, durch das Organ des ständischen Ausschusses.

Zweiter Abschnitt. Zusammensetzung der Ständeversammlung

I. Zahl der Abgeordneten, deren Vertheilung auf die Standesklassen und Art ihrer Erwählung

A. Im Allgemeinen

§ 60. Die Ständeversammlung besteht aus 48 Abgeordneten des Landes, und zwar aus
10 Abgeordneten der Ritterschaft,
10 Abgeordneten der Städte,
10 Abgeordneten der Fleckenbewohner, Freisassen und Bauern, und
16 Abgeordneten, welche gemeinschaftlich von diesen drei Standesklassen gewählt werden.

B. In den einzelnen Klassen

§ 61. Die in die Rittermatrikel eingetragenen landtagsfähigen Güter des Herzogthums bilden einen Wahlbezirk bei der Wahl der ritterschaftlichen Abgeordneten.

§ 62. Die Ritterschaft wählt ihre Abgeordneten durch eine einfache Wahlhandlung.

§ 63. Die Städte des Herzogthums bilden folgende sieben Wahlbezirke:
Erster Bezirk - Braunschweig,
Zweiter Bezirk - Wolfenbüttel,
Dritter Bezirk - Helmstädt,
Vierter Bezirk - Königslutter, Schöningen und Schöppenstädt,
Fünfter Bezirk - Gandersheim und Seesen,
Sechster Bezirk - Holzminden und Stadtoldendorf,
Siebenter Bezirk - Blankenburg und Hasselfelde.

§ 64. Der erste dieser Bezirke sendet sechs Abgeordnete, jeder der übrigen einen Abgeordneten.

§ 65. Die Abgeordneten der Städte werden durch eine doppelte Wahlhandlung gewählt, indem die Stimmberechtigten Wahlmänner ernennen, und diese, sammt den stimmführenden Mitgliedern des Magistrats, die Abgeordneten wählen.

§ 66. Das Herzogthum wird, in Beziehung auf die Wahl der Abgeordneten der Fleckenbewohner, Freisassen und Bauern, in folgende zehn Wahlbezirke getheilt:
Erster Bezirk - die Ämter Vechelde und Riddagshausen,
Zweiter Bezirk - die Ämter Wolfenbüttel und Salder,
Dritter Bezirk - die Ämter Helmstedt, Schöningen und Schöppenstedt,
Vierter Bezirk - die Ämter Königslutter, Vorsfelde und Calvörde,
Fünfter Bezirk - die Ämter Harzburg, Seesen und Lutter a. B.,
Sechster Bezirk - die Ämter Gandersheim und Greene,
Siebenter Bezirk - die Ämter Holzminden und Stadtoldendorf,
Achter Bezirk - die Ämter Eschershausen und Ottenstein,
Neunter Bezirk - das Amt Thedinghausen,
Zehnter Bezirk - die Ämter Blankenburg, Hasselfelde und Walkenried.

§ 67. Von den 10 Abgeordneten dieser Standesklasse wählt jeder Bezirk einen.

§ 68. Diese Abgeordneten werden durch eine doppelte Wahlhandlung gewählt, indem die Stimmberechtigten Wahlmänner ernennen, und diese die Abgeordneten werden.

§ 69. Die übrigen 16 Abgeordneten werden gemeinschaftlich von allen Standesklassen, und zwar von der Ritterschaft durch eine doppelte, von den Übrigen durch eine dreifache Wahlhandlung gewählt.

Es wird zu diesem Ende für das ganze Land ein Wahlcollegium gebildet, zu welchem das ritterschaftliche und jedes städtische und ländliche Wahlcollegium so viel Wahlmänner sendet, als dasselbe Abgeordnete zu wählen hat.

C. Wahlgesetz

§ 70. Die näheren Bestimmungen über das Stimmrecht bei den Wahlen der Wahlmänner und Abgeordneten, so wie über das Verfahren bei deren Wahlen, enthält das Wahlgesetz, welches zwar keinen Theil der Landschaftsordnung bildet, aber ohne ständische Zustimmung nicht abgeändert werden kann.

II. Gesetzlich erforderliche Eigenschaften der Abgeordneten

§ 71. Um als Abgeordneter Wählbar zu seyn, muß man
1) das 30ste Jahr zurückgelegt und
2) seit fünf Jahren im Herzogthume seinen Wohnsitz gehabt haben,
3) sich eines unbescholtenen Rufes erfreuen,
4) weder für seine Person, noch wegen seines Vermögens unter Curatel steht,
5) keine Rückstände an öffentlichen oder Communalabgaben haben, wegen welcher die Execution bereits verfügt ist.

§ 72. Mitglieder des herzogl. Staatsministeriums können nicht Abgeordnete seyn. Eben so wenig diejenigen, welche wirkliche Hof-, Militair- und Civilbeamte eine auswärtigen Staats sein. Es findet jedoch eine Ausnahme hinsichtlich derjenigen, welche in königl. hannoverischen Diensten stehen, Statt, so lange im Königreiche Hannover ein Gleiches beobachtet wird.

Diejenigen Mitglieder des gemeinschaftlichen Oberappellationsgerichts zu Wolfenbüttel, welche von den, mit Braunschweig zu Haltung dieses Gerichtshofes verbundenen, Fürsten ernannt sind, werden als auswärtige Staatsdiener nicht betrachtet.

§ 73. Alle übrige, im diesigen Dienste stehende, Civilbeamten, active Militairpersonen, Geistliche oder Schullehrer sind wählbar. Sie müssen aber, bevor sie die Wahl annehmen, dazu die Erlaubniß der Regierung erhalten haben, welche nicht versagt werden wird, wenn nicht das Beste des Dienstes dieses nothwendig macht.

§ 74. Vater und Sohn können nicht zugleich Abgeordnete seyn, und wenn sie sich darüber, wer zurücktreten soll, nicht vereinigen können, geht der Vater vor.

§ 75. Niemand kann die Wahl zum Abgeordneten von mehreren Wahlcollegien annehmen.

§ 76. Wählbar als Abgeordnete der Ritterschaft sind nur Eigenthümer und lebenslängliche Nutznießer eines landtagsfähigen, in die Rittermatrikel eingetragenen, Gutes.

§ 77. Wählbar als Abgeordnete der Städte sind die stimmführenden Mitglieder des Magistrats und alle diejenigen Bürger, welche entweder Handel oder Gewerbe oder Ackerbau treiben, Grundeigenthum im Bezirke der Stadt besitzen, und daselbst ihren wirklichen Wohnsitz haben, auch nach den zusammen zu rechnenden Ansätzen der Rollen sämmtlicher directen und Communalsteuern, zu den Höchstbesteuerten ihrer Stadt gehören. Die Anzahl der Höchstbesteuerten soll in jeder Stadt aus so viel Personen bestehen, als die Zahl 10 in der Zahl der vorhandenen Wohnhäuser aufgeht, zu welchen Höchstbesteuerten jedoch, falls mehrere den geringsten dieser höchsten Steuersätze zahlen, diese alle noch hinzuzurechnen sind.

Sofern unter den Höchstbesteuerten sich nicht mindestens die sechs höchstbesteuerten Handel-  oder Gewerbetreibenden des Wahlbezirks befinden sollten, sind diese jedenfalls unter die Zahl der Wählbaren aufzunehmen.

§ 78. Als Abgeordnete dieser Standesklasse sind nur diejenigen wählbar, welche Eigenthümer oder lebenslängliche Nutznießer eines Freisassenhofes oder einer Reihestelle sind, in dem ländlichen Wahlbezirke wohnen, Landwirthschaft als Erwerbszweig treiben und nach dem Contributionskataster zu den Höchstbesteuerten ihres Amtes gehören. Die Anzahl der Höchstbesteuerten soll in jedem Amte aus so viel Personen bestehen, als die Zahl 4 in der Zahl der, in dem Amte belegenen, Reihestellen, bei welcher Landwirthschaft betrieben wird, aufgeht, zu welchen indeß, falls mehrere den geringsten dieser höchsten Contributionssätze zahlen, diese alle hinzuzurechnen sind. Aus den Gemeinden, in welchen nach diesen Bestimmungen sich nicht mindestens drei Wählbare befinden, sollen jedenfalls die drei Höchstbesteuerten unter die Wählbaren aufgenommen werden.

§ 79. Die übrigen 16 Abgeordneten werden, ohne Rücksicht auf Standesklassen, jedoch nach den Bestimmungen des Wahlgesetzes, unter den Männern von höherer Geistesbildung gewählt, welche überhaupt wählbar sind (§ 71).

Zwei derselben sollen der höheren Geistlichkeit, bis zum Superintendenten einschließlich angehören.

III. Stellvertreter der Abgeordneten

§ 80. Für jeden Abgeordneten wird zugleich ein Stellvertreter gewählt, der dieselben Eigenschaften haben muß, wie dieser, und einberufen wird, wenn der Abgeordnete den übernommenen Auftrag niederlegt, oder nicht fort besorgen kann.

Für die 10 Abgeordneten der Ritterschaft sollen indeß nur 5 Stellvertreter ernannt, nach dem Lebensalter einberufen, und bei jeder Abgeordnetenwahl neu gewählt werden.

§ 81. Über die Einberufung der Stellvertreter entscheidet die Ständeversammlung oder der Ausschuß.

IV. Ablehnung des Abgeordnetenauftrages

§ 82. Jeder ist verpflichtet, die auf ihn gefallene Wahl als Abgeordneter oder Stellvertreter anzunehmen, er könnte denn nachweisen,
1) daß er das 65ste Lebensjahr überschritten habe, oder
2) daß er durch Krankheit oder Körperschwäche auf längere Zeit für die Geschäfte der Ständeversammlung untüchtig gemacht sey, oder
3) daß er in häuslichen oder Geschäftsverhältnissen stehe, welche seine persönliche und dauernde Anwesenheit wesentlich erfordern.

V. Erneuerung der Ständeversammlung durch neue Wahlen

§ 83. Vor dem Beginnen jedes ordentlichen Landtages, also alle drei Jahre tritt die Hälfte der Abgeordneten jeder Klasse aus und wird neu gewählt.

Um dieses Austreten für die Folge zu ordnen, werden beim Schlusse des ersten ordentlichen Landtages die Abgeordneten jeder Klasse, und, falls in einer Klasse ein Wahlbezirk mehrere Abgeordnete sendet, siese unter sich, diejenigen durch das Loos bestimmen, welche austreten.

