Gesetz über die Wahlen zur Volkskammer, zu den Landtagen, Kreistagen und Gemeindevertretungen in der Deutschen Demokratischen Republik am 15. Oktober 1950

vom 9. August 1950

faktisch aufgehoben durch
Gesetz über die Wahlen zur Volkskammer der DDR vom 4. August 1954 (GBl. S. 667)
Gesetz über die Wahlen zu den Bezirkstagen vom 4. August 1954 (GBl. S. 672)

Die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik am 7. Oktober 1949 war ein Akt von geschichtlicher Bedeutung für das ganze deutsche Volk und darüber hinaus für ganz Europa. Zum ersten Male in der Geschichte Deutschlands wurde ein Staat geschaffen, der dem Frieden und dem Wohle des schaffenden Volkes dient und auf einer demokratischen Ordnung beruht. Seine Gründung wurde möglich, weil die Sowjetarmee die Hitlerherrschaft vernichtet hatte und die Sowjetregierung durch ihre Besatzungsorgane die demokratische Umgestaltung Deutschlands förderte und schützte. In der früheren sowjetischen Besatzungszone konnte das deutsche Volk in Landwirtschaft und Industrie, im Staats- und Kulturleben große demokratische Reformen durchführen. So entstand die antifaschistisch-demokratische Ordnung. Ihr Staat ist die Deutsche Demokratische Republik.

Eine durchaus andere Entwicklung erzwangen die imperialistischen Westmächte in ihrem Besatzungsbereich. Sie brachten der deutschen Bevölkerung nationale Entmündigung, politische Knechtung, wirtschaftliche Drosselung und kulturellen Verfall. Sie stützten sich dabei auf die reaktionären Kräfte des deutschen Imperialismus. Die imperialistischen Westmächte brachen das Potsdamer Abkommen, spalteten Deutschland und bildeten aus den losgetrennten Gebieten einen halbkolonialen Separatstaat. Seine wahre Verfassung ist das Besatzungsstatut, seine wahre Regierung sind die Hohen Kommissare, sein allmächtiger Präsident ist der Amerikaner McCloy. Unter seinem Kommando wird Westdeutschland zum Rüstungsarsenal und Aufmarschgebiet für den amerikanischen Krieg gegen die Deutsche Demokratische Republik, die volksdemokratischen Länder und die Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken gemacht. In Westdeutschland ist aus der Besatzung eine halbkoloniale Herrschaft imperialistischer Eroberer geworden.

Der von den imperialistischen Westmächten herbeigeführte nationale Notstand machte es dem Deutschen Volksrat zur Pflicht, die Lebensrechte der deutschen Nation zu wahren. Mit diesem Ziel setzte der Deutsche Volksrat am 7: Oktober 1949 die unter Mitarbeit des ganzen Volkes geschaffene und vom Deutschen Volkskongreß gebilligte Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik in Kraft. Gemäß der Verfassung konstituierte er sich als Provisorische Volkskammer, wobei er gleichzeitig den Beschluß faßte, am 15. Oktober 1950 allgemeine Wahlen durchzuführen.

Nach Artikel 51 und Artikel 109 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik sind die Abgeordneten in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts zu wählen. Vereinigungen, die die demokratische Gestaltung des öffentlichen Lebens auf der Grundlage der Verfassung satzungsgemäß erstreben und deren Organe durch ihre Mitglieder bestimmt werden, sind nach Artikel 13 der Verfassung berechtigt, Wahlvorschläge für die Volksvertretungen einzureichen. Diese Vereinigungen haben also auch das verfassungsmäßige Recht, ihre Wahlvorschläge gemeinsam aufzustellen.

Aus nationaler Verantwortung und zur Sicherung des Aufbauwerkes der Republik hat der Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien und Organisationen von seinem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch gemacht und beschlossen, die Wahlen auf der Grundlage eines gemeinsamen Wahlprogramms mit gemeinsamen Kandidatenlisten der Nationalen Front des demokratischen Deutschland durchzuführen. Frei von kleinlichem Hader eigensüchtiger Interessengruppen werden die Wahlen am 15. Oktober 1950 so zu wahrhaft freien Volkswahlen.

