Erster Entwurf der SED zu den
Verfassungen der Länder der Deutsche Demokratische Republik
("zentrale Mustervorlage")

beschlossen auf einer außerordentlichen Tagung des Parteivorstandes der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands
am 15. November 1946
in Berlin

A. Demokratischer Aufbau des Landes

Artikel 1. 1. Das Land . . . ist ein Glied der Deutschen Demokratischen Republik.

2. Es regelt alle öffentlichen Angelegenheiten des Landes im Rahmen der Verfassung und der Gesetze der Deutschen Demokratischen Republik.

Artikel 2. 1. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, wird durch das Volk ausgeübt und hat dem Wohle des Volkes zu dienen.

2. Das Volk verwirklicht seinen Willen durch die Wahl der Volksvertretungen, durch Volksentscheid, durch die Mitwirkung an Verwaltung und Rechtsprechung und durch die umfassende Kontrolle der öffentlichen Verwaltungsorgane.

3. Jeder Bürger hat das Recht, Eingaben an den Landtag und an die Ministerien zu richten.

4. Stimmberechtigt sind alle Männer und Frauen deutscher Staatsangehörigkeit. die am Tage der Abstimmung das 18. Lebensjahr vollendet und im Lande ... ihren Wohnsitz haben.

5. Die Volksvertreter werden durch allgemeine, gleiche, geheime und unmittelbare Wahl nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts gewählt.

Artikel 3. Die Volksvertretungen, die das demokratische Bestimmungsrecht des Volkes ausüben, sind:
a) Im Lande der Landtag, der den Ministerpräsidenten wählt und die Minister bestätigt.
b) I. Im Landkreise der Kreistag, der den Kreisrat wählt mit dem Landrat als Vorsitzenden.
    II. In dem Stadtkreis die Stadtverordnetenversammlung, die den Stadtrat wählt mit dem Oberbürgermeister als Vorsitzenden.
c) In der Gemeinde die Gemeindevertretung, die den Gemeinderat wählt mit dem Bürgermeister als Vorsitzenden.

Artikel 4. 1. Alle Einwohner des Landes . . ., die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, sind gleichberechtigte Bürger. Sie haben die gleichen Rechte ohne Unterschied der Geburt, des Geschlechts, der sozialen Zugehörigkeit, des Berufes, des Glaubensbekenntnisses.

2. Alle Bürger haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte, es sei denn, daß sie ihnen wegen Begehung eines Verbrechens oder wegen ihrer nationalsozialistischen oder militaristischen Betätigung aberkannt worden sind.

3. Ein Arbeitsverhältnis darf die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte oder öffentlicher Obliegenheiten nicht hindern.

4. Alle Bürger ohne Unterschied werden entsprechend ihrer Befähigung zum öffentlichen Dienst zugelassen.

5. Die Angestellten im öffentlichen Dienst sind Diener des Volkes. Sie müssen sich des Vertrauens des Volkes jederzeit würdig erweisen.

Artikel 5. Jede Bekundung nationalen oder religiösen Hasses und jede Rassenhetze ist verboten und wird auf das strengste bestraft. Personen, die militaristische oder nationalsozialistische Auffassungen verbreiten oder unterstützen, sind aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Sie dürfen leitende Stellungen in der Wirtschaft und im kulturellen Leben nicht bekleiden. Ihnen kann das Wahlrecht entzogen werden.

Artikel 6. Die Organe des Landes haben die Aufgabe, die Demokratie zu festigen und das allgemeine Wohl zu fördern.

B. Der Landtag

Artikel 7. 1. Der Landtag ist der höchste demokratische Willensträger des Landes.

2. Ihm obliegt die Gesetzgebung sowie die Kontrolle über die gesamte Verwaltung des Landes.

3. Die Regierung sowie jedes ihrer Mitglieder bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Landtages.

Artikel 8. 1. Der Landtag besteht aus den vom Volke gewählten Abgeordneten. Er wird auf drei Jahre gewählt.

2. Wählbar sind alle wahlberechtigten deutschen Staatsbürger, die das 21. Lebensjahr vollendet haben.

3. Auf je ... Einwohner entfällt ein Abgeordneter.

Maßgebend ist die der Wahl vorausgegangene letzte amtlich ermittelte Einwohnerzahl.