Vor dem dritten ordentlichen Landtage treten die Zurückgebliebenen aus, und bei dieser Reihenfolge hat es sein Bewenden.

§ 84. Nach einer, vom Landesfürsten verfügten, Auflösung der Ständeversammlung werden die Abgeordneten allgemein neu gewählt, und es findet am Schlusse des Landtages eine neue Loosung Statt, um die vor dem nächsten ordentlichen Landtage austretenden Mitglieder zu bestimmen.

Sowohl in diesem, als in dem, in dem vorhergehenden $ erwähnten Falle können die Austretenden wieder gewählt werden.

§ 85. Wenn sowohl der Abgeordnete, als dessen Stellvertreter vor Ablauf der Zeit, für welche sie gewählt waren, ihren Auftrag niederlegen, oder zu dessen Ausrichtung unfähig werden, erläßt die Landesregierung für den betreffenden Wahlbezirk neue Wahlausschreiben.

VI. Erlöschen des Auftrags der Abgeordneten

§ 86. Der Auftrag der Abgeordneten erlischt:
1) durch den Ablauf der Zeit, für welche sie gewählt sind,
2) durch Auflösung der Ständeversammlung, und zwar in beiden Fällen mit Beendigung der neuen Wahl des betreffenden Wahlcollegiums;
3) durch Verlust einer der Eigenschaften, welche erforderlich sind, um als Abgeordneter wählbar zu seyn,
4) durch Annahme eines Staatsamtes, welches der Abgeordnete zur Zeit seiner Wahl noch nicht bekleidete, jedoch kann der Austretende wieder gewählt werden,
5) durch die Niederlegung des Auftrags, welche nur aus den § 82 unter 2. und 3. aufgeführten Gründen zulässig ist,
6) zur Strafe, wenn die Ständeversammlung die Ausschlieúng eines Mitgliedes auf den Grund der Geschäftsordnung verfügt.

Dritter Abschnitt. Zusammensetzung des ständischen Ausschusses

§ 87. Der ständische Ausschuß soll aus 7 Abgeordneten des Landes bestehen.

Ein Mitglied desselben muß aus der ritterschaftlichen, eines aus den städtischen und eines aus den ländlichen Abgeordneten genommen werden.

§ 88. Die Ständeversammlung wählt den Ausschuß aus ihrer Mitte durch absolute Stimmenmehrheit auf, die, für die Wahl der Abgeordneten vorgeschriebene, Weise.

§ 89. Der Ausschuß wird ernannt, wenn der Landtag vertagt, verabschiedet oder aufgelöset wird, vor dessen Auseinandergehen.

§ 90. Bei der Wahl des Ausschusses wird zugleich für jedes Mitglied desselben ein Stellvertreter auf gleiche Weise gewählt.

Dieser tritt in den Ausschuß ein, wenn das Mitglied, für welches er gewählt worden, behindert ist. Sollte auch der Stellvertreter selbst behindert oder bereits einberufen seyn, so rückt statt seiner der an Jahren Älteste der übrigen Stellvertreter ein.

Über die Einberufung der Stellvertreter entscheidet der Ausschuß.

§ 91. Die Mitglieder des Ausschusses werden, wie die Abgeordneten, alle drei Jahre zur Hälfte ausscheiden, und durch neue Wahl ersetzt. Am Schlusse des ersten ordentlichen Landtages sollen daher 3 Mitglieder des Ausschusses und deren Stellvertrter aus den Abgeordneten, welche, dem Loose nach, vor dem zweiten ordentlichen Landtage ausscheiden, und vier Mitglieder und deren Stellvertreter aus denen, welche alsdann zurückbleiben, gewählt werden, und bei den folgenden Landtagen ist immer die abgehende Zahl der Ausschußmitglieder durch neue Wahl aus den zurückgebliebenen Abgeordneten zu ersetzen.

Nach einer Auflösung der Ständeversammlung findet eine allgemeine neue Wahl des Ausschusses Statt, bei welcher eben so verfahren wird, wie am Schlusse des ersten ordentlichen Landtages.

§ 92. Sind sowohl von den Mitgliedern des Ausschusses, als von deren Stellvertretern vor Ablauf der Zeit, für welche sie gewählt waren, so viele abgegangen, daß die Übriggebliebenen nicht wenigstens noch die Zahl von sieben ausmachen, so ist zu einer Ergänzung des Ausschusses durch neue Wahlen zu schreiten.

§ 93. Der Auftrag der Mitglieder des Ausschusses erlischt mit dem Abgeordnetenauftrage, jedoch in den § 86 unter 1. und 2. aufgeführten Fällen erst am Tage der Eröffnung der neuen Ständeversammlung.

Zweiter Titel. Von den Rechten und Pflichten der Landschaft

Erster Abschnitt.  Allgemeine Grundsätze

§ 94. Die Landstände haben die heilige Pflicht, in ihrem Wirkungskreise, der Verfassung gemäß, die Wohlfahrt des Vaterlandes, frei von anderen Rücksichten, gewissenhaft zu befördern.

§ 95. Sie sind schuldig, bei Ausübung ihrer ständischen Rechte und Befugnisse die Verfassung genau zu beobachten, und dürfen sich nur mit den Gegenständen beschäftigen, welche Bestimmungen der Verfassung ihrem Wirkungskreise überwiesen haben.

§ 96. Alle Abgeordneten sind in ihren landschaftlichen Rechten und Pflichten einander gleich. Keiner ist als der besondere Vertreter seiner Standesklasse zu betrachten.

Zweiter Abschnitt. Einzelne Rechte und Pflichten der Ständeversammlung

I. Mitwirkung im Finanzwesen

§ 97. Die Bestimmungen über die Mitwirkung der Ständeversammlung im Finanzwesen sind im sechsten Kapitel enthalten.

II. Mitwirkung bei der Gesetzgebung

§ 98. Die ständische Zustimmung ist erforderlich:
1) wenn dieses Landesgrundgesetz, oder die mit demselben erlassenen gesetze ergänzt, eerläutert oder abgeändert,
2) wenn neue organische Staatseinrichtungen getroffen, oder die bestehenden verändert,
3) wenn Landesgesetze gegeben, aufgehoben, abgeändert oder authentisch erklärt werden, die das Landes-Finanz- und Steuerwesen, die Militairpflichtigkeit und die Aushebung der Mannschaften, das bürgerliche Strafrecht, den bürgerlichen Strafprozeß betreffen.

§ 99. Bei allen übrigen, namentlich den das Landespolizeiwesen betreffenden, gesetzlichen Bestimmungen, müssen die Stände zuvor mit ihrem Gutachten und Rathe gehört, und es können in solchen Gesetzen Polizeistrafen bis zu einmonatigem einfachen Gefängniß oder diesem entsprechenden Geldstrafen angedroht werden.

§ 100. Die Gesetze sollen im Eingange der erfolgten Zustimmung, oder des vorher angehörten Gutachtens und Raths der Ständeversammlung oder des ständischen Ausschusses ausdrücklich Erwähnung thun.

Alle in dieser verfassungsmäßigen Form von dem Landesfürsten verkündigten Gesetze müssen von allen Landeseinwohnern, Behörden und Gerichten befolgt werden.

§ 101. Verordnungen, d. h. solche Verfügungen, welche aus dem allgemeinen Verwaltungs- und Oberaufsichtsrechte der Regierung hervorgehen, oder welche die Ausführung und Handhabung der bestehenden Gesetze betreffen, erläßt die Landesregierung, ohne Mitwirkung der Stände.

III. Mitwirkung beim Militairwesen

§ 102. Ein größeres, als das durch die Bundesgesetzgebung vorgeschriebene Truppencorps wird, ohne Zustimmung der Stände, nicht aufgestellt werden.

Ohne deren Bewilligung kann weder das Truppencorps, noch eine Abtheilung desselben, in den Dienst eines auswärtigen Staates gegeben werden.

Gleichfalls ist deren Bewilligung erforderlich, wenn durch Werbung, besonders von Ausländern, Truppen gebildet werden sollen.

IV. Rechte in Beziehung auf Rechtspflege

§ 103. Die Stände haben das Recht, auf die, durch die Landes- und Bundesgesetzgebung festgestellte, Unabhängigkeit der Gerichte in den Grenzen ihrer Zuständigkeit zu halten.

Insbesondere wird es den Parteien, welche sich durch landesfürstliche Verfügungen in der gerichtlichen Verfolgung ihrer Rechte für beeinträchtigt halten, gestattet, sich an die Ständeversammlung zu wenden, und diese ist befugt, auf die Abhülfte der, von ihr begründet erachteten, Beschwerden bei der Landesregierung anzutragen.

§ 104. Die Ständeversammlung hat das Recht, zu zwei Rathsstellen im herzogl. Landesgerichte Candidaten zu präsentiren.

Sie wählt diese durch absolute Stimmenmehrheit, und ihre Wahl kann auf Jeden fallen, der ein Richteramt oder ein öffentliches juristisches Lehramt 5 Jahre bekleidet, oder 10 Jahre hindurch mit Auszeichnung die advocatische Praxis betrieben und in den beiden letzten Fällen die vorschriftsmäßige Prüfung zur Erlangung des Richteramtes bestanden hat.


V. Recht der Vorschläge

§ 105. Die Ständeversammlung ist berechtigt, dem Landesfürsten Vorschläge zu Gesetzen, Verordnungen, allgemeinen Verfügungen und zur Errichtung öffentlicher Anstalten zu machen; diese Vorschläge werden genau geprüft werden, und es sollen stets landesfürstliche Entschließungen, und zwar im Ablehnungsfalle mit Anführung der Gründe, darauf erfolgen.

VI. Recht der Mitaufsicht auf die übrigen Landesangelegenheiten

§ 106. Die Ständeversammlung ist befugt, wegen bemerkter Mängel oder Mißbräuche bei der Gesetzgebung, Rechtspflege und Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten, Vorträge an die Landesregierung zu richten, und sich über deren Abstellung gutachtlich zu äußern.

