Zweiter Entwurf der SED zu den
Verfassungen der Länder der Deutsche Demokratische Republik
("zentrale Mustervorlage")

vom 17. Dezember 1946

A. Demokratischer Aufbau des Landes

Art. 1. Das Land ... ist ein Glied der Deutschen Demokratischen Republik.

Alle öffentlichen Angelegenheiten des Landes werden im Rahmen der Verfassung und der Gesetze der Deutschen Demokratischen Republik geregelt.

Art. 2. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, wird durch das Volk ausgeübt und hat dem Wohle des Volkes zu dienen.

Das Volk verwirklicht seinen Willen durch die Wahl der Volksvertretungen, durch Volksbegehren und Volksentscheid, durch die Mitwirkung an Verwaltung und Rechtsprechung und durch die umfassende Kontrolle der öffentlichen Verwaltungsorgane.

Art. 3. Die Volksvertretungen, die das demokratische Bestimmungsrecht des Volkes ausüben, sind:
a) der Landtag, der den Ministerpräsidenten wählt und die Minister bestätigt;
b) der Kreistag im Landkreise, der den Kreisrat wählt mit dem Landrat als Vorsitzendem;
c) die Stadtverordnetenversammlung im Stadtkreis, die den Stadtrat wählt mit dem Oberbürgermeister als Vorsitzendem;
d) die Gemeindevertretung in der Gemeinde, die den Gemeinderat wählt mit dem Bürgermeister als Vorsitzendem.

Art. 4. Alle Bürger ohne Unterschied werden entsprechend ihrer Befähigung zum öffentlichen Dienst zugelassen.

Ein Arbeitsverhältnis darf die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte oder öffentlicher Obliegenheiten nicht hindern.

Art. 5. Die Angestellten im öffentlichen Dienst sind Diener des Volkes. Sie müssen sich des Vertrauens des Volkes jederzeit würdig erweisen.

Art. 6. Alle Einwohner des Landes, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, sind Bürger des Landes.

B. Grundrechte und Grundpflichten der Bürger

Art. 7. Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Alle Bürger haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte, es sei denn, daß sie ihnen wegen Begehung eines Verbrechens oder wegen ihrer nationalsozialistischen oder militaristischen Betätigung aberkannt worden sind.

Jede Bekundung nationalen oder religiösen Hasses und jede Rassenhetze ist verboten und wird auf das strengste bestraft. Personen, die militaristische oder nationalsozialistische Auffassungen verbreiten oder unterstützen, sind aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Sie dürfen leitende Stellen in der Wirtschaft und im kulturellen Leben nicht bekleiden. Auch kann ihnen das Wahlrecht entzogen werden. Volksvertretern kann wegen einer solchen Betätigung durch Beschluß der Volksvertretung mit einer Zweidrittelmehrheit das Mandat aberkannt werden.

Art. 8. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Eine Beeinträchtigung oder Entziehung der persönlichen Freiheit durch ein Organ der öffentlichen Verwaltung ist nur auf Grund von Gesetzen zulässig.

Art. 9. Jeder Bürger hat das Recht, sich an einem beliebigen Orte im Lande niederzulassen. Er ist berechtigt auszuwandern.

Art. 10. Jeder Bürger hat das Recht, innerhalb der Schranken der Gesetze seine Meinung durch Wert, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern und sich an Versammlungen und Demonstrationen zu beteiligen. An der Ausübung dieses Rechts darf ihn kein Arbeitsverhältnis hindern, und niemand darf ihn benachteiligen, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht. Jeder Bürger hat das Recht, Eingaben an das Parlament und an die Regierung zu machen.

Art. 11. Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Der Landtag nimmt sich ihrer Pflege an und schützt sie vor allem Mißbrauch.

Art. 12. Die Wohnung jedes Bürgers ist für ihn eine Freistätte und unverletzlich. Ausnahmen sind nur auf Grund von Gesetzen zulässig.

Art. 13. Das Briefgeheimnis, das Post-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich. Ausnahmen sind nur auf Grund von Gesetzen zulässig.

