Kontrollratsgesetz Nr. 25
Regelung und Überwachung der naturwissenschaftlicher Forschung

vom 29. April 1946

in Kraft getreten am 7. Mai 1946

geändert durch
Gesetz vom 12. November 1946 (ABl. S. 227)

für die Bundesrepublik Deutschland außer Wirkung gesetzt durch
Artikel 2 des Gesetzes Nr. A-37 der Alliierten Hohen Kommission vom 5. Mai 1955 (ABl. AHK S. 3268)

für die DDR außer Wirkung gesetzt durch
Beschluß des Ministerrats der UdSSR über die Auflösung der Hohen Kommission der Sowjetunion in Deutschland vom 20. September 1955

Um naturwissenschaftliche Forschung für mili­tärische Zwecke und ihre praktische Anwendung für solche Zwecke zu verhindern, und um sie auf anderen Gebieten, wo sie ein Kriegspotential schaffen könnten, zu überwachen und sie in friedliche Bahnen zu lenken, hat der Kontrollrat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel I. Alle technischen militärischen Organisationen werden hiermit aufgelöst und verboten. Gebäude und Ausrüstungen rein militärischen Charakters sind zu zerstören oder zu beseitigen. Gebäude und Ausrüstungen, deren friedensmäßige Verwendung möglich ist, dürfen mit Genehmigung der Militärregierung für solche Zwecke nutzbar gemacht werden.

Artikel II. 1. Angewandte naturwissenschaftliche Forschung ist untersagt auf Gebieten, welche
a) rein oder wesentlich militärischer Natur sind;
b) in dem beigefügten Verzeichnis „A" besonders aufgeführt sind.

2. Angewandte naturwissenschaftliche Forschung auf irgendeinem der in dem beigefügten Verzeichnis „B" besonders aufgeführten Gebieten ist nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Zonenbefehlshabers, in dessen Zone das Forschungsinstitut liegt, zulässig.

Artikel III. 1. Grundlegende naturwissenschaftliche Forschung, rein oder wesentlich militärischer Natur, ist verboten.

2. Grundlegende naturwissenschaftliche Forschung, die nicht rein oder wesentlich militärischer Natur ist, ist nur verboten, soweit zu ihrer Durchführung Einrichtungen benötigt werden, die in Anbetracht ihres Umfangs oder ihrer besonderen oder ihnen eigenen Konstruktion zu angewandter naturwissenschaftlicher Forschung rein oder wesentlich militärischer Natur dienen könnten

Artikel IV. 1. Naturwissenschaftliche Forschung, die nicht gemäß Art. II oder III dieses Gesetzes verboten ist, darf nur in Forschungsinstituten betrieben werden, die von dem zuständigen Zonenbefehlshaber genehmigt sind.

2. Im Rahmen der Bestimmungen dieses Gesetzes kann der zuständige Zonenbefehlshaber alle Maßnahmen - mit Einschluß von Inspektionen - treffen und alle Anordnungen erlassen, die er zur Gewährleistung einer wirksamen Überwachung eines Forschungsinstitutes für notwendig erachtet.

Artikel V. 1. Jedes zugelassene Forschungsinstitut hat dem zuständigen Zonenbefehlshaber folgende Unterlagen einzureichen:
a) alle vier Monate technische Berichte, welche die Gesamttätigkeit des Instituts im einzelnen aufzeigen und genügend Angaben enthalten müssen, so daß Sachverständige die Richtigkeit der mitgeteilten Ergebnisse nachprüfen können, unter Beifügung aller Veröffentlichungen des Instituts und eines vollständigen Berichts, in dem alle behandelten Probleme kurz verzeichnet sein müssen, und aus dem der Bereich der Untersuchung, praktische Verwendungsmöglichkeiten, Herkunft der Geldmittel, Betrag der gemachten Ausgaben, Namen des Leiters sowie alle weiteren vom Zonenbefehlshaber jeweils geforderten Angaben ersichtlich sein müssen.
b) Möglichst gemeinverständlich gehaltene Jahresberichte über die gesamte im Laufe des Jahres geleistete Arbeit.
c) Ein vollständiges Verzeichnis der Anlagen, Apparaturen und Einrichtungen des Forschungsinstituts, nach Verlangen des Zonenbefehlshabers.
d) Vorlage der gesamten Buchführung auf Verlangen des Zonenbefehlshabers.

2. Forschungsinstitute müssen dem Zonenbefehlshaber unter Angabe der in Aussicht genommenen Arbeiten und ihrer möglichen Tragweite schriftlich Meldung erstatten, bevor sie erlaubte Forschungsarbeiten auf den nachstehend bezeichneten Gebieten in Angriff nehmen:
a) Grundlegende naturwissenschaftliche Forschung auf den in Verzeichnis „A" aufge­führten Gebieten;
b) angewandte naturwissenschaftliche Forschung auf Gebieten, die in den Verzeichnissen „A" und „B" nicht aufgeführt sind.

