Vorläufige Verfassung für Groß-Berlin

vom 13. August 1946

geändert durch
Gesetz vom 14. Mai 1949 (VBl. S. 151)

Kapitel I: Allgemeine Bestimmungen

Art. 1. (1) Groß-Berlin ist die für das Gebiet der Stadtgemeinde Berlin alleinige berufene öffentliche Gebietskörperschaft.

(2) Groß-Berlin hat alle öffentlichen Aufgaben in seinem Gebiete nach dieser Verfassung zu erfüllen.

(3) Groß-Berlin führt Wappen und Flagge mit dem Bären. Die Einzelheiten werden in einer besonderen Verordnung bestimmt.

Art. 2. (1) Die Gesamtheit der deutschen Bürger von Groß-Berlin äußert ihren Willen durch die gewählten Vertretungskörper.

(2) Alle Bürger von Groß-Berlin sind im Rahmen der geltenden Gesetze gleichberechtigt, unabhängig von Rasse, Geschlecht, Glaubensbekenntnis und Vermögen.

(3) Vertretungskörper sind die Stadtverordnetenversammlung und der Magistrat.

Art. 3. (1) Die Stadtverordnetenversammlung wird auf Grund allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl der Wahlberechtigten von Groß-Berlin nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gebildet.

(2) Die Mitglieder des Magistrats werden von der Stadtverordnetenversammlung für deren Wahldauer gewählt. In dem Magistrat müssen Vertreter aller anerkannten politischen Parteien sein, sofern es die betreffenden Parteien verlangen. Bei den Mitgliedern des Magistrats müssen die Voraussetzungen zur Erfüllung ihres Amtes vorhanden sein.

(3) Die Gewählten bleiben bis zur Verpflichtung der neugewählten Stadtverordneten und Mitglieder des Magistrats in Tätigkeit.

(4) Die Wahl der Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung sowie Näheres über diese Wahl wird in der Wahlordnung geregelt.

Kapitel II: Die Stadtverordnetenversammlung

Art. 4. Die Stadtverordnetenversammlung besteht aus 130 Mitgliedern (Stadtverordneten). Sie wird für die Dauer von 2 Jahren gewählt.

Art. 5. Der Stadtverordnetenversammlung liegt ob:

(1) Die Wahl der Mitglieder des Magistrats;

(2) die Beschlußfassung über:
(i) die Verfassung von Groß-Berlin und ihre Änderung;
(ii) alle gesetzlichen Regelungen (Verordnungen und Satzungen);
(iii) die Feststellung des Haushaltsplanes sowie die Bewilligung und die Art der Deckung außerplanmäßiger Ausgaben;
(iv) die Festsetzung der Abgaben;
(v) die Entlastung auf Grund der Prüfung und Feststellung der Jahresabrechnung;
(vi) die Aufnahme von Darlehen und Anleihen;
(vii) die Schaffung neuer und Einstellung der Tätigkeit veralteter, schädlicher und unnötiger unrentabler Anstalten und Betriebe;
(viii) die Beteiligung an neuen Unternehmen, die in Form des öffentlichen oder privaten Rechts betrieben werden;
(ix) die Verleihung und Aberkennung des Titels eines Ehrenbürgers.

(3) Die Überwachung der Ausführung der von den Vertretungskörpern beschlossenen gesetzlichen Regelungen sowie der gesamten Verwaltung.

Art. 6. (1) Innerhalb 2 Wochen nach der Veröffentlichung des endgültigen Ergebnisses der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung hat der Magistrat die Gewählten zur Bildung der Stadtverordnetenversammlung einzuberufen, und zu Beginn der ersten Sitzung durch Handschlag zur gewissenhaften Erfüllung ihrer Obliegenheiten zu verpflichten.

(2) Die Stadtverordnetenversammlung wählt in der ersten Sitzung aus ihrer Mitte den Vorstand für die Wahldauer, bestehend aus einem Vorsitzenden und einem Schriftführer, sowie deren Stellvertretern.

(3) Die Stadtverordnetenversammlung wird einmal im Monat einberufen. Die Einberufung hat durch den Vorsitzenden zu erfolgen, wobei die Tagesordnung mitzuteilen ist. Die Einladung ist mindestens 2 volle Tage vor dein Tage der Sitzung einzeln an jeden Stadtverordneten zu richten.

Außerordentliche Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung können auch:
(i) seitens des Vorsitzenden,
(ii) auf Verlangen von mindestens einem Viertel der Stadtverordneten, oder
(iii) auf Verlangen des Magistrats einberufen werden.

