Erlaß des Führers und Reichskanzlers über das Protektorat Böhmen und Mähren

vom  16. März 1939.

Ein Jahrtausend lang gehörten zum Lebensraum des deutschen Volkes die böhmisch-mährischen Länder. Gewalt und Unverstand haben sie aus ihrer alten, historischen Umgebung willkürlich gerissen und schließlich durch ihre Einfügung in das künstliche Gebilde der Tschecho-Slowakei den Herd einer ständigen Unruhe geschaffen. Von Jahr zu Jahr vergrößerte sich die Gefahr, daß aus diesem Raum heraus - wie schon einmal in der Vergangenheit - eine neue ungeheuerliche Bedrohung des europäischen Friedens kommen würde. Denn dem tschecho-slowakischen Staat und seinen Machthabern war es nicht gelungen, das Zusammenleben der in ihm willkürlich vereinten Völkergruppen vernünftig zu organisieren und damit das Interesse aller Beteiligten an der Aufrechterhaltung ihres gemeinsamen Staates zu erwecken und zu erhalten. Er hat dadurch aber seine innere Lebensunfähigkeit erweisen und ist deshalb nunmehr auch der tatsächlichen Auflösung verfallen.

Das Deutsche Reich kann in diesen für seine eigene Ruhe und Sicherheit sowie für das allgemeine Wohlergehen und den allgemeinen Frieden so entscheidend wichtigen Gebieten keine andauernden Störungen dulden. Früher oder später müßte es als die durch die Geschichte und geographische Lage am stärksten interessierte und in Mitleidenschaft gezogene Macht die schwersten Folgen zu tragen haben. Es entspricht daher dem Gebot der Selbsterhaltung, wenn das Deutsche Reich entschlossen ist, zur Wiederherstellung der Grundlagen einer vernünftigen mitteleuropäischen Ordnung entscheidend einzugreifen und die sich daraus ergebenden Anordnungen zu treffen. Denn es hat in seiner tausendjährigen geschichtlichen Vergangenheit bereits bewiesen, daß es dank sowohl der Größe als auch der Eigenschaften des deutschen Volkes allein berufen ist, diese Aufgabe zu lösen.

Erfüllt von dem ernsten Wunsch, den wahren Interessen der in diesem Lebensraum wohnenden Völker zu dienen, das nationale Eigenleben des deutschen und des tschechischen Volkes sicherzustellen, dem Frieden und der sozialen Wohlfahrt aller zu nützen, ordne ich daher namens des Deutschen Reiches als Grundlage für das künftige Zusammenleben der Bewohner dieser Gebiete das Folgende an:

Artikel 1. (1) Die von den deutschen Truppen im März 1939 besetzten Landesteile der ehemaligen Tschecho-Slowakischen Republik gehören von jetzt ab zum Gebiet des Großdeutschen Reiches und treten als "Protektorat Böhmen und Mähren" unter dessen Schutz.

(2) Soweit die Verteidigung des Reiches es erfordert, trifft der Führer und Reichskanzler für einzelne Teile dieser Gebiete eine hiervon abweichende Regelung.

Artikel 2. (1) Die volksdeutschen Bewohner des Protektorates werden deutsche Staatsangehörige und nach den Vorschriften des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 (RGBl. I. S. 1146) Reichsbürger. Für sie gelten daher auch die Bestimmungen zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre. Sie unterstehen deutscher Gerichtsbarkeit.

(2) Die übrigen Bewohner von Böhmen und Mähren werden Staatsangehörige des Protektorats Böhmen und Mähren.

Artikel 3. (1) Das Protektorat Böhmen und Mähren ist autonom und verwaltet sich selbst.

(2) Es übt seine ihm im Rahmen des Protektorats zustehenden Hoheitsrechte im Einklang mit den politischen, militärischen und wirtschaftlichen Belangen des Reiches aus.

(3) Diese Hoheitsrechte werden durch eigene Organe und eigene Behörden mit eigenen Beamten wahrgenommen.

Artikel 4. Das Oberhaupt der autonomen Verwaltung des Protektorates Böhmen und Mähren genießt den Schutz und die Ehrenrechte eines Staatsoberhauptes. Das Oberhaupt des Protektorates bedarf für die Ausübung seines Amtes des Vertrauens des Führers und Reichskanzlers.

Artikel 5. (1) Als Wahrer der Reichsinteressen ernennt der Führer und Reichskanzler einen "Reichsprotektor in Böhmen und Mähren". Sein Amtssitz ist Prag.

(2) Der Reichsprotektor hat als Vertreter des Führers und Reichskanzlers und als Beauftragter der Reichsregierung die Aufgabe, für die Beachtung der politischen Richtlinien des Führers und Reichskanzlers zu sorgen.

(3) Die Mitglieder der Regierung des Protektorates werden vom Reichsprotektor bestätigt. Die Bestätigung kann zurückgenommen werden.

