"Frankfurter" Dokumente
betreffend die Einberufung einer verfassunggebenden Nationalversammlung, die Änderungen der innerdeutschen Landesgrenzen und die Leitsätze für ein Besatzungsstatut
("Richtlinien der Militärgouverneure der USA, Großbritanniens und Frankreichs an die Ministerpräsidenten der westlichen Besatzungszonen")

vom 1. Juli 1948

mit der Stellungnahme der Ministerpräsidenten der drei westlichen Besatzungszonen
vom 7. Juli 1948

DOKUMENT I.
"Verfassunggebende Versammlung"

In Übereinstimmung mit den Beschlüssen ihrer Regierungen autorisieren die Militärgouverneure der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszone in Deutschland die Ministerpräsidenten der Länder ihrer Zonen, eine verfassunggebende Versammlung einzuberufen, die spätestens am 1. September 1948 zusammentreten sollte. Die Abgeordneten zu dieser Versammlung werden in jedem der bestehenden Verfahren und Richtlinien ausgewählt, die durch die gesetzgebende Körperschaft in jedem dieser Länder angenommen werden. Die Gesamtzahl der Abgeordneten zur verfassunggebenden Versammlung wird bestimmt, indem die Gesamtzahl der Bevölkerung nach der letzten Volkszählung durch 750 000 oder eine ähnliche, von den Ministerpräsidenten vorgeschlagene und von den Militärgouverneuren gebilligte Zahl geteilt wird. Die Anzahl der Abgeordneten von jedem Land wird im selben Verhältnis zur Gesamtzahl der Mitglieder der verfassunggebenden Versammlung stehen wie seine Bevölkerung zur Gesamtbevölkerung der beteiligten Länder.

Die verfassunggebende Versammlung wird eine demokratische Verfassung ausarbeiten, die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafft, die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit schließlich wieder herzustellen, und die Rechte der beteiligten Länder zu schützt, eine angemessene Zentralinstanz schafft, und Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält.

Wenn die Verfassung in der von der verfassunggebenden Versammlung ausgearbeiteten Form mit diesen allgemeinen Grundsätzen nicht im Widerspruch steht, werden die Militärgouverneure ihre Vorlage zur Ratifizierung genehmigen. Die verfassunggebende Versammlung wird daraufhin aufgelöst. Die Ratifizierung in jedem beteiligten Land erfolgt durch ein Referendum, das eine einfache Mehrheit der Abstimmenden in jedem Land erfordert, nach von jedem Land jeweils anzunehmenden Regeln und Verfahren.

Sobald die Verfassung von zwei Dritteln der Länder ratifiziert ist, tritt sie in Kraft und ist für alle Länder bindend. Jede Abänderung der Verfassung muß künfitg von einer gleichen Mehrheit der Länder ratifiziert werden. Innerhalb von 30 Tagen nach dem Inkrafttreten der Verfassung sollen die darin vorgesehenen Einrichtungen geschaffen sein.

1. Die Ministerpräsidenten werden ihnen am 1. Juli 1948 durch die Militärgouverneure der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszone übertragen Vollmachten wahrnehmen.

2. Die Einberufung einer deutschen Nationalversammlung und die Ausarbeitung einer Deutschen Verfassung sollen zurückgestellt werden, bis die Voraussetzungen für eine gesamtdeutsche Regelung gegeben sind und die deutsche Souveränität in ausreichendem Maße wiederhergestellt ist.

3. Die Ministerpräsidenten werden den Landtagen der drei Zonen empfehlen, eine Vertretung (Parlamentarischer Rat) zu wählen, die die Aufgabe hat
a) ein Grundgesetz für die einheitliche Verwaltung des Besatzungsgebiets auszuarbeiten,
b) ein Wahlgesetz für eine auf allgemeinen und direkten Wahlen beruhende Volksvertretung zu erlassen.
Die Beteiligung der Länderregierungen an den Beratungen des Parlamentarischen Rates ist sicherzustellen.
Die Vertretung soll nach den ziffernmäßigen Vorschlägen des Dokuments Nr. I. gebildet werden und spätestens bis zum 1. September 1948 zusammentreten. Jedes Land stellt mindestens einen Vertreter; für mindestens 200 000 überschießende Stimmen wird ein weiterer Vertreter bestellt.

4. Die Wahlen zur Volksvertretung sollen noch im Laufe des Jahres 1948 durchgeführt werden.

5. Das Grundgesetz muß außer der aus allgemeinen Wahlen hervorgehenden Volksvertretung eine bei der Gesetzgebung mitwirkende Vertretung der Länder vorsehen.