Das Nähere bestimmt ein Wahlgesetz.

Artikel 9. Zur Einreichung von Bewerberlisten sind die zugelassenen politischen Parteien und demokratischen Organisationen berechtigt.

Artikel 10. 1. Die Wahl findet an einem Sonntag oder gesetzlichen Feiertag statt.

2. Der Landtag versammelt sich am Sitz der Regierung.

3. Zur ersten Tagung nach der Neuwahl tritt der Landtag spätestens am 30. Tage nach der Wahl zusammen, falls er nicht von dem Präsidium des vorherigen Landtages früher zusammengerufen wird.

4. Der Landtag beschließt den Schluß der Tagung und den Tag des Wiederzusammentritts.

5. Das Landtagspräsidium kann den Landtag früher berufen. Es muß ihn berufen, wenn die Regierung oder mindestens ein Fünftel der Mitglieder des Landtages dies verlangen.

Artikel 11. 1. Der Landtag wählt in seiner ersten Sitzung aus seiner Mitte ein Präsidium. Es besteht aus einem Präsidenten und drei Vizepräsidenten.

2. Der Landtag gibt sich eine Geschäftsordnung.

3. Er prüft das Recht der Mitgliedschaft und entscheidet über die Gültigkeit der Wahlen.

Artikel 12. 1. Der Landtagspräsident leitet die Verhandlungen nach Maßgabe der Geschäftsordnung.

2. Beschlüsse des Landtagspräsidiums werden mit einfacher Mehrheit gefaßt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.

Artikel 13. Der Präsident des Landtages verpflichtet den vom Landtag gewählten Ministerpräsidenten sowie die vom Landtag bestätigten Minister.

Artikel 14. Der Landtag faßt seine Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit, soweit nicht in dieser Ordnung ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Er ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder anwesend ist.

Artikel 15. Der Landtag und jeder seiner Ausschüsse können die Anwesenheit jedes Ministers und jedes Leiters einer zentralen Verwaltungsstelle zum Zwecke der Erteilung von Auskünften verlangen.

Artikel 16. 1. Der Landtag hat das Recht und auf Antrag von einem Fünftel der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Diese Ausschüsse erheben die Beweise, die sie oder die Antragsteller für erforderlich halten.

2. Die Gerichte und Verwaltungsbehörden sind verpflichtet, dem Ersuchen dieser Ausschüsse um Beweiserhebungen nachzukommen. Die Akten der Behörden sind den Ausschüssen auf Verlangen vorzulegen.

3. Für die Beweiserhebungen der Ausschüsse gelten die Vorschriften der deutschen Strafprozeßordnung sinngemäß.

Artikel 17. Zur Wahrnehmung seiner Rechte gegenüber der Regierung für die Zeit, in der er nicht versammelt ist, und zwischen der Beendigung einer Wahlperiode oder der Auflösung des Landtages und dem Zusammentritt des neuen Landtages bestellt der Landtag einen ständigen Ausschuß.

Artikel 18. Der Landtag kann an ihn gerichtete Eingaben der Regierung überweisen und von ihr Auskunft über eingegangene Bitten und Beschwerden verlangen.

Artikel 19. Der Landtag stellt die Grundsätze für die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten auf und überwacht ihre Ausführung. Er genehmigt den Haushalt in Einnahme und Ausgabe.

Artikel 20. Änderungen der Landesverfassung bedürfen der Zustimmung von zwei Drittel aller dem Landtag angehörenden Abgeordneten.

Artikel 21. Die Verhandlungen des Landtages und seiner Ausschüsse sind öffentlich. Ein Ausschluß der Öffentlichkeit findet im Landtag auf Verlangen von zwei Drittel der anwesenden Abgeordneten, in den Ausschüssen auf Verlangen der Mehrheit der Mitglieder statt.

Artikel 22. 1. Wahrheitsgetreue Berichte über die Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Landtages oder seiner Ausschüsse bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei.