Art. 14. Alle Bürger haben das Recht, zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen und die nicht der Verbreitung nationalsozialistischer oder militaristischer Auffassungen dienen, Vereine oder Gesellschaften zu bilden. Dieses Recht kann auch nicht durch Vorbeugungsmaßnahmen beschränkt werden.

Das Recht, Vereinigungen zur Förderung der Lohn- und Arbeitsbedingungen zu bilden, ist für jedermann gewährleistet. Das Streikrecht wird anerkannt. Alle Abreden und Maßnahmen, welche diese Freiheit einzuschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig und verboten. Die anerkannten Gewerkschaften stehen unter dem Schutz des Landtages.

Art. 15. Jeder Bürger hat ein Recht auf Arbeit. Es ist Aufgabe des Landtages, durch Wirtschaftslenkung jedem Bürger Arbeit und Lebensunterhalt zu sichern. Soweit ihm angemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, wird für seinen notwendigen Unterhalt gesorgt.

Art. 16. Jeder Arbeitende hat ein Recht auf Urlaub und Erholung, auf Versorgung bei Krankheit und Versorgung im Alter nach Maßgabe der Gesetze.

Zur Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der arbeitenden Bevölkerung, zum Schutze der Mutterschaft und zur Vorsorge gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Invalidität, Arbeitslosigkeit und sonstigen Wechselfällen des Lebens schafft das Land ein einheitliches umfassendes Versicherungswesen auf Grundlage der Selbstverwaltung der Versicherten.

Der Sonntag, die Feiertage und der 1. Mai sind Tage der Arbeitsruhe und stehen unter dem Schutz der Gesetze.

Art. 17. Die Arbeiter und Angestellten sind an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen und an der wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte gleichberechtigt mit den Unternehmern beteiligt. Die Arbeiter und Angestellten nehmen diese Rechte durch Gewerkschaften und Betriebsräte wahr.

Art. 18. Jeder Bürger hat das gleiche Recht auf Bildung. Sie wird ihm durch öffentliche Einrichtungen gewährleistet.

Art. 19. Die Familie steht unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Die Ehe beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter.

Art. 20. Die Frau ist auf allen Gebieten des staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens dem Mann gleichgestellt. Alle gesetzlichen Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen, sind aufgehoben.

Für gleiche Arbeit hat die Frau das Recht auf gleiche Entlohnung wie der Mann. Die Frau genießt besonderen Schutz im Arbeitsverhältnis.

Die Mutterschaft hat Anspruch auf Schutz und Fürsorge des Landtags. Die außereheliche Mutter steht der ehelichen Mutter gleich. Die Tatsache der außerehelichen Geburt

darf dem Kind nicht zum Nachteil gereichen. Ihm sind die gleichen Bedingungen für die leibliche, geistige und gesellschaftliche Entwicklung zu schaffen wie dem ehelichen Kind.

Art. 21. Die Jugend hat das Recht auf Arbeit und Erholung, gesichert durch entsprechende Gesetze und Maßnahmen des Landtags. Für gleiche Arbeit hat der Jugendliche das Recht auf gleiche Entlohnung wie der Erwachsene.

Die Jugend hat das Recht auf Freude und Frohsinn. Ihr werden die Kulturstätten und Kulturgüter zugänglich gemacht. Die Jugend wird gegen Ausbeutung sowie gegen sittliche, geistige und körperliche Verwahrlosung geschützt.

Zwangserziehung kann nur nach Maßgabe der Gesetze angeordnet werden.

C. Landtag

Art. 22. Der Landtag ist das höchste demokratische Organ des Landes. Die Gesetzgebung obliegt ausschließlich dem Landtag. In seiner Hand liegt die oberste Kontrolle über alle Regierungsmaßnahmen und über die gesamte Verwaltung und Rechtsprechung. Der Landtag wählt die Regierung. Die Regierung in ihrer Gesamtheit und jeder einzelne Minister bedürfen zu ihrer Tätigkeit des Vertrauens des Landtags.

Art. 23. Der Landtag besteht aus den vom Volk gewählten Abgeordneten.

Die Abgeordneten werden durch allgemeine, gleiche, geheime und unmittelbare Wahl nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts auf die Dauer von drei Jahren gewählt. Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes.