Ausgenommen in Fällen äußerster Dringlichkeit, muß die Einladung ebenfalls mindestens 2 volle Tage vor dem Tage der Sitzung einzeln an jeden Stadtverordneten, unter Angabe der zu behandelnden Fragen, gerichtet werden.

(4) Bei der Beratung und Abstimmung über Gegenstände, die das besondere Privatinteresse eines Stadtverordneten berühren, darf dieser Stadtverordnete nicht zugegen sein. Sein Standpunkt muß jedoch durch seine schriftliche Erklärung angehört werden.

(5) Falls ein Mitglied der Stadtverordnetenversammlung sein Wahlrecht verliert, scheidet er aus der Stadtverordnetenversammlung aus und verliert seine Rechte als Stadtverordneter.

(6) Die Stadtverordnetenversammlung gibt sich selbst eine Geschäftsordnung.

Art. 7. (1) Die Stadtverordnetenversammlung tagt öffentlich. Auf Antrag des Magistrats oder des Vorsitzenden oder eines Fünftels der Stadtverordneten kann für bestimmte Angelegenheiten die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Die Beschlußfassung darüber erfolgt in geheimer Sitzung.

(2) Die Stadtverordnetenversammlung kann zur Beratung bestimmter allgemeiner wie einzelner Aufgaben Ausschüsse bilden. Diese wählen aus ihrer Mitte zur Einberufung und Leitung der Sitzungen einen Vorsitzenden und einen Schriftführer.

(3) Die Stadtverordnetenversammlung wie deren Ausschüsse sind beschlußfähig, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder anwesend ist. Die Beschlüsse werden, sofern nichts anderes bestimmt, mit einfacher Stimmenmehrheit gefaßt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Beschlüsse über Änderungen der Verfassung bedürfen einer Zweidrittelmehrheit.

(4) Über die Sitzungen ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie bat die behandelten Fragen sowie Art und Ergebnis der Abstimmung zu enthalten. Die gefaßten Beschlüsse sind in ein besonderes Buch einzutragen. Die Niederschriften über die Sitzung wie die Eintragung der Beschlüsse sind vom Vorsitzenden, der die Sitzung geleitet hat, und dem Schriftführer zu unterzeichnen.

Art. 8. Die Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung erhalten das Recht zur freien Fahrt innerhalb von Groß-Berlin auf den öffentlichen Verkehrsmitteln, nebst Sitzungsgeld und Erstattung des durch die Sitzung entstandenen Lohnausfalles.

Kapitel III. Der Magistrat

Art. 9. (1) Der Magistrat besteht aus dem Oberbürgermeister, 3 Bürgermeistern und höchstens 16 weiteren hauptamtlichen besoldeten Mitgliedern.

(2) Die Mitglieder des Magistrats leisten bei der Übernahme ihres Amtes vor der Stadtverordnetenversammlung den Eid, daß sie ihre Aufgaben unparteiisch, zum Wohle der Gesamtheit und getreu den Gesetzen führen werden. Wenn ein Magistratsmitglied gegen den Eid verstößt oder sich als völlig ungeeignet für sein Amt erweist, kann es, nach vorheriger Verhandlung vor einem besonderen durch die Stadtverordnetenversammlung für diesen Zweck gewählten Ausschuß, durch Beschluß der Stadtverordnetenversammlung abberufen werden. Dieser Beschluß bedarf der Zweidrittelmehrheit des gesamten Bestandes der Stadtverordnetenversammlung.

Art. 10. (1) Der Magistrat ist zu allen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung und deren Ausschüsse unter Angabe der Gegenstände einzuladen.

(2) Die Stadtverordnetenversammlung kann die Anwesenheit beliebiger Magistratsmitglieder zur Berichterstattung in der Sitzung verlangen. Die Mitglieder des Magistrats müssen während der Beratung jederzeit gehört werden.

(3) Dem Magistrat sind alle Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung mitzuteilen.

Art. 11. (1) Der Magistrat ist das oberste, leitende und vollziehende Organ Groß-Berlins und vertritt Groß-Berlin nach außen.

Er ist der Stadtverordnetenversammlung unbeschränkt verantwortlich und untersteht ihren Anweisungen.

Der Magistrat erläßt Verordnungen und Satzungen auf der Basis und zur Durchführung der geltenden rechtskräftigen Regelungen, welche von der Stadtverordnetenversammlung und von den Alliierten Mächten angenommen wurden. Der Magistrat überwacht die Durchführung dieser Regelungen und Verordnungen.