Die Wahlberechtigten unserer Republik werden am 15. Oktober 1950 zur Stellungnahme zu den Grundfragen der deutschen Nation aufgerufen, für Sicherung des Friedens, demokratische Einheit Deutschlands, Friedensvertrag mit ganz Deutschland und Abzug der Besatzungstruppen, demokratischen Aufbau einer unabhängigen deutschen Friedenswirtschaft, Verbesserung der Lebensverhältnisse der Bevölkerung aus eigener Kraft, Ausbau und Festigung der demokratischen Ordnung, Wahrung und Entfaltung der deutschen Kultur.

In Westdeutschland haben die imperialistischen Besatzungsmächte mit Besatzungsstatut und Sicherheitsbehörde, mit Ruhrstatut und Schumann-Plan dem deutschen Volke die Möglichkeit genommen, über die Grundfragen seiner nationalen Existenz selbst zu entscheiden. Die Diktatur der imperialistischen Besatzungsmächte hat dort dem deutschen Volke das Recht geraubt, sich frei von Furcht und Sorge zum Frieden, zur nationalen Unabhängigkeit -und echten Demokratie zu bekennen. So werden die Wähler in der Deutschen Demokratischen Republik am 15. Oktober ihre Stimme auch für ihre Brüder und Schwestern in Westdeutschland erheben. Die Wahlen werden damit, zu einem Gelöbnis aller demokratischen und patriotischen Kräfte, nicht eher zu ruhen, bis ganz Deutschland einig und frei zu einem Vaterlande des Friedens lind der Demokratie geworden ist.

Erfüllt von der Zuversicht in den Sieg der Nationalen Front des demokratischen Deutschland, im Vertrauen auf eine glückliche Zukunft unseres Volkes, hat die Provisorische Volkskammer in Durchführung des Artikels 52 der Verfassung folgendes Gesetz beschlossen:

I. Tag der Wahlen

§ 1. Die allgemeine, gleiche, unmittelbare und geheime Wähl zur Volkskammer, zu den Landtagen, Kreistagen und Gemeindevertretungen wird am 15. Oktober 1950 nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts in einem Wahlakt durchgeführt.

II. Zusammensetzung der Vertretungskörperschaften

(1) Für die Volkskammer werden 400 Abgeordnete gewählt.

(2) Für den Landtag werden gewählt:
120 Abgeordnete in Sachsen,
110 Abgeordnete in Sachsen-Anhalt,
100 Abgeordnete in Thüringen,
100 Abgeordnete in Brandenburg,
90 Abgeordnete in Mecklenburg.

(3) Für die Kreistage werden gewählt in Kreisen mit einer Bevölkerungszahl
bis zu 50 000 Einwohnern 30 Abgeordnete,
bis zu 70 000 Einwohnern 40 Abgeordnete,
bis zu 100 000 Einwohnern 50 Abgeordnete.
Bei einer Bevölkerungszahl von über 100 000 Einwohnern ist auf jeweils 20 000 Einwohner zusätzlich je ein Abgeordneter zu wählen.

(4) Für die; Gemeindevertretung sind zu wählen in Gemeinden mit einer Bevölkerungszahl
bis zu 500 Einwohnern 9 Abgeordnete,
bis zu 1 000 Einwohnern 12 Abgeordnete,
bis zu 5 000 Einwohnern 16 Abgeordnete,
bis zu 10 000 Einwohnern 20 Abgeordnete,
bis zu 25 000 Einwohnern 30 Abgeordnete,
bis zu 50 000 Einwohnern 40 Abgeordnete,
bis zu 100 000 Einwohnen 50 Abgeordnete,
bis zu 200 000 Einwohnern 60 Abgeordnete,
bis zu 300 000 Einwohnern 70 Abgeordnete,
bis zu 500 000 Einwohnern 80 Abgeordnete,
bis zu 750 000 Einwohnern 90 Abgeordnete,
über 750 000 Einwohner 100 Abgeordnete.

III. Wahlberechtigung, Wählbarkeit

§ 3. (1) Wahlberechtigt sind alle Männer und Frauen deutscher Staatsangehörigkeit, die am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet und ihren Wohnsitz im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik haben (Artikel 52 der Verfassung):

(2) Wählen kann nur, wer in einer Wählerliste eingetragen oder im Besitz eines Wahlscheines ist (§ 19).