§ 107. Sie hat das Recht, darüber zu wachen, daß Niemand in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt, insonderheit ohne gesetzlichen Grund und ohne eine ordnungsmäßige Verfügung der competenten Polizei- oder Gerichtsbehörde verfolgt, verhaftet, bestraft, oder sonst an Freiheit oder Eigenthum gekränkt werden, und sie kann in einem solchen Falle auf Abstellung der Beschwerde und auf Bestrafung der Schuldigen bei der Landesregierung antragen.

VII. Recht der Anklage

§ 108. Die Ständeversammlung kann auf Bestrafung der Mitglieder des Staatsministeriums und des ständischen Ausschusses antragen, welche einer Verletzung der, auf den vorliegenden Fall unzweifelhaft anwendbaren, Bestimmungen dieses Landesgrundgesetzes sich schuldig gemacht haben.

Ein solcher Antrag muß spätestens binnen sechs Jahren nach eingetretener Verletzung gemacht werden.

In Ansehung der, dem Staatsministerium untergeordneten, Beamten sind dergleichen Anträge von der Ständeversammlung nur dann statthaft, wenn diese Beamten da, wo sie in den Grenzen eigener Verantwortlichkeit handeln, die Verfassung verletzt zu haben beschuldigt werden, und der Antrag auf Bestrafung bei den vorgesetzten Behörden und zuletzt bei dem Staatsministerium angebracht und 8 Wochen lang unbeachtet geblieben ist. In diesem Falle wird der Antrag auf Bestrafung bei dem Landesgerichte gemacht, welches die Untersuchung durch zwei seiner Mitglieder zu führen und das erste Erkenntniß abzugeben hat, gegen welches die ordentlichen Rechtsmittel zulässig sind.

§ 109. Soll aber ein Antrag auf Bestrafung eines Mitgliedes des Staatsministeriums oder des ständischen Ausschusses wegen verletzter Verfassung gemacht werden, so wird zuvörderst ein eigener Gerichtshof gebildet, welcher aus sieben Mitgliedern der höheren Justizcollegien bestehen soll. Drei Mitglieder desselben werden durch das Loos aus den Mitgliedern des gemeinschaftlichen Oberappellationsgerichts, auf den Antrag des Ausschusses oder der Ständeversammlung, die übrigen vier aus den Mitgliedern des Landesgerichts, und zwar zwei von der Landesregierung und zwei von der Ständeversammlung erwählt. Das Präsidium übernimmt das älteste der Mitglieder aus dem Oberappellationsgerichte. Die erforderlichen Secretarien werden dem Gerichte durch das Oberappellationsgericht beigeordnet.

§ 110. Fassen die Stände den Beschluß, auf eine Untersuchung und Bestrafung anzutragen, so wählen sie zugleich die zwei Mitglieder des Gerichtshofes und machen von diesem Beschlusse und dessen Gründen, so wie von der getroffenen Wahl bei der Regierung Anzeige, mit dem Ersuchen, daß diese gleichfalls die erforderlichen Wahlen treffe. Zugleich benachrichtigen sie hiervon das gemeinschaftliche Oberappellationsgericht, welches verpflichtet ist, den gemeinschaftlichen Gerichtshof zu constituiren, und daher im Falle, daß die erforderliche Zahl der Mitglieder des Landesgerichts nicht binnen 4 Wochen erwählt seyn sollte, die fehlenden durch das Loos bestimmen läßt.

Dieser Gerichtshof prüft zuvörderst: ob Grund zu einer Untersuchung vorhanden sey ? nachdem ihm der umständlich zu entwickelnde und erforderlichen Falls mit den gehörigen Documenten versehene Antrag auf Bestrafng übergeben ist. Er leitet bei vorhandenem Grunde die Untersuchung ein, führt dieselbe nach den Regeln des Untersuchungsprocesses, und fällt das Erkenntniß in erster und letzter Instanz. Dieses Erkenntniß beschränkt sich auf die Beantwortung der Frage: ob der Angeklagte sich der Verletzung einer, auf den vorliegenden Fall unzweifelhaft anwendbaren, Bestimmung dieses Landesgrundgesetzes schuldig gemacht habe oder nicht ? und überläßt die Beurtheilung des, in der Verletzung des Grundgesetzes etwa liegenden, gemeinen Vergehens, so wie die aus derselben entspringenden Entschädigungsansprüche den ordentlichen Gerichten. - Wird der Angeklagte schuldig erkannt; so ist davon bei dem Beamten Dienstentlassung, und bei den Mitgliedern des Ausschusses Verlust der Abgeordneten-Eigenschaft und der Wählbarkeit die unmittelbare Folge.

Gegen das Erkenntniß findet kein anderes Rechtsmittel Statt, als die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wegen neuaufgefundener Thatsachen oder Beweisgründe.

Die Verhandlung und das Erkenntniß findet kein anderes Rechtsmittel Statt, als die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wegen neuaufgefundener Thatsachen oder Beweisgründe.

Die Verhandlungen und das Erkenntniß sollen auf Kosten des Gerichtsfiscus durch den Druck öffentlich bekannt gemacht werden.

§ 111. Die Abolition eienr Untersuchung wegen verletzter Verfassung ist unzulässig, und der Verurtheilte kann im Staatsdienste nicht wieder angestellt werden.

§ 112. Nur die Ständeversamlung entscheidet darüber, ob ein Verfahren wegen verletzter Verfassung einzuleiten sey. Hat sie durch einen ordnungsgemäßen Beschluß das Verfahren der Mitglieder des Staatsministeriums oder des Ausschusses gebilligt, so findet eine ständische Anklage nicht weiter Statt.

Die ordentlichen Gerichte dürfen daher wegen verletzter Verfassung gegen die Mitlgieder des Staatsministeriums und des ständischen Ausschusses von Amtswegen nicht verfahren.

VIII. Recht der Convocationstage

§ 113. Kraft althergebrachten Rechts, darf sich die Ständeversammlung in den, durch das Gesetz ausdrücklich bestimmten Fällen, aber auch nur in diesen, auch ohne landesfürstliche Berufung versammeln, berathen und Beschlüsse fassen.

Dieses Convocationsrecht soll Statt finden:
1) auf Veranlassung einer plötzlichen allgemeinen Landesgefahr,
2) wenn dieses Landesgrundgesetz verletzt wird, und Anträge zu dessen Schutze zu machen sind, insbesondere wenn der Landtag nicht binnen 3 Jahren berufen wird,
3) wenn der ständische Ausschuß zu ergänzen ist,
4) wenn bei dem Landgerichte von der Landschaft zu besetzende Vacanzen zwischen den Landtagen, und zwar 4 Monate vor der Versammlung des nächsten Landtages, entstanden sind,
5) wenn die Stelle des Landsyndicus erledigt ist.

In einer solchen Versammlung darf nichts vorgenommen werden, als der Gegenstand, der sie veranlaßt hat.

Nach einer, von dem Landesfürsten verfügten, Auflösung der Ständeversammlung kann das Convocationsrecht vor Eröffnung des Landtags nicht ausgeübt werden, ausgenommen in dem unter 1. aufgeführten Falle.

IX. Recht, Bittschriften anzunehmen

§ 114. Die Ständeversammlung kann von einzelnen und Corporationen in den §§ 103 und 107 erwähnten Fällen Bittschriften annehmen, wenn die Bittsteller nachweisen, daß sie bei der Landesregierung um Abhülfe ihrer Beschwerde vergeblich nachgesucht haben.

Bittschriften oder Eingaben anderen Inhalts von Einzelnen oder Corporationen anzunehmen, ist die Ständeversammlung nicht befugt.

X. Ernennung des Landsyndicus und dessen Substituten

§ 115. Der Ständeversammlung steht das Recht zu, einen Landsyndicus zu bestellen, und zwar wird derselbe durch absolute Stimmenmehrheit auf die, für die Wahl der Abgeordneten vorgeschriebene, Weise erwählt. Seine Anstellung ist lebenslänglich, jedoch damit die Verwaltung eines anderen Staatsamtes unvereinbar.

Die Bestimmungen des Gesetzes über den Civil-Staatsdienst finden auf ihn nur in sofern Anwendung, als dieses in der Bestallung erklärt ist.

Auch wird die Ständeversammlung für die Dauer jeder Landtagsversammlung dem Landsyndicus einen Substituten bestellen, und diesen gleichfalls nach absoluter Stimmenmehrheit erwählen.

Von der Erwählung des Landsyndicus und des Subsituten wird der Landesregierung Anzeige gemacht, und der Erwählte von der Ständeversammlung oder dem ständischen Ausschusse auf sein Amt, zugleich mit Ablegung des Erbhuldigungseides, vereidigt.

XI. Gerichtssporteln, Stempel- und Portofreiheit

§ 116. Die Landschaft hat die Freihehti von Gerichtssporteln, Stempeln und Porto ferner zu genießen.

XII. Siegel

§ 117. Die Landschaft führt ein eigenes Siegel.

Dritter Abschnitt. Rechte und Pflichten des ständischen Ausschusses

A. Allgemeiner Grundsatz

§ 118. Der Ständische Ausschuß hat das Recht und die Pflicht:

1) zwischen den Landtagen auf die Vollziehung der, zwischen dem Landesfürsten und den Ständen getroffenen Vereinbarungen zu sehen, so wie die ihm in dieser Hinsicht erforderlich schienenden Anträge bei der Landesregierung zu machen;

2) diehenigen besonderen Befugnisse auszuüben, welche im das Gesetz zuweiset.

B. Besondere Befugnisse

§ 119. Die Mitwirkung des ständischen Ausschusses im Finanzwesen ist in dem sechsten Kapitel bestimmt.

§ 120. Gebietet das Staatswohl dirngende Eile, oder würde der vorübergehende Zweck des Gesetzes durch Verzögerungen vereitelt, so können zwischen den Landtagen die das Landes-, Finanz- und Steuerwesen, so wie die Militairpflicht und die Aushebung der Mannschaft betreffenden Gesetze, mit Zustimmung des Ausschusses erlassen werden. Die Landesregierung entscheidet, unter Verantwortlichkeit sämmtlicher stimmführenden Mitglieder des Staatsministeriums, darüber: ob jene Voraussetzungen eingetreten seyen? Gesetze dieser Art sind der Ständeversammlung baldigst zur Genehmigung vorzulegen, und treten außer Wirksamkeit, wenn diese versagt wird.