(4) Der Reichsprotektor ist befugt, sich über alle Maßnahmen der Regierung des Protektorates unterrichten zu lassen und ihr Ratschläge zu erteilen. Er kann gegen Maßnahmen, die das Reich zu schädigen geeignet sind, Einspruch einlegen und bei Gefahr im Verzuge die im gemeinsamen Interesse notwendigen Anordnungen treffen.

(5) Die Verkündung von Gesetzen, Verordnungen und sonstigen Rechtsvorschriften sowie der Vollzug von Verwaltungsmaßnahmen und rechtskräftigen gerichtlichen Urteilen sind auszusetzen, wenn der Reichsprotektor Einspruch einlegt.

Artikel 6. (1) Die auswärtigen Angelegenheiten des Protektorates, insbesondere den Schutz seiner Staatsangehörigen im Ausland, nimmt das Reich wahr. Das Reich wird die auswärtigen Angelegenheiten so führen, wie es dem gemeinsamen Interesse entspricht.

(2) Das Protektorat erhält einen Vertreter bei der Reichsregierung mit der Amtsbezeichnung "Gesandter".

Artikel 7. (1) Das Reich gewährt dem Protektorat den militärischen Schutz.

(2) In Ausübung dieses Schutzes unterhält das Reich im Protektorat Garnisonen und militärische Anlagen.

(3) Für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Ordnung kann das Protektorat eigene Verbände aufstellen. Organisation, Stärkezahl und Bewaffnung bestimmt die Reichsregierung.

Artikel 8. Das Reich führt die unmittelbare Aufsicht über das Verkehrswesen sowie das Post- und Fernmeldewesen.

Artikel 9. Das Protektorat gehört zum Zollgebiet des Deutschen Reiches und untersteht seiner Zollhoheit.

Artikel 10. (1) Gesetzliches Zahlungsmittel ist neben der Reichsmark bis auf weiteres die Krone.

(2) Das Verhältnis beider Währungen zueinander bestimmt die Reichsregierung.

siehe hierzu die Verordnung vom 21. März 1939 (RGBl. I. S. 555).

Artikel 11. (1) Das Reich kann Rechtsvorschriften mit Gültigkeit für das Protektorat erlassen, soweit das gemeinsame Interesse es erfordert.

(2) Soweit ein gemeinsames Bedürfnis besteht, kann das Reich Verwaltungszweige in eigene Verwaltung übernehmen und die dafür erforderlichen reichseigenen Behörden einrichten.

(3) Die Reichsregierung kann die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung erforderlichen Maßnahmen treffen.

Artikel 12. Das derzeit in Böhmen und Mähren geltende Recht bleibt in Kraft, soweit es nicht dem Sinne der Übernahme des Schutzes durch das Deutsche Reich widerspricht.

Artikel 13. Der Reichsminister des Innern erläßt im Einvernehmen mit den beteiligten Reichsministern die zur Durchführung und Ergänzung dieses Erlasses erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften.

siehe hierzu die Verordnungen vom 22. März 1939 (RGBl. I. S. 549) und vom 3. April 1939 (RGBl. I. S. 704) sowie die Verordnungen vom 7. Juni 1939 (RGBl. I. S. 1039, betr. das Rechtsetzungsrecht), vom 13. Juni 1939 (RGBl. I. S. 1012, ber. S. 1038, betr. der Neuordnung und Abwicklung von Organisationen), vom 12. Juli 1939 (RGBl. I. S. 1237, betr. der Rechtsverhältnisse an Gegenständen der ehemaligen tschecho-slowakischen Wehrmacht), vom 1. September 1939 (RGBl. I. S. 1681, betr. den Aufbau und die Verwaltung und der Sicherheitspolizei), vom 27. September 1939 (RGBl. I. S. 1949) und vom 24. Juni 1942 (RGBl. I. S. 415, betr. Fortführung gerichtlicher Verfahren).

siehe auch die Erlasse vom 27. September 1941 (RGBl. I. S. 591) und vom 7. Mai 1942 (RGBl. I. S. 329) sowie die Verlautbarung vom 4. Oktober 1941 (RGBl. II. 1942 S. 195, betr. das Staatsvermögen und die -schuld der tschecho-slowakischen Republik).

    Berlin, den 16. März 1939.

Der Führer und Reichskanzler
Adolf Hitler

Der Reichsminister des Innern
Frick

Der Reichsminister des Auswärtigen
von Ribbentrop

Der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei
Dr. Lammers

 


Quelle: Reichsgesetzblatt 1939 I S. 485
Dr. Dr. A. Dehlinger, Systematische Übersicht über 76 Jhg. RGBl. (1867-1942), Kohlhammer Stuttgart 1943
Schönfelder, Deutsche Reichsgesetze, Beck 1944
Hinweis
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