Gesetz Nr. 32
über die Verwaltung und Wahlen in den Gemeinden
(des Landesbezirks Baden in Württemberg-Baden)

vom 10. Januar 1946

geändert durch:
Gesetz Nr. 323 über die Verhandlungen des Gemeinderats im Landesbezirk Baden vom 25. Juli 1947 (RegBl. S. 77)
Gesetz Nr. 328 über die Neuwahl der Gemeinderäte und Bürgermeister, Kreistage und Landräte vom 23. Oktober 1947 (RegBl. S. 102)

aufgehoben durch
Gemeindeordnung für Baden-Württemberg vom 25. Juli 1955 (GBl. S. 129).

Das Staatsministerium hat für Nordbaden das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird:

§ 1. Die Verwaltung der Gemeinde kommt dem Gemeinderat zu.

§ 2. (1) Der Gemeinderat besteht
a) aus dem Bürgermeister,
b) aus 4 bis 24 ehrenamtlich tätigen Gemeinderäten und zwar in Gemeinden:
bis zu     1000 Einwohnern                 4,
bis zu     2000 Einwohnern                 6,
bis zu     5000 Einwohnern                 8,
bis zu     10000 Einwohnern             10,
bis zu     15000 Einwohnern             12.
bis zu     20000 Einwohnern             14,
bis zu     25000 Einwohnern             16,
und über 25000 Einwohnern            24.

(2) Außerdem gehören dem Gemeinderat die in der Gemeinde bestellten stellvertretenden Bürgermeister an.

Durch Gesetz Nr. 328 vom 23. Oktober 1947 wurde der § 2 Abs. 1 faktisch durch Art. 6 Abs. 3 aufgehoben.

§ 3. Die Bürgermeister und Gemeinderäte werden auf die Dauer von 2 Jahren gewählt.

Durch Gesetz Nr. 328 vom 23. Oktober 1947 wurde der § 3  faktisch durch Art. 7 Abs. 1 Satz 1 aufgehoben.

§ 4. (1) Der Bürgermeister wird in Gemeinden bis zu 3000 Einwohnern von sämtlichen Wahlberechtigten, in den größeren Gemeinden von den Mitgliedern des Gemeinderats, in beiden Fällen mit mehr als der Hälfte der abgegebenen Stimmen in geheimer Wahl gewählt.

(2) Erhält bei der Bürgermeisterwahl durch sämtliche Wahlberechtigten kein Bewerber mehr als die Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen, so findet Nachwahl unter den zwei Bewerbern statt, welche bei der ersten Wahl die höchste Stimmenzahl erhalten haben.

(3) Die stellvertretenden Bürgermeister werden durch den Gemeinderat gewählt. Sind gleichzeitig mehrere stellvertretende Bürgermeister zu wählen, so erfolgt die Wahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl.

Durch Gesetz Nr. 328 vom 23. Oktober 1947 wurde der § 4 faktisch durch Art. 7 aufgehoben.

§ 5. (1) Die Wahl der ehrenamtlich tätigen Gemeinderäte erfolgt mittels Vorschlagslisten nach den Grundsätzen der Verhältniswahl.

Vorschlagslisten können einreichen:
a) alle von der Militärregierung schon genehmigten politischen Parteien,
b) jede Gruppe von Wahlberechtigten, die den für die zugelassenen politischen Parteien festgelegten Bedingungen entspricht.

(2) Die Wahl beschränkt sich auf die in den Vorschlagslisten enthaltenen Bewerber (gebundene Listen). Die zu besetzenden Stellen werden unter die Vorschlagslisten nach dem Verhältnis der auf sie entfallenden Stimmen verteilt. Die Bewerber gelten als gewählt in der Reihenfolge, in der sie in der Vorschlagsliste aufgeführt sind; die nächstfolgenden gelten als Ersatzmänner für die Zeit bis zur nächsten ordentlichen Gemeindewahl.

Durch Gesetz Nr. 328 vom 23. Oktober 1947 wurde der § 5 faktisch durch Art. 6 und 13 in Verbindung mit Artikel 2 und 6 Abs. 2 aufgehoben.

§ 6. (1) Zur Teilnahme an den Wahlen sind alle deutschen Männer und Frauen berechtigt, die am Tag der Wahl,
a) das 21. Lebensjahr vollendet haben,
b) seit mindestens 12 Monaten in der Gemeinde. ihren Aufenthalt haben oder zur Zeit der Wahl Bürgermeister sind und
c) vom Wahlrecht nicht ausgeschlossen sind.