Die Verordnungen und Anweisungen des Magistrats müssen auf dem gesamten Gebiete Groß-Berlins durchgeführt werden.

Die Stadtverordnetenversammlung kann durch Beschluß mit zwei Drittel Stimmenmehrheit des gesamten Bestandes der Stadtverordnetenversammlung den Rücktritt des Magistrats verlangen. Dieser Beschluß ist unter Angabe der Gründe der Alliierten Kommandatura zwecks deren Zustimmung zu unterbreiten. Wird diese Zustimmung erteilt, so hat der Magistrat unverzüglich zurückzutreten.

(2) Der Magistrat ist ermächtigt, zur Sitzung der Stadtverordnetenversammlung Fragen für die Tagesordnung einzureichen und Vorschläge in einer entsprechenden Form zur Besprechung auf dieser Sitzung vorzubereiten.

(3) Der Magistrat bestimmt die Richtlinien, nach denen die öffentlichen Aufgaben zu erfüllen sind und überwacht die Bezirksämter.

(4) Der Magistrat stellt an, versetzt und entläßt alle Personen, die im Dienst von Groß-Berlin stehen und führt die Dienstaufsicht, soweit nicht ein Mitglied des Magistrats oder das Bezirksamt oder ein Mitglied desselben damit beauftragt ist.

(5) Der Magistrat faßt seine Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Der Magistrat ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder anwesend ist.

(6) Bei Beratung und Abstimmung über Gegenstände, die das besondere Privatinteresse eines Mitgliedes des Magistrats berühren, darf dieses Mitglied nicht zugegen sein, jedoch muß es durch eine Annahme seiner schriftlichen Erklärung angehört werden.

(7) Der Magistrat gibt sich selbst eine Geschäftsordnung.

Art. 12. (1) Der Oberbürgermeister ist der Vorsitzende des Magistrats. Er vertritt den Magistrat nach außen, leitet die Sitzungen des Magistrats und führt die Dienstaufsicht über die übrigen Magistratsmitglieder.

(2) Die drei Bürgermeister sind die ständigen Stellvertreter des Oberbürgermeisters.

(3) Der Oberbürgermeister - bei seiner Verhinderung sein Stellvertreter - hat in Fällen, die keinen Aufschub dulden, die dem Magistrat obliegenden Aufgaben vorläufig allein zu besorgen. Dem Magistrat ist die Angelegenheit in der darauffolgenden Sitzung oder in Fällen von besonderer Wichtigkeit in einer außerordentlichen Sitzung zur endgültigen Beschlußfassung vorzulegen. Solcher Beschluß muß mit dieser Verfassung und mit den Grundsätzen der Demokratie im Einklang stehen.

(4) Der Magistrat besorgt als leitende und vollziehende Behörde seine Aufgaben in Abteilungen, deren Zahl nicht 18 übersteigen darf. Jede Abteilung wird von einem Magistratsmitglied geleitet.

(5) Jedes Magistratsmitglied leitet gemäß den nach Artikel 11 aufgestellten Richtlinien die ihm durch die Wahl der Vertretungskörper übertragenen Aufgaben selbständig und unter eigener Verantwortung.

Art. 13. Die Beschlüsse der Vertretungskörper in den Beschlußfassungsangelegenheiten (Artikel 5, Nr. 2 und Artikel 11, Abs. 1) sind nur dann für die Gebietskörperschaft bindend, wenn sie von der Stadtverordnetenversammlung und vom Magistrat in Übereinstimmung gefaßt worden sind. Kommt eine Übereinstimmung nicht zustande, so findet zur Herbeiführung einer Verständigung eine gemeinsame Beratung zwischen dem Magistrat und der Stadtverordnetenversammlung statt. Wenn eine Verständigung bei dieser gemeinsamen Beratung nicht erzielt wird, so entscheidet die Stadtverordnetenversammlung mit Zweidrittelmehrheit ihrer Mitglieder.

Kapitel IV. Die Bezirksverordnetenversammlung

Art. 14. (1) Groß-Berlin gliedert sich zum Zwecke einer ortsnahen Verwaltung in 20 Verwaltungsbezirke.

(2) Für jeden Verwaltungsbezirk werden zur Wahrnehmung der örtlichen Belange und zur Durchführung der Aufgaben des Bezirks eine Bezirksverordnetenversammlung und ein Bezirksamt gebildet.

(3) Durch übereinstimmenden Beschluß der Bezirksverordnetenversammlung und des Bezirksamtes kann ein Verwaltungsbezirk in Ortsbezirke eingeteilt werden.