6. Hat die aus den Landtagen gewählte Vertretung (Ziffer 3) ihre Aufgabe erfüllt, so werden die Ministerpräsidenten nach Anhörung der Landtage das Grundgesetz mit ihrer Stellungnahme den Militärgouverneuren zuleiten, die gebeten werden, die Ministerpräsidenten zur Verkündigung dieses Grundgesetzes zu ermächtigen.

7. Die Volksvertretung soll alle Funktionen erfüllen, die einem demokratisch gewählten Parlament zukommt.

8. Das für das Besatzungsgebiet der Westmächte vorgesehene gemeinsame Exekutivorgan wird nach Maßgabe des Grundgesetzes bestellt.

 

DOKUMENT II.
"Ländergrenzen"

Die Ministerpräsidenten sind ersucht, die Grenzen der einzelnen Länder zu überprüfen, um zu bestimmen, welche Änderungen sie etwa vorzuschlagen wünschen. Solche Änderungen sollten den überlieferten Formen Rechnung tragen und möglichst die Schaffung von Ländern vermeiden, die im Vergleich mit den anderen Ländern entweder zu groß oder zu klein sind.

Wenn diese Empfehlungen von den Militärgouverneuren nicht mißbilligt werden, sollten sie zur Annahme durch die Bevölkerung der betroffenen Gebiete spätestens zur Zeit der Auswahl der Mitglieder der verfassunggebenden Versammlung vorgelegt werden.

Bevor die verfassunggebende Versammlung ihre Arbeiten beendet, werden die Ministerpräsidenten die notwendigen Schritte für die Wahl der Landtage derjenigen Länder unternehmen, deren Grenzen geändert worden sind, so daß diese Landtage sowie die Landtage der Länder, deren Grenzen nicht geändert worden sind, in der Lage sind, die Wahlverfahren und Bestimmungen für die Ratifizierung der Verfassung festzusetzen.

Die Ministerpräsidenten stimmen mit den Militärgouverneuren überein, daß eine Überprüfung der Grenzen der deutschen Länder zweckmäßig ist.

Sie sind jedoch der Ansicht, daß diese Frage einer sorgfältigen Untersuchung bedarf, die innerhalb kurzer Frist nicht durchzuführen ist.

Unter diesen Umständen können die Ministerpräsidenten von sich aus im Augenblick keinen Vorschlag für eine Gesamtlösung unterbreiten. Sie sind aber der Ansicht, daß die Grenzen der Länder im Südwesten dringend einer Änderung bedürfen. Über diese Änderung soll der Parlamentarische Rat beraten und den Ministerpräsidenten Vorschläge machen.

Das Recht der beteiligten Länder, selbständig eine Regelung zu treffen, bleibt unberührt.

 

DOKUMENT III.
"Besatzungsstatut"

1. Die Militärgouverneure werden den deutschen Regierungen Befugnisse der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung gewähren und sich solche Zuständigkeiten vorbehalten, die nötig sind, um die Erfüllung des grundsätzlichen zwecks der Besatzung sicherzustellen. Solche Zuständigkeiten sind diejenigen, welche nötig sind, um die Militärgouverneure in die Lage zu versetzen:
a) Deutschlands auswärtige Beziehungen vorläufig wahrzunehmen und zu leiten;
b) das Mindestmaß der notwendigen Kontrollen über den deutschen Außenhandel und über die innerpolitischen Richtlinien und Maßnahmen, die den Außenhandel nachteilig beeinflussen könnten, auszuüben, um zu gewährleisten, daß die Verpflichtungen, welche die Besatzungsmächte in Bezug auf Deutschland eingegangen sind, geachtet werden, und daß die für Deutschland verfügbar gemachten Mittel zweckmäßig verwendet werden;
c) vereinbarte oder noch zu vereinbarende Kontrollen, wie z. B. in Bezug auf die Internationale Ruhrbehörde, Reparationen, Stand der Industrie, Dekartellisierung, Abrüstung und Entmilitarisierung und gewisse Formen wissenschaftlicher Forschung auszuüben;
d) das Ansehen der Besatzungsstreitkräfte zu schützen und sowohl ihre Sicherheit als auch die Befriedigung ihrer Bedürfnisse innerhalb bestimmter, zwischen den Militärgouverneuren vereinbarten Grenzen zu gewährleisten;
e) die Beachtung der von ihnen gebilligten Verfassung zu sichern.

"Notstandsvorbehalte und Legislative"

2. Die Militärgouverneure werden die Ausübung ihrer vollen Machtbefugnisse wieder aufnehmen, falls ein Notstand die Sicherheit bedroht und um nötigenfalls die Beachtung der Verfassungen und des Besatzungsstatuts zu sichern.

