Gesetz, die Verantwortlichkeit der Minister betreffend

(Verfassungsgesetz;
III. Beilage zum Abschiede für die Stände-Versammlung)

vom 4. Juni 1848

geändert durch
das Beamtengesetz vom 16. August 1908 (GVBl. S. 581)

Maximilian II.
von Gottes Gnaden König von Bayern, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Bayern, Franken und Schwaben ect. ect.

Wir haben nach Vernehmung Unseres Staatsrathes und mit Beirath und Zustimmung der Lieben und Getreuen, der Stände des Reichs, unter Beobachtung der im § 7 Tit. X. der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Formen, beschlossen und verordnen, was folgt:

Artikel I. Die Führung eines Ministeriums kann nur einem Staatsrathe im ordentlichen Dienste übertragen werden, welcher hiedurch einen sofort unentziehbaren Standesgehalt von 3000 fl. erhält, soferne ihm nicht aus früheren Dienstes-Verhältnissen ein höherer zukommt. Niemand ist zur Annahme eines Staatsministeriums verpflichtet.

Durch das Beamtengesetz vom 16. August 1908 wurden im Artikel I. die Worte "welcher hiedurch seinen sofort unentziehbaren Standesgehalt von 3000 fl. erhält, soferne ihm nicht aus früheren Dienstes-Verhältnissen ein höherer zukommt" ersetzt durch: "welcher hiedurch einen sofort unentziehbaren Anspruch auf Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung nach Maßgabe der für unwiderrufliche Beamte geltenden Vorschriften erhält"

Artikel II. Die vorübergehende Leitung der Geschäfte eines Staatsministeriums durch einen vom Könige zu bestimmenden Staatsrath oder Vorstand eines anderen Ministeriums darf nur stattfinden:
1) wenn der wirkliche Staatsminister an der Ausübung seines Amtes verhindert ist;
2) in so lange die sofort einzuleitende Wiederbesetzung eines erledigten Staatsministeriums zu keinem Resultate geführt hat.

Artikel III. Ein Staatsminister kann zu jeder Zeit um Enthebung von seiner Stelle bitten. Dieselbe darf ohne Rücksicht auf § 24 der IX. Verfassungs-Beilage nicht verweigert werden, wenn sie aus dem Grunde erbeten wurde, weil der König in wichtigen Regierungs-Angelegenheiten die Nachschläge Seines Ministers nicht annehmen zu können glaubt.

Dem auf diese Weise in Folge seiner Bitte, sowie dem aus eigenem Antriebe des Monarchen enthobenen Staatsminister verbleibt der Standesgehalt ungeschmälert.

Durch das Beamtengesetz vom 16. August 1908 wurden im Artikel III Absatz 1 die Worte "ohne Rücksicht auf § 24 der IX. Verfassungs-Beilage" gestrichen und der Absatz 2 erhielt folgende Fassung:
"Der auf diese Weise in Folge seiner Bitte sowie der aus eigenem Antriebe des Königs enthobene Staatsminister erhält den im Art. I bestimmten Ruhegehalt; der König kann ihm aber innerhalb des gesetzlich zulässigen Höchstbetrages einen höheren Ruhegehalt zuweisen."

Artikel IV. Der König wird Seine Regierungs-Anordnungen jedesmal von den Ministern oder von den zeitlichen Stellvertretern gegenzeichnen lassen, in deren Geschäftskreis die Sache einschlägt.

Ohne solche Gegenzeichnung sind die besagten Anordnungen nicht vollziehbar.

Artikel V. Derjenige Staatsbeamte, welcher den Vollzug einer ohne ministerielle Gegenzeichnung ergangenen Regierungsanordnung des Königs auf sich nimmt, macht sich des Mißbrauchs der Amtsgewalt schuldig.

Artikel VI. Jeder Staatsminister, und Jeder, welcher vorübergehend mit der Leitung eines Staatsministeriums betraut ist, übernimmt durch die Gegenzeichnung königlicher Entschließungen, sowie durch die Unterzeichnung der in eigener Competenz getroffenen Ministerial-Verfügungen, die volle Verantwortlichkeit für deren Inhalt.

Artikel VII. Hält der Vorstand eines Staatsministeriums eine ihm angesonnene Amtshandlung für gesetzwidrig, oder dem Landeswohl nachtheilig, so ist er verpflichtet, dieselbe abzulehnen, beziehungsweise seine Gegenzeichnung unter schriftlicher Angabe der Gründe zu verweigern. Er ist berechtigt, seine Gründe dem Ministerrath darzulegen, dessen Protokoll dem Könige vorzulegen ist.