2. Der Ausschluß eines Abgeordneten von einer Sitzung des Landtages darf nicht ohne Zustimmung des gesamten Landtagspräsidiums erfolgen und ist auf Verlangen des Landtages sofort wieder aufzuheben.

Artikel 23. 1. Abgeordnete bedürfen zur Ausübung ihrer Tätigkeit keines Urlaubs. 2. Gehalt oder Lohn sind weiterzuzahlen.

Artikel 24. 1. Die Abgeordneten des Landtages erhalten eine Aufwandsentschädigung.

2. Ein Verzicht auf die Aufwandsentschädigung ist unzulässig.

3. Der Anspruch auf Aufwandsentschädigung ist nicht übertragbar und unpfändbar.

Artikel 25. Die Abgeordneten des Landtages erhalten das Recht zur freien Fahrt auf sämtlichen öffentlichen Verkehrsmitteln im Lande.

Artikel 26. 1. Kein Mitglied des Landtages darf zu irgendeiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seiner Tätigkeit als Abgeordneter getanen Äußerungen gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden.

2. Nationalsozialistische und militaristische Propaganda von seiten eines Abgeordneten hat seinen Ausschluß aus dem Landtage zur Folge.

Artikel 27. 1. Beschränkungen der persönlichen Freiheit und Strafverfolgung sind gegen Abgeordnete nur mit Genehmigung des Landtages zulässig.

2. Abgeordnete sind berechtigt, über alles, was sie in ihrer Eigenschaft als Abgeordnete erfahren haben, vor Gericht die Aussage zu verweigern.

3. Eine Durchsuchung oder Beschlagnahme darf in den Räumen des Landtages nur mit Zustimmung des Landtagspräsidenten erfolgen.

Artikel 28. Der Landtag kann vor Ablauf der Wahlperiode aufgelöst werden:
a) durch eigenen Beschluß,
b) durch Volksentscheid.

Die Auflösung des Landtages durch eigenen Beschluß bedarf der Zustimmung von mehr als der Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl.

Artikel 29. 1. Spätestens 60 Tage nach Beendigung der Wahlperiode oder Auflösung des Landtages haben Neuwahlen stattzufinden.

2. Das Landtagspräsidium beraumt den Termin für Neuwahlen an.

C. Landesregierung

Artikel 30. Die Landesregierung besteht aus dem Ministerpräsidenten und den Ministern.

Artikel 31. Der Landtag wählt den Ministerpräsidenten. Er bestätigt die von diesem vorgeschlagenen Minister.

Artikel 32. Ein Minister, dem das Vertrauen entzogen wird, muß zurücktreten. Der Beschluß auf Entziehung des Vertrauens ist nur wirksam, wenn ihm mindestens die Hälfte der Abgeordneten zustimmt, aus denen zur Zeit der Abstimmung die Volksvertretung besteht.

Artikel 33. 1 . Der Antrag auf Herbeiführung des Beschlusses auf Entziehung des Vertrauens muß von mindestens einem Viertel der gesetzlichen Mitgliederzahl unterzeichnet sein.

2. Über den Antrag darf frühestens am zweiten Tage nach seiner Besprechung abgestimmt werden. Er muß binnen einer Woche nach seiner Einbringung zur Erledigung kommen.

Artikel 34. 1. Der Ministerpräsident bestimmt die Richtlinien der Regierungspolitik nach Maßgabe der vom Landtag aufgestellten Grundsätze und ist für deren Durchführung dem Landtag gegenüber verantwortlich; innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Minister den ihm anvertrauten Geschäftszweig selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Landtag.

2. Die Regierung faßt ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.

3. Die Regierung übt das Begnadigungsrecht aus sowie das Recht der Niederschlagung anhängiger Strafverfahren.

Artikel 35. Die Mitglieder der Regierung leisten beim Amtsantritt vor dem Landtag den Eid, daß sie ihre Geschäfte zum Wohle des Volkes getreu der Verfassung und den Gesetzen führen werden.

D. Landesgesetzgebung

Artikel 36. Gesetze werden beschlossen
a) vom Landtag,
b) vom Volke unmittelbar durch Volksentscheid.

Artikel 37. Die Gesetzesvorlagen werden von der Regierung oder aus der Mitte des Landtages eingebracht.