Art. 24. Wahlberechtigt sind alle Bürger, die das 18. Lebensjahr vollendet haben.

Wählbar sind alle wahlberechtigten Bürger, die das 21. Lebensjahr vollendet haben. Auf je ... Einwohner entfällt ein Abgeordneter. Maßgebend ist die der Wahl vorausgegangene letzte amtlich ermittelte Einwohnerzahl.

Das Nähere bestimmt ein Wahlgesetz.

Art. 25. Wahlvorschläge können nur von zugelassenen Parteien und demokratischen Organisationen eingereicht werden. Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis sind gewährleistet.

Art. 26. Die Wahl findet an einem Sonntag oder an einem gesetzlichen Feiertag statt. Der Landtag versammelt sich am Sitz der Regierung.

Zur ersten Tagung nach jeder Neuwahl tritt der Landtag spätestens am 30. Tage nach der Wahl zusammen, falls er nicht vom Präsidium des vorherigen Landtags früher einberufen wird.

Art. 27. Der Landtag prüft das Recht der Mitgliedschaft und entscheidet über die Gültigkeit der Wahlen.

Der Landtag beschließt den Schluß der Tagung und den Tag des Wiederzusammentritts.

Das Landtagspräsidium kann den Landtag früher berufen. Es muß ihn berufen, wenn die Regierung oder mindestens ein Fünftel der Mitglieder des Landtags dies verlangen.

Art. 28. Die Verhandlungen des Landtags und seiner Ausschüsse sind öffentlich. Ein Ausschluß der Öffentlichkeit findet im Landtag auf Verlangen von zwei Dritteln der anwesenden Abgeordneten, in den Ausschüssen auf Verlangen der Mehrheit der Mitglieder statt.

Art. 29. Der Landtag wählt bei seinem Zusammentritt ein Präsidium, Das Präsidium besteht aus dem Präsidenten, drei Vizepräsidenten und drei Schriftführern.

Jede Partei hat Anspruch darauf, in dem Präsidium entsprechend der Zahl ihrer Abgeordneten vertreten zu sein. Das Präsidium ist beschlußfähig, wenn mindestens die Hälfte seiner Mitglieder anwesend ist. Die Beschlüsse des Präsidiums werden mit Stimmenmehrheit gefaßt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Präsidenten. Der Präsident führt die Geschäfte des Präsidiums.

Art. 30. Der Präsident des Landtags leitet die Verhandlungen nach Maßgabe der vom Landtag beschlossenen Geschäftsordnung.

Er verpflichtet den vom Landtag gewählten Ministerpräsidenten sowie die vom Landtag bestimmten Minister.

Art. 31. Der Landtag faßt seine Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit, soweit nicht in dieser Verfassung ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Die Beschlußfähigkeit wird durch die Geschäftsordnung geregelt.

Art. 32. Der Landtag und jeder seiner Ausschüsse können die Anwesenheit jedes Ministers und jedes Leiters einer zentralen Verwaltungsstelle zum Zwecke der Erteilung von Auskünften verlangen.

Die Minister und die von ihnen bestellten Beauftragten haben zu den Sitzungen des Landtags und seiner Ausschüsse jederzeit Zutritt.

Art. 33. Zur Wahrnehmung der Rechte des Landtags für die Zeit, in der er nicht versammelt ist, und zwischen der Beendigung einer Wahlperiode oder der Auflösung des Landtags bestellt dieser einen ständigen Ausschuß.

Art. 34. Der Landtag hat das Recht und auf Antrag von einem Fünftel der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Diese Ausschüsse erheben die Beweise, die sie oder die Antragsteller für erforderlich halten.

Die Gerichte und Verwaltungen sind verpflichtet, dem Ersuchen dieser Ausschüsse um Beweiserhebungen nachzukommen und ihre Akten auf Verlangen vorzulegen.

Für die Beweiserhebungen der Ausschüsse gelten die Vorschriften der deutschen Strafprozeßordnung sinngemäß.

Art. 35. Der Landtag stellt die Grundsätze für die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten auf und überwacht ihre Ausführung. Er genehmigt den Haushalt in Einnahme und Ausgabe.