Artikel VI. 1. Das gesamte in einem Forschungsinstitut beschäftigte technische und wissenschaftliche Personal ist bei dem zuständigen Zonenbefehlshaber nach von diesem zu erlassenden Anordnungen zu registrieren.

2. Höhere Angestellte oder Wissenschaftler, die Mitglieder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) oder anderer nationalsozialistischer Organisationen gewesen sind und sich in ihnen aktiv betätigt haben, sind zu entfernen und durch Personen mit einwandfreier politischer Vergangenheit zu ersetzen. Ehemalige naturwissenschaftliche Arbeit sowohl im allgemeinen als auch zur Entwicklung von Waffen stellt für sich allein keinen Grund zur Entlassung oder sonstiger Bestrafung dar.

Artikel VII. Für dieses Gesetz gelten folgende Begriffsbestimmungen:
a) „Angewandte naturwissenschaftliche Forschung" bedeutet:
    I. Forschungsarbeit, welche die industrielle Nutzbarmachung alter oder neuer naturwissenschaftlicher Kenntnisse oder Grundsätze anstrebt;
    II. Die Verwertung der Ergebnisse grundlegender naturwissenschaftlicher Forschung zur Einrichtung von Versuchsanlagen oder zur Entwicklung technischer Vorrichtungen;
    III. Forschungsarbeit, welche die Verbesserung eines bekannten industriellen Herstellungsverfahrens oder einer technischen Einrichtung oder die Einführung eines neuen Verfahrens zur Herstellung irgendeines industriellen Produktes anstrebt, oder
    IV. praktische Anwendungsversuche neuer Vorrichtungen und das Erproben von Herstellungsmustern.
b) „Grundlegende naturwissenschaftliche Forschungsarbeit" bedeutet jede reine Forschungsarbeit auf jedem Gebiet, welche die Entdeckung neuer Erkenntnisse, Theorien, Grundsätze oder Naturgesetze sowie neuer Stoffe oder Zusammensetzungen anstrebt.
c) „Forschungsinstitute" umfaßt alle Forschungsstellen sowie Universitäten, technische Hochschulen, Anstalten, industrielle und sonstige Unternehmen, die eine Forschungsstelle unterhalten.

Artikel VIII. Unbeschadet der durch dieses Gesetz anderen auferlegten Verantwortlichkeit sind der Leiter des Forschungsinstitutes ebenso wie die Vorsteher der einzelnen Abteilungen für die Einhaltung der Bestimmungen dieses Gesetzes verantwortlich.

Artikel IX. Personen, Organisationen oder Personenvereinigungen, die einer der Bestimmungen dieses Gesetzes zuwiderhandeln, unterliegen der strafrechtlichen Verfolgung durch die Gerichte der Militärregierung.

Artikel X. 1. Personen, die einer der Bestimmungen dieses Gesetzes zuwiderhandeln, werden mit einer der folgenden Strafen bestraft:
a) Gefängnis bis zu fünf Jahren,
b) Zuchthaus bis zu fünfzehn Jahren, jedoch nicht unter einem Jahr,
c) in schweren Fällen Zuchthaus auf Lebenszeit oder Todesstrafe.
Gleichzeitig kann  ihr Vermögen ganz oder teilweise eingezogen werden.

2. Gegen eine Organisation oder ein Forschungsinstitut, das einer der Bestimmungen dieses Ge­setzes zuwiderhandelt, kann das Gericht Ver­mögenseinziehung und Auflösung anordnen.

Artikel XI. Dieses Gesetz tritt am Tage seiner Verkündung in Kraft.

für die drei Westzonen ergingen als Ausführungsbestimmungen das Gesetz Nr. 23 der amerikanischen und britischen Militärregierung und Verordnung Nr. 231 des Hohen Kommissars der Französischen Republik, die sämtliche durch das Gesetz Nr. A-38 der Alliierten Hohen Kommission vom 5. Mai 1955 aufgehoben wurden.

    Ausgefertigt in Berlin, den 29. April 1946.

(Die in den drei offiziellen Sprachen abgefaßten Originaltexte dieses Gesetzes sind von Joseph T. McNarney, General, Montgomery of Alamein, Feldmarschall, P. Koenig, Armeekorpsgeneral, und V. Sokolowsky, General der Armee, unterzeichnet.)

 

VERZEICHNIS „A"
Unter das Verbot fallende angewandte naturwissenschaftliche Forschung

 

1. Angewandte Kernphysik.

2. Angewandte Aerodynamik, Bauplanung für Luftfahrt und Antriebmaschinen von Luftfahrzeugen.

3. Raketenantrieb; Düsenantrieb und Gasturbinen.

4. Angewandte Hydrodynamik, insbesondere Unterwasserakustik und Antrieb von Wasserfahrzeugen.

5. Schiffsbau und das Verhalten von Schiffen.

6. Elektromagnetische, infrarote und akustische Strahlung, die bezweckt:

    a) das Auffinden von Gegenständen und Hindernissen; oder

    b) die Standortbestimmung von Fahrzeugen. Luftfahrzeugen, Schiffen, Unterseebooten oder Geschossen oder

    c) selbsttätige Steuerung und Fernsteuerung von Fahrzeugen, Luftfahrzeugen, Schiffen, Unterseebooten oder Geschossen; oder

    d) die Vernichtung von lebender Substanz; Untersuchungen zu rein medizinischen Zwecken oder zur Sicherung der allgemeinen Gesundheit bleiben hiervon unberührt.