Art. 15. (1) Die Bezirksverordnetenversammlung wird auf Grund allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl von den Wahlberechtigten des Verwaltungsbezirks nach den Grundsätzen der Verhältniswahl und für die Dauer von 2 Jahren gebildet.

(2) In den Verwaltungsbezirken bis ausschließlich 100.000 Einwohnern sind 30 Bezirksverordnete, mit 100.000 bis ausschließlich 200.000 Einwohnern 40 Bezirksverordnete und mit 200.000 und mehr Einwohnern 45 Bezirksverordnete zu wählen.

(3) Die Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung finden gleichzeitig mit denen zur Stadtverordnetenversammlung statt. Die Wahlen der Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlung sowie Näheres über diese Wahlen werden in der Wahlordnung geregelt.

Art. 16. (1) Die Bezirksverordnetenversammlung hat im Rahmen der von der Stadtverordnetenversammlung und vom Magistrat aufgestellten Richtlinien über alle Angelegenheiten des Bezirks zu beschließen.

(2) Die Bezirksverordnetenversammlung wählt die Mitglieder des Bezirksamtes nach den für die Wahl des Magistrats geltenden Bestimmungen.

(3) Die Bezirksverordnetenversammlung stellt jährlich als Unterlage für den Gesamthaushaltsplan eine Übersicht über den Bedarf der durch den Bezirk zu verwaltenden Einrichtungen und Anstalten sowie der übrigen Bezirksverwaltungen zusammen.

(4) Die Bezirksverordnetenversammlung überwacht die Ausführung ihrer Beschlüsse und die Verwendung der für die örtlichen Einrichtungen und Anstalten des Verwaltungsbezirks bereitgestellten Mittel.

Art. 17. (1) Innerhalb zwei Wochen nach der Veröffentlichung des endgültigen Ergebnisses der Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung hat das Bezirksamt die Gewählten zur Bildung der Bezirksverordnetenversammlung einzuberufen und zu Beginn der ersten Sitzung durch Handschlag zur gewissenhaften Erfüllung ihrer Obliegenheiten zu verpflichten.

(2) Die Bezirksverordnetenversammlung wählt in der ersten Sitzung aus ihrer Mitte den Vorstand für die Wahldauer, bestehend aus einem Vorsitzenden und einem Schriftführer sowie deren Stellvertretern.

(3) Die Bezirksverordnetenversammlung wird einmal im Monat einberufen. Die Einberufung hat durch den Vorsitzenden zu erfolgen, wobei die Tagesordnung mitzuteilen ist. Die Einladungen sind mindestens 2 volle Tage vor dem Tag der Sitzung einzeln an jeden Bezirksverordneten zu richten.

Außerordentliche Sitzungen der Bezirksverordnetenversammlung können auch:
(i) seitens des Vorsitzenden,
(ii) auf Verlangen von mindestens einem Viertel der Bezirksverordneten,
(iii) auf Verlangen des Bezirksamtes einberufen werden.

Ausgenommen in Fällen äußerster Dringlichkeit muß die Einladung ebenfalls mindestens 2 volle Tage vor dem Tage der Sitzung einzeln an jeden Bezirksverordneten, unter Angabe der zu behandelnden Fragen, gerichtet werden.

(4) Die Bezirksverordnetenversammlung tagt öffentlich. Auf Antrag des Bezirksamtes, des Vorsitzenden oder eines Fünftels der Mitglieder kann die Öffentlichkeit bei gewissen Angelegenheiten ausgeschlossen werden. Der Beschluß hierüber wird in einer geheimen Sitzung gefaßt.

Die Mitglieder des Magistrats können den Sitzungen der Bezirksverordnetenversammlung beiwohnen. Die Mitglieder des Bezirksamtes sind unter Angabe der zu behandelnden Fragen einzuladen, sämtlichen Sitzungen der Bezirksverordnetenversammlung und deren Ausschüssen beizuwohnen.

Die Bezirksverordnetenversammlung kann die Anwesenheit eines beliebigen Mitgliedes des Bezirksamtes zur Berichterstattung in der Sitzung verlangen. Die Mitglieder des Magistrats und des Bezirksamtes müssen während einer Beratung jederzeit gehört werden.

(5) Bei der Beratung und Abstimmung über Gegenstände, die das besondere Privatinteresse eines Bezirksverordneten berühren, darf dieser Bezirksverordnete nicht zugegen sein. Sein Standpunkt muß jedoch durch seine schriftliche Erklärung angehört werden.