Amnestien sind vom Landtag in Gesetzesform zu beschließen und zu verkünden.

Art. 36. Wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen des Landtags oder seiner Ausschüsse bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei.

Art. 37. Abgeordnete des Landtags bedürfen zur Ausübung ihrer Tätigkeit keines Urlaubs. Gehalt und Lohn sind weiterzuzahlen.

Art. 38. Die Abgeordneten des Landtags erhalten eine Aufwandsentschädigung. Ein Verzicht auf die Aufwandsentschädigung ist unzulässig und der Anspruch auf sie nicht übertragbar und nicht pfändbar.

Art. 39. Die Abgeordneten des Landtags erhalten das Recht zur freien Fahrt auf sämtlichen öffentlichen Verkehrsmitteln im Land.

Art. 40. Kein Mitglied des Landtags darf zu irgendeiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seiner Tätigkeit als Abgeordneter getanen Äußerungen gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden.

Art. 41. Kein Mitglied des Landtags kann während der Sitzungsperiode wegen einer strafbaren Handlung in Untersuchung gezogen oder verhaftet oder anderweitig in seiner persönlichen Freiheit beeinträchtigt werden, es sei denn, daß er bei Ausübung der Tat festgenommen wird oder der Landtag mit Zweidrittelmehrheit seine Zustimmung erteilt.

Jedes Strafverfahren gegen einen Abgeordneten des Landtags und jede Haft oder sonstige Beschränkung seiner persönlichen Freiheit wird auf Verlangen des Landtags für die Dauer der Sitzungsperiode aufgehoben.

Art. 42. Die Mitglieder des Landtags sind berechtigt, über Personen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Abgeordnete Tatsachen anvertraut haben, oder über, diese Tatsachen selbst das Zeugnis zu verweigern. Auch wegen der Beschlagnahme von Schreibstücken stehen sie den Personen gleich, die ein gesetzliches Recht der Zeugnisverweigerung haben.

Art. 43. Ausschluß eines Abgeordneten von einer oder mehreren Sitzungen des Landtags darf nicht ohne die Zustimmung des Landtagspräsidiums erfolgen und ist auf Verlangen des Landtags sofort wieder aufzuheben.

Art. 44. Der Landtag kann vor Ablauf der Wahlperiode aufgelöst werden
a) durch eigenen Beschluß,
b) durch Volksentscheid.

Die Auflösung des Landtags durch eigenen Beschluß bedarf der Zustimmung von mehr als zwei Dritteln der gesetzlichen Mitgliederzahl.

Art. 45. Spätestens am 60. Tag nach dem Ablauf der Wahlperiode oder am 45. Tag nach der Auflösung des Landtags haben Neuwahlen stattzufinden.

Das Landtagspräsidium beraumt den Termin für Neuwahlen an.

D. Regierung des Landes

Art. 46. Die Regierung besteht aus dem Ministerpräsidenten und den Ministern.

Art. 47. Der Landtag wählt den Ministerpräsidenten und bestätigt die von diesem vorgeschlagenen Minister.

Art. 48. Die Mitglieder der Regierung leisten bei Übernahme ihrer Tätigkeit vor dem Landtag den Eid, daß sie ihre Tätigkeit unparteiisch zum Wohle des Volkes getreu der Verfassung und den Gesetzen ausüben werden.

Art. 49. Die Minister haben Anspruch auf Besoldung nach Maßgabe eines besonderen Gesetzes.

Art. 50. Der Ministerpräsident führt den Vorsitz in der Regierung und leitet ihre Geschäfte. Er ernennt die der Regierung unterstellten öffentlichen Angestellten.

Art. 51. Der Ministerpräsident bestimmt die Richtlinien der Regierungspolitik nach Maßgabe der vom Landtag aufgestellten Grundsätze. Er ist dafür dem Landtag verantwortlich. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Minister den ihm anvertrauten Geschäftszweig selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Landtag.

Art. 52. Die Minister haben der Regierung des Landes alle Gesetzentwürfe, ferner Angelegenheiten, für welche die Verfassung oder das Gesetz dieses vorschreiben, sowie Meinungsverschiedenheiten über Fragen, die den Geschäftsbereich mehrerer Minister berühren, zur Beratung und Beschlußfassung zu unterbreiten.