(2) Wer das Wahlrecht infolge Wegzugs verloren hat, jedoch vor Ablauf von 3 Jahren zurückkehrt, erhält mit der Rückkehr das Wahlrecht wieder.

(3) In bezug auf das Wahlrecht gelten auch alle jene Personen als deutsche Staatsbürger, die das deutsche Staatsbürgerrecht zu irgendeinem Zeitpunkt vor September 1939 besaßen und seitdem keine andere Staatsbürgerschaft erworben haben.

Durch Gesetz Nr. 328 vom 23. Oktober 1947 wurde der § 6 faktisch durch Art. 3 aufgehoben.

§ 7. (1) Ausgeschlossen vom Wahlrecht sind:
a) wer entmündigt ist oder unter vorläufiger Vormundschaft oder wegen geistigen Gebrechens unter Pflegschaft steht,
b) wer rechtskräftig durch Richterspruch die bürgerlichen Ehrenrechte verloren hat,
c) Personen, die sich in Zwangshaft befinden,
d) Personen, die der NSDAP vor dem 1. Mai 1937 beigetreten sind und alle aktiven Mitglieder, die nach diesem Zeitpunkt eingetreten sind, ferner Amtsträger, ehemalige haupt- oder nebenamtliche Parteifunktionäre,
e) alle ehemaligen Mitglieder der SS, worunter auch die nach 1942 zwangsweise in die (Waffen-) SS Eingereihten fallen,
f) alle ehemaligen Amtsträger, Führer und Unterführer der SA, des NS-Studentenbundes, des NS-Dozentenbundes, der NS-Frauenschaft, des NSKK und des NSFK, Rangträger der HJ vom Unterbannführer, des Jungvolks vom Stammführer und des BDM von der Ringführerin an aufwärts,
g) andere Personen, die als Anhänger und Mitarbeiter der NSDAP besonders bekannt waren.

(2) Behindert in der Ausübung ihres Wahlrechts sind Personen, die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht sind, ferner Straf- und Untersuchungsgefangene sowie Personen, die infolge gerichtlicher oder polizeilicher Anordnung in Verwahrung gehalten werden.

Durch Gesetz Nr. 328 vom 23. Oktober 1947 wurde der § 7 faktisch durch Art. 4 aufgehoben.

§ 8. (1) Wählbar sind, wenn sie das 25. Lebensjahr zurückgelegt haben,
a) als Gemeinderäte die wahlberechtigten Personen,
b) als Bürgermeister alle deutschen Staatsangehörigen, sofern sie nicht nach § 7 vom Wahlrecht ausgeschlossen sind.

(2) Nicht wählbar sind außer den vom Wahlrecht ausgeschlossenen Personen (vergl. § 7) auch alle nach dem 30. April 1937 in die NSDAP eingetretenen Parteimitglieder.

Durch Gesetz Nr. 328 vom 23. Oktober 1947 wurde der § 8 faktisch durch Art. 5 aufgehoben.

§ 9. (1) Auf die Wahlen der Gemeinderäte und der Bürgermeister sind die Bestimmungen der früheren badischen Gemeindewahlordnung in der Fassung der. Bekanntmachung vom 28. September 1926 (Gesetz-  und Verordnungsblatt Seite 221), der Verordnung vom 13. Oktober 1926 (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 266) und der Verordnung vom 16. Juli 1930  (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 87 und 91 .bis 111) mit den aus diesem Gesetz und den Anordnungen der Militärregierung sich ergebenden Änderungen anzuwenden.

(2) Der Badische Landesdirektor des Innern wird ermächtigt, den Text der hiernach gültigen Wahlordnung mit neuer Paragraphenfolge bekannt zu geben.

Durch Gesetz Nr. 328 vom 23. Oktober 1947 wurde der § 9 faktisch durch Art. 2 aufgehoben.

§ 10. Für die Einsprache gegen Wahlen sind die Bestimmungen des § 41 der früheren badischen Gemeindeordnung vom 5. Oktober 1921 (Gesetz- und Verordnungsblatt 1922 Seite 183), 21. Juli 1925 (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 181) und 29. Juli  1926 (Gesetz: und Verordnungsblatt Seite 169) maßgebend.

Durch Gesetz Nr. 328 vom 23. Oktober 1947 wurde der § 10 faktisch durch die Gemeindewahlordnung vom 20. Dezember 1945 in Verbindung mit Art. 2 und 6 Abs. 2 aufgehoben.