(6) Falls ein Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung sein Stimmrecht verliert, scheidet er aus der Bezirksverordnetenversammlung aus und verliert seine Rechte als Bezirksverordneter.

(7) Dem Bezirksamt sind alle Beschlüsse der Bezirksverordnetenversammlung mitzuteilen.

(8) Die Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlung erhalten das Recht zur freien Fahrt innerhalb von Groß-Berlin auf den öffentlichen Verkehrsmitteln, nebst Sitzungsgeld und Erstattung des durch die Sitzung entstandenen Lohnausfalles.

(9) Die Bezirksverordnetenversammlung gibt sich selbst eine Geschäftsordnung.

Kapitel V: Das Bezirksamt

Art. 18. (1) Das Bezirksamt besteht aus dem Bezirksbürgermeister als Vorsitzendem, einem Stellvertreter und höchstens 9 weiteren offiziellen besoldeten Mitgliedern.

(2) Jedes Bezirksamtsmitglied leitet gemäß den nach Artikel 11 aufgestellten Richtlinien die ihm durch die Wahl der Bezirksverordnetenversammlung übertragenen Aufgaben selbständig und unter eigener Verantwortung.

(3) Die Mitglieder des Bezirksamtes leisten bei der Übernahme ihres Amtes vor der Bezirksverordnetenversammlung den Eid, daß sie ihre Aufgaben unparteiisch zum Wohle der Gesamtheit und getreu den Gesetzen führen werden.

Wenn ein Bezirksamtsmitglied gegen den Eid verstößt oder sich als völlig ungeeignet für sein Amt erweist, kann es nach vorheriger Verhandlung vor einem besonderen, durch die Bezirksverordnetenversammlung für diesen Zweck gewählten Ausschuß durch Beschluß der Bezirksverordnetenversammlung abberufen werden. Dieser Beschluß bedarf der Zweidrittel-Stimmenmehrheit.

(4) Die Bezirksverordnetenversammlung kann durch Beschluß mit Zweidrittel-Stimmenmehrheit des gesamten Bestandes der Bezirksverordnetenversammlung den Rücktritt des Bezirksamtes verlangen. Dieser Beschluß ist unter Angabe der Gründe dem Militärkommandanten des Sektors zwecks dessen Zustimmung zu unterbreiten. Wird seine Zustimmung erteilt, so hat das Bezirksamt unverzüglich zurückzutreten.

Art. 19. (1) Das Bezirksamt ist in Angelegenheiten des Verwaltungsbezirks das leitende und vollziehende Organ. Das Bezirksamt ist vor der Bezirksverordnetenversammlung unbeschränkt verantwortlich.

(2) Das Bezirksamt ist ausführendes Organ des Magistrats und hat die Aufgaben nach den vom Magistrat aufgestellten Richtlinien zu erfüllen. Es untersteht der Überwachung des Magistrats.

(3) Dem Bezirksamt liegt ob:
(i) Die Ausführung der Beschlüsse der Bezirksverordnetenversammlung;
(ii) die Verwaltung der Einrichtungen und Anstalten des Bezirkes;
(iii) die Anstellung, Versetzung und Entlassung aller Personen, die in der Verwaltung des Bezirkes tätig sind;
(iv) die Vermittlung zwischen der Bezirksverordnetenversammlung und den Vertretungsorganen von Groß-Berlin.

(4) Im übrigen gelten die Bestimmungen des Artikels 11 Abs. 5 und 6 entsprechend. Vertreter des Magistrats müssen während der Beratung des Bezirksamtes jederzeit angehört werden.

(5) Der Bezirksbürgermeister untersteht der Dienstaufsicht des Oberbürgermeisters und die übrigen Bezirksamtsmitglieder der Dienstaufsicht des Bezirksbürgermeisters.

Kapitel VI: Verhältnis zwischen den Organen der Stadt- und Bezirksverwaltungen

Art. 20. (1) Der Zuständigkeitsbereich der örtlichen Verwaltung in den Verwaltungsbezirken im Verhältnis zur Hauptverwaltung ist in der Hauptsatzung zu regeln. In der Hauptsatzung ist der Kreis der von der Hauptverwaltung zu verwaltenden Angelegenheiten festzulegen. Alle übrigen Verwaltungsangelegenheiten sind von Verwaltungsbezirken wahrzunehmen.