Art. 53. Die Regierung faßt ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Ministerpräsidenten.

Art. 54. Ein Minister, dem das Vertrauen entzogen wird, muß zurücktreten.

Der Beschluß auf Entziehung des Vertrauens ist nur wirksam, wenn ihm mindestens die Hälfte der Abgeordneten zustimmt, aus denen zur Zeit der Abstimmung die Volksvertretung besteht.

Der Antrag auf Herbeiführung des Beschlusses auf Entziehung des Vertrauens muß von mindestens einem Viertel der gesetzlichen Mitgliederzahl unterzeichnet sein.

Über den Antrag darf frühestens am zweiten Tage nach seiner Besprechung abgestimmt werden. Er muß binnen einer Woche nach seiner Einbringung zur Erledigung kommen.

Art. 55. Die Regierung des Landes übt das Begnadigungsrecht in allen politischen Strafsachen und bei Urteilen von Gerichten des Landes aus.

E. Gesetzgebung

Art. 56. Gesetze werden beschlossen
a) vom Landtag,
b) vom Volke unmittelbar durch Volksentscheid.

Art. 57. Die Gesetzentwürfe werden von der Regierung oder aus der Mitte des Landtags eingebracht.

Die Entwürfe der Gesetze und des Haushaltsplanes sind vor der ersten Lesung allgemein zugänglich zu machen.

Über Gesetzentwürfe finden mindestens zwei Lesungen statt.

Art. 58. Der Präsident des Landtags hat die verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetze auszufertigen und unverzüglich im Verordnungsblatt des Landes zu veröffentlichen. Die Gesetze treten, soweit nichts anderes bestimmt wird, am Tage nach der Verordnung in Kraft.

Art. 59. Die Verkündung eines Gesetzes ist um einen Monat auszusetzen, wenn ein Drittel der Mitglieder des Landtags es verlangt. Das Gesetz ist nach Ablauf dieser Frist zu verkünden, falls nicht ein Volksbegehren auf Volksentscheid gegen den Erlaß des Gesetzes durchgeführt ist.

Art. 60. Ein Volksentscheid ist herbeizuführen, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten oder Parteien und Organisationen, die glaubhaft machen, daß sie ein Fünftel aller Stimmberechtigten vertreten, dies beantragen (Volksbegehren).

Dem Volksbegehren ist ein ausgearbeiteter Gesetzentwurf zugrunde zu legen. Er ist von der Regierung unter Darlegung ihrer Stellungnahme binnen zwei Wochen dem Landtag zu unterbreiten.

Der Volksentscheid findet nicht statt, wenn das begehrte Gesetz im Landtag, in einer Fassung angenommen wird, mit der die Antragsteller oder ihre Vertretungen einverstanden sind.

Über den Haushaltsplan, über die Abgabengesetze und die Besoldungsordnungen findet kein Volksentscheid statt.

Das dem Volksentscheid unterbreitete Gesetz ist angenommen, wenn die Mehrheit der Abstimmenden zugestimmt hat.

Das Verfahren beim Volksbegehren und beim Volksentscheid regelt ein besonderes Gesetz.

Art. 61. Die Veräußerung von Grundbesitz und Produktionsstätten, die sich im Eigentum der öffentlichen Hand befinden, bedarf der Zustimmung der zuständigen Volksvertretung (Landtag, Kreistag, Stadtverordnetenversammlung, Gemeindevertretung). Diese Zustimmung kann nur mit zwei Dritteln der gesetzlichen Mitgliederzahl erteilt werden.

Art. 62. Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung und durch Volksentscheid geändert werden.

Beschlüsse des Landtags auf Änderung der Verfassung kommen nur zustande, wenn zwei Drittel der Abgeordneten des Landtags zustimmen.

Soll durch Volksentscheid eine Verfassungsänderung beschlossen werden, so ist die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich.

Art. 63. Die für das Land ... bindende Rechtsnorm wird die zukünftige Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik sein, die alle ihr entgegenstehenden Gesetzesbestimmungen außer Kraft setzt.

Art. 64. Die Bestimmungen dieser Verfassung sind unmittelbar geltendes Recht.

Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als bindende Bestandteile des Rechts des Landes.

Ordnungsgemäß verkündete Gesetze sind für alle Richter bindend und von ihnen auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin nicht zu prüfen.

F. Rechtspflege

Art. 65. Die Rechtsprechung wird nach Maßgabe der Gesetze durch Berufs- und Laienrichter im Sinne sozialer Gerechtigkeit ausgeübt.

Art. 66. Das Land trägt durch den Ausbau juristischer Bildungsstätten dafür Sorge, daß Angehörigen aller Schichten des Volkes die Möglichkeit gegeben wird, die Fähigkeit zum Richteramt zu erlangen.

Art. 67. Laienrichter sind auf allen Gebieten und in allen Instanzen der Gerichte hinzuzuziehen. Die Laienrichter werden von den demokratischen Organisationen vorgeschlagen und von den zuständigen Volksvertretungen gewählt.

Art. 68. Die Richter sind in ihrer Rechtsprechung unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Die Staatsanwälte sind an die Weisung ihrer vorgesetzten Stellen gebunden.

Der Generalstaatsanwalt und Präsident des Oberlandesgerichts werden vom Landtag gewählt.

Art. 69. Die Gerichte verhandeln öffentlich. Bei Gefährdung der Staatssicherheit oder der Sittlichkeit kann die Öffentlichkeit durch Gerichtsbeschluß ausgeschlossen werden.

Art. 70. Ausnahmegerichte sind unstatthaft; niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

Sondergerichte sind nur kraft gesetzlicher Bestimmung zulässig.

Vor dem Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. Jeder wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte kann sich eines Verteidigers bedienen.

Art. 71. Dem Schutze der Bürger gegen widerrechtliche Anordnungen und Verfügungen der Verwaltungen dient die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

G. Verwaltung

Art. 72. Das Land ist in Kreise gegliedert. Die Kreise sind in Gemeinden gegliedert. Durch Gesetz bestimmte größere Städte bilden jeweils einen Stadtkreis. Alle übrigen Gemeinden und Städte sind zu Landkreisen zusammengefaßt.

Die Kreise und Gemeinden sind Selbstverwaltungskörper. Besondere Aufgabe der Gemeinden und Kreise ist es, gesellschaftliche Einrichtungen zur Befriedigung allgemeiner Bedürfnisse und zur Hebung der Lebenshaltung, insbesondere der werktätigen Bevölkerung, zu unterhalten. Sie haben die breitesten Schichten des Volkes an den öffentlichen Angelegenheiten zu beteiligen.

Die Organe der Kreise und Gemeinden sind ferner verpflichtet, die ihnen von den übergeordneten Organen übertragenen Angelegenheiten auszuführen.

Art. 73. Die höchsten Organe der Kreise und Gemeinden sind:
im Landkreis der Kreistag,
im Stadtkreis die Stadtverordnetenversammlung,
in der Gemeinde die Gemeindevertretung.

Art. 74. Die Verwaltungsgeschäfte der Kreise und Gemeinden führen:
im Landkreis der Kreisrat, dem der Landrat vorsteht;
im Stadtkreis der Stadtrat, dem der Oberbürgermeister vorsteht;
in der Gemeinde der Gemeinderat, dem der Bürgermeister vorsteht.

Alle Mitglieder des Kreisrats, des Stadtrats und des Gemeinderats sowie deren Vorsitzende bedürfen des Vertrauens der Körperschaften, von denen sie gewählt worden sind.

Wird ihnen von der Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl dieser Körperschaft das Vertrauen entzogen, so sind sie verpflichtet zurückzutreten.

Näheres bestimmt die Kreis- und Gemeindeordnung

H. Wirtschaft

Art. 75. Die Ordnung des Wirtschaftslebens muß den Grundsätzen der sozialen Gerechtigkeit mit dem Ziele der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen.

In diesen Grenzen ist die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen gewährleistet.

Die selbständigen Gewerbetreibenden und Bauern sind in der Entfaltung ihrer privaten Initiative zu unterstützen. Die Freiheit des Handels und Gewerbes ist nach Maßgabe der Gesetze gewährleistet.