§ 121. Einzelne, das bürgerliche und Strafrecht, den bürgerlichen und Strafproceß betreffende Gesetze (nicht aber ganze Gesetzbücher, die Hypotheken-Ablösungs, Gemeinheits-Theilungsordnung) können zwischen den Landtagen, mit Zustimmung des Ausschusses, erlassenen werden.

§ 122. Durch die, mit Zustimmung des Ausschusses, erlassenen Gesetze kann indeß nie dieses Landesgrundgesetz oder ein mit demselben publiciertes Gesetz ergänzt, oer abgeändert, oder eine organische Einrichtung getroffen oder verändert werden.

§ 123. Alle Gesetze, bei welchen das Gutachten und der Rath der Stände gehört werden muß, können zwischen den Landtagen, mit dem Gutachten und Rath des Ausschusses, erlassen werden, mit Ausnahme einer allgemeinen Polizeiordnung,

§ 124. Die Landesregierung kann von dem ständischen Ausschusses, so oft es ihr gut dünkt, Nachrichten, Berichte und Gutachten einziehen.

Insbesondere kann sie Gesetzentwürfe, welche sie demnächst an die Ständeversammlung zu bringen denkt, dem Ausschusse zuvor zur Begutachtung vorlegen.

§ 125. Der Ausschuß ist befugt, in den § 113 aufgeführten Fällen die Ständeversammlung zusammenzuberufen, um die erforderlichen Beschlüsse und Wahlen zu veranlassen.

Von einer solchen Berufung, so wie von deren Zwecke, ist sogleich bei der Erlassung der Convocationsschreiben der Landesregierung Anzeige zu machen.

§ 126. Die Ständeversammlung kann, mit Zustimmung der Landesregierung, dem Ausschusses durch specielle Vollmacht für einzelne bestimmte Geschäfte alle die Rechte übertragen, welche sie selbst hat.

§ 127. Außerdem hat der ständische Ausschuß die Oberaufsicht über das landschaftliche Archiv, die Führung der Rittermatrikel, die Ertheilung der landschaftlichen Stipendien, die Keitung der Verwaltung der Sammlungen, Capitalien und Grundstücke der Landschaft, so wie die ihm durch die Geschäftsordnung übertragenene Functionen, zu besorgen.

Dritter Titel. Von den Landtagen, der Behandlung der Geschäfte auf denselben, so wie von den Verhandlungen des ständischen Ausschusses

Erster Abschnitt.  Von den Landtagen

§ 128. Die Ständeversammlung muß alle 3 Jahre zu einem ordentlichen Landtage von der Landesregierung berufen werden.

Die ordentlichen Landtage sollen in der Regel in dem Monate November beginnen. Außerdem steht es dem Landesfürsten frei, jederzeit, wenn er es für nothwendig hält, die Ständeversammlung zu einem außerordentlichen Landtage zu convociren.

§ 129. Mit Ausnahme der, in dem § 113 aufgeführten, Fälle, dürfen die Abgeordneten sich nicht versammeln, ohne von dem Landesfürsten berufen zu seyn.

Solche landesfürstlich nicht berufene Versammlungen sind strafbar und deren Beschlüsse ungültig.

§ 130. Der Landesfürst beruft die Abgeordneten durch eine Verordnung, in welcher er zugleich die Zeit und den Ort der Versammlung bestimmt, und in der Regel die den Ständen vorzulegenden Propositionen, insofern sie Gesetzentwürfe betreffen, im Allgemeinen bezeichnet.

§ 131. Der Landtag wird von dem Landesfürsten in Person oder durch einen landesfürstlichen Bevollmächtigten unter den, von Höchstdemselben zu bestimmenden, Feierlichkeiten eröffnet.

§ 132. Bei der Eröffnung des Landtages schwört jeder Abgeordnete folgenden Eid:

"Ich schwöre Treue dem regierenden Landesfürsten und Höchstdessen Nachfolgern aus dem Hause Braunschweig, Gehorsam den Gesetzen, und gewissenhafte Ausübung und Erfüllung der Rechte und Pflichten eines Abgeordneten."

Dieser Eid wird bei den folgenden Landtagen nur von denen geleistet, welche zum ersten Male als Abgeordnete gewählt sind. Mitglieder, die bei Eröffnung des Landtags nicht beeidigt sind, leisten den Eid bei ihrem Eintritte in die Ständeversammlung vor dieser.

§ 133. Die Abgeordneten haben bei ihren Abstimmungen ganz allein ihrer, auf sorgfältige Prüfung der vorliegenden Gegenstände gegründeten, eigenen Überzeugung und ihrem Gewissen zu folgen, keineswegs aber Instructionen von Andern anzunehmen und zu beachten. Sie können ihre ständischen Befugnisse nur bei persönlichem Erscheinen in der Ständeversammlung ausüben.

§ 134. Die Mitglieder der Landschaft haben bei ihren Berathungen das Recht, ihre Meinung frei zu äußern, und können wegen Verletzungen der Geschäftsordnung, welche weder ein besonderes Verbrechen, noch eine persönliche Beleidigung enthalten, nur von der Ständeversammlung selbst zur Verantwortung gezogen werden.

§ 135. Kein Mitglied der Ständeversammlung kann während der Landtagsversammlung verhaftet werden, als entweder im Wege des Wechselverfahrens, oder wenn dasselbe auf frischer verbrecherischer That ergriffen wird, oder mit Zustimmung der Ständeversammlung. In den beiden ersten Fällen hat die verhaftende Behörde dem Staatsministerium, und dieses der Ständeversammlung sofort Anzeige von der Verhaftung zu machen.

§ 136. Die Ständeversammlung wählt ihre Beamte aus ihrer Mitte, nämlich einen Präsidenten und einen Vicepräsidenten.

Diese Wahl wird von dem an Jahren ältesten Mitgliede der Versammlung geleitet, und geschieht vermittelst verschlossener Zettel durch absolute Stimmenmehrheit, wobei nach den, für die Wahl der Abgeordneten vorgeschriebenen, Grundsätzen verfahren wird.

Zu der Stelle des Präsidenten und Vicepräsidenten werden für jede Stelle drei Candidaten dem Landesfürsten präsentirt, von denen derselbe einen bestätigt, der alsdann sein Amt sofort antritt.

Das Amt des Präsidenten und Vicepräsidenten erlischt mit ihrer Eigenschaft als Abgeordnete.

§ 137. Für die Schreiberei und Registratur werden von dem Präsidenten die für die Zeit der ständischen Versammlungen nöthigen Officianten angenommen, und zur Verschwiegenheit und gehörigen Verrichtung ihrer Dienstgeschäfte eidlich verpflichtet und angewiesen.

§ 138. Die landesfürstlichen Propositionen, die Anträge der Abgeordneten und die eingegangenen verfassungsmäßig zuläsigen Bittschriften bilden die Gegenstände der Verhandlungen. Von allen zur Berathung stehenden Gegenständen kommen die landesfürstlichen Propositionen zuerst zum Vortrage und zur Berathung, und müssen, insofern nicht zwischen der Landesregierung und den Ständen ein anderes vereinbart wird, in der Ordnung, in welcher sie vorgelegt sind, erledigt werden.

§ 139. Die Ständeversammlung kann auf Land- und Convocationstagen keinen Beschluß fassen, wenn nicht mindestens zwei Drittheile der gesetzlichen Zahl ihrer Mitglieder anwesend sind.

§ 140. Sie faßt über die, zur Berathung und Entscheidung kommenden, Angelegenheiten den Beschluß nach absoluter Mehrheit der Stimmen.

§ 141. Wenn ein Antrag auf Abänderung dieses Landesgrundgesetzes gemacht wird, so müssen wenigstens zwei Drittheile der ganzen Landschaft demselben beistimmen, um ihm Folge zu geben.

§ 142. Wenn eine Abänderung in der Vertretung einer der drei Standesklassen vorgenommen werden soll, so muß die Mehrzahl der Abgeordneten des betheiligten Standes der, für die Änderung stimmenden, erforderlichen Mehrheit beigetreten seyn.

§ 143. Wird ein solcher Vorschlag abgelehnt und auf dem nächsten Landtage wieder vorgebracht, hat derselbe alsdann wiederum die Mehrheit der Stimmen des betheiligten Standes gegen sich, bilden aber zugleich sämmtliche für denselben abgegebene Stimmen die erforderliche Mehrheit der ganzen Ständeversammlung, so ist der Vorschlag angenommen.

§ 144. Die Wirkung und Beförderung eines gefaßten Beschlusses darf weder durch Verwahrungen, noch durch Berufung auf höchste Entscheidung, noch auf andere Weise aufgehalten oder gehindert werden, sondern jedes ständische Mitglied muß sich das Resultat der Abstimmung schlechterdings gefallen lassen. Gleichwohl steht es einzelnen oder mehreren Abgeordneten frei, ihre besondere Meinung schriftlich auszuführen, und zu verlangen, daß ihre Ausführung, mit dem Beschlusse der Landschaft, der Landesregierung mitgetheilt werde.

§ 145. Ein Beschluß der Ständeversammlung erhält nicht eher gesetzliche Gültigkeit, als bis ihm die landesfürstliche Zustimmung ertheilt und als Gesetz publiciert ist.

Ob der Landesfürst ständischen Beschlüssen und Anträgen seine Zustimmung ertheilen wolle, hängt von dessen freier Entschließung ab. Wird die Zustimmung versagt, so werden die Gründe der Versagung den Ständen mitgetheilt werden.

§ 146. Die Landtagsverhandlungen sollen binnen drei Monaten vollendet werden. - Nur mit besonderer landesfürstlicher Bewilligung kann der Landtag über drei Monate dauern.

§ 147. Der Landesfürst hat das Recht, die von ihm berufene Ständeversammlung zu vertagen, zu verabschieden und aufzulösen.

Eine Vertagung über drei Monate hinaus ist unzulässig.

In der Verodnung, durch welche die Ständeversammlung aufgelöset wird, sind zugleich die Wahlen neuer Abgeordneter zu verfügen, und es ist der Tag der Eröffnung der neugewählten Ständeversammlung, und zwar innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten, zu bestimmen.