(3} Wählbar sind alle Männer und Frauen deutscher Staatsangehörigkeit, die am 15. Oktober 1950 das 21. Lebensjahr vollendet und ihren Wohnsitz im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik oder von Groß-Berlin haben.

§ 4. (1) Wahlberechtigte deutsche Staatsangehörige; die sich am Wahltage in einem ausländischen Staate aufhalten, in dem die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik durch eine Diplomatische Mission vertreten ist, können zur Volkskammer in den Räumen der Diplomatischen Mission wählen.

(2) Der Chef der Diplomatischen Mission oder sein Vertreter ist für die Wahlvorbereitung verantwortlich.

(3) Die Wahlhandlung wird von einem Ausschuß geleitet. Der Ausschuß besteht aus drei Personen, die von den Angehörigen und Angestellten der Diplomatischen Mission aus ihren Reihen gewählt werden.

(4) Wählerlisten werden nicht angelegt. Vor der Stimmabgabe ist das Wahlrecht des Wählers festzustellen und bei Zulassung zur Wahl sein Name, in einer Liste zu vermerken.

§ 5. Nicht wahlberechtigt und nicht wählbar ist,
1. wer als Kriegs- oder Naziverbrecher oder wegen eines Angriffes auf die politischen Grundlagen unserer antifaschistisch-demokratischen Ordnung unter Anklage steht oder verurteilt worden ist, soweit er nicht unter das Gesetz vom 11. November 1949 über den Erlaß von Sühnemaßnahmen und die Gewährung staatsbürgerlicher Rechte für ehemalige Mitglieder und Anhänger der Nazipartei und Offiziere der faschistischen Wehrmacht (GBl. S. 59) fällt;
2. wer entmündigt ist oder unter vorläufiger Vormundschaft oder wegen geistigen Gebrechens unter Pflegschaft steht;
3. wer die bürgerlichen Ehrenrechte nicht besitzt.

§ 6. In der Ausübung ihres Wahlrechtes sind behindert:
1. Geisteskranke und Schwachsinnige, die sich in Heil- und Pflegeanstalten befinden;
2. Straf- und Untersuchungsgefangene;
3. Personen, die sich auf Anordnung richterlicher oder polizeilicher Organe in Haft befinden.

IV. Wahlgebiete und Wahlleiter

§ 7. Wahlgebiete sind:
1. die Republik,
2. die Länder,
3. die Stadt- und Landkreise,
4. die Gemeinden.

§ 8. (1) Wahlleiter der Republik ist der Minister des Innern der Deutschen Demokratischen Republik. Der Minister ernennt seinen stellvertretenden Wahlleiter.

(2) Dem Wahlleiter der Republik obliegen die Durchführung des Verfahrens über die Einreichung von Wahlvorschlägen und die Vorprüfung und Feststellung des Wahlergebnisses zu den Wahlen der Volkskammer.

§ 9. (1) Wahlleiter des Landes ist der Minister des Innern des Landes. Der Minister ernennt den stellvertretenden Wahlleiter.

(2) Dem Wahlleiter des Landes obliegen die Durchführung des Verfahrens über die Einreichung von Wahlvorschlägen und die Vorprüfung und Feststellung des Wahlergebnisses der Wahl für den Landtag.

§ 10. (1) Wahlleiter des Landkreises ist der Landrat, Wahlleiter des Stadtkreises ist der Oberbürgermeister. Die Landräte und Oberbürgermeister ernennen ihre stellvertretenden Wahlleiter.

(2) Den Wahlleitern der Land- und Stadtkreise obliegen die Durchführung des Verfahrens über die Einreichung von Wahlvorschlägen und die Vorprüfung und Feststellung des Wahlergebnisses für die Wahl zu den Kreistagen und zu den Stadtverordnetenversammlungen.

§ 11. (1) Wahlleiter in den Gemeinden ist der Bürgermeister; er ernennt den stellvertretenden Wahlleiter.

(2) Dem Wahlleiter der Gemeinde obliegen die Durchführung des Verfahrens über die Einreichung von Wahlvorschlägen und die Vorprüfung und Feststellung des Ergebnisses der Wahl zur Gemeindevertretung.

§ 12. (1) Der Wahlleiter ist für die Wahlvorbereitung verantwortlich.