Es ist die Aufgabe der Landesregierung, durch Planung die Wirtschaft sinnvoll zu lenken, um sie den Bedürfnissen des Volkes anzupassen.

Art. 76. Alle privaten Monopolorganisationen, wie Kartelle, Syndikate, Konzerne, Trusts, und ähnliche auf Gewinnsteigerung durch Produktions-, Preis- und Absatzregelung gerichtete private Organisationen, sind verboten und zu bekämpfen.

Art. 77. Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen.

Das Erbrecht wird nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts gewährleistet. Der Anteil des Staates am Erbe bestimmt sich nach den Gesetzen. Die geistige Arbeit, das Recht der Urheber, der Erfinder und der Künstler genießt den Schutz und die Fürsorge des Landes.

Art. 78. Eine Enteignung kann nur zum Wohle der Allgemeinheit und nur auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden. Sie erfolgt gegen angemessene Entschädigung, soweit ein Gesetz nichts anderes bestimmt.

Art. 79. Durch Gesetz können wirtschaftliche Unternehmungen und Verbände auf der Grundlage der Selbstverwaltung zusammengeschlossen werden, um die Mitwirkung aller schaffenden Volksteile zu sichern, Arbeiter und Unternehmer an der Verwaltung zu beteiligen und Erzeugung, Herstellung, Verteilung, Verwendung, Preisgestaltung sowie Ein- und Ausfuhr der Wirtschaftsgüter nach gemeinwirtschaftlichen Grundsätzen zu regeln.

Art. 80. Den Bauern wird das Eigentum auf Grund und Boden garantiert. Das gilt auch für die Bauern, die auf Grund des Gesetzes des Landes über die Bodenreform vom ... Boden erhalten haben.

Art. 81. Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird überwacht, jeder Mißbrauch verhütet. Jedem Bürger und jeder Familie ist eine gesunde, ihrem Bedürfnis entsprechende Heimstätte zu sichern. Opfer des Faschismus, Kriegsbeschädigte und Umsiedler sind dabei besonders zu berücksichtigen.

Art. 82. Das Land und die Selbstverwaltungskörper sollen im Interesse der Befriedigung des Güterbedarfs an der Verwaltung wirtschaftlicher Unternehmungen beteiligt werden oder ihren Einfluß auf andere Weise sicherstellen.

Art. 83. Die enteigneten Betriebe der aktiven Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher sind landeseigene Betriebe der öffentlichen Hand.

Art. 84. Jeder landeseigene Betrieb ist ein selbständiges Unternehmen. Die landeseigenen Betriebe werden nach Wirtschaftszweigen zusammengefaßt und von Industrieverwaltungen geleitet.

Die Industrieverwaltung steht unter unmittelbarer Kontrolle des Ministeriums oder der Abteilung für öffentliche Betriebe der Landesregierung.

I. Finanzwesen

Art. 85. Abgaben oder Steuern dürfen nur auf Grund gesetzlicher Anordnungen erhoben werden.

Art. 86. Über die Verwendung aller Einnahmen des Landes legt der Finanzminister in dem folgenden Rechnungsjahr zur Entlastung der Regierung Rechnung ab.

Art. 87. Alle Einnahmen und Ausgaben des Landes müssen für jedes Rechnungsjahr veranschlagt und in den Haushaltsplan eingestellt werden.

Der Haushaltsplan wird vor Beginn jedes Rechnungsjahres durch ein Gesetz festgestellt.

Art. 88. Im Wege des Kredites dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden. Eine solche Beschaffung darf nur auf Grund eines Gesetzes erfolgen.

Art. 89. Vermögens-, Einkommens- und Verbrauchssteuern sind in einem angemessenen Verhältnis zueinander zu halten und nach sozialen Gesichtspunkten zu staffeln. Hierbei ist die Leistungsfähigkeit einerseits und die Aufrechterhaltung einer mittleren Lebenshaltung andererseits zu berücksichtigen.

Durch eine starke Staffelung der Erbschaftssteuer soll die Bildung volksschädlicher Riesenvermögen verhindert werden.