§ 148. Vor dem Schlusse des Landtags werden die verschiedenen Gegenstände, worüber die Landesregierung und die Stände sich vereinigt haben, in einem Landtagsabschied kurz zusammengetragen, und dieser ist von dem Landesfürsten und, von Seiten der Stände, von dem Präsidenten und dem Landsyndicus in doppelter Ausfertigung zu unterzeichnen, zu besiegeln und durch den Druck zur öffentlichen Kunde zu bringen.

Zweiter Abschnitt.  Verhandlungen des Ausschusses

§ 149. Der ständische Ausschuß wählt sich einen Präsidenten aus seiner Mitte nach Stimmenmehrheit.

§ 150. Der Ausschuß betreibt die Geschäfte collegialisch, faßt seine Beschlüsse nach Stimmenmehrheit, ist aber zu eienr Beschlußnahme nur befugt, wenn vier Mitglieder desselben anwesend sind.

§ 151. Ein Mitglied des Auschusses hat von den zwischen den Landtagen vorgekommenen Geschäften auf dem nächsten Landtage der Ständeversammlung ausführlichen Vortrag zu erstatten.

Dritter Abschnitt. Geschäftsordnung

§ 152. Die näheren Bestimmungen über die Verhandlungen und die Formen der Berathungen und Abstimmungen in der Ständeversammlung und dem Ausschusse sind in der landschaftlichen Geschäftsordnung enthalten, welche zwar keinen Bestandtheil der Verfassung bildet, aber nur durch Übereinkünft zwischen dem Landesfürsten und den Ständen abgeändert werden kann.

Fünftes Kapitel.  Von den obersten Landesbehörden und dem Civil-Staatsdienste

§ 153. Alle Civil-Staatsdiener sind in dem ihnen angewiesenen Wirkungskreise für die Beobachtung der Gesetze und der Landesverfassung verantwortlich.

§ 154. Dieselben sollen bei Ablegung des Diensteides mit auf die Erfüllung dieser Pflicht vereidigt werden.

§ 155. Um den verfassungsmäßigen Gang der Staatsverwaltung und die dem Staatsministerium untergeordneten Staatsbeamten wegen ihrer Verantwortlichkeit zu sichern, sind die unter der höchsten Unterschrift des Landesfürsten erlassene Verfügungen in Landesangelegenheiten nur alsdann vollziehbar, wenn sie mit der Contrasignatur eines stimmführenden Mitglieds des Staatsministeriums versehen sind.

§ 156. Die stimmführenden Mitglieder des Staatsministeriums sind insbesondere für die Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit der von ihnen contrasignirten oder unterzeichneten Verfügungen verantwortlich.

Diese Verantwortlichkeit trifft diejenigen höchsten Staatsbeamten, welcher contrasignirt oder unterzeichnet hat, persönlich, und ohne Zulassung der Berufung auf eine vorher mündlich oder schrifltich erklärte abweichende Meinung.

§ 157. Die übrigen Rechtsverhältnisse der Staatsbeamten sind durch das hieneben erlassene Staatsdienstgesetz bestimmt.

§ 158. Die unmittelbar unter dem Landesfürsten mit der obersten collegialischen Leitung der Landesverwaltung ausschließlich beauftragte Behörde ist das Staatsministerium.

Für die einzelnen Verwaltungszweige bestehen Ministerialdepartements.

Dasselbe wird stets mindestens mit drei stimmführenden Mitgliedern besetzt seyn, welche der Landesfürst nach eigener Wahl ernennt und nach Gefallen verabschiedet.

§ 159. Zur Berathung der Gesetzentwürfe und anderer wichtigen Landesangelegenheiten, und zur Entscheidung der zwischen den Verwaltungsbehörden und Gerichten eintretenden Competenzstreitigkeiten, soll eine Commission bestehen.

Dieselbe soll zusammengesetzt seyn aus den stimmführenden Mitgliedern des Staatsministeriums und den von dem Landesfürsten berufenen Beisitzern.

Mit der Entscheidung der Compentenzconflicte soll eine eigene Section dieser Commission beauftragt werden, weche aus höheren Justizbeamten und aus höheren rechtskundigen Verwaltungsbeamten besteht, und in welcher das mit dem Departement der Justiz beauftragte Mitglied des Staatsministeriums den Vorsitz führt.

Das Nähere über die Organisation dieser Behörde bestimmt das Gesetz.

§ 160. Die Landesverwaltung und Polizei soll unmittelbar unter dem Staatsministerium durch Kreisdirectoren geleitet werden, deren Organisation und Geschäftskreis durch ein Gesetz bestimmt ist.

Sechstes Kapitel.  Von den Finanzen

§ 161. Zur Beförderung einer geregelten Finanzverwaltung soll der fürstliche Haushalt von dem Staatshaushalte getrennt, das gesammte, zur Bestreitung der Staatshaushaltsbedürfnisse bestimmte, Einkommen aus den Überschüssen des Kammerguts und der Steuerverwaltung aber vereinigt werden.

§ 162. Die sämmtlichen herzoglichen Domainen, Forsten, Jagden und Fischereien, die damit verbundenen Gefälle und Gerechtsame, so wie die heimfallenden Lehne, ferner die Berg- und Hüttenwerke, die Salinen, Glas- und Ziegelhütten, Steinbrüche, Kalk- und Gypsbrennereien, Braunkohnengruben und Torfstiche, die Porzellanfabrik und die Münze sollen das Kammergut bilden.

§ 163. Die Güter und Gerechtsame der auf den Grund des Reichsdeputationshauptschlusses vom 25. Februar 1803 aufgehobenen Stifter St. Blasii et Cyriaci werden, vorbehaltlich der den Präbendarien ausgesetzten Pensionen, dem Kammergute einverleibt, wie solches in Ansehung der Abtei Gandersheim und des Klosters St. Ludgeri vor Helmstedt früher schon geschehen ist.

§ 164. Die bisherigen Rechtsverhältnisse des Kammerguts, und namentlich die Bestimmungen des Edicts vonm 1. Mai 1794, bleiben unverändert.

Dasselbe ist daher fortwährend in seinem ganzen Bestande zu erhalten, und auf eine das nachhaltige Einkommen sichernde Weise zu benutzen. Die dazu gehörigen Grundstücke, Gerechtsame und Einkünfte können ohne Zustimmung der Stände nicht veräußert, also auch nicht verpfändet werden.

Veräußerungen ohne ständische Zustimmung sind nichtig; der Käufer hat weder gegen den Landesfürsten, noch gegen eine öffentliche Behörde ein Klagerecht auf Rückzahlung des gezahlten Kaufgeldes, sondern er kann sich nur an die Personen halten, mit denen er contrahirt hat. Selbst in dem Falle, daß die von ihm gezahlten Münzstücke in einer öffentlichen Kasse noch vorhanden wären, kann er solche nivht vindiciren.

§ 165. Durch die nothwendige Erhaltung des Kammergutes in seinem Bestande sind jedoch diejenigen, unter Zustimmung der Stände, zu treffenden Veränderungen nicht ausgeschlossen, welche bei einzelnen Besitzungen zur Beförderung der Landescultur, oder sonst zur Wohlfahrt des Staats und Entfernung wahrgenommener Nachtheile, durch Verkauf, Austausch oder Vererblichund nothwenig oder gut befundenen werden sollten. Wird eine Ablösung der zum Kammergute gehörenden Dienste, Zehnten und Gefälle gegen Geld eintreten, oder eine Veräußerung einzelner Theile des Kammerguts im gesetzlichen Wege beschlossen, so ist gleichzeitig verfassungsmäßig über die nützliche Verwendung der eingehenden Gelder Vorsorge zu treffen.

§ 166. Das Kammergut wird, unter unmittelbarer Leitung des herzoglichen Staatsministerii, von der herzoglichen Kammer in drei abgesonderten Directionen für die Domainen, Forsten und Bergewerke verwaltet. Das Nähere hierüber ist durch das hierneben erlassene Gesetz bestimmt.

§ 167. Die Aufkünfte des gesammten Kammerguts sollen, nach Absatz der Administrations- und Erhaltungskosten und der auf die Amortisation und Verzinsung der Kammerschuld zu leistenden Zahlungen, wie bisher, zur Bestreitung der Bedürfnisse des Fürsten und des Landes verwendet werden. Die successive Tilgung der Kammerschuld wird durch eine besondere Vereinbarung mit den Ständen bestimmt werden.

§ 168. Der über die Verwaltung des Kammerguts vor dem Anfange und auf die Dauer einer dreijährigen Finanzperiode aufgestellte Kammeretat wird den Ständen zur Erläuterung des, in dem Staatshaushaltsetat (§ 184) aufzuführenden, Einnahmepostens von den Überschüssen des Kammergutes mutgetheilt; auch werden dieselben mit ihren gutachtlichen Anträgen und Bemerkungen darüber gehört. Gleichergestalt werden den Ständen, auf deren Verlangen, die Kammerrechnungen von der abgelaufenen Finanzperiode zur Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Rechte vorgelegt.

§ 169. Der Bedarf des Landesfürsten und seines Hauses haftet zunächst und zuvörderst auf dem Reinertrage des Kammerguts. Die zur Bestreitung dieses Bedarfs erforderliche, von dem Landesfürsten vorbehaltene, Summe ist in der mit den Ständen getroffenen besondern Übereinkunft näher bestimmt.

Außerdem bleiben für den Bedarf der Hofhaltung vorbehalten:
die herzoglichen Schlösser, sämmtliche Hofgebäude, Gärten, Anlagen und Inventarien, sow wie die bisher bei dem Oberhofmarschallamte und bei dem Oberstallmeisteramte unmittelbar erhobenen Gefälle und herkömmlichen Naturallieferungen. Die zur Hofhaltung gehörigen Immobilien sind von dem Lande untrennbar, und können ohne ständische Zustimmung nicht veräußert werden.

§ 170. Unter dem Bedarfe des Landesfürsten und des fürstlichen Hauses sind mitbegriffen:
die Kosten des Hofstaats, die Besoldungen und Pensionen der Hofdienerschaft, die Kosten des Marstalls, des Gestüts zu Harzburg, des Theaters und der Capelle, die Unterhaltung der Schlösser und der für die Hofhaltung bestimmten Gebäude, Gärten, Anlagen und Inventarien.

Über die Verwendung der zur Bestreitung des Bedarfs vorbehaltenen Summe, so wie über die Benutzung der im § 169 erwähnten Gegenstände, steht den Ständen eine  Controlle nicht zu.

