Gesetz über die Regelung der Staatshaftung in der Deutschen Demokratischen Republik
-Staatshaftungsgesetz-

vom 12. Mai 1969

geändert durch
Gesetz vom 14. Dezember 1988 (GBl. I S. 329)
Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889)

nach dem 3. Oktober 1990 als Landesrecht fortgeltend
(Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889), Anlage II Kap. III, Sachgebiet B, Abschnitt III, Nr. 1)

Die Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus entsprechend den Grundsätzen der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik erfordert die weitere Stärkung der sozialistischen Staatsmacht und damit die Vervollkommnung und Festigung der sozialistischen Gesetzlichkeit.

Die Verantwortung der staatlichen Organe und staatlichen Einrichtungen für die volle Übereinstimmung der Tätigkeit ihrer Mitarbeiter mit der sozialistischen Gesetzlichkeit schließt die Haftung für Schäden ein, die Bürgern durch ungesetzliche Maßnahmen einzelner Mitarbeiter entstehen.

Die gesetzliche Regelung der Staatshaftung dient der Vertiefung des Vertrauens der Bürger zu ihrem sozialistischen Staat, der weiteren Festigung des Verantwortungsbewußtseins der Mitarbeiter der staatlichen Organe und staatlichen Einrichtungen sowie der Qualifizierung der staatlichen Tätigkeit.

Auf der Grundlage des Artikels 106 der Verfassung beschließt die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik daher folgendes Gesetz:

Durch Einigungsvertrag vom 31. August 1990 wurde die Präambel gestrichen.

Erster Abschnitt
Voraussetzungen und Umfang der Haftung

§ 1. Voraussetzungen der Haftung. (1) Für Schäden, die einem Bürger oder seinem persönlichen Eigentum durch Mitarbeiter oder Beauftragte staatlicher Organe oder staatlicher Einrichtungen in Ausübung staatlicher Tätigkeit rechtswidrig zugefügt werden, haftet das jeweilige staatliche Organ oder die staatliche Einrichtung.

(2) Ein Schadensersatzanspruch des Geschädigten gegen den Mitarbeiter oder Beauftragten des staatlichen Organs oder der staatlichen Einrichtung ist ausgeschlossen.

(3) Die Schadensersatzpflicht, staatlicher Organe und staatlicher Einrichtungen als Teilnehmer am Zivilrechtsverkehr bestimmt sich nach den Vorschriften des Zivilrechts.

(4) Für den Ersatz von Schäden, die einem Bürger oder seinem persönlichen Eigentum durch eine gerichtliche Entscheidung rechtswidrig zugefügt werden, gelten die dafür bestehenden, Gesetze oder anderen Rechtsvorschriften.

Durch Einigungsvertrag vom 31. August 1990 wurde der § 1 wie folgt geändert:
- der Abs. 1 erhielt folgende Fassung:
"(1) Für Schäden, die einer natürlichen oder einer juristischen Person hinsichtlich ihres Vermögens oder ihrer Rechte durch Mitarbeiter oder Beauftrate staatlicher oder kommunaler Organe in Ausübung staatlicher Tätigkeit rechtswidrig zugefügt werden, haftet das jeweilige staatliche oder kommunale Organ."
- der Abs. 4 erhielt folgende Fassung:
"(4) Für den Ersatz von Schäden, die einer natürlichen oder einer juristischen Person hinsichtlich ihres Vermögens oder ihrer Rechte durch eine gerichtliche Entscheidung rechtswidrig zugefügt werden, gelten die dafür bestehenden Gesetze oder anderen Rechtsvorschriften."

§ 2. Pflicht zur Abwendung des Schadens. Der Bürger hat alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um einen Schaden zu verhindern oder zu mindern. Verletzt er diese Pflicht schuldhaft, so wird die Haftung des staatlichen Organs oder der staatlichen Einrichtung entsprechend eingeschränkt oder ausgeschlossen.

Durch Einigungsvertrag vom 31. August 1990 erhielt der § 2 folgende Fassung:
"§ 2. Natürliche und juristische Personen haben alle ihnen möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um einen Schaden zu verhindern oder zu mindern. Verletzten sie diese Pflicht schuldhaft, so wird die Haftung des staatlichen oder kommunalen Organs entsprechend eingeschränkt oder ausgeschlossen."

§ 3. Art und Umfang des Schadensersatzes. (1) Der Schadensersatz ist in Geld zu leisten. Das ersatzpflichtige staatliche Organ oder die staatliche Einrichtung kann den Schaden auch durch Wiederherstellung des Zustandes, der vor dem Schadensfall bestanden hat, ausgleichen.

(2) Der Umfang des Schadensersatzes bestimmt sich nach den zivilrechtlichen Vorschriften, soweit in Gesetzen oder anderen Rechtsvorschriften nichts anderes bestimmt ist.