(2) Die Aufgabenkreise sind dergestalt abzugrenzen, daß

(i) die Angelegenheiten, die wegen ihrer Bedeutung für ganz Groß-Berlin eine einheitliche Verwaltung erfordern, als Angelegenheiten der Hauptverwaltung vom Magistrat,

(ii) alle sonstigen Angelegenheiten der engeren Bezirksgemeinschaft vom Bezirksamt, dem eine Durchführung dieser Angelegenheiten nach eigenem Ermessen erlaubt sein muß, verwaltet werden.

(3) Der Kreis der Bezirksaufgaben kann in den einzelnen Verwaltungsbezirken verschieden sein.

Art. 21. Der Inhalt der Hauptsatzung wird die Sitzungen und Befugnisse des Rates der Bürgermeister regeln und andere für notwendig erachtete Methoden zur Zusammenarbeit der örtlichen und zentralen Verwaltung bestimmen. Die Hauptsatzung ist der Alliierten Kommandatura zur Genehmigung vorzulegen.

Art. 22. Dem Magistrat bleibt es in allen Fällen vorbehalten, die Ausführung von Beschlüssen der Bezirksverordnetenversammlung und der Bezirksämter zu verhindern, wenn es das Gemeinschaftsinteresse dringend verlangt oder wenn die Bezirksbehörden durch ihre Beschlüsse ihre Befugnisse überschreiten oder die Gesetze verletzen. In dem Beschluß, durch den der Magistrat die Ausführung von Beschlüssen der Bezirksverordnetenversammlung oder des Bezirksamtes verhindert, sind die Gründe der Beanstandung anzuführen.

Art. 23. (1) Findet in dem Falle des Artikels 22 eine Einigung nicht statt, so kann jede beteiligte Körperschaft binnen 2 Wochen vom Tage der Bekanntgabe der Beanstandung eine Entscheidung verlangen.

(2) Diese Entscheidung wird von einem von der Stadtverordnetenversammlung ernannten Ausschuß getroffen.

Kapitel VII: Haushaltsplan und Finanzen

Art. 24. (1) Das Vermögen der Gebietskörperschaft ist pfleglich und wirtschaftlich aus Mitteln des ordentlichen Haushalts zu verwalten.

(2) Die Mittel zur Ersatzbeschaffung oder Erweiterung von Vermögensgegenständen, die nach Alter, Verbrauch oder sonstiger Wertminderung jeweils ersetzt oder bei wachsendem Bedarf erweitert werden müssen, sind aus den Mitteln des ordentlichen Haushalts anzusammeln (Erneuerungs- und Erweiterungsrücklagen).

Art. 25. (1) Wirtschaftliche Unternehmen sollen einen Ertrag abwerfen.

(2) Für Unternehmen ohne Rechtspersönlichkeit (Eigenbetriebe) sind Betriebssatzungen aufzustellen.

(3) Haushaltsführung, Vermögensverwaltung und Rechnungslegung eines jeden Unternehmens sind so einzurichten, daß sie eine besondere Einsicht in die Verwaltung und das Ergebnis ermöglichen.

Art. 26. (1) Darlehen (Anleihen, Schuldscheindarlehen, sonstige Kredite mit Ausnahme des Kassenkredits) dürfen nur im Rahmen des außerordentlichen Haushaltsplanes aufgenommen werden.

(2) Darlehen dürfen nur zur Bestreitung eines außerordentlichen und unabweisbaren Bedarfs und nur insoweit aufgenommen werden, als andere Mittel zur Deckung nicht vorhanden sind.

(3) Für jedes Darlehen ist ein Tilgungsplan aufzustellen. Darlehen zur Befriedigung wiederkehrender Bedürfnisse sind bis zur Wiederkehr des Bedürfnisses zu tilgen.

Art. 27. (1) Alle Einnahmen und Ausgaben von Groß-Berlin müssen für jedes Rechnungsjahr veranschlagt und in den Haushaltsplan eingesetzt werden. Der Haushaltsplan bildet die Grundlage für die Verwaltung aller Einnahmen und Ausgaben. Die Ausgaben werden in der Regel für i Jahr bewilligt.

(2) Bei der Aufstellung des Haushaltsplanes der Stadt Groß-Berlin sind für die Bedürfnisse der Bezirke besondere Pläne aufzustellen. Für ihre Durchführung soll dem Bezirk angemessener Spielraum eingeräumt werden.