(2) Dem Wahlleiter der Republik obliegen insbesondere folgende Aufgaben:
1. die Anweisung für die Herstellung der Stimmzettel, der Formulare für die Wahlprotokolle, Wählerlisten, Berichte u. ä.;
2. die Organisation der Übermittlung der Wahlergebnisse und ihre Bekanngabe;
3. die Kontrolle und Überprüfung der technischen Wahlvorbereitungen.

(3) Dem Wahlleiter des Landes obliegen insbesondere die Kontrolle und Anleitung der Wahlleiter der Land- und Stadtkreise und Gemeinden.

(4) Den Wahlleitern der Land- und Stadtkreise und der Gemeinden obliegen insbesondere folgende Aufgaben:
1. Aufstellung von Wählerlisten;
2. Auslegung von Wählerlisten und deren Bekanntgabe;
3. Abschluß der Wählerlisten und Einsendung an den Wahlvorsteher;
4. Bildung der Wahlbezirke;
5. Bestimmung der Wahlräume und deren würdige Ausgestaltung;
6. Bekanntgabe des Ortes und der Zeit der Wahlhandlung;
7. Bekanntgabe der Bestellung des Wahlvorstandes.

V. Wahlausschüsse

§ 13. (1) Für die Wahl werden spätestens 40 Tage vor der Wahl Wahlausschüsse gebildet:
l. für die Republik durch die Regierung der Republik;
2. für das Land durch die Landesregierung;
3. für die Land- und Stadtkreise durch den Rat des Kreises bzw. durch den Rat der Stadt;
4. für die Gemeinden durch den Rat der Gemeinde.

(2) Für die Wahlen zur Volkskammer und zu den Landtagen sollen die Wahlausschüsse bereits 60 Tage vor der Wahl gebildet sein.

(3) Die Wahlausschüsse bestehen aus dem Wahlleiter als Vorsitzendem, mindestens sechs Beisitzern aus dem Kreis der Wahlberechtigten und einem nicht stimmberechtigten Schriftführer. Für jeden Beisitzer und den Schriftführer ist ein Vertreter zu bestellen, der im Falle der Behinderung oder des Ausscheidens des Beisitzers oder Schriftführers für ihn einzutreten hat.

(4) Der Wahlausschuß wird vom Wahlleiter einberufen.

§ 14. Die Wahlausschüsse haben über Einsprüche gegen die Wählerlisten und gegen die Wählbarkeit zu entscheiden und das Wahlergebnis bekanntzugeben.

§ 15. Der Wahlausschuß beschließt mit einfacher Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.

VI. Wahlbezirke

§ 16. (1) Die Stimmabgabe erfolgt in den Wahlbezirken. Jede Gemeinde bildet mindestens einen Wahlbezirk.

(2) Soweit erforderlich, haben die Wahlleiter der Gemeinden und Stadtkreise ihr Wahlgebiet in Wahlbezirke von angemessener Größe einzuteilen. Ein Wahlbezirk soll nicht mehr als 2500 Einwohner umfassen.

(3) Für Kranken- und Pflegeanstalten mit einer größeren Anzahl von Wahlberechtigten können selbständige Wahlbezirke gebildet werden.

VII. Wahlvorstand

§ 17. (1) Für jeden Wahlbezirk wird ein Wahlvorstand gebildet. Er besteht aus dem Vorsteher, seinem Stellvertreter, mindestens drei Beisitzern und dem nicht stimmberechtigten Schriftführer.

(2) Für jeden Beisitzer und den Schriftführer ist ein Vertreter zu bestellen, der im Falle des Ausscheidens oder der Behinderung des Beisitzers bzw. Schriftführers für diesen einzutreten hat.

§ 18. (1) Der Wahlvorstand tritt auf Einladung durch den Wahlvorsteher am Wahltage zu Beginn der Wahlhandlung im Wahlraum zusammen.

(2) Er führt die Wahlhandlung im Wahlbezirk durch und stellt das Abstimmungsergebnis fest.

(3) Der Wahlvorstand ist bei Anwesenheit von mindestens drei Mitgliedern, unter denen sich stets der Wahlvorsteher oder sein Stellvertreter befinden muß, beschlußfähig. Er beschließt mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.

VIII. Wählerlisten

§ 13. (1) Die Wahlleiter in Gemeinden und Stadtkreisen haben Listen der in ihrem Wahlgebiet wohnenden Wahlberechtigten nach Wahlbezirken so rechtzeitig aufzustellen, daß sie spätestens vier Wochen vor dem Wahltage ausgelegt werden können.