9. Verschlüsselung mit Hilfe von Elektronen und die Vervollkommnung der Abhörsicherheit von Ferngesprächen.

8. Die im Verzeichnis „C" besonders bezeichneten Chemikalien.

9. Die Herstellungs- (aber nicht Verwertungs-) methoden der im Verzeichnis „D" aufgeführten Chemikalien.

VERZEICHNIS „B"
Angewandte naturwissenschaftliche Forschung, die vorherige Genehmigung erfordert

1. Elektromagnetische, infrarote und akustische Strahlung, die bezweckt:

    a) Nachrichtenübermittlung auf telephonischem oder telegraphischem Wege; oder

    b) Errichtung von öffentlichen Rundfunk- oder Fernsehdienst-Anlagen; oder

    c) Ermittlung ortsfester Sender durch Anpeilen; oder

    d) andere Anwendungen, die nicht gemäß Verzeichnis „A" unzulässig sind.

2. Röhren oder andere Elektronen aussendende Vorrichtungen, sowohl thermionische Emission als auch mit Hilfe von kalten Elektronen

3. Sprengstoffe zu Industriezwecken.

4. Kugel- und Rollenlager.

5. Durch Hochdruckhydrierung erzeugtes Ammoniak und Methylalkohol.

6. Synthetische Öle.

7. Radioaktivität für andere als medizinische Zwecke.

8. Synthetischer Gummi.

9. Die Verwertungsmethoden für die in Verzeich­nis „D" aufgeführten Chemikalien.

VERZEICHNIS „C"
Chemikalien, deren angewandte naturwissenschaftliche Erforschung nicht erlaubt ist

Hochexplosive Sprengstoffe.

    Anmerkung: Unter „hochexplosiven Sprengstoffen" sind organische Sprengstoffe zu verstehen, die zur Füllung von Bomben, Granaten usw. benutzt werden.

 

Kombinierte Treibpulver (d. h. Nitrozellulosetreibpulver, welche Nitroglyzerin, Diaethylenglycoldinitrat oder entsprechende Substanzen enthalten).

 

Einfache Treibpulver.

Nitro-Guanidin.

Nitro-Glyzerin.

Initialsprengstoffe.

Dinitrotoluol.

Giftgase zur Kriegführung (einschließlich aller festen und flüssigen Kampfstoffe, die gewöhnlich darunter verstanden werden). Ausgenommen davon sind:

    Chlor

    Phosgen

    Blausäure

    Chlor-Ketone

    Halogenierte Carbonsäuren und ihre Ester

    Cyanhalogenide

    Tränenerregende Halogendervirate von Kohlenwasserstoffen.

 

Raketentreibstoffe:

    Wasserstoff-Peroxyd von mehr als 50 % Konzentration

    Hydrazin-hydrat

    Methylnitrat

 

Hochgiftige Stoffe bakteriologischen oder pflanzlichen Ursprungs (ausgenommen solche Stoffe bakterischen oder pflanzlichen Ursprungs die für therapeutische Zwecke verwendet werden).

 

Durch Gesetz vom 12. November 1946 wurde im Verzeichnis C unter "Raketentreibstoffe" die Zahl "50 %" ersetzt durch: "37 %".

VERZEICHNIS „D"
Chemikalien, für welche die angewandte natur­wissenschaftliche Forschung, soweit sie sich auf Herstellungsmethoden bezieht, verboten ist, und soweit sie sich auf Verwertungsmethoden bezieht, vorheriger Genehmigung bedarf

Nitrozellulose.

Giftgase, deren Verwendung für Kriegszwecke möglich ist:

    Chlor
    Phosgen

    Blausäure

    Chlor-Ketone

    Halogenierte Carbonsäuren und ihre Ester

    Cyanhalogenide

    Tränenerregende Halogendervirate von Kohlenwasserstoffen.

Wasserstoffperoxyd von 50 % Konzentration und darunter

Flüssiger Sauerstoff

Aktivkohle

Weißer Phosphor

Brandsätze, z. B. Thermit

Raucherzeugende Substanzen, z. B Titantetrachlorid und Siliciumtetrachlorid.

 

Durch Gesetz vom 12. November 1946 wurde im Verzeichnis D unter "Wasserstoffperoxyd" die Zahl "50 %" ersetzt durch: "37 %".

 


Quellen: Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland S. 138, ber. S. 241
© 1. Mai 2004 - 7. Juni 2004
Home                  Top