(3) Ist bis zum Schluße eines Rechnungsjahres der Haushaltsplan für das folgende Jahr noch nicht festgestellt, so ist bis zu seinem Inkrafttreten der Magistrat ermächtigt, alle Ausgaben zu leisten, die notwendig sind, um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten, gültig beschlossene Maßnahmen durchzuführen, rechtlich begründete Verpflichtungen der Stadt Groß-Berlin zu erfüllen und Bauten, Beschaffungen und sonstige Leistungen fortzusetzen, für die durch den Haushaltsplan eines Vorjahres bereits Beträge bewilligt wurden.

Art. 28. (1) Überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben dürfen nur mit Zustimmung des Magistrats geleistet werden. Die Zustimmung darf nur bei unabweisbaren Bedürfnissen erteilt werden.

(2) Alle Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßige Ausgaben bedürfen der nachträglichen Genehmigung der Vertretungskörper.

(3) Außerordentliche Ausgaben dürfen erst geleistet werden, wenn deren Deckung gesichert ist.

Art. 29. Jede Person, die im Dienste von Groß-Berlin steht und die gegen die Bestimmungen des Artikels 28 schuldhaft verstößt, haftet der Gebietskörperschaft für den daraus entstandenen Schaden. Eine Verpflichtung zum Schadenersatz ist jedoch nicht gegeben, wenn die Handlung zur Abwendung einer nicht voraussehbaren dringenden Gefahr für die Gebietskörperschaft erfolgte und die Verletzung der Vorschriften nicht über das durch die Notlage gebotene Maß hinausgegangen ist.

Art. 30. (1) Über die Verwendung aller Einnahmen eines Rechnungsjahres hat der Kämmerer in der ersten Hälfte des folgenden Rechnungsjahres den Vertretungskörpern von Groß-Berlin Rechnung zu legen und eine Übersicht der gesamten Vermögens- und Schuldenlage zu geben.

(2) Die Rechnungen sind vom Hauptprüfungsamt auf Grund des Haushaltsplanes und der Haushaltsrechnung zu prüfen und zu bestätigen.

Das Nähere wird durch eine Verordnung geregelt.

(3) Auf Grund der Rechnungsprüfung und Bestätigung des Hauptprüfungsamtes beschließen die Vertretungskörper über die Entlastung.

Kapitel VIII: Bestimmungen über Behörden - Angestellte

Art. 31. (1) Alle Personen, die in der Hauptverwaltung obrigkeitliche Aufgaben wahrnehmen, und leitende Angestellte der Hauptverwaltung werden vom Magistrat ernannt, versetzt und entlassen.

(2) Alle Personen, die im Verwaltungsbezirk obrigkeitliche Aufgaben wahrnehmen, und alle leitenden Angestellten des Bezirks werden vom Bezirksamt ernannt, versetzt und entlassen.

(3) Über die Versetzung der Personen, die im Dienste von Groß-Berlin obrigkeitliche Aufgaben wahrnehmen, aus einer Bezirksverwaltung in die Hauptverwaltung oder von einem Verwaltungsbezirk in einen anderen Verwaltungsbezirk, entscheidet nach Anhörung der beteiligten Bezirksämter der Magistrat.

Art. 32. Alle Personen, die im Dienste von Groß-Berlin obrigkeitliche Aufgaben wahrnehmen, haben bei der Übernahme des Amtes den Eid zu leisten, daß sie ihre Aufgaben unparteiisch zum Wohle der Gesamtheit und getreu den Gesetzen führen werden.

Sie erhalten für ihre Tätigkeit feste Dienstbezüge.

Kapitel IX: Inkrafttreten der rechtsverbindlichen Bestimmungen

Art. 33. (1) Eine Angelegenheit kann allgemein rechtsverbindlich nur durch eine Verordnung geregelt werden. Diese muß gemäß dieser Verfassung zustande gekommen sein und schriftlich und öffentlich verkündet werden.

(2) Jede Verordnung ist binnen Monatsfrist nach endgültiger Beschlußfassung zu verkünden. Sie tritt, wenn sie nichts anderes bestimmt, mit dem siebenten Tag nach der Verkündung in Kraft. Art. 34. Die beim Inkrafttreten dieser Verfassung bestellten oder zugelassenen Organe der Stadtgemeinde Groß-Berlin in der Hauptverwaltung wie in den Bezirksverwaltungen üben als Organe von Groß-Berlin die verfassungsmäßigen Befugnisse bis zur Bestellung der Neuorgane aus.

Art. 34.  Die beim Inkrafttreten dieser Verfassung bestellten oder zugelassenen Organe der Stadtgemeinde Groß-Berlin in der Hauptverwaltung wie in den Bezirksverwaltungen üben als Organe von Groß-Berlin die verfassungsmäßigen Befugnisse bis zur Bestellung der Neuorgane aus.