(2) Soweit mehrere Wahlbezirke gebildet werden, ist die Wählerliste in jedem Wahlbezirk gesondert aufzustellen.

(3) Jeder Wahlberechtigte kann nur in dem Wahlbezirk wählen, in dessen Wählerliste er eingetragen ist; das gilt nicht für Inhaber eines Wahlscheines.

(4) Inhaber von Wahlscheinen können an jedem Ort der Deutschen Demokratischen Republik wählen.

§ 20. (1) Die Wählerliste hat Zu- und Vornamen, Alter und Wohnung der Wahlberechtigten in alphabetischer Ordnung unter fortlaufender Nummer zu enthalten. Die Listen können auch in der Art angelegt werden, daß die Straßen nach der alphabetischen Reihenfolge, innerhalb der Straßen oder Ortsbezirke die Häuser nach ihren Nummern und innerhalb jedes Hauses die Wähler eingetragen werden.

(2) Der Wahlleiter der Republik bestimmt, von welchem Tage ab und für welche Zeit die Wählerlisten auszulegen sind. Die Wahlleiter der Stadtkreise und Gemeinden haben in ortsüblicher Weise bekanntzumachen, wo und zu welchen Tagesstunden die Wählerliste zu jedermanns Einsicht ausgelegt wird, sowie innerhalb welcher Zeit und in welcher Weise Einspruch gegen die Wählerliste erhoben werden kann. Vor der Eintragung jedes einzelnen Bürgers ist dessen Wahlrecht genau zu prüfen.

§ 21. (1) Jeder Wahlberechtigte, der die Wählerliste für unrichtig oder unvollständig hält oder davon Kenntnis erhält, daß die Voraussetzungen der Wahlberechtigung bei einem in der Wählerliste eingetragenen Bürger nicht oder nicht mehr vorliegen, hat dies dem Wahlleiter unverzüglich anzuzeigen.

(2) Stellt der Wahlleiter fest, daß die Wählerliste unrichtig oder unvollständig ist, so hat er diese entsprechend zu berichtigen. Soll dabei ein Bürger in der Wählerliste gestrichen werden, so ist diesem vorher Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Von einer etwaigen Streichung in der Wählerliste ist er unverzüglich zu benachrichtigen.

§ 22. (1) Gegen jede Änderung der Wählerliste durch den Wahlleiter steht dem Betroffenen der Einspruch an den Wahlausschuß zu.

(2) Der Einspruch an den Wahlausschuß gegen die Entscheidung des Wahlleiters steht auch dem zu, der dem Wahlleiter eine Mitteilung gemäß § 21 Abs. 1 gemacht hat, wenn der Wahlleiter die entsprechende Berichtigung der Wählerliste abgelehnt hat.

§ 23. Im Falle einer Berichtigung der Wählerliste sind die Gründe in Spalte "Bemerkungen" einzutragen; Ergänzungen sind im Nachtrag zur Wählerliste aufzunehmen.

§ 24. (1) Die Wählerliste ist vom Wahlleiter abzuschließen. Hierbei hat er zu bescheinigen, wie lange die Wählerliste ausgelegen hat und wieviel wahlberechtigte Bürger eingetragen sind.

(Z) Der Wahlleiter hat die Wählerliste rechtzeitig dem Wahlvorstand zu übersenden.

(3) Falls noch Entscheidungen über vorgelegte Einsprüche ausstehen, müssen die Entscheidungen den Beteiligten so rechtzeitig zugestellt werden, daß über ihre Wahlberechtigung eine besondere Bescheinigung (Wahlschein) ausgestellt werden kann.

IX. Wahlvorschläge

§ 25. Die Wahlleiter fordern zur Einreichung der Wahlvorschläge auf. Die Bekanntmachung muß spätestens 40 Tage vor dem Wahltag erfolgen.

§ 26. (1) Wahlvorschläge für die Volkskammer dürfen nur die Vereinigungen aufstellen, die nach ihrer Satzung die demokratische Gestaltung des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens der gesamten Republik erstreben und deren Organisation das ganze Staatsgebiet umfaßt (Artikel 13 Abs. 2 und Artikel 53 der Verfassung).

