Vorläufiges Staatsgrundgesetz des Freistaates Bayern

vom 17. März 1919

Der Landtag des Freistaates Bayern hat das folgende vorläufige Staatsgrundgesetz beschlossen:

§ 1. Der Freistaat Bayern ist Mitglied des Deutschen Reiches.

§ 2. Die höchste Gewalt des bayerischen Staates liegt beim Volk.

§ 3. Das Volk äußert seinen Willen durch die auf der Verfassung beruhenden Organe, dann durch die Wahlen und die von der Verfassung vorgesehenen Abstimmungen der Staatsbürger.

Staatsbürger ist ohne Unterschied der Geburt, des Geschlechtes, des Glaubens und des Berufes jeder Angehörige des bayerischen Staates, der das 20. Lebensjahr vollendet hat.

§ 4. Durch Wahlen der Staatsbürger wird der Landtag gebildet, der aus einer Kammer besteht. Die Wahlen sind allgemein, gleich, unmittelbar, geheim und erfolgen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl.

§ 5. Wahlberechtigt sind alle bayerischen Staatsbürger, wählbar sind alle bayerischen Staatsbürger über 25 Jahre.

§ 6. Die gesetzgebende Gewalt wird vom Landtag ausgeübt. Zum Zustandekommen eines Gesetzes ist die Zustimmung der einfachen Mehrheit der anwesenden Landtagsmitglieder erforderlich.

§ 7. Das Gesamtministerium hat das Recht, Beschlüsse des Landtags, die mit einer Bestimmung des gegenwärtigen vorläufigen Staatsgrundgesetzes in Widerspruch stehen, innerhalb vier Wochen der Volksabstimmung zu unterbreiten. In solchen Fällen werden die Beschlüsse des Landtags erst wirksam, wenn sie in der Volksabstimmung mit einfacher Mehrheit der abstimmenden Staatsbürger bestätigt sind.

Entscheidet die Volksabstimmung gegen den Landtag, so ist er aufzulösen. Entscheidet sie gegen das Gesamtministerium, so hat es zurückzutreten.

Auf Beschlüsse des Landtags, die zum Zustandekommen des endgültigen Staatsgrundgesetzes gefaßt werden, finden diese Bestimmungen keine Anwendung.

§ 8. Die oberste vollziehende Gewalt wird vom Gesamtministerium ausgeübt. Der Vorsitzende des Gesamtministeriums wird vom Landtag mit einfacher Mehrheit der Gesamtzahl seiner Mitglieder gewählt. Die übrigen Minister werden von ihm berufen.

Die Minister bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Landtags. Sie sind für die Führung ihrer Geschäfte dem Landtag verantwortlich.

§ 9. Der Staat sichert die Unverletzlichkeit der Person, Freiheit des Glaubens und der Meinung in Rede und Schrift, Freiheit der Lehre, Wissenschaft und Kunst.

§ 10. Das Eigentum ist unverletzlich. Die Enteignung von Vermögen kann nur zum Zwecke des Gemeinwohls auf Grund Gesetzes erfolgen.

§ 11. Vor dem Gesetz sind alle Einwohner gleich. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Die Rechtsprechung wird durch unabhängige Gerichte ausgeübt.

§ 12. Alle Vorrechte der Geburt und des Adels sowie Titel, die keine Berufsbezeichnungen sind, werden aufgehoben. Neue Fideikommisse dürfen nicht errichtet werden. Die bestehenden Fideikommisse werden durch besonderes Gesetz aufgehoben.

§ 13. Die öffentlichen Lasten sind ansteigend nach der Leistungsfähigkeit zu verteilen.

§ 14. Die Gemeinden und Gemeindeverbände haben das Recht der Selbstverwaltung nach Maßgabe der Gesetze. Die Wahlen zu den gemeindlichen Vertretungskörpern erfolgen nach den Grundsätzen des Landtagswahlrechts.

§ 15. Die Glaubensgesellschaften sind gleichberechtigt und ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten selbständig nach Maßgabe der Staatsgesetze. Niemand kann zum Eintritt in eine Glaubensgesellschaft oder zum Verbleiben in ihr, zur Teilnahme oder Nichtteilnahme an Kultushandlungen gezwungen werden.

Bestehende Rechte der Glaubensgesellschaften können nur durch Gesetz abgelöst werden.

§ 16. Das Unterrichtswesen ist eine staatliche Angelegenheit. Die Erteilung des Religionsunterrichts ist den Glaubensgesellschaften überlassen. Staatliche Lehrpersonen können zur Erteilung des Religionsunterrichts nicht gezwungen werden. Die Erziehungsberechtigten können von Staatswegen nicht gezwungen werden, die ihnen anvertraute Jugend zur Teilnahme am Religionsunterricht oder an religiösen Übungen anzuhalten.

§ 17. Die Beamten haben das unbeschränkte Recht der staatsbürgerlichen Betätigung. Die Rechte der Beamten bleiben unangetastet.

§ 18. Dieses vorläufige Staatsgrundgesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft. Das vorläufige Staatsgrundgesetz vom 4. Januar 1919 (GVBl. S. 1ff.) wird aufgehoben.

verkündet am 2. April 1919

München, den 17. März 1919

Hoffmann.        Endres.        Frauendorfer.        Schneppenhorst.        Segitz.        Simon.        Steiner.        Unterleitner.


Quelle: Gesetz- und Verordnungsblatt für den Volksstaat Bayern 1919 S. 109ff.
© 22. Mai 2011

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