Gesetz über die Zuständigkeit und das Verfahren der Gerichte zur Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen

vom 14. Dezember 1988

aufgehoben durch
Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889)

Achtung der Würde und Freiheit der Persönlichkeit ist Verfassungsgebot für alle staatlichen Organe, alle gesellschaftlichen Kräfte und jeden einzelnen Bürger. Sie schließt den umfassenden Schutz der Rechte und Freiheiten der Bürger sowie die Schaffung wirksamer Garantien für ihre Einhaltung ein.

Die gerichtliche Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen dient der Erhöhung der Rechtssicherheit, der Verbesserung der Rechtsarbeit und der strikten Gewährleistung der Gesetzlichkeit in der Tätigkeit der Verwaltungsorgane.

Dazu beschließt die Volkskammer folgendes Gesetz:

§ 1. Geltungsbereich. (1) Dieses Gesetz regelt die Zuständigkeit und das Verfahren der Gerichte zur Nachprüfung von Entscheidungen, die von Organen der staatlichen Verwaltung gegenüber Bürgern (nachfolgend Verwaltungsentscheidungen genannt) getroffen worden sind.

(2) Verwaltungsorgane im Sinne dieses Gesetzes sind staatliche Organe sowie staatliche Einrichtungen, Kombinate und Betriebe, soweit ihnen die Befugnis übertragen wurde, Verwaltungsentscheidungen zu treffen.

§ 2. Zulässigkeit des Gerichtsweges. (1) Der Gerichtsweg zur Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen ist zulässig, soweit das in Gesetzen oder anderen Rechtsvorschriften bestimmt ist.

(2) In Angelegenheiten, die Interessen der nationalen Sicherheit öder der Landesverteidigung berühren, ist der Gerichtsweg unzulässig.

§ 3. Recht zur Anrufung des Gerichts. (1) Der Bürger kann die gerichtliche Nachprüfung einer Verwaltungsentscheidung verlangen, wenn er das gegen die Verwaltungsentscheidung vorgesehene Rechtsmittel eingelegt hat und darüber auf dem Verwaltungswege abschließend entschieden wurde.

(2) Das Verwaltungsorgan hat den Bürger in der abschließenden Entscheidung darüber zu belehren, daß eine gerichtliche Nachprüfung innerhalb der dazu bestimmten Frist beantragt werden kann.

(3) Die Einleitung der gerichtlichen Nachprüfung hat hinsichtlich der Durchsetzung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung aufschiebende Wirkung, soweit in Gesetzen oder anderen Rechtsvorschriften nichts anderes festgelegt ist.

§ 4. Rechte des Bürgers im gerichtlichen Verfahren. (1) Der Bürger hat das Recht, am Verfahren teilzunehmen, insbesondere an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken. Er hat Anspruch darauf, vor Gericht gehört zu werden und die Prozeßakten einzusehen.

(2) Der Bürger kann sich durch einen in der DDR zugelassenen Rechtsanwalt oder einen anderen Prozeßbevollmächtigten vertreten lassen.

§ 5. Mitwirkung des Staatsanwalts. Der Staatsanwalt kann in Erfüllung seiner Aufgaben zur Sicherung der sozialistischen Gesetzlichkeit und zur Wahrung der Rechte der Bürger die gerichtliche Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen beantragen und im Verfahren mitwirken.

§ 6. Örtliche Zuständigkeit des Gerichts. Für die Durchführung des Verfahrens ist das Kreisgericht zuständig, in dessen Bereich das Verwaltungsorgan seinen Sitz hat, das die erste Verwaltungsentscheidung getroffen hat.

§ 7. Einleitung des Verfahrens. (1) Das Verfahren zur gerichtlichen Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen wird auf Antrag des Bürgers eingeleitet. Der Antrag ist schriftlich innerhalb von 2 Wochen nach Zugang der abschließenden Entscheidung des Verwaltungsorgans zu stellen. Er ist zu begründen und zu unterschreiben. Die Anschrift, die berufliche Tätigkeit und die Arbeitsstelle des Bürgers sind anzugeben. Die Entscheidung des Verwaltungsorgans ist beizufügen.

(2) Der Antrag ist auf Verlangen des Bürgers von der Rechtsantragstelle des Kreisgerichts aufzunehmen.

(3) Der Staatsanwalt kann den Antrag auf gerichtliche Nachprüfung innerhalb von 6 Monaten nach abschließender Entscheidung des Verwaltungsorgans stellen.