(2) Wahlvorschläge für die Volksvertretungen der Länder, Kreise und Gemeinden dürfen nur die Vereinigungen aufstellen, die die demokratische Gestaltung des öffentlichen Lebens auf der Grundlage der Verfassung satzungsgemäß erstreben und deren Organe durch ihre Mitglieder bestimmt werden (Artikel 13 Abs. 1 der Verfassung).

§ 27. Die im § 26 zur Einreichung von Wahlvorschlägen berechtigten Vereinigungen haben das Recht, gemeinsame Wahlvorschläge einzubringen.

§ 28. (1) Die Wahlvorschläge sind bei dem Wahlleiter spätestens am 30. Tage vor dem Wahltag schriftlich einzureichen.

(2) In dem Wahlvorschlag sollen die Kandidaten mit Zu- und Vornamen aufgeführt und ihr Beruf sowie ihre Wohnung so deutlich angegeben werden, daß über ihre Persönlichkeit kein Zweifel besteht.

(3) Mit dem Wahlvorschlag sind einzureichen:
1. die schriftliche Zustimmung des Kandidaten zu seiner Kandidatur;
2. eine Bescheinigung des Bürgermeisters über die Wählbarkeit des Kandidaten.

(4) Verweigert der Bürgermeister die Erteilung dieser Bescheinigung, so stehen dem Kandidaten und der Organisation, die ihn vorgeschlagen hat, der Einspruch beim Wahlausschuß des Landkreises oder des Stadtkreises und gegen dessen Entscheidung die Beschwerde an den Wahlausschuß des Landes zu.

§ 29. Entspricht ein Wahlvorschlag nicht den Erfordernissen des § 28, so hat der für den Wahlvorschlag zuständige Wahlleiter zur Behebung der Mängel eine Frist bis spätestens zum 24. Tage vor dem Wahltag zu setzen.

§ 30. Nach Ablauf dieser Frist, spätestens jedoch am 22. Tage vor dem Wahltag, trifft der für den Wahlvorschlag zuständige Wahlausschuß in öffentlicher Sitzung die Entscheidung über die Zulassung der Wahlvorschläge.

§ 31. Der Wahlleiter hat spätestens am 21. Tage vor der Wahl die Wahlvorschläge mit den Namen der Kandidaten bekanntzugeben.

X. Wahlhandlung

§ 32. Dis Wahlhandlung ist öffentlich; die Wahlzeit dauert von 8.00 Uhr bis 20.00 Uhr.

§ 33. (1) Der Wahlvorsteher leitet die Wahl.

(2) Die Wahlhandlung wird damit eröffnet, daß der Wahlvorsteher seinen Vertreter, die Beisitzer und den Schriftführer durch Handschlag verpflichtet und so den Wahlvorstand bildet.

(3) Ist der Wahlvorstand bei Beginn der Wahlhandlung nicht beschlußfähig, so ernennt der Wahlvorsteher die zur Beschlußfähigkeit erforderlichen Mitglieder aus erschienenen Wählern.

(4) Der Wahlvorsteher und der Schriftführer dürfen sich während der Wahlhandlung nicht gleichzeitig entfernen. Verläßt einer von ihnen vorübergehend den Wahlraum, so ist mit dessen Vertretung sein Stellvertreter zu beauftragen.

§ 34. (1) Vor Beginn der Wahlhandlung hat sich der Wählvorstand im Beisein von Wählern davon zu überzeugen, daß die Wahlurne leer ist. Die Wahlurne wird geschlossen und versiegelt; sie darf bis zur Herausnahme der Stimmzettel nach Schluß der Abstimmung nicht wieder geöffnet werden.

(2) Die Wähler erhalten die Stimmzettel erst im Wahlraum.

(3) Zur Stimmabgabe dürfen nur die amtlich hergestellten, im Wahlraum ausgegebenen Stimmzettel benutzt werden.

§ 35. (1) Zutritt zum Wahlraum hat jeder Wähler.

(2) Der Wahlvorstand kann jeden aus dem Wahlraum verweisen, der die Ruhe und Ordnung der Wahlhandlung stört.