(3) Ein Schadensersatzanspruch besteht insoweit nicht, als ein Ersatz des Schadens auf andere Weise erlangt werden kann.

§ 4. Verjährung. (1) Der Schadensersatzanspruch verjährt innerhalb eines Jahres.

(2) Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Tage, an dem der Geschädigte von dem Schaden und davon Kenntnis hat, daß der Schaden von einem Mitarbeiter oder Beauftragten eines staatlichen Organs oder einer staatlichen Einrichtung verursacht wurde.

(3) Durch die Stellung des Antrages auf Schadensersatz wird die Verjährung unterbrochen. Für den Lauf, die Hemmung und Unterbrechung der Verjährung gelten im übrigen die allgemeinen Vorschriften des Zivilrechts.

Zweiter Abschnitt
Verfahrensbestimmungen

§ 5. Zuständigkeit der staatlichen Organe und staatlichen Einrichtungen. (1) Der Schadensersatz ist bei dem staatlichen Organ oder der staatlichen Einrichtung zu beantragen, durch deren Mitarbeiter oder Beauftragten der Schaden verursacht wurde.

(2) Wird der Schadensersatzantrag bei einem anderen staatlichen Organ oder einer anderen staatlichen Einrichtung gestellt, so hat dieses staatliche Organ oder diese staatliche Einrichtung den Antrag unverzüglich an das zuständige staatliche Organ oder die zuständige staatliche Einrichtung weiterzuleiten und den Antragsteller hiervon zu unterrichten.

(3) Der Leiter des nach Abs. 1 zuständigen staatlichen Organs oder der zuständigen staatlichen Einrichtung hat über Grund und Höhe des Schadensersatzanspruches zu entscheiden, sofern nicht die Zuständigkeit des Leiters eines übergeordneten Organs für diese Entscheidung festgelegt ist. Über den Antrag soll innerhalb eines Monats nach seinem Eingang entschieden werden. Kann die Frist aus besonderen Gründen nicht eingehalten werden, sind diese in den Akten zu vermerken; dem Bürger ist- ein Zwischenbescheid zu erteilen.

(4) Die Entscheidung ist zu begründen, mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen und dem Antragsteller zuzustellen. Erforderlichenfalls ist sie dem Bürger mündlich bekanntzugeben und zu erläutern:

§ 6. Beschwerde. (1) Gegen die Entscheidung über den Schadensersatzantrag :ist innerhalb- eines Monats nach Zustellung oder Bekanntgabe der Entscheidung die Beschwerde zulässig.

(2) Die Beschwerde ist bei dem staatlichen Organ oder` der staatlichen Einrichtung einzulegen, deren Entscheidung angefochten wird. Wird der Beschwerde von dem Leiter dieses staatlichem Organs oder dieser staatlichen Einrichtung nicht abgeholfen, hat er sie innerhalb einer Woche dem Leiter des übergeordneten staatlichen Organs oder der übergeordneten staatlichen Einrichtung zur Entscheidung vorzulegen.

(3) Über die Beschwerde soll innerhalb eines Monats nach ihrem Eingang entschieden werden. § 5 Abs. 3 Satz 3 gilt entsprechend. Die Entscheidung über die Beschwerde ist endgültig.

Durch Gesetz vom 14. Dezember 1988 wurde der § 6 Abs. 3 Satz 3 aufgehoben.

Durch Gesetz vom 14. Dezember 1988 wurde an dieser Stelle folgender § eingefügt:
"§ 6a. Zulässigkeit des Gerichtsweges. (1) Gegen die Entscheidung über Grund und Höhe des Schadensersatzanspruches (§ 5 Abs. 3) steht natürlichen und juristischen Personen, nachdem über ihre Beschwerde entschieden worden ist, der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten offen. Ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes ist das Kreisgericht zuständig, in dessen Bezirk das Organ seinen Sitz hat, aus dessen Verhalten der Anspruch hergeleitet wird.
(2) Für die Durchführung des Verfahrens ist das Kreisgericht zuständig, in dessen Bereich das Verwaltungsorgan seinen Sitz hat, das die Entscheidung nach § 5 Abs. 3 getroffen hat.
(3) Für das Verfahren gelten die Bestimmungen des Gesetzes über die Zuständigkeit und das Verfahren der Gerichte zur Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen."

Durch Einigungsvertrag vom 31. August 1990 erhielt der § 6a folgende Fassung:
"§ 6a. Zulässigkeit des Gerichtsweges. Gegen die Entscheidung über Grund und Höhe des Schadensersatzanspruches (§ 5 Abs. 3) steht natürlichen und juristischen Personen, nachdem über ihre Beschwerde entschieden worden ist, der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten offen. Ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes ist das Kreisgericht zuständig, in dessen Bezirk das Organ seinen Sitz hat, aus dessen Verhalten der Anspruch hergeleitet wird."