Artikel 38. 1. Über Gesetzentwürfe finden mindestens zwei Lesungen statt.

2. Das Landtagspräsidium hat die verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetze auszufertigen und binnen 14 Tagen im Verordnungsblatt zu verkünden.

Artikel 39. Ein Volksentscheid ist herbeizuführen, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten oder Parteien und Organisationen, die glaubhaft machen, daß sie wenigstens ein Fünftel aller Stimmberechtigten vertreten, dies beantragen (Volksbegehren). Dem Volksbegehren ist ein ausgearbeiteter Gesetzentwurf zugrunde zu legen. Er ist von der Regierung unter Darlegung ihrer Stellungnahme binnen zwei Wochen dem Landtag zu unterbreiten.

Der Volksentscheid findet nicht statt, wenn der begehrte Gesetzentwurf im Landtag in einer Fassung, mit der die Antragsteller oder ihre Vertretungen einverstanden sind, angenommen wird.

Das dem Volksentscheid unterbreitete Gesetz ist angenommen, wenn die Mehrheit der Abstimmenden zugestimmt hat.

Über den Haushaltsplan, über Ausgabengesetze und Besoldungsordnungen findet kein Volksentscheid statt.

Soll auf Volksbegehren durch Volksentscheid eine Verfassungsänderung beschlossen werden, so ist die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich.

Das Verfahren beim Volksbegehren und beim Volksentscheid regelt ein besonderes Gesetz.

Artikel 40. Gesamtdeutsches Recht bricht Landesrecht.

Eine zukünftige Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik ist auch für das Land . . . bindende Rechtsnorm und setzt etwa entgegenstehende Bestimmungen der Landesgesetze außer Kraft.

Artikel 41. Die anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als bindende Bestandteile des Rechts des Landes . . . .

Artikel 42. Ordnungsgemäß verkündete Gesetze sind für alle Richter bindend und von ihnen auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin nicht zu prüfen.

E. Rechtspflege

Artikel 43. Die Rechtsprechung wird nach Maßgabe der Gesetze durch Berufs- und Laienrichter im Sinne sozialer Gerechtigkeit ausgeübt.

Artikel 44. Das Land trägt durch den Ausbau juristischer Bildungsstätten dafür Sorge, daß Angehörigen aller Schichten des Volkes die Möglichkeit gegeben wird, die Fähigkeit zum Richteramt zu erlangen.

Artikel 45. 1. Laienrichter sind auf allen Gebieten und in allen Instanzen der Gerichte hinzuzuziehen.

2. Die Auswahl der Laienrichter erfolgt durch die demokratischen Organisationen.

Artikel 46. 1. Die Richter sind in ihrer Rechtsprechung unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.

2. Der Generalstaatsanwalt und der Präsident des Oberlandesgerichts werden vom Landtag gewählt.

Artikel 47. 1. Ausnahmegerichte sind unstatthaft; niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

2. Sondergerichte sind nur kraft gesetzlicher Bestimmungen zulässig.

Artikel 48. Die Staatsanwälte sind an die Weisungen ihrer vorgesetzten Behörde gebunden.

Artikel 49. Zum Schutze der Bürger gegen Anordnungen und Verfügungen der Verwaltungsbehörden bestehen Verwaltungsgerichte.

Artikel 50. Die Verhandlungen vor allen Gerichten sind öffentlich. Bei Gefährdung der Staatssicherheit oder der öffentlichen Sittlichkeit kann die Öffentlichkeit durch Gerichtsbeschluß ausgeschlossen werden.

Artikel 51. 1. Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

2. Jeder wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte kann sich eines Verteidigers bedienen.

Artikel 52. Amnestien werden durch Gesetze beschlossen.

F. Verwaltung

Artikel 53. 1. Das Land ist in Kreise gegliedert. Die Kreise sind in Gemeinden gegliedert. Durch Gesetz bestimmte größere Städte bilden jeweils einen Stadtkreis. Alle übrigen Gemeinden und Städte sind zu Landkreisen zusammengefaßt.