§ 11. Wird die Stelle eines Gemeinderats durch Tod oder Austritt erledigt, so tritt für die noch übrige Amtsdauer an die Stelle des Abgegangenen der der gleichen Vorschlagsliste angehörende nächste Bewerber; fehlt es an einem solchen, so wird' vom Gemeinderat sofort mit einfacher Stimmenmehrheit ein Ersatzmann gewählt, bei Stimmengleichheit entscheidet das Los. Es ist zulässig, daß die zunächst berufenen Ersatzleute für den einzelnen Fall zugunsten eines nachfolgenden Ersatzmannes oder zugunsten der Wahl des Ersatzmannes gemäß Satz 1 Halbsatz 2 zurücktreten.

Durch Gesetz Nr. 328 vom 23. Oktober 1947 wurde der § 11 faktisch durch die Gemeindewahlordnung vom 20. Dezember 1945 in Verbindung mit Art. 2 und 6 Abs. 2 aufgehoben.

§ 12. (1) Für die Verwaltung der Gemeinde durch ihre Organe sind die Bestimmungen der §§ 42 bis 54 der früheren badischen Gemeindeordnung vom 5. Oktober 1921: (Gesetz- und Verordnungsblatt 1922 Seite 183), vom 21. Juli 1925 (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 181) und 29. Juli 1926 (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 169) entsprechend anzuwenden.

(2) Der Bürgermeister ist dem Gemeinderat für die Durchführung seiner Beschlüsse verantwortlich. Die Vertretung der Gemeinde erfolgt durch den Bürgermeister.

(3) Der Gemeinderat kann wahlberechtigte Bürger zur ehrenamtlichen Tätigkeit in der Gemeinde unter Aufsicht des Bürgermeisters bestellen.

Durch Gesetz Nr. 323 vom 25. Juli 1947 wurde der § 12 Abs. 1 durch folgenden Satz ergänzt:
"Die Verhandlungen des Gemeinderats sind jedoch in Abweichung von § 49 Abs. 1 der früheren badischen Gemeindeordnung vom 5. Oktober 1921 öffentlich, soweit nicht das öffentliche Wohl oder berechtigte Belange einzelner entgegenstehen."

§ 13. Die Staatsaufsicht hat sich darauf zu beschränken, sicherzustellen, daß die Gemeinden im Einklang mit den Gesetzen verwaltet werden. Gegen die Anordnungen der Aufsichtsbehörde ist die Beschwerde, außerdem ist gegen die Aufsichtsbehörde die Klage beim Verwaltungsgerichtshof zulässig.

§ 14. (1) Das Gesetz findet erstmals auf die im Jahre 1946 stattfindenden Gemeindewahlen Anwendung. Im übrigen tritt es mit dem Zeitpunkt der Neubildung der Gemeinderäte in Kraft. Von den gleichen Zeitpunkten an treten entgegenstehende Bestimmungen des bisher geltenden Rechts außer Kraft.

(2) Aufgehoben sind ferner alle Bestimmungen, die eine Zurücksetzung wegen der Rasse und Religion oder eine Förderung nationalsozialistischer Grundsätze und Lehren vorsehen.

siehe hierzu die Verordnung Nr. 1048 der Landesregierung zur Durchführung der §§ 62, 78 und 105 der Deutschen Gemeindeordnung im Landesbezirk Baden vom 5. Juli 1949 (RegBl. S. 182).

    Stuttgart, den 10. Januar 1946

Das Staatsministerium:
Dr. Reinhold Maier             Dr. Heinr. Köhler
Josef Beyerle                        Fritz Ulrich
Theodor Heuß                     Cahn-Garnier
    Joseph Andre                    Otto Steinmayer

Eine Eigentümlichkeit des Gemeinderechts nach 1945 war in Württemberg-Baden das in den beiden Landesbezirken (Nord-)Württemberg und (Nord-)Baden) unterschiedliche Gemeinderecht. In Württemberg galt weiter die Deutsche Gemeindeordnung, die nur von den nationalsozialistischen Bestimmungen gereinigt wurde und Bestimmungen über das Organ "Gemeinderat" einfügte. In Baden jedoch wurde, obwohl dasselbe Land, ein reines Provisorium errichtet, das auf das badische Gemeinderecht von vor 1933 zurückgriff, die Deutsche Gemeindeordnung von 1935 aber ohne formale Änderung fortbestehen ließ, soweit deren Bestimmungen nicht den Bestimmungen des vorstehenden Gesetzes nicht widersprach und die nationalsozialistischen Bestimmungen nur allgemein aufhob (§ 14 Abs. 2).

Das Gemeinderecht in Württemberg-Baden bestand bis zum Erlaß der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg vom 25. Juli 1955 (GBl. S. 129) fort.


Quelle: Regierungsblatt für Württemberg-Baden 1946 S. 35
© 26. Juli 2004

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