K. Volksbildung

Art. 90. Für die Bildung der Jugend und ihre schulische Erziehung sorgen öffentliche Anstalten. Bei ihrer Einrichtung wirken das Land und die Gemeinden zusammen.

Die öffentliche Erziehung erfolgt durch eine für Knaben und Mädchen gleich organisch gegliederte Einheitsschule mit demokratischem Schulsystem auf der Grundlage der allgemeinen Schulpflicht.

Art. 91. Die allgemeine Schulpflicht wird durch die Grundschule erfüllt. Nach Beendigung der Grundschule erfolgt die systematische Weiterbildung in der Berufs- oder Fachschule, in der Oberschule und in anderen Bildungseinrichtungen.

Der Besuch der Berufsschule ist Pflicht aller Jugendlichen, mindestens bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahr, wenn sie keine andere öffentliche Schule besuchen. Die Berufsschule dient der fachlichen Weiterbildung der Schüler. Die Oberschule vermittelt Wissen und entwickelt Fähigkeiten, die den Besuch der Hochschule ermöglichen.

Den Angehörigen aller Schichten des Volkes ist die Möglichkeit zu geben, auch ohne Unterbrechung der Berufstätigkeit die zum Studium an einer Hochschule erforderlichen Kenntnisse an Abend- und Volkshochschulen zu erwerben.

Art. 92. Die Schule soll jedem, unabhängig von der sozialen Lage der Eltern und des Religionsbekenntnisses, die seinen Fähigkeiten und Anlagen entsprechende vollwertige Ausbildung geben.

Der Unterricht und die Lernmittel der Grundschulen und Berufsschulen sind unentgeltlich. Die weitere Bildung in der Oberschule und Hochschule ist den Begabten aus allen Schichten des Volkes zu ermöglichen.

Art. 93. Die Schulen sollen die Jugend zu selbständig denkenden und verantwortungsbewußt handelnden Menschen erziehen, die fähig und bereit sind, sich in das Leben der Gemeinschaft einzuordnen.

Als Mittlerin der Kultur hat die Schule die Aufgabe, die Jugend im Geiste des friedlichen und freundschaftlichen Zusammenlebens der Völker und einer echten Demokratie zu wahrer Humanität zu erziehen.

L. Religionsgesellschaften

Art. 94. Alle Bewohner des Landes genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz.

Der Mißbrauch der Kirche oder des Glaubens für politische Zwecke ist verboten.

Art. 95. Private oder staatsbürgerliche Rechte und Pflichten werden durch die Religionsausübung weder bedingt noch beschränkt.

Die Ausübung privater oder staatsbürgerlicher Rechte oder die Zulassung zum öffentlichen Dienst sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis.

Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Verwaltungsorgane haben nur insoweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte oder Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.

Art. 96. Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgemeinschaften wird gewährleistet.

Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Landes oder der politischen Gemeinden.

Die Religionsgesellschaften sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie es bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verbande zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlichrechtliche Körperschaft.

Die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften sind berechtigt, von ihren Mitgliedern auf Grund der staatlichen Steuerlisten nach Maßgabe der allgemeinen Bestimmungen Steuern zu erheben.

Den Religionsgesellschaften werden Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.

Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden. Art. 97

Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden öffentlichen Leistungen an die Religionsgesellschaften werden durch Gesetz abgelöst.

Art. 98. Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge in Krankenhäusern, Strafanstalten oder anderen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zugelassen. Niemand darf zur Teilnahme an solchen Handlungen gezwungen werden.

Art. 99. Wer aus einer Religionsgesellschaft mit bürgerlicher Wirkung austreten will, hat den Austritt beim Standesamt zu erklären oder als Einzelerklärung in öffentlich beglaubigter Form einzureichen.

Art. 100. Die Entscheidung über die Zugehörigkeit der Kinder zu einer Religionsgesellschaft steht bis zu deren vollendetem 14. Lebensjahr dem Erziehungsberechtigten zu.

Von diesem Alter an hat das Kind selbst die Freiheit der Entscheidung über sein Verbleiben in der Religionsgesellschaft.


Quellen: Gerhard Brass, Die Entstehung der Länderverfassungen in der SBZ 1946/47, Verlag Wissenschaft und Politik 1987
© 8. November 2004
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