§ 36. (1) Der Wahlberechtigte hat das Recht, auf dem Stimmzettel Veränderungen vorzunehmen. Er nennt dem Wahlvorstand seinen Namen sowie seine Wohnung und weist sich durch den Deutschen Personalausweis oder eine entsprechende andere amtliche Urkunde zur Person aus. Nach Feststellung seiner Wahlberechtigung nimmt er die Wahl vor, indem er den Stimmzettel selbst in die Wahlurne hineinwirft.

(2) Inhaber von Wahlscheinen übergeben den Wahlschein dem Wahlvorsteher. Entstehen Zweifel über die Echtheit oder den rechtmäßigen Besitz des Wahlscheines, so hat der Wahlvorstand über die Zulassung oder Abweisung des Wählers Beschluß zu fassen. Der Vorgang ist in die Wahlniederschrift aufzunehmen.

(3) Wahlberechtigte, die des Lesens unkundig oder durch körperliche Gebrechen behindert sind, dürfen sich der Hilfe einer Vertrauensperson bedienen.

(4) Der Schriftführer vermerkt die Stimmabgabe jedes Wählers neben dessen Namen in der Wählerliste und sammelt die Wahlscheine.

§ 37. Nach Schluß der Wahlzeit dürfen nur noch die Wähler zur Stimmabgabe zugelassen werden, die sich im Wahlraum befinden. Hierauf erklärt der Wahlvorsteher die Abstimmung für geschlossen.

XI. Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses

§ 38. Nach Schluß der Wahl werden die Stimmzettel aus der Wahlurne genommen und gezählt. Zugleich wird die Zahl der Abstimmungsvermerke in der Wählerliste und die Zahl der Wahlscheine festgestellt. Ergibt sich dabei eine Verschiedenheit, so ist diese in der Wahlniederschrift anzugeben und, soweit möglich, zu erläutern.

§ 39. (1) Nach der Zählung der Stimmzettel stellt der Wahlvorsteher für jeden Stimmzettel fest, ob er gültig oder ungültig ist.

(2) Der Schriftführer verzeichnet in der Zählliste die gültigen und ungültigen Stimmen und addiert sie. Einer der Beisitzer führt eine Gegenliste.

(3) Zählliste und Gegenliste sind von dem Wahlvorsteher und den Mitgliedern des Wahlvorstandes, die die Listen führen, zu unterzeichnen und der Wahlniederschrift als Anlage beizufügen.

§ 40. (1) Entstehen Zweifel über die Gültigkeit eines Stimmzettels, so entscheidet der Wahlvorstand.

(2) Die Stimmzettel, die der Wahlvorstand für ungültig erklärt, sind mit fortlaufenden Nummern zu versehen und der Niederschrift beizufügen. In der Niederschrift sind die Gründe anzuführen, aus denen die Stimmzettel für ungültig erklärt worden sind.

§ 41. (1) Mit Ausnahme der vom Wahlvorstand für ungültig erklärten Stimmzettel sind alle übrigen Stimmzettel von dem Wahlvorsteher dem Wahlleiter in einem verschlossenen Umschlag zu übergeben.

(2) Über die Wahlhandlung ist" eine Niederschrift aufzunehmen. Die Wahlniederschrift mit den dazu gehörenden Schriftstücken, die fortlaufend zu numerieren sind, ist von dem Wahlvorsteher bis spätestens zum Mittag des auf den Wahltag folgenden Tages bei dem Wahlleiter einzureichen.

(3) Unmittelbar nach der Ermittlung des Wahlergebnisses hat der Wahlvorsteher dieses seinem Wahlleiter mitzuteilen. Die Wahlleiter der Gemeinden melden das Gesamtergebnis ihres Wahlgebietes dem Wahlleiter des Landkreises. Die Wahlleiter der Land- und Stadtkreise teilen das Gesamtwahlergebnis ihrer Wahlgebiete dem Wahlleiter des Landes mit. Die Wahlleiter des Landes übermitteln die Wahlergebnisse in den Ländern dem Wahlleiter der Republik:

§ 42. (1) Die Wahlleiter der Gemeinden und Stadtkreise prüfen nach den Wahlniederschriften die ordnungsgemäße Vollziehung der Wahl und berichtigen Rechenfehler und andere offenbare Unrichtigkeiten; alsdann stellen sie das endgültige Gesamtergebnis der Wahl fest.

(2) Die Weitergabe des endgültigen Wahlergebnisses erfolgt entsprechend den Bestimmungen des § 41 Abs. 3.