§ 7. Mitwirkung der Staatlichen Versicherung. (1) Die Staatliche Versicherung der Deutschen Demokratischen Republik ist verpflichtet, die zuständigen staatlichen Organe und staatlichen Einrichtungen auf ' deren Verlangen bei der Durchführung des Verfahrens zu beraten.

(2) Die Staatliche Versicherung der Deutschen Demokratischen Republik nimmt die Rechte und Pflichten des zuständigen staatlichen Organs oder der zuständigen staatlichen Einrichtung wahr, wenn dies für den jeweiligen Bereich oder für bestimmte Aufgabengebiete im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen festgelegt ist.

Durch Einigungsvertrag vom 31. August 1990 wurde der § 7 gestrichen.

§ 8. Leistung des Schadensersatzes. Der Schadensersatz ist aus den Haushaltsmitteln oder den finanziellen Fonds des staatlichen Organs oder der staatlichen Einrichtung zu leisten, deren Mitarbeiter oder Beauftragte den Schaden rechtswidrig verursacht haben.

Dritter Abschnitt
Schlußbestimmungen

§ 9. Materielle Verantwortlichkeit der Mitarbeiter und Beauftragten staatlicher Organe und staatlicher Einrichtungen. (1) Für den Ersatzanspruch der staatlichen Organe und staatlichen Einrichtungen gegen Mitarbeiter wegen der von ihnen rechtswidrig und schuldhaft verursachten Schäden gelten die Rechtsvorschriften über die arbeitsrechtliche materielle Verantwortlichkeit. Für Angehörige der bewaffneten Organe gelten die für diese bestehenden Rechtsvorschriften über die materielle Verantwortlichkeit.

(2) Beauftragte staatlicher Organe oder staatlicher Einrichtungen können im Falle rechtswidriger und vorsätzlicher Schadensverursachung in entsprechender. Anwendung der Rechtsvorschriften über die arbeitsrechtliche materielle Verantwortlichkeit in Anspruch genommen werden.

Durch Einigungsvertrag vom 31. August 1990 erhielt der § 9 folgende Fassung:
"§ 9. Materielle Verantwortlichkeit der Mitarbeiter und Beauftragten staatlicher Organe und staatlicher Einrichtungen. (1) Für den Ersatzanspruch der staatlichen oder kommunalen Organe gegen Mitarbeiter wegen der von ihnen rechtswidrig und schuldhaft verursachten Schäden gelten die Rechtsvorschriften über die Haftung der Arbeitnehmer.
(2) Handeln Bürger im Auftrag von staatlichen oder kommunalen Organen, können sie im Falle rechtswidriger und vorsätzlicher Schadensverursachung in entsprechender Anwendung der Rechtsvorschriften über die Haftung der Arbeitnehmer in Anspruch genommen werden."

§ 10. Geltungsbereich. (1) Dieses Gesetz gilt für Bürger der Deutschen Demokratischen Republik, die ihren Wohnsitz in der Deutschen Demokratischen Republik haben. Ausnahmsweise kann unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles Schadensersatz auch dann geleistet werden, wenn Bürger der Deutschen Demokratischen Republik ihren Wohnsitz nicht in der Deutschen Demokratischen Republik haben, Die Entscheidung darüber trifft der Leiter des zuständigen zentralen staatlichen Organs.

(2) Ein Schadensersatzanspruch steht auch Personen zu, die nicht Bürger der Deutschen Demokratischen Republik sind, wenn sie ihren ständigen Wohnsitz in der Deutschen Demokratischen Republik haben.

(3) Gegenüber anderen Personen, die nicht Bürger der Deutschen Demokratischen Republik sind, tritt eine Haftung ein, wenn die Gegenseitigkeit gewährleistet ist. Ausnahmsweise kann unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles Schadensersatz auch dann geleistet werden,' wenn die Gegenseitigkeit nicht gewährleistet ist. Die Entscheidung darüber trifft der Leiter des zuständigen zentralen staatlichen Organs.

§ 11. Durchführungsverordnungen. Durchführungsverordnungen zu diesem Gesetz erläßt der Ministerrat.

§ 12. Inkrafttreten. Dieses Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.

in Kraft getreten am 19. Mai 1969.

Das vorstehende, von der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik am zwölften Mal neunzehnhundertneunundsechzig beschlossene Gesetz wird hiermit verkündet.

    Berlin, den zwölften Mai neunzehnhundertneunundsechzig

Der Vorsitzende des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik
W. Ulbricht


Quellen: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1969 Teil I S. 34
© 21. Dezember 2004

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