§ 8.Verhandlung. (1) Über den Antrag wird nach mündlicher Verhandlung entschieden. Von einer mündlichen Verhandlung kann abgesehen werden, wenn der Antrag aufgrund des dargestellten Anliegens offensichtlich unbegründet ist oder Gründe vorliegen, die eine Verhandlung und Entscheidung über den Antrag ausschließen.

(2) Das Gericht hat den Verhandlungstermin zu bestimmen und den Bürger zu laden. Der Antrag ist dem Verwaltungsorgan, dessen Entscheidung angefochten wird, unter Mitteilung des Termins der mündlichen Verhandlung zuzustellen. Das Gericht kann vom Verwaltungsorgan sowie von anderen staatlichen Organen, Kombinaten, Betrieben, Genossenschaften und Einrichtungen sowie gesellschaftlichen Organisationen fordern, zum Antrag Stellung zu nehmen, Auskünfte zu erteilen und Urkunden vorzulegen. Es kann die Teilnahme eines Vertreters des Verwaltungsorgans anordnen.

(3) Bei besonderer Eilbedürftigkeit kann die Entscheidung des Gerichts auch ohne mündliche Verhandlung durch den Richter getroffen werden.

§ 9. Umfang der Nachprüfung. Die Nachprüfung des Gerichts erstreckt sich auf die Feststellung, ob
- die Verwaltungsentscheidung gegen Gesetze und andere Rechtsvorschriften verstößt,
- das Verfahren, in dem die Verwaltungsentscheidung ergangen ist, nach den dafür geltenden Rechtsvorschriften durchgeführt wurde.

§ 10. Entscheidung des Gerichts. (1) Das Gericht entscheidet über den Antrag durch unanfechtbaren Beschluß. Es kann im Ergebnis seiner Feststellungen zugunsten des Bürgers
1. die angefochtene Verwaltungsentscheidung aufheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsorgan, das die erste Entscheidung getroffen hat, zurückverweisen, verbunden mit der Verpflichtung,
- den Sachverhalt umfassend aufzuklären,
- eine der Gesetzlichkeit entsprechende Entscheidung zu treffen;
2. das Verwaltungsorgan verpflichten, die Verwaltungsentscheidung mit Gründen zu versehen.

Das Verwaltungsorgan ist an die Entscheidung des Gerichts gebunden.

(2) In den in Gesetzen und anderen Rechtsvorschriften vorgesehenen Fällen kann das Gericht auch die Verwaltungsentscheidung aufheben und in der Sache selbst anderweitig entscheiden.

(3) Der Antrag des Bürgers ist abzuweisen, wenn er unbegründet oder unzulässig ist.

(4) Die gerichtliche Entscheidung ist dem Antragsteller und dem Verwaltungsorgan, dessen Entscheidung angefochten wurde, zuzustellen.

§ 11. Kostenbestimmungen. (1) Für das gerichtliche Verfahren zur Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen werden Gerichtskosten nach den Bestimmungen der Zivilprozeßordnung erhoben. Durch Gesetz oder andere Rechtsvorschriften kann für bestimmte Verfahren eine Befreiung von den Gerichtskosten festgelegt werden.

(2) Wird die Entscheidung des Verwaltungsorgans durch das Gericht aufgehoben, trägt die Kosten des gerichtlichen Verfahrens das Verwaltungsorgan, das die aufgehobene Entscheidung getroffen hat.

§12. Anzuwendende Bestimmungen. Auf das gerichtliche Verfahren zur Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen sind, soweit vorstehend nichts anderes bestimmt ist, die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.

§ 13. Schlußbestimmungen. (1) Dieses Gesetz tritt am 1. Juli 1989 in Kraft.

(2) Das Gesetz findet für die Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen Anwendung, die nach seinem Inkrafttreten erlassen worden sind.

(3) Rechtsvorschriften zur Durchführung dieses Gesetzes erläßt der Minister der Justiz.

Das vorstehende, von der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik am vierzehnten Dezember neunzehnhundertachtundachtzig beschlossene Gesetz wird hiermit verkündet.

    Berlin, den vierzehnten Dezember neunzehnhundertachtundachtzig 

Der Vorsitzende des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik
E. Honecker


Quellen: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1988 Teil I S. 327
© 18. Februar 2005

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