§ 171. Von der vorerwähnten Summe werden jedoch nicht bestritten:
1) die für die Prinzen und Prinzessinen, Söhne und Töchter des regierenden Herzogs, bei selbstständiger Einrichtung, so wie bei deren Vermählung auszusetzenden Apanagen, Einrichtungs- und Ausstattungskosten;
2) das der Wittwe des Landesfürsten zu bewilligende standesmäßige Auskommen.
Diese unter Nr. 1 und 2. erwähnten Ausgaben werden, insofern höhere, als die durch Observanz feststehenden Summen erfordert werden, oder eine solche Observanz nicht bestehen sollte, von dem Landesfürsten nach vorgängiger Übereinkunft mit den Ständen festgestellt.
3) Die Kosten der Erbauung und der ersten Einrichtung eines Residenzschlosses in der Hauptstadt, welche von den Ständen besonders bewilligt und auf den Credit des Kammerguts aufgenommen werden.

§ 172. Die Überschüsse auf der Kammerverwaltung nebst den bei der Kammerkasse vorhin erhobenen sonstigen Einkünften, namentlich den Lehnsgefällen, den Zöllen, Meß- und Packhofseinnahmen, der Lotteriepacht, den Gerichtssporteln, Chaussee-, Wege-, Pflaster- und Brückengeldern, auch Postintraden, fließen in die Hauptfinanzkasse, und werden nebst den zur Deckung des Bedarf bewilligten, bei derselben Kasse zu vereinnahmenden Steuern zur Besteitung der Bedürfnisse des Landes verwenden.

§ 173. Die Stände haben das Recht, daneben aber zugleich die Pflicht, die zur Erreichung der Staatszwecke erforderlichen Mittel zu bewilligen, insoweit dieselben aus den Überschüssen des Kammerguts und dem übrigen Staatsvermögen nicht bestritten werden können.

Insbesondere dürfen sie nie die Deckung derjenigen Ausgaben verweigern, welche auf den Grund verfassungsmäßig entstandener Verbindlichkeiten aus den Staatskassen gefordert werden können.

§ 174. Keine allgemeine Steuer oder Landeslast kann ausgeschrieben, erhoben oder verändert werden, ohne ständische Bewilligung.

Es macht hierbei keinen Unterschied, welche Gegenstände solche allgemeine Landesauflagen und Leistungen betreffen: ob sie auf Grundstücke, Vermögen, Personen, Gewerbe, oder auf den Verbrauch von Lebensmitteln und Consumtibilien gelegt werden sollen; auch bezieht sich dieses Bewilligungsrecht auf solche Abgaben und Leistungen, welche die Leitung des Handels und der gewerbe betreffen, oder welche ur Ausführung polizeilicher Einrichtungen und Maaßregeln erforderlich sind, namentlich auf Weggelder, Zölle, Packhausentrichtungen, imgleichen auf Gerichtssporteln.

§ 175. Das ständische Bewilligungsrecht erstreckt sich, bei seiner Ausübung, nicht allein auf die Art und den Betrag der öffentlichen Abgaben und Leistungen, sondern auch auf die Grundsätze der Verhältnisse, nach welchen selbige auf Gegenstände oder Personen zu legen und zu vertheilen sind, so wie auf die Dauer, Erhebungsweise und Verwendung der aufzulegenden Steuer.

§ 176. Nachdem über dieses Alles zwischen der Landesregierung und den Ständen eine Übereinkunft getroffen worden, wird in deren Gemäßheit die verwilligte Auflage durch ein, auf die gewöhnliche Weise und "mit Bezug auf die Zustimmung der Landschaft" zu publicirendes, Gesetz ausgeschrieben und ihre Erhebung verfügt.

§ 177. Alle Abgaben werden längstens auf die Dauer eines regelmäßigen Finanzperiode von drei Jahren bewilligt, und können nach dem Ablaufe derselben höchstens noch für ein Jahr, welches in die neue Finanzperiode einzurechnen ist, erhoben werden.

Die für einen kürzeren Zeitraum verwilligten Abgaben hören jedoch mit Ablauf der Verwilligungszeit, und die für einen vorübergehenden Zweck ausgeschriebenen Steuern, mit der Erreichung desselben auf.

§ 178. Die Steuerverfassung erlischt jedoch nicht, und die neu bewilligten Steuern werden in der folgenden Finanzperiode auf den Grund der bestehenden Steuerverfassung so lange ausgeschrieben, bis über die Abänderung derselben, so wie über die Einführung eines neuen Steuersystems auf verfassungsmäßigem Wege, eine anderweitige Bestimmung getroffen worden ist.

§ 179. Die im § 177 bestimmte Dauer der Steuererhebung kann bei den indirecten Steuern und bei den auf den Handel gelegten Abgaben, mit Zustimmung der Stände verlängert werden; auch sollen diejenigen Abgaben dieser Art, welche nach der bisherigen Verfassung von der Landesregierung ohne Mitwirkung der Stände bestimmt wurden und deren unveränderliche Beibehaltung von Seiten der Landesregierung durch die bestehenden Handelsverträge zugesichert ist, für die Dauer dieser Verträge fortbestehen.

§ 180. Ausnahmsweise müssen ohne Bewilligung der Stände diejenigen außerordentlichen allgemeinen Lasten und Leistungen von dem Lande aufgebracht und getragen werden, welche erforderlich sind:
1) außerordentlicher Weise zur Abwendung einer plötzlichen allgemeinen Landesgefahr,
2) zur Erfüllung der Bundesverpflichtungen,
wobei jedoch dem ständischen Ausschusse die Gründe der desfallsigen Ausschreiben stets vorgelegt werden sollen.

Hinsichtlich der Art und Weise der Aufbringung der zu diesem Zwecken erforderlichen Mittel ist indeß die verfassungsmäßige ständische Mitwirkung erforderlich.

§ 181. Eben so wenig bedarf es der ständischen Bewilligung und Zustimmung in Hinsicht der Aufbringung und Repartition der, ihrer Natur und Beschaffenheit nach, einzelnen Gemeinden, Städten, Ortschaften und Bezirken obliegenden Lasten, Ausgaben und Kosten, welche nach den Bestimmungen der Gesetze und des Herkommens, und in Ermangelung derselben von der Regierung, durch die betreffenden Behörden zu reguliren sind.

§ 182. Die Verwaltung der Steuern und aller dahin gehörenden Landesabgaben ist der Steuerdirection übertragen, deren Organisation und Geschäftsführung durch das hieneben erlassene Gesetz bestimmt worden ist.

§ 183. Die obere Leitung des gesammten Finanzwesens, die Aufsicht über das Rechnungs- und Kassenwesen, so wie die Führung der allgemeinen Finanzcontrolle ist dem Finanzcollegio, über dessen Organisation und Geschäftsverwaltung das hieneben erlassene Gesetz das Nähere enthält, übertragen worden. Die Hauptfinanzkasse, in welche alle zur Bestreitung der Bedürfnisse des Landes bestimmte Einnahmen fließen, ist demselben untergeordnet, und allein nach dessen Anweisungen zu verfahren verpflichtet.

§ 184. Die Grundlage der dem Finanzcollegio übertragenen allgemeinen Finanzverwaltung bildet der Staatshaushaltsetat, welcher, vor dem Anfange der dreijährigen Finanzperiode und für die Dauer derselben, aus den Specialeinnahme- und Ausgabeetats aller einzelnen Verwaltungszweige zusammengestellt wird.

§ 185. Den Ständen steht das Recht zu, gemeinschaftlich mit der Landesregierung den Staatshaushaltsetat nach den einzelnen Abtheilungen festzustellen. Die Verwendung und Vertheilung der für jede einzelne Abtheilung im Ganzen bewilligten Summen bleibt jedoch der Bestimmung der Landesregierung überlassen, und es kann, wenn die Verwendung nur für diese Abtheilung und ohne Überschreitung der feststehenden Specialetats statt findet, gegen eine von den einzelnen Positionen derselben eingetretene Abweichung an sich, eine Erinnerung von Seiten der Stände nicht gemacht, wohl aber eine Nachweisung der Zweckmäßigkeit dieser Abweichung verlangt werden.

§ 186. Die unter landesfürstlicher Oberaufsicht als ein selstständiges Institut bisher bestandene Leihhausanstalt wird, nebst deren Forderungen und Schulden, vom Staate übernommen, und unter dessen Gewähr fortbestehen; dieselbe soll zu dem Ende dem Finanzcollegio unmittelbar untergeordnet werden, und neben deren ursprünglichem Zwekce, welcher auch ferner in Gemäßheit der Leihhausordnung zu erfüllen ist, eine Hülfscreditanstalt für den Staat bilden und in ihren Operationen nach Anweisung der Finanzcollegii verfahren.

Der von den Operationen der Anstalt zu erwartende Gewinn soll zu den Staatseinkünften gezogen werden.

§ 187. Staatsanleihen können nicht ohne Einwilligung der Stände contrahirt werden. Über den Betrag, die Bedingungen und die Rückzahlung ist mit den Ständen eine Vereinbarung zu treffen.

Das Landesschuldenwesen wird gleichfalls nach gemeinsamen Beschlüssen regulirt.

§ 188. Den Ständen steht das Recht der Aufsicht über das Finanzwesen zu, und es werden ihnen daher die Staatshaushaltsrechnunge der abgelaufenen Finanzperioden zur Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Rechte vorgelegt werden.

§ 189. Dem Ausschusse ist die Ausübung der ständischen Mitaufsicht über die Finanzverwaltung in dem Maaße übertragen, daß ihm die Voranschläge des Staatshaushaltsetats des zweiten und des dritten Jahres jeder Finanzperiode zur Berathung, sowie die Rechnungen der einzelnen abgelaufenen Finanzjahre zur Einsicht von der Landesregierung mitgetheilt werden.

Auch kann derselbe, falls besondere Umstände die Veräußerung eines Staatsgutes nötig oder rathsam machen, die ständische Zustimmung ertheilen, wenn das zu Veräußernde einen Werth von 10.000 Thalern nicht übersteigt. Es ist jedoch zugleich über die Verwendung des eingehenden Preises eine Übereinkunft zu treffen.