§ 43. Die Wahlleiter haben die Gewählten von ihrer Wahl zu benachrichtigen.

XII. Gültigkeit der Wahl

§ 44. Das festgestellte Wahlergebnis wird bekanntgegeben für die Volkskammer vom Wahlausschuß der Republik, für die Landtage vom Wahlausschuß des Landes, für die Kreistage und Stadtverordnetenversammlungen von dem Wahlausschuß der Land- und Stadtkreise und für die Gemeindevertretungen von dem Wahlausschuß der Gemeinde.

§ 45. Gegen die Gültigkeit der Wahl kann von den Parteien oder Vereinigungen, die Wahlvorschläge gemacht haben, binnen zwei Wochen nach der Bekanntgabe Einspruch erhoben werden. Die Frist beginnt mit dem Tage der Bekanntmachung des Wahlergebnisses.

§ 46. Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl hat der Wahlleiter beim ersten Zusammentritt der Vertretungskörperschaft dieser zur Beschlußfassung vorzulegen. Der Beschluß über den Einspruch ist demjenigen, der den Einspruch erhoben hat, unverzüglich zuzustellen.

§ 47. (1) War die Wahl eines oder mehrerer Abgeordneter mangels Wählbarkeit gesetzlich unzulässig, so ist nur deren Wahl für ungültig zu erklären.

(2) Wenn ein Kandidat vor der Wahl ausscheidet oder wenn die Wahl eines Abgeordneten für ungültig erklärt ist, so benennt diejenige Vereinigung, die ihn benannt hat, den Nachfolger.

(3) Das gleiche gilt, wenn die Voraussetzungen der Wählbarkeit eines Abgeordneten nachträglich entfallen, wenn dieser stirbt oder aus anderen Gründen nachträglich ausscheidet. Das Entfallen der Voraussetzungen oder das nachträgliche Ausscheiden ist durch Beschluß der Vertretungskörperschaft festzustellen.

§ 48. Die Vertretungskörperschäft kann auch einen Bürger mit seiner Zustimmung durch Beschluß aufnehmen; er hat damit die gleichen Rechte und Pflichten wie ein gewählter Abgeordneter.

§ 49. Die Hauptstadt Berlin entsendet in die Volkskammer 66 Vertreter mit beratender Stimme.

§ 50. Wird festgestellt, daß bei der Durchführung der Wahl Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind, dis das Wahlergebnis beeinflußt haben, so ist die ganze Wahl für ungültig zu erklären.

§ 51. (1) Ist die ganze Wahl für ungültig erklärt worden, so hat binnen drei Monaten eine Neuwahl stattzufinden. Den Tag der Neuwahl bestimmt:
für die Volkskammer die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik,
für die Landtage die Regierungen der Länder,
für die Kreistage der Rat des Kreises,
für die Gemeinden der Gemeinderat bzw. der Rat der Stadt.

(2) Die Neuwahl findet nach den Vorschriften dieses. Gesetzes statt.

(3) Die Wahlvorstände, Wahlausschüsse, Wahlgebiete und Wahlräume bleiben unverändert.

§ 52. Für die Neuwahl ist dieselbe Wählerliste zugrunde zu legen wie bei der Hauptwahl; sie ist jedoch vorher zu berichtigen und neu auszulegen.

§ 53. Für die Neuwahl sind neue Wahlvorschläge einzureichen.

§ 54. (1) Durchführungsbestimmungen zu diesem Gesetz erläßt der Minister des Innern der Deutschen Demokratischen Republik; er kann für den Fall der Neuwahl (§ 51) weitere Durchführungsbestimmungen erlassen.

(2) Dieses Wahlgesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.

siehe zu Abs. 1 die Durchführungsbestimmungen vom 10. August 1950 (GBl. S. 749) und vom 21. August 1950 (GBl. S. 854).

in Kraft getreten am 11. August 1950

    Berlin, den 9. August 1950

Das vorstehende, vom Präsidenten der Provisorischen Volkskammer unter dem zehnten August neunzehnhundertundfünfzig ausgefertigte Gesetz wird hiermit verkündet.

    Berlin, den zehnten August neunzehnhundertundfünfzig

Der Präsident der Deutschen Demokratischen Republik
W. Pieck


Quellen: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1950 S. 743
© 10. November 2004

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