2. Die Kreise und Gemeinden sind Selbstverwaltungskörper.

3. In ihrer Hand liegt die Entscheidung und Durchführung aller öffentlichen Angelegenheiten, die das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben ihres Gebietes betreffen.

4. Die Organe der Kreise und Gemeinden sind ferner verpflichtet, die ihnen von den übergeordneten Organen übertragenen Angelegenheiten auszuführen.

Artikel 54. Die höchsten Organe der Kreise und Gemeinden sind:
im Landkreis der Kreistag,
im Stadtkreis die Stadtverordnetenversammlung,
in der Gemeinde die Gemeindevertretung.

Artikel 55. 1. Die Verwaltungsgeschäfte der Kreise und Gemeinden führen:
im Landkreis der Kreisrat, dem der Landrat vorsteht,
im Stadtkreis der Stadtrat, dem der Oberbürgermeister vorsteht,
in der Gemeinde der Gemeinderat, dem der Bürgermeister vorsteht.

2. Alle Mitglieder des Kreisrates, des Stadtrates und des Gemeinderates sowie deren Vorsitzende bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens der Körperschaft, von der sie gewählt worden sind.

3. Wird ihnen von der Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl dieser Körperschaft das Vertrauen entzogen, so sind sie verpflichtet, zurückzutreten.

Näheres bestimmt die Kreis- und Gemeindeordnung.

G. Wirtschaft

Artikel 56. 1. Die Ordnung des Wirtschaftslebens muß den Grundsätzen der sozialen Gerechtigkeit mit dem Ziele der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen. In diesen Grenzen ist die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen gewährleistet. Die selbständigen Gewerbetreibenden und Bauern sind in der Entfaltung ihrer privaten Initiative zu unterstützen. Die Freiheit des Handels und Gewerbes ist nach Maßgabe der Gesetze gewährleistet.

2. Es ist Aufgabe der Landesregierung, durch Planung die Wirtschaft sinnvoll zu lenken, um sie den Bedürfnissen des Volkes anzupassen.

Artikel 57. Den Bauern wird das Eigentum auf Grund und Boden garantiert, das sie auf Grund des Gesetzes über die Bodenreform vom ... erhalten haben.

Artikel 58. Das Land und die Selbstverwaltungskörper sollen im Interesse der Befriedigung des Güterbedarfs an der Verwaltung wirtschaftlicher Unternehmungen beteiligt werden oder ihren Einfluß auf andere Weise sicherstellen.

Artikel 59. Die enteigneten Betriebe der aktiven Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher sind landeseigene Betriebe der öffentlichen Hand.

Artikel 60. 1. Jeder landeseigene Betrieb ist ein selbständiges Unternehmen.

2. Die landeseigenen Betriebe werden nach Wirtschaftszweigen zusammengefaßt und von Industrieverwaltungen geleitet.

3. Die Industrieverwaltung steht unter unmittelbarer Kontrolle des Ministeriums oder der Abteilung für öffentliche Betriebe bei der Landesregierung.

H. Finanzwesen

Artikel 61. Abgaben oder Steuern dürfen nur auf Grund gesetzlicher Anordnungen erhoben werden.

Artikel 62. Über die Verwendung aller Einnahmen des Landes legt der Finanzminister in dem folgenden Rechnungsjahr zur Entlastung der Regierung Rechnung ab.

Artikel 63. 1. Alle Einnahmen und Ausgaben des Landes müssen für jedes Rechnungsjahr veranschlagt und in den Haushaltsplan eingestellt werden.

2. Der Haushaltsplan wird vor Beginn jedes Rechnungsjahres durch ein Gesetz festgestellt.

Artikel 64. Im Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden. Eine solche Beschaffung darf nur auf Grund eines Gesetzes erfolgen.

Artikel 65. 1. Vermögens-, Einkommens- und Verbrauchssteuern sind in einem angemessenen Verhältnis zueinander zu halten und nach sozialen Gesichtspunkten zu staffeln. Hierbei ist die Leistungsfähigkeit einerseits und die Aufrechterhaltung einer mittleren Lebenshaltung andererseits zu berücksichtigen.