§ 190. Wenn außerordentliche Ereignisse die zeitige Versammlung des Landtags unthunlich machen, oder wenn Gefahr mit dem Verzuge verbunden ist und die ordentlichen Bewilligungen und Geldmittel zur Erreichung des Staatszwecks und zur Erhaltung des Staatswohles unzureichend sind, können mit Bewilligung des ständischen Ausschusses
1) die Steuern erhöhet und neue Steuern auferlegt werden, jedoch nicht länger als sechs Monate, und
2) Staatsanleihen bis zu einem Betrage von 100.000 Thalern geschlossen werden.

Alle in Folge einer solchen Übereinkunft von der Landesregierung getroffenen Maaßregeln und deren Gründe sind indeß, sobald als thunlich, der Ständeversammlung von der Landesregierung vorzulegen.

Steuerverwilligungen dieser Art hören in dem Augenblicke auf, Kraft zu haben, wo die Ständeversammlung ihnen ihre Zustimmung versagt. Staatsanleihen dieser Art sind gültig, jedoch kann, wenn eine Bewilligung bis zu dem angegebenen Betrage erfolgt ist, ein neues Anlehen, bevor die Ständeversammlung zusammenberufen worden, nicht gemacht werden.

Darüber: ob die Versammlung der Stände unthunlich, oder ob Gefahr im Verzuge sey, entscheidet die Landesregierung, jedoch unter Verantwortlichkeit sämmtlicher stimmführenden Mitgliedern des Staatsministeriums, von welchen allen daher die zu erlassenden Verfügungen zu contrasigniren sind.

Siebentes Kapitel.  Von der Rechtspflege

§ 191. Alle Gerichtsbarkeit geht vom Landesfürsten aus. Die Patrimonialgerichtsbarkeit bleibt aufgehoben.

§ 192. Die bürgerliche und die Strafrechtspflege soll, mit Ausnahme der durch das Gesetz den Einzelrichtern überwiesenen Gegenstände, ferner der Handlungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wie bisher, getrennt von der Landesverwaltung, durch collegialisch gebildete Gerichte, in gesetzlicher Instanzenordnung, ausgeübt werden.

Jeder richterlichen Entscheidung sind die Gründe derselben beizufügen.

§ 193. Die Gerichte sind in ihrer Amtsführung der landesfürstlichen Oberaufsicht unterworfen, jedoch bei der Beurtheilung von Rechtssachen, innerhalb der Grenzen ihrer Competenz, unabhängig. sie entscheiden daher in allen Instanzen mit voller Freiheit der Meinungen, und werden in der Ausübung ihres Amtes nöthigenfalls durch den Beistand der Civil- und Militairbehörden geschützt. Die Strafurtheile der Gerichtshöfe bedürfen keiner Bestätigung des Landesfürsten, doch soll die Vollziehung der durch das Gesetz bezeichneten schweren peinlichen Strafen nur nach landesfürstlicher Genehmigung erfolgen.

§ 194. Die Polizeigewalt, selbstständig in ihrem Wirkungskreise, leistet zugleich der richterlichen Beistand, bei der Sicherung der Rechte der Landeseinwohner und der Vollziehung der Rechtssprüche. Bei Vergehungen verfolgt auch sie den Thäter und wirkt mit zur Ermittelung des Thatbestandes. Sie richtet nie über die That.

§ 195. Die Verfügungen aller nicht gerichtlichen, d. h. der Verwaltungsbehörden und Beamten innerhalb des denselben angewiesenen, von der Rechtspflege getrennten Wirkungskreises, gehören nicht zur Competenz der Gerichte, und können in ihrer Ausführung von denselben nicht gehemmt werden.

§ 196. Die Beurtheilung, ob eine Sache zum gerichtlichen Verfahren geeignet, gebührt zunächst dem Richter. Erklärt das Gericht sich competent, während eine Verwaltungsbehörde dessen Zuständigkeit in Zweifel zieht, so darf letzte durch einen dem Gerichte zu eröffnenden, die Gründe anführenden Einspruch, die weitere gerichtliche Verhandlung hemmen.

Das Nähere über das in solchen Fällen eintretende Verfahren soll durch ein Gesetz bestimmt werden.

§ 197. Die Frage, welche Entschädigung vom Staate demjenigen gebühre, welcher durch Handlungen der Regierungs- und Verwaltungsbehörden in seinen wohlerworbenen Rechten verletzt ist, fällt, ohne Zulassung eines Competenzconflicts, lediglich der Entscheidung der Gerichte anheim.

Die verfassungsmäßige Erlassung gesetzlicher Vorschriften kann zu keiner anderen, als der im Gesetze bestimmten, Entschädigung berechtigen.

§ 198. Der Fiscus, als der Vertreter aller das Staatsvermögen und die Einkünfte des Staats betreffenden Rechte und Verbindlichkeiten, ist in steitigen Rechtssachen den ordentlichen Gerichten unterworfen. Die Vollziehung des gerichtlichen Erkenntnisses wird gegen die in demselben bezeichnete Behörde und Kasse verfügt.

§ 199. Die bisherigen Vorrechte des Fiscus, in Beziehung auf gerichtliche Verfolgung seiner Ansprüche, Privatpersonen gegen über, werden hierdurch aufgehoben.

Ein Vorzugs- oder stillschweigendes Pfandrecht behält derselbe nur wegen öffentlicher Abgaben.

§ 200. Alle Landeseinwohner sind vor dem Richter gleich. Der priviligirte Gerichtsstand ist und bleibt abgeschafft.

§ 201. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter, es sey in bürgerlichen oder strafrechtlichen Fällen, entzogen, noch sonst an der Betretung und Verfolgung des Rechtsweges vor den Gerichten gehindert weren. Die Justizcollegien dürfen jedoch zu Verhandlungen und Untersuchungen, welche dem Urtheilsspruche vorhergehen, einzelnen Gerichtsmitgliedern oder einem ihnen untergeordneten Gerichte Aufträge ertheilen; auch kann die Landesregierung in außerordentlichen und dringenden Fällen, wenn die Zahl der gewöhnlichen Mitglieder des zuständigen Gerichts nicht ausreicht, dieses durch Mitglieder anderer Gerichte verstärken.

§ 202. Jeder Verhaftete muß binnen 24 Stunden nach seiner Verhaftung verhört, von deren gesetzlicher Ursache in Kenntniß gesetzt und, im Falle der Fortdauer dieser Ursache, ohne Verzug seinem zuständigen Richter überliefert werden.

Dieser wird dem Antrage des Verhafteten auf Entlassung gegen genügende Caution Statt geben, dafern nicht dringende Anzeigen eines schweren peinlichen Verbrechens wider ihn vorliegen.

§ 203.  Keinem Angeschuldigten darf das Recht der Beschwerdeführung während der Untersuchung, das Recht der Vertheidigung, oder der verlangte Richterspruch versagt werden.

§ 204. Die Gerichts- und Polizeibehörden des Landes, welchen der verfassungsmäßige Schutz der bürgerlichen Freiheit zunächst anvertraut ist, sind in den Untersuchungen gegen verhaftete Angeschuldigte dafür verantwortlich, daß deren Haft nicht länger dauere, als die Erforschung der Verbrechen und die zu sichernde Anwendung der Strafe erfordert. Besonders wird den Obergerichten die Pflicht auferlegt, über die Befolgung dieser Vorschrift strenge zu wachen und Übertretungen derselben zu ahnden.

§ 205.  Landeseinwohner, welche im Auslande strafbare Handlungen begangen haben, können im hiesigen Staatsgebiete nicht anders zur Untersuchung und Strafe gezogen werden, als insofern jene Handlungen nach gemeinem teutschen Criminalrechte mit Strafen bedrohet sind.

Gegen Fremde, welche im Auslande Vergehen begangen haben, können die hiesigen Gerichte nur verfahren, wenn ein Verbrechen gegen den hiesigen Staat oder gegen Landeseinwohner begangen ist, oder zufolge einer von der Landesregierung erhaltenen Ermächtigung.

§ 206. Die Auslieferung von Landeseinwohnern an fremde Regierungen findet nicht Statt.

Die Auslieferung von Fremden an auswärtige Regierungen darf nicht ohne Genehmigung der Landesregierung geschehen.

Diese wird nicht versagt werden, wenn die Auslieferung von einer Regierung der Staaten des teutschen Bundes verlangt wird, gegen den Auszuliefernden von der zuständigen Behörde ein Verhaftsbefehl erlassen, und derselbe entweder Unterthan des requirirenden Staats, oder eines in dessen Gebiete begangenen, nach gemeinem teutschen Criminalrechte mit Strafe bedrohten, Vergehens beschuldigt ist, und endlich, wenn die requirirende Regierung gleiche Grundsätze gegen den hiesigen Staat befolgt.

Alle diese Bestimmungen gelten jedoch nur unbeschadet der Vollziehung der über die Auslieferung der Verbrecher bereits bestehenden oder künftig, und zwar, insofern sie die Rechte der Landeseinwohner betrefffen, mit Zustimmung der Stände abzuschließenden Staatsverträge.

§ 207. Die Confiscation kann nur auf Gegenstände oder Werkzeuge einer Vergehung angewendet werden. Eine allgemeine Vermögensconfiscation tritt in keinem Falle ein. Die gesetzlichen Bestimmungen über die Beschlagnahme des Vermögens der Deserteure und ausgetretenen Militairpflichtigen sind hierdurch nicht aufgehoben.

§ 208. Der Landesfürst kann in strafrechtlichen Sachen begnadigen, die Strafe mildern oder erlassen, aber in keinem Falle schärfen, und eine angefangene Untersuchung nur, nachdem das Oberappellationsgericht sich gutachtlich darüber geäußert hat, niederschlagen.

§ 209. Moratorien werden von der Landesregierung nie ertheilt; die gerichte dürfen in gesetzlich bestimmten Fällen darauf erkennen.

§ 210. In bürgerlichen Streitigkeiten wird den Gerichten auswärtiger Staaten jede gesetzliche Rechtshülfe geleistet, so lange dieselbe nicht in jenen Staaten den hiesigen Gerichten verweigert wird. Insbesondere sind die rechtskräftigen Erkenntnisse ausländischer Gerichte, wenn die Zuständigkeit der letzten in dem einzelnen Falle außer Zweifel ist, unter obiger Voraussetzung von den einheimischen Gerichten zu vollstrecken.