3. Die Militärgouverneure werden die obenerwähnten Kontrollen nach folgendem Verfahren ausüben:
a) jede Verfassungsänderung ist den Militärgouverneuren zur Genehmigung vorzulegen;
b) auf den in den Absätzen a) bis e) in § 1 obenerwähnten Gebieten werden die deutschen Behörden den Beschlüssen oder Anweisungen der Militärgouverneure Folge leisten.

4. Sofern nicht anders bestimmt, insbesondere bezüglich der Anwendung des vorgehenden § 2, treten alle Gesetze und Bestimmungen der föderativen Regierung ohne weiteres innerhalb von 21 Tagen in Kraft, wenn sie nicht von den Militärgouverneuren verworfen werden.

"Besondere Verantwortlichkeit der Militärgouverneure"

Die Beobachtung, Beratung und Unterstützung der föderativen Regierung und der Länderregierungen bezüglich der Demokratisierung des politischen Lebens, der sozialen Beziehungen und der Erziehung, werden eine besondere Verantwortlichkeit der Militärgouverneure sein. Dies soll jedoch keine Beschränkung der diesen Regierungen zugestandenen Vollmachten auf den Gebieten der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung bedeuten.

Die Militärgouverneure ersuchen die Ministerpräsidenten, sich zu den vorstehenden Grundsätzen zu äußern. Die Militärgouverneure werden daraufhin diese allgemeinen Grundsätze mit von ihnen etwa genehmigten Abänderungen der Verfassunggebenden Versammlung als Richtlinien für etwa dazu vorgebrachte Äußerungen entgegennehmen.

Wenn die Militärgouverneure ihre Zustimmung zur Unterbreitung der Verfassung an die Länder ankündigen, werden sie gleichzeitig ein diese Grundsätze in ihrer endgültig abgeänderten Form enthaltendes Besatzungsstatut veröffentlichen, damit sich die Bevölkerung der Länder darüber im klaren ist, daß sie die Verfassung im Rahmen des Besatzungsstatuts annimmt.

Beauftragte der Militärgouverneure werden bereit sein, die Ministerpräsidenten und die Verfassunggebende Versammlung in allen Angelegenheiten, die diese vorzubringen wünschen, zu beraten und zu unterstützen.

1. Zur Verwirklichung der wirtschaftlichen und administrativen Einheit aller der Besatzungshoheit Großbritanniens, Frankreichs und der USA unterstehenden deutschen Gebietsteile werden diese zu einem einheitlichen Gebiet zusammengeschlossen, mit dessen Organisation die Besatzungsmächte dessen Bevölkerung beauftragen.

2. Die deutschen Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungsbefugnisse sind nur durch die sich aus dem Text des Besatzungsstatuts selbst ergebenden Befugnisse der Besatzungsmächte beschränkt. Die Vermutung spricht für die Zuständigkeit der deutschen Organe.

3. Die Besatzungsmächte  behalten sich Maßnahmen insoweit vor, als diese zur Sicherung der Verwirklichung der Besatzungszwecke notwendig sind.

4. Diese Maßnahmen können bestehen in:
a) eigener unmittelbarer Verwaltung durch Besatzungsorgane,
b) Kontrolle,
c) Überwachung,
d) Beobachtung, Beratung und Unterstützung.

5. Die Besatzungszwecke sind:
a) Gewährleistung der Sicherheit der Besatzungstruppen,
b) Gewährleistung des Bestandes einer demokratischen Ordnung in Deutschland,
c) Entmilitarisierung Deutschlands,
d) Gewährleistung der Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen Deutschlands.

6. Unmittelbare Verwaltung wird durch die Besatzungsmächte ausgeübt zur vorläufigen Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten; jedoch sind deutsche Vertretungen zur Wahrung der wirtschaftlichen und Handelsinteressen im Ausland zugelassen, deren Leiter die einem Konsul entsprechende Rechtsstellung haben sollen.

7. Die Maßnahmen der Besatzungsmächte beschränken sich grundsätzlich auf allgemeine Überwachung der Tätigkeit der deutschen Organe. Dem deutschen Außenhandel gegenüber kann das Recht der Kontrolle ausgeübt werden, jedoch nur insoweit, als zu befürchten ist, daß die Verpflichtungen, welche die Besatzungsmächte in bezug auf Deutschland eingegangen sind, nicht beachtet oder die für Deutschland verfügbar gemachten Mittel nicht zweckmäßig verwendet werden. Die Kontrolle soll sich nicht darauf erstrecken, 0b die deutschen Maßnahmen technisch richtig und zweckmäßig sind.