Artikel VIII. Jedem wirklichen oder abgetretenen Staatsminister oder Verweser eines Staatsministeriums dürfen die amtlichen Behelfe zur Rechenschaftsablage über seine Amts-Verwaltung nicht vorenthalten werden, wenn er derselben zu seiner Rechtfertigung vor dem Könige oder den Ständen des Reichs bedarf.

Artikel IX. Ein Staatsminister oder dessen Stellvertreter, der durch Handlungen oder Unterlassungen die Staatsgesetze verletzt, ist den Ständen des Reichs verantwortlich, und kann auf deren Anklage mit Rücksciht auf den Grad des Verschuldens und auf den Erfolg der Pflichtverletzung
1) mit einfacher Entfernung vom Dienste unter Belassung des ihm nach § 19 der Verfassungs-Beilage IX. gebührenden Ruhegehalts,
2) mit Dienstes-Entlassung ohne Ruhegehalt, oder
3) mit Dienstes-Entsetzung - Cassation - bestraft werden.

Durch das Beamtengesetz vom 16. August 1908 wurden im Artikel IX die Worte "nach § 19 der Verfassungs-Beilage IX" gestrichen

Artikel X. Erachten die Stände des Reiches die Voraussetzungen des Artikels IX. für gegeben, und demnach durch ihre Pflicht sich aufgefordert, gegen einen Minister oder Minister-Stellvertreter förmliche Anklage zu erheben, so wird der König, nachdem das durch Tit. X. § 6 Absatz I und II der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebene Verfahren stattgefunden hat, den Angeklagten vorläufig suspendiren, und die erhobene Anklage durch einen hiezu besonders zusammenberufenden Staatsgerichtshof unverzüglich zur Entscheidung bringen lassen.

Die Bestimmungen des § 16 der IX. Verfassungs-Beilage bleiben hiebei außer Anwendung.

Durch das Beamtengesetz vom 16. August 1908 wurden im Artikel X der Absatz 2 gestrichen.

Artikel XI. Die Verhandlungen des Staatsgerichtshofes sind mündlich und öffentlich.

Die Einreichung und Vertretung der Anklage geschieht durch Bevollmächtigte der Stände des Reichs, welche jede Kammer durch absolute Stimmen-Mehrheit zu wählen hat.

Ueber die Thatfrage der Anklage haben Geschworne, über die Rechtsfrage rechtskundige Richter zu entscheiden.

Im Uebrigen richtet sich die Zusammensetzung und das Verfahren des Staats-Gerichtshofes nach den einschlägigen besondern gesetzlichen Bestimmungen.

Artikel XII. Bezüglich der im Art. IX. vorgesehenen Strafen wird der König von dem Rechte der Begnadigung keinen Gebrauch machen.

Die Rehabilitirung des Verurtheilten kann nur mit Zustimmung der Stände des Reichs erfolgen.

Artikel XIII. Durch das Verfahren vor dem Staats-Gerichtshofe wird
1) die zuständige Wirksamkeit der ordentlichen Strafgerichte bezüglich der etwa concurrirenden gemeinen oder Amtsverbrechen oder Vergehen, sowie
2) die Verfolgung der Entschädigungs-Ansprüche vor den bürgerlichen Gerichten nicht ausgeschlossen.

Artikel XIV. Gegenwärtiges Gesetz tritt mit dem Tage der Bekanntmachung durch das Gesetzblatt in Wirksamkeit, und soll als ein ergänzender BEstandtheil der Verfassungs-Urkunde und als ein Grundgesetz des Reiches angesehen werden, welches nur in der Tit. X. § 7 der Verfassungs-Urkunde vorgeschriebenen Weise wieder abgeändert werden kann.

    Gegeben München, den 4. Juni 1848.

Maximilian

v. Thon-Dittmer, Heintz, Lerchenfeld, Weishaupt, Graf v. Bray, v. Strauß, Staatsrath.

 

Nach dem Befehle Seiner Majestät des Königs:
der geheime Secretär des Staatsrathes,
Rath Seb. von Kobell

Das vorstehende Gesetz ergänzte u.a. den Titel X. § 6 der Verfassungs-Urkunde. Hierzu erging das Gesetz vom 30. März 1850, den Staatsgerichtshof und das Verfahren bei Anklagen gegen Minister betreffend.
 


Quellen: Bayerisches Gesetzblatt 1818, S. 325ff, ausgeg. am 15. Juli 1818
©  17. Mai 2003
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