Achtes Kapitel.  Von den christlichen Kirchen, den öffentlichen Unterrichtsanstalten und milden Stiftungen, von dem Kloster- und Studienfonds

§ 211. Allen im Herzogthume anerkannten, oder durch ein Gesetz aufgenommenen christlichen Kirchen wird freie öffentliche Religionsübung zugesichert; sie genießen gleichen Schutz des Staates und ihre Angehörigen gleiche bürgerliche Rechte.

§ 212. Alle Kirchen stehen unter der auf der höchsten Staatsgewalt beruhenden Oberaufsicht der Landesregierung. Die Anordnung der rein geistlichen Angelegenheiten bleibt, unter dieser Oberaufsicht, der in der Verfassung jeder dieser Kirchen begründeten Kirchengewalt überlassen. Im Zweifel entscheidet darüber: ob eine Angelegenheit rein geistlich sey ? - die Landesregierung.

§ 213. In der evangelisch-lutherischen Kirche steht die Kirchengewalt dem Landesfürsten zu, welcher sie unter Mitwirkung und Beirath des mit evangelischen Geistlichen und Laien besetzten Consistoriums ausübt.

Die Ausübung der in Bezug auf das Kirchenwesen den einzelnen evangelischen Gemeinden zustehenden Rechte soll einem die Kirchengemeinde vertretenden Vorstande übertragen werden, über dessen Zusammensetzung und Wirkungskreis ein Gesetz das Nähere bestimmen wird.

§ 214. Sollte der Landesfürst sich zu einer andern, als der evangelisch-lutherischen Religion bekennen, so wird die alsdann eintretende Beschränkung in der persönlichen Ausübung der Kirchengewalt ohne Aufschub mit Zustimmung der Landstände festgestellt werden.

§ 215. Die Landesregierung wird darüber halten, daß diejenigen, welchen, nach der Verfassung der andern christlichen Kirchen, die Kirchengewalt zusteht, solche weder mißbrauchen noch überschreiten.

Allgemeine Anordnungen, welche vermöge der Kirchengewalt getroffen, und Verfügungen, welche von auswärtigen geistlichen Obern erlassen sind, dürfen, welcher Art sie auch seyn mögen, ohne vorgängige Genehmigung der Landesregierung, weder bekannt gemacht, noch vollzogen werden.

§ 216. Allen Stiftungen ohne Ausnahme, sie mögen für kirchliche Zwecke, für den Unterricht oder die Wohlthätigkeit bestimmt seyn, wird der volle Besitz und Genuß ihres Vermögens und Einkommens zugesichert. Dasselbe steht unter der besondern Obhut des Staats, und darf nicht zum Staatsvermögen gezogen werden.

§ 217. Das Vermögen der Kirchen, Schulen und Stiftungen darf nie seiner ursprünglichen Bestimmung entzogen werden. Soll dasselbe zu einem andern als dem bestimmten, bei der Stiftungsurkunde ausgedrückten Zwecke verwendet werden, so muß dieser ein ähnlicher seyn, und die Verwendung kann nur mit Zustimmung der betheiligten Privatpersonen und Gemeinden, und sofern Anstalten, welche das ganze Land angehen, in betracht kommen, mit Zustimmung der Landstände geschehen.

§ 218. Über die bei der Verwaltung des Vermögens der Kirchen, Schulen und milden Stiftungen anzuordnende Mitwirkung des Vorstandes der Kirchengemeinden soll eine besondere gesetzliche Vorschrift erfolgen.

§ 219. Der Klosterfond soll mit dem, von der vormaligen Universität Helmstedt herrührenden, Studienfonds vereinigt und, Behuf Vereinfachung der Administration und thunlicher Kostenersparung, bei der herzoglichen Kammer zugleich mit dem Kammergute verwaltet, auch zu den Verwaltungskosten ein angemessener Beitrag geleistet werden.

§ 220. Über die Verwaltung der vereinigten Kloster- und Studienfonds soll ein besonderer Etat, in der bei dem Kammergute angeordneten Form, aufgestellt, und eine abgesonderte Kassen- und Rechnungsführung angeordnet werden.

§ 221. Der Reinertrag dieses vereinigten Fonds soll, dessen Bestimmung gemäß, für Kirchen, Bildungsanstalten und wohlthätige Zwecke verwendet werden. Das Geschäft der Verwendung wird dem Finanzcollegio übertragen werden, welches dabei nach Maaßgabe der aufgestellten Etats und der Vorschriften des Staatsministeriums zu verfahren, und über die sämmtlichen, in die Hauptfinanzkasse fließenden, Überschüsse aus der Administration besondere Rechnung zu führen hat.

§ 222. Die aus dem Kloster- und Studienfond für das Museum zu Braunschweig und die Bibliothek zu Wolfenbüttel bisher gezahlten Ausgaben stellen ferner aus diesem Fonds gezahlt werden, wogegen diese Sammlungen, welche unveräußerlich sind, der Bevörderung der Wissenschaft und Kunst gewidmet bleiben.

§ 223. Die Etats sowohl über die Verwaltung des vereinigten Kloster- und Studienfonds, als auch über die Verwendung des Reinertrages, werden von der Landesregierung gemeinschaftlich mit den Ständen festgestellt. Auch steht den Ständen, Behuf etwa zu machender Erinnerungen, die Einsicht der Rechnungen über die Verwaltung und Verwendung des vereinigten Fonds nach Ablauf des Rechnungsjahres zu.

§ 224. Die Güter und Gerechtsame des vereinigten Fonds können weder im Ganzen, noch in einzelnen Theilen, ohne ständische Einwilligung veräußert werden, und es kommen dabei dieselben Bestimmungen und Modificationen zur Anwendung, welche im § 164 und 165 bei dem Kammergute vorgeschrieben sind.

§ 225. Sowohl der Landesregierung, als den Ständen, bleibt es vorbehalten, die Verwaltung und Verwendung des Kloster- und Studienfonds durch eine besondere Behörde, falls solches für zweckmäßig erachtet werden sollte, zu veranlassen.

§ 226. Die Kirchen- und Schuldiener aller christlichen Confessionen im Lande, sofern sie nicht unmittelbar von der Landesregierung bestellt werden, bedürfen, bevor sie die Amtsgeschäfte antreten oder die Amtseinkünfte sich aneignen, der landesfürstlichen Bestätigung; alle sind vor dem Amtsantritte auf die Beobachtung der Gesetze und der Landesverfassung zu beeidigen.

Die Patronate und Wahlrechte, so wie die gesetzlichen Befugnisse der Kirchengemeinden wegen der aus erheblichen Gründen zu verweigernden Annahme eines ihnen bestimmten Pfarrers, bleiben vorbehalten.

§ 227. Den verfassungsmäßig ernannten oder bestätigten Kirchen- und Schuldienern gewährt der Staat den zur Erfüllung ihrer Berufspflichten erforderlichen gesetzlichen Schutz.

§ 228. In Allem, was das Amt und dessen Verwaltung betrifft, stehen die Kirchen- und Schuldiener zunächst unter der ihnen vorgesetzten verfassungsmäßigen Behörde, in Allem, was auf ihre bürgerlichen Verhältnisse und Handlungen Bezug hat, imgleichen bei Straffällen, welche nicht blos disciplinarischer Beschaffenheit sind, bleiben Kirchen- und Schuldiener der weltlichen Obrigkeiet unterworfen.

Ein besonderer Gerichtsstand für die Rechtssachen der Kirchen, Schulen und Stiftungen und der Diener derselben findet nicht statt, vielmehr haben darüber - wie auch in Ehesachen - die ordentlichen Gerichte, wie bisher, zu entscheiden.

§ 229. Die Suspension der Kirchen- und Schuldiener vom Amte und den Einkünften desselben kann im Disciplinarverfahren nur von den kirchlichen Behörden geschehen, und bedarf jedes Mal der Bestätigung der Landesregierung. Die Entlassung der Absetzung kann nur durch rechtskräftiges Erkenntniß des competenten Gerichtes, und zwar in Straffällen, welche nur die kirchliche Lehre betreffen, auf vorgängiges Gutachten der geistlichen Oberbehörde, verfügt werden.

§ 230. Die Erhaltung, Verbesserung und Vervollkommnung der öffentlichen Unterrichtsanstalten bleibt ein vorzüglicher, jederzeit mit allen deshalb zu Gebote stehenden Mitteln zu befördernder, Gegenstand der Fürsorge der Landesregierung.

Schlußbestimmungen

§ 231. Wenn die Landesregierung und die Stände eine verschiedene Ansicht über die Auslegung einzelner Bestimmungen des Landesgrundgesetzes haben sollten, so wird zuvörderst das herzogliche Staatsministerium mit einer Deputation der Stände zusammentreten, um eine Angleichung zu versuchen.

Sollte aber dieser Versuch fruchtlos bleiben, so ist so wohl der Regierung als den Ständen unbenommen, die entstandene Differenz im Wege Rechtens entscheiden zu lassen. Diese Entscheidung soll in erster und letzter Instanz durch ein Compromißgericht abgegeben werden, welches auf eben die Weise zusammengesetzt wird, wie der gemeinschaftliche Gerichtshof, welcher gebildet wird, wenn die Bestrafung wegen einer Verletzung der Verfassung angetragen ist.

§ 232. Alle Verordnungen, Landtagsabschiede, Reversalen und sonstige mit den Ständen getroffene Verabredungen werden, in soweit sie diesem Landesgrundgesetze entgegenstehen, hierdurch aufgehoben.

Es ist Unser landesfürstlicher Wille, da dieses Landesgrundgesetz, welches Wir beobachten, aufrecht erhalten und beschützen wollen, in allen seinen Bestimmungen für Jedermann, den es betrifft, und überall auf das Genaueste gehalten werde.

    Urkundlich Unserer eigenhändigen Unterschrift und beigedruckten herzoglichen Staats-Canzleisiegels,

    Gegeben Braunschweig, den 12. October 1832

Wilhelm, Herzog

Graf von Veltheim
von Schleinitz
Schulz


Quellen: Braunschweigsche Ges. und VOSlg. 1832 S. 191 ff.
K.H.L. Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789 bis auf die neueste Zeit, Erster Band Zweite Abt., 1832 F.A. Brockhaus
© 5. August  2001 - 15. April 2004
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