Art. 35. (1) Diese Verfassung tritt mit dem Tage der Verkündung in Groß-Berlin in Kraft. Alle der Verfassung entgegenstehenden früheren Bestimmungen treten mit dem gleichen Zeitpunkt außer Kraft. Die zur Ausführung und Durchführung erforderlichen Verordnungen erläßt der Magistrat.

(2) Die Stadtverordnetenversammlung wird in öffentlichen Sitzungen den Entwurf einer neuen Verfassung für Groß-Berlin ausarbeiten. Dieser Entwurf ist den Alliierten Mächten bis zum 1. Mai 1948 zur Genehmigung vorzulegen. Sobald diese Genehmigung erteilt ist, müssen Wahlen nach der neuen Verfassung stattfinden.

Art. 36. Soweit nicht seitens der Alliierten Kontrollbehörden anderweitig besonders bestimmt wird, untersteht die Selbstverwaltung Groß-Berlins der Alliierten Kommandatura und in den Sektoren der Militärregierung des betreffenden Sektors. Alle gesetzlichen Bestimmungen, welche von der Stadtverordnetenversammlung sowie Verordnungen und Anweisungen, welche vom Magistrat angenommen bzw. erlassen werden, müssen im Einklang mit den Gesetzen und Anordnungen der Alliierten Mächte in Deutschland und der Alliierten Kommandatura Berlin stehen und von der letzteren genehmigt werden.

Verfassungsänderungen, Rücktritt des Magistrats oder eines seiner Mitglieder sowie Ernennung und Entlassung leitender Personen der Stadtverwaltung können nur mit Genehmigung der Alliierten Kommandatura Berlin vorgenommen werden.

Die Bezirksverwaltung untersteht in ihrer Tätigkeit der Genehmigung der Militärregierung des betreffenden Sektors.


Begleitschreiben der Alliierten Kommandanten von Berlin zur
Vorläufigen Verfassung für Groß-Berlin

vom 13. August 1946

Alliierte Kommandatura Berlin

Schreiben der Kommandanten an den Oberbürgermeister

Die Alliierten Kommandanten betrachten die Wiederherstellung einer konstitutionellen Regierung für die Stadt Berlin als ein geschichtliches Ereignis. Mit der Übermittlung der vorläufigen Verfassung an den Magistrat zusammen mit der Anordnung der Alliierten Kommandatura geben die Besatzungsmächte nochmals ihrem Bestreben Ausdruck, die politische Unabhängigkeit in Berlin herzustellen und der Bevölkerung in Angelegenheiten der Stadtverwaltung das Selbstbestimmungsrecht wiederzugeben.

Im Jahre 1920 erhielt Berlin zum erstenmal eine demokratische Verfassung. Jedoch unter der Beeinflussung des Naziregimes hat die Beschränkung der politischen Freiheit dazu geführt, daß der Verwaltungs- und Regierungsapparat der Stadt lediglich zum Werkzeuge faschistischer Macht wurde.

Die Verfassung vom Jahre 1946 ist ein provisorisches Dokument, das die Wiederherstellung politischer Freiheit und deren Anvertrauung an die Berliner Bevölkerung bezweckt. Sie legt die Gesamtheit der Machtbefugnisse in die Hände der vom Volke gewählten Vertreter. Sie verlangt, daß die gewählten Vertreter sich zu einer konstitutionellen Versammlung zusammenschließen, um unverzüglich mit der Ausarbeitung einer Verfassung auf breiterer Basis für die Stadt Berlin zu beginnen. Sie sieht eine stabilisierte Stadtverwaltung vor auf Grund der allgemeinen Richtlinien der Gesetze von 1853, 1920 und 1931.

Die Alliierten Kommandanten haben beschlossen, daß diese neue Verfassung im Oktober in Kraft treten wird, zu welcher Zeit Wahlen stattfinden werden, und im Vertrauen, daß die demokratische Entwicklung nie wieder aufhören wird, übertragen sie die Verantwortung für die der Alliierten Kommandatura unterstellte Regierung von Berlin auf die Bevölkerung der Stadt.

Keating, Generalmajor, USA
Nares, Generalmajor, Großbritannien
Lanqon, Brigadegeneral, Frankreich
Kotikov, Generalmajor, UdSSR


Quellen: Verordnungsblatt für Berlin 1946 S. 295
Ingo v. Münch, Dokumente des geteilten Deutschland, KRÖNER 391

© 11. September  2001 - 15. April 2004
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