Die Kontrolle wird sich weiterhin beziehen können auf die Sicherstellung der noch fälligen deutschen Reparationsverpflichtungen, die Einhaltung der den Stand der deutschen Industrie festgelegten Bestimmungen, die Durchführung der Dekartellisierung, der Abrüstung und Entmilitarisierung sowie auf solche wissenschaftliche Forschungsunternehmen, die der deutschen Kriegswirtschaft gedient haben.

Die Befugnisse einer Internationalen Ruhrbehörde sind nicht Gegenstand dieses Statuts.

8. Anweisungen im Rahmen obiger Bestimmungen werden durch die obersten Stellen der Besatzungsmacht an die oberste deutsche Gebietsbehörde erteilt.

9. Einem ordnungsgemäß erlassenen deutschen Gesetz gegenüber soll von dem Recht des Einspruchs nur Gebrauch gemacht werden, wenn es geeignet ist, die Verwirklichung der Besatzungszwecke zu gefährden. Wenn nicht binnen 21 Tagen nach Erlaß dieses Gesetzes von den Militärgouverneuren gemeinsam Einspruch eingelegt wird, tritt das Gesetz in Kraft.

10. Auf dem Gebiet der Demokratisierung des politischen und sozialen Lebens sowie der Erziehung werden sich die Besatzungsmächte auf Beobachtung, Beratung und Unterstützung beschränken.

11. Die Unabhängigkeit und territoriale und sachliche Universalität der deutschen Rechtspflege wird anerkannt.

12. Die Gerichtsbarkeit der Besatzungsmächte wird beschränkt auf
a) die nichtdeutschen Mitglieder der Besatzungstruppen, die Besatzungsverwaltung sowie deren Familienangehörigen;
b) Verbrechen und Vergehen gegen die Sicherheit oder das Eigentum der Besatzungsmächte oder die Person ihrer Angehörigen.

13. Für Rechtsstreitigkeiten zwischen Deutschen und Angehörigen der Besatzungsmächte werden durch gemischte Gerichte gebildet.

II.

Der deutschen Bevölkerung werden die allgemeinen Menschenrechte sowie die bürgerlichen Rechte und Freiheiten auch den Organen der Besatzungsmächte gegenüber gewährleistet.

III.

1. Natural- und Dienstleistungen können nur in dem Umfange gefordert werden, der notwenig ist, um die Bedürfnisse der Besatzungstruppen und der Besatzungsverwaltung zu befriedigen. Sie müssen im Verhältnis zu den Hilfsquellen des Landes stehen.

2. Art und Umfang der aufzubringenden Natural- und Dienstleistungen sowie die Form ihrer Vergütung werden durch die Militärgouverneure gemeinsam bestimmt. Es ist für Anforderungen und Aufbringung ein besonderes Verfahren zu schaffen, bei dem deutsche Stellen nicht zu beteiligen sind.

3. Die Besatzungskosten für ein Jahr im voraus festzusetzen. Hierauf sind sämtliche deutschen Leistungen nach Ziff. III. 1 bis 2 in Anwendung zu bringen.

Die Kosten müssen in einer festen Summe festgesetzt werden und dürfen eines bestimmten Prozentsatzes der fortdauernden Ausgaben des ordentlichen Haushalts nicht überschreiten. Die Festsetzung wird vom Benehmen mit den zuständigen deutschen Stellen geschaffen werden.

IV.

Für die Durchführung der Sicherstellung der Reparationsleistungen und des Vorgriffs auf die noch festzusetzenden deutschem Reparationsverpflichtungen  sowie für die Durchführung der Restitutionen nicht ein besonderes Verfahren geschaffen werden, das eine gemeinsame Beteiligung deutscher Organe vorsehen wird.

V.

Für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung und Anwendung des Besatzungsstatuts werden Schieds- und Vergleichsstellen geschaffen werden.

Falls die Militärgouverneure die Wiederaufnahme der Ausübung ihrer Machtbefugnisse für notwendig erachten, werden sie dies nur als Notmaßnahme und in gemeinsamer Entschließung, tun sowie nur für den Fall, daß ein Notstand die Sicherheit bedroht oder es erforderlich erscheint, um die Beachtung der Verfassung und des Besatzungsstatut es erzwingen.

 


Quellen: Die staatliche Neuordnung Deutschland, 26. Band, Dokumentenverlag Berlin 1976
von Münch, Dokumente des geteilten Deutschland, Kröner  Verlag Stuttgart 1976
© 24. Mai  2004 - 1. Juni 2004
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