2. Durch eine starke Staffelung der Erbschaftssteuer soll die Bildung volksschädlicher Riesenvermögen verhindert werden.

I. Volksbildung

Artikel 66. Jeder Bürger hat das gleiche Recht auf Bildung. Sie wird ihm durch öffentliche Einrichtungen gewährleistet.

Die öffentliche Erziehung erfolgt durch eine für Knaben und Mädchen gleiche, organisch gegliederte Einheitsschule mit demokratischem Schulsystem auf der Grundlage der allgemeinen Schulpflicht.

Artikel 67. Die allgemeine Schulpflicht wird durch die Grundschule erfüllt. Nach Beendigung der Grundschule erfolgt die systematische Weiterbildung in der Berufs- oder Fachschule, in der Oberschule und in anderen Bildungseinrichtungen.

Der Besuch der Berufsschule ist Pflicht aller Jugendlichen, mindestens bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahr, wenn sie keine andere öffentliche Schule besuchen. Die Berufsschule dient der fachlichen Weiterbildung der Schüler. Die Oberschule vermittelt Wissen und entwickelt Fähigkeiten, die den Besuch der Hochschule ermöglichen.

Den Angehörigen aller Schichten des Volkes ist die Möglichkeit zu geben, auch ohne Unterbrechung der Berufstätigkeit die zum Studium an einer Hochschule erforderlichen Kenntnisse an Abend- und Volkshochschulen zu erwerben.

Artikel 68. Die Schule soll jedem, unabhängig von der sozialen Lage der Eltern und des Religionsbekenntnisses, die seinen Fähigkeiten und Anlagen entsprechende vollwertige Ausbildung geben. Der Unterricht und die Lernmittel der Grundschulen und Berufsschulen sind unentgeltlich. Die weitere Bildung in der Oberschule und Hochschule ist den Begabten aus allen Schichten des Volkes zu ermöglichen.

Artikel 69. Die Schulen sollen die Jugend zu selbständig denkenden und verantwortungsbewußt handelnden Menschen erziehen, die fähig und bereit sind, sich in das Leben der Gemeinschaft einzuordnen. Als Mittlerin der Kultur hat die Schule die Aufgabe, die Jugend im Geiste des friedlichen und freundschaftlichen Zusammenlebens der Völker und einer echten Demokratie zu wahrer Humanität zu erziehen.

K. Religionsgesellschaften

Artikel 70. 1. Alle Bewohner des Landes genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz.

2. Der Mißbrauch der Kirche oder des Glaubens für politische Zwecke ist verboten.

Artikel 71. 1. Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.

2. Die Ausübung bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis.

3. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Verwaltungsorgane haben nur insoweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte oder Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.

4. Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.

Artikel 72. 1. Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgemeinschaften wird gewährleistet.

2. Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Landes oder der politischen Gemeinden.

3. Die Religionsgesellschaften sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie es bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten.

Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verbande zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft.

4. Die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften sind berechtigt, von ihren Mitgliedern auf Grund der staatlichen Steuerlisten nach Maßgabe der allgemeinen Bestimmungen Steuern zu erheben.

5. Den Religionsgesellschaften werden Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.

Artikel 73. Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden öffentlichen Leistungen an die Religionsgesellschaften werden durch Gesetz abgelöst.

Artikel 74. Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge in Krankenhäusern, Strafanstalten oder anderen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zugelassen. Niemand darf zur Teilnahme an solchen Handlungen gezwungen werden.

Artikel 75. Wer aus einer Religionsgesellschaft mit bürgerlicher Wirkung austreten will, hat den Austritt beim Standesamt zu erklären oder als Einzelerklärung in öffentlich beglaubigter Form einzureichen.

Artikel 76. Die Entscheidung über die Zugehörigkeit der Kinder zu einer Religionsgesellschaft steht bis zu deren vollendetem 14. Lebensjahr den Erziehungsberechtigten zu.

Von diesem Alter an hat das Kind selbst die Freiheit der Entschließung über sein Verbleiben in der Religionsgesellschaft.


Quellen: Gerhard Brass, Die Entstehung der Länderverfassungen in der SBZ 1946/47, Verlag Wissenschaft und Politik 1987
